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Georg Adam, 1874–1948

8. Februar 1874 Berlin (Deutsches Reich) - 1948 Davos (Schweiz)
Original- und Ausgangssprache(n)
Bulgarisch, Polnisch, Russisch, Serbisch, Sorbisch, Ukrainisch
Schlagworte
Übersetzte GattungenErzählungen, Essays, Lyrik, Versepen/Verserzählungen, Volkspoesie Sonstige SchlagworteInnere Emigration (NS-Zeit) Übersetzerisches ProfilPhilologe als Übersetzer

Vorbemerkung der Redaktion

Dieses Porträt über Georg Adam gibt einen Vortrag wieder, den Norbert Randow (1929–2013) am 18. November 1960 anlässlich der 150-Jahr-Feier der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten hat. Gedruckt erschien der Beitrag 1962 in der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Humboldt-Universität unter dem Titel Der Slawenfreund Georg Adam und sein Verhältnis zur bulgarischen Literatur. Die am Schluss des Vortrags angekündigte größere Studie zu Leben und Werk Georg Adams kam nicht zustande, da Randow 1962 wegen „Beihilfe zur Republikflucht“ zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde und anschließend seine slawistisch-bulgaristischen Forschungsvorhaben nicht wieder aufnehmen konnte. Stattdessen wurde er – seinem großen Vorbild Georg Adam folgend – herausragender Übersetzer aus slawischen Sprachen, insbesondere aus dem Bulgarischen und Weißrussischen. Der von Norbert Randow in den 50er Jahren übernommene Nachlass Georg Adams ist in großen Teilen Bestandteil des an die Humboldt-Universität gelangten Randow-Nachlasses, ein kleinerer Teil Korrespondenz ist an das Bulgarische Literaturarchiv in Sofia gegangen. – Die UeLEX-Redaktion dankt Andreas Tretner für die Unterstützung bei den Randow/Adam-Recherchen und Theda Tode-Randow, der Witwe Norbert Randows, für ihre Zustimmung zur erneuten Veröffentlichung des Adam-Porträts.

Die Frage nach den Rezeptoren einer fremden Literatur, nach den Übersetzern, Rezensenten und Verlegern, die sich eines einzelnen Dichters oder einer ganzen Literatur angenommen haben, scheint trotz einer Reihe von Einzelstudien, vornehmlich Staatsexamensarbeiten, immer noch nicht genügend behandelt worden zu sein. Dabei wirft gerade ihre Beantwortung erst ein richtiges Licht auf die konkrete Verwirklichung literarischer Wechselbeziehungen, die ja als solche nicht an und für sich existieren, sondern nur auf Grund und als Resultat der oftmals aufopferungsvollen Arbeit sehr vieler einzelner Persönlichkeiten, die durch ganz bestimmte Beweggründe zu ihrer literarischen Vermittlertätigkeit gelangten. Ohne eine gründliche Kenntnis dieser Beweggründe, die die Kenntnis der Biographie der literarischen Mittlerpersönlichkeiten voraussetzt, ist eine tiefergehende Beurteilung der Rezeption bzw. der Wirkung einer fremden Literatur kaum möglich.

Beim Studium der Aufnahme der neubulgarischen Literatur in Deutschland stößt man immer wieder auf einen Namen – es ist um die Jahrhundertwende fast der einzige auf diesem Gebiet: Georg Adam. Sowohl als Übersetzer bulgarischer Prosa und Poesie als auch als Verfasser größerer kritischer Arbeiten, Rezensionen, Aufsätze über einzelne Dichter und Schriftsteller. Mit Literaturbriefen und dergleichen hat Georg Adam, beginnend mit dem Jahre 1898, eine umfangreiche Tätigkeit für das Bekanntwerden der bulgarischen Literatur in Deutschland entfaltet. In einer Zeit, da ein deutscher Verleger zu dem bulgarischen Dichter Kiril Christov sagen konnte: „Ihnen gegenüber haben wir nur wirtschaftliche Interessen. Bücher, die diese Gebiete berühren, finden bei uns immer Absatz“, kann eine solche Popularisierungstätigkeit für die bulgarische belletristische Literatur, die auf nichts als Schwierigkeiten stieß, gar nicht hoch genug bewertet werden.

Aber nicht nur für die bulgarische Literatur, sondern auch für die anderen slawischen Literaturen – mit Ausnahme vielleicht der tschechischen – sowie für die rumänische hat Georg Adam in diesem Sinne eine nicht unbedeutende Rolle gespielt.

Außer dem Namen ist von diesem Manne bisher so gut wie nichts bekannt gewesen. Sein Name allerdings begegnet immer wieder beim Studium der deutsch-slawischen Wechselbeziehungen, er taucht in den verschiedensten diesbezüglichen Bibliographien auf. Sein Leben dagegen war bisher in dichtes Dunkel gehüllt. Im Kürschner ist Adam für die Jahre 1901 bis 1915 mit einer leider nur wenig besagenden Notiz von zwei Zeilen vertreten. Aus ihr ist lediglich zu entnehmen, dass er Doktor der Medizin war. Etwas ausführlicher, wenn auch immer noch sehr knapp, ist der Lebenslauf Adams in seiner Dissertation, die den Titel Zum periodischen Irresein trägt und 1901 von der medizinischen Fakultät der Universität Rostock angenommen wurde. Dort heißt es: „Georg Adam, geboren am 8. Februar 1874 zu Berlin: besuchte, nach auf dem Leibniz-Gymnasium zu Berlin erhaltener Vorbildung, von Ostern 1893 bis Ostern 1899 die Universität Berlin, seit Ostern 1899 die Universität Rostock, bestand an letzterer am 27. März 1901 die ärztliche Staatsprüfung und am 30. März das Examen rigorosum.“ Weitere, allerdings schwieriger zugängliche Kunde über Georg Adams Leben geben die Briefe, die er an seine bulgarischen Freunde geschrieben hat und die heute in verschiedenen Archiven in Sofia aufbewahrt werden. In erster Linie handelt es sich dabei um Briefe an Pelko Todorov, Kiril Christov, Bojan Penev, Penčo Slavejkov, Dr. Krǎstev und Mara Belčeva. Aus ihnen erhellt nicht nur der Umfang seiner engen und freundschaftlichen Beziehungen zu hervorragenden Vertretern des bulgarischen Geisteslebens, sondern sie gewähren darüber hinaus Einblick in die rastlose Tätigkeit Adams zum Nutzen der bulgarischen Literatur in Deutschland. Außerdem enthalten die Briefe interessante Einzelheiten über Adams Freundschaft mit Ivan Franko und Olga Kobylanska, die er beide im Jahre 1902 auf seiner Rückreise aus Bulgarien – er hatte dort seinen Freund Petko Todorov besucht – in ihren Heimatstädten Lemberg bzw. Tschernowitz aufsuchte. Nicht zuletzt sind die Briefe deswegen außerordentlich interessant, weil aus ihnen hervorgeht, dass Adam auch in Deutschland nicht losgelöst von den kulturellen Bestrebungen fortschrittlicher literarischer Kreise wirkte. Zu seinem engsten Freundeskreis gehörte z. B. der Dichter Ludwig Jakubowsky, der sich große Verdienste um die Verbreitung des klassischen deutschen Literaturgutes unter der Arbeiterklasse erworben hat; zu seinen Freunden gehörten weiterhin die Dichter Johannes Schlaf und Else Lasker-Schüler, der Maler Arthur Segal, der sorbische Gelehrte Professor Muka u. a. m. Zum Teil waren das, wie man sieht, jüdische Intellektuelle, die allein schon wegen des damals grassierenden Antisemitismus im Gegensatz zum reaktionären wilhelminischen Deutschland standen.

Eigentlichen Aufschluss über die Biographie Adams gewähren jedoch sein Nachlass, den wir vor einiger Zeit auffanden, sowie Aussagen eines seiner Kollegen, der gemeinsam mit ihm an der ehemaligen Heilanstalt in Berlin-Buch tätig gewesen ist.

Danach stammte Adam aus einer sozialdemokratischen Familie. Sein Vater war Druckereiarbeiter und aktiver Funktionär der Sozialdemokratischen Partei. Seine Mutter war polnischer Herkunft, mit ihrem Sohn sprach sie polnisch; die Briefe, die Adam mit seiner Mutter wechselte, sind polnisch geschrieben. Bereits als Schüler am Leibniz-Gymnasium war Adam als „Roter“ bekannt. Wegen seiner Abiturientenrede, der er eine atheistische und antichauvinistische Konzeption zugrunde gelegt hatte, wäre er fast, obgleich Primus der Klasse, noch im letzten Moment von der Schule relegiert worden. Aus dieser Zeit (1894) liegt auch ein Aufsatz vor, den Adam in der Zeitschrift Lichtstrahlen, dem Organ der freireligiösen, sozialdemokratisch beeinflussten Humanistischen Gemeinde, veröffentlicht hat. Er trägt die Überschrift Aphorismen über die Todesfurcht; der Verfasser zieht darin von naturwissenschaftlich-dialektischer Warte aus gegen die Religion zu Felde. Während seiner Studentenzeit war Georg Adam als Sozialdemokrat politisch an der Berliner Universität tätig. Seine progressive Haltung und seine Herkunft veranlassten ihn, zu einer Zeit, als der preußisch-nationalistische Hurrapatriotismus weitgehend das Gesicht der Berliner Universität bestimmte, den Verkehr solcher Kommilitonen zu suchen, die diesem Ungeist ebenfalls ablehnend gegenüberstanden bzw. von ihm verfolgt wurden. Das war z. B. der Fall mit den polnischen Studenten, denen es offiziell verboten war, auf den Zusammenkünften ihrer Landsmannschaft sich ihrer Muttersprache zu bedienen. So waren es in erster Linie Studenten aus den slawischen Ländern, mit denen Adam verkehrte; darunter scheinen ihn die Bulgaren den stärksten Eindruck gemacht zu haben. Jedenfalls sind die Bindungen, die er zu ihnen, besonders zu Penčo Slavejkov und Petko Todorov damals anknüpfte, dauerhaft und von fruchtbarer Art gewesen. Da er polnisch sprechen konnte, fiel es ihm verhältnismäßig leicht, im Umgang mit bulgarischen, russischen und serbischen Studenten deren Sprachen zu erlernen, und zwar bis zu einem so hohen Grade, dass er in der Lage war, die entsprechenden Literaturen im Original zu lesen, aus ihnen zu übersetzen und das deutsche Lesepublikum regelmäßig über sie zu informieren.

Bereits als Student war Georg Adam ständiger Mitarbeiter sozialdemokratischer und anderer fortschrittlicher Publikationsorgane. So veröffentlichte er z. B. Aufsätze und Übersetzungen sowie eigene Gedichte in der Neuen Zeit, im Wahren Jakob, der satirischen Wochenschrift der SPD, in der von Klara Zetkin herausgegebenen Gleichheit, in der Gesellschaft, im Literarischen Echo sowie in anderen Zeitschriften. Nach seinem Studium arbeitete Georg Adam nach zweijähriger Tätigkeit als Assistenzarzt in Schwerin, wie bereits erwähnt, in der Heilanstalt Berlin-Buch. Dort hatten sich sehr bald nach Adams Erscheinen unter der Ärzteschaft zwei Lager herausgebildet; die kleine Gruppe fortschrittlicher und demokratischer, z. T. jüdischer Ärzte um Adam wurde heftig angefeindet von der großen Mehrheit ihrer Kollegen, die völlig unter dem Einfluss der chauvinistischen Atmosphäre standen, die im wilhelminischen Deutschland besonders in gewissen Akademikerkreisen vorherrschte.

Während der Zeit des Faschismus zog sich Adam, nachdem er 1937 in den Ruhestand versetzt worden war, gänzlich von allem öffentlichen Wirken zurück. Er brach mit alten Kollegen, die zu den Nazis übergelaufen waren, und lebte vereinsamt in Finkenkrug, einem Vorort von Berlin. Nach der Zerschlagung des Faschismus stellte er sich als Dolmetscher der Roten Armee zur Verfügung und wurde Mitglied demokratischer Organisationen. Sein Tod im Jahre 1948 hinderte ihn daran, seine durch die faschistische Barbarei unterbrochene Tätigkeit zum Nutzen der deutsch-slawischen kulturellen Beziehungen fortzusetzen.

Bevor wir näher auf Adams Verhältnis zur bulgarischen Literatur eingehen, sollen zwei Arbeiten erwähnt werden, mit denen er bis dahin in Deutschland völlig unbeachtete slawische Literaturen bekanntzumachen bemüht war. Im August 1900 veröffentlichte er im Literarischen Echo einen längeren Aufsatz unter der Überschrift Die wendische Renaissance, in dem er die literarische Bewegung der Lausitzer Sorben seit Mitte des vorigen Jahrhunderts eingehend behandelte und dabei seiner Sympathie für diesen slawischen Volksstamm beredten Ausdruck verlieh. Der Aufsatz, in dem er zu Beginn gleichsam das Feld seiner eigenen literarischen Tätigkeit absteckt, beginnt folgendermaßen:

Allenthalben machen sich deutliche Zeichen dafür bemerkbar, dass der allgemeine Gang der Entwicklung in unserer Zeit, in scheinbarem Gegensatz zu den kosmopolitischen Bestrebungen, auf eine charaktervolle Ausbildung der nationalen Eigenheiten zielt. Am auffälligsten … tritt diese Erscheinung in der Erhebung der Slawen zu Tage, in denen Nationen zur Selbständigkeit streben, um die sich die große Welt früher wenig gekümmert, ja, die sich kaum gekannt hat, Nationen zum Teil, deren Grenzen noch nicht einmal mit Genauigkeit festgelegt sind. Dieser Aufschwung ist im allgemeinen sowohl in der äußeren Kraft- und Machtentfaltung als in der inneren, geistigen Entwicklung, der Literatur, zu erkennen. Und es können sich dieser „Renaissance“ nicht nur die großen slawischen Nationen erfreuen, es nehmen an ihr, nach dem Maße ihrer Kräfte, auch die kleineren teil, bis hinunter zur kleinsten, der der Wenden oder Lausitzer Sorben.

Nach diesen einführenden Worten gibt er einen kurzen Abriss des wendischen religiösen Schrifttums bis gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, zeigt die Schwierigkeiten, mit denen die junge, aufstrebende Literatur zu kämpfen hatte, um danach die sorbische Gesellschaft Macica Serbska und das dichterische Werk Handrij Zejlers, Jakub Čišinskis, Mato Kosyks und Radiserb Wjelas sowie ihrer Nachfolger zu würdigen. Er schließt seinen Aufsatz mit den Sätzen – und sie klingen durchaus polemisch angesichts der Germanisierungspolitik der deutschen Behörden:

Was nun die Aussichten für die Zukunft dieses kleinen Völkerrestes, der scheinbar schon dem völligen Untergang geweiht, sich plötzlich so überraschend regsam zeigt, betrifft, so wird man kaum ein endgültiges Urteil fällen können, namentlich nicht, wie das im allgemeinen wohl geschieht, ihm ein sicheres baldiges Ende prophezeien. Man darf dabei nicht außer Acht lassen, in welchem Aufschwung das gesamte Slawentum sich gegenwärtig befindet … In diesem Lichte gesehen, bedeutet die „wendische Renaissance“ ein neues Zeichen der Kraft dieses Aufwärtsstrebens der Gesamtheit, deren Erfolge ihrerseits von neuem Sporn und Stütze werden. Demnach … wird man sagen können …: ein Volk, so gesund an Körper und Geist, mit so frischen und immer noch neu entstehenden Volksliedern, das eine so originelle Poesie wie die eines Seiler und Kosyk erzeugt hat, ein solches Volk sieht nicht danach aus, als ob es bald sterben wollte oder müsste.

Auf diesen Aufsatz sind wir besonders auch deshalb eingegangen, weil der größte sorbische Dichter, Jakub Bart-Čišinski, unter dem Pseudonym I. B. Kukowski im Jahre 1904 in Petersburg eine umfangreiche Abhandlung in deutscher Sprache veröffentlichte unter dem Titel: Die Literatur der Lausitzer Sorben zu Anfang des XX. Jahrhunderts. In ihr beruft er sich ständig auf Adams Aufsatz, zitiert ihn oft und ausführlich und macht ihn praktisch zur Grundlage seiner eigenen Arbeit. Georg Adam war der erste Deutsche, der sich eingehend mit der sorbischen Literatur befasst hat und sie dem deutschen Leser bekanntzumachen unternahm.

Im Januar 1901 veröffentlichte Adam im Magazin für Literatur einen großen Essai unter der Überschrift Ein Jahrhundert kleinrussischer Literatur. Es ist die erste umfangreichere und sehr informative deutsche Arbeit über die Geschichte der ukrainischen Literatur. Sie erschien kurze Zeit darauf noch einmal als Einleitung zu den Kleinrussischen Novellen von Olga Kobylanska (Minden 1902). Die Schlussworte lassen deutlich den Geist der Freundschaft zum ukrainischen Volk spüren, von dem sich Georg Adam bei seiner Arbeit leiten ließ. Sie seien aus diesem Grunde hier angeführt:

Wir haben … ein Jahrhundert literarischer Arbeit an uns vorüberziehen lassen, eine Arbeit, welche in ununterbrochenem Kampfe gegen widrige äußere Verhältnisse von einem Volke geleistet wurde, das sich erst von neuem zu eigenem Leben emporringen muss, und wir haben gesehen, dass die Entwicklung aus bescheidenen Anfängen vorwärts gegangen ist, die in jenem enthaltenen Keime zu Blüten entfaltend, welche ihre Lebenssäfte aus dem Boden des Volksgeistes ziehen. Und das ist die Eigenart der kleinrussischen Literatur, sie ist vielleicht diejenige, welche sich am wenigsten von dem Ideenkreise der großen Masse des einfachen Volkes entfernt hat, welche am urwüchsigsten die Gedanken und Gefühle, welche dieses Volk von Bauern bewegen, zum Ausdruck bringt, doch nicht etwa im kindlichen Stammeln des Naturmenschen, sondern mit vollem künstlerischen Werte. Kwitka, Schewtschenko und eine ganze Reihe anderer bis in den Kreis der Jüngsten hinein sind Gestalten, welche einer jeden Literatur Ehre machen würden und welche der kleinrussischen durch ihre eigenartigen, selbstsicheren Schöpfungen des volle Recht einer literarischen Nation erworben haben, das Recht, als selbständiges Glied in der großen Gemeinde der Weltliteratur betrachtet zu werden.

Auf die vielen Aufsätze Georg Adams aus dem Gebiet der anderen slawischen Literaturen, z. B. über Mickiewicz, über das Verhältnis von Mickiewicz zu Goethe, das damit erstmalig in Deutschland ausführlich und wahrhaftig dargestellt wurde, über Sienkiewicz, über Puškin, über den russischen Roman, über die russischen Bylinen, über Gor’kij in Deutschland, die erste Arbeit über dieses interessante Thema, über russische und ukrainische Volkslieder, über die serbische Literatur, aber auch über Eminescu, Cosbuç, Vlahuţa und andere rumänische Dichter, kann hier und in diesem Rahmen nicht näher eingegangen werden. Allein die Aufzählung dieser wenigen Titel mag genügen, um anzudeuten, eine wie weitreichende und nicht selten bahnbrechende Arbeit Georg Adam damit geleistet hat.

Seine besondere Liebe galt jedoch der bulgarischen Literatur. Wie gesagt, unterhielt er bereits als Student die engsten Verbindungen zu bedeutenden bulgarischen Dichtern. Einige Male bereiste er das Land. Neben ständigen Aufsätzen über die bulgarische Gegenwartsliteratur, neben Buchbesprechungen und Artikeln über die kulturelle Bewegung in Bulgarien verfasste er auch mehrere größere Studien über einzelne bulgarische Dichter, von denen wir zwei besonders herausgreifen möchten, weil sie sehr anschaulich zeigen, welchen Standpunkt Adam bei der Beurteilung bestimmter Dichterpersönlichkeiten eingenommen hat und wie richtig auch heute noch größtenteils seine Urteile sind.

Im Jahre 1901 erschien in der Vossischen Zeitung in einigen Fortsetzungen eine umfangreiche Studie unter dem Titel Christo Botoff. Ein Dichterbild aus der Zeit der bulgarischen Freiheitskämpfe. Es ist die erste und bis heute sogar einzige längere Würdigung dieses größten bulgarischen Dichters in Deutschland. Adam entwirft in ihr ein breit angelegtes Lebensbild Christo Botevs, geht ausführlich auf die politische Situationd er damaligen Zeit ein, zeigt die nationalen und sozialen Gegensätgze, die zum Aufstande von 1876 führten, und flicht eine Reihe eigener, ausgezeichneter Übersetzungen aus Botevschen Gedichten ein. Ein Zitat mag daraus die lebendige Darstellungsart Georg Adams veranschaulichen:

So steht Christo Boteff vor uns: eine ganze Persönlichkeit, in ursprünglichster Kraft, voll glühender Liebe zur Freiheit, zu seinen Bergen, zu seiner Familie, zu seinem Volke, voll glühenden Hasses gegen die Feinde seines Volkes. Sein Zeitgenosse, der Dichter Iwan Wasoff, schildert Boteffs äußere Erscheinung in folgenden Worten: „Niemand vermochte seinen kühnen Adlerblick zu ertragen. Er war von hohem, kraftvollem Wuchs, fast ein Riese, mit schwarzen, flammenden Augen, mit langer römischer Nase, mit edler, breiter Stirn, an deren Seiten unter der weißen Haut blaue Adern zitterten, mit schwarzem, welligen, zurückgeworfenen Haar. Mit seinen geistvollen Zügen, seinem ungewöhnlich hohen Wuchse, mit seiner machtvollen Stimme, dem tönenden Lachen, mit seinem stolzen, kühn ausschreitenden Gang ragte er hoch hervor aus der Menge.

In seinem romantischen Leben und Kämpfen, in seiner elementaren, übermächtigen Persönlichkeit ist Boteff aus dem rechten Stoff, aus dem das Volk sich seine Nationalhelden schafft. Jedes seiner Lieder ist ein echtes Volkslied geworden …

Als weitere umfangreiche Arbeit aus dem Gebiet der bulgarischen Literatur sei Georg Adams Aufsatz über Ivan Vazov im Literarischen Echo aus dem Jahre 1902 erwähnt. In ihm wird er der Bedeutung Vazovs besonders im Hinblick auch für das Ausland gerecht. Er schreibt:

Es gibt hervorragende Persönlichkeiten, deren Ruhm fest in der Geschichte steht, deren Bedeutung aber schwindet, wenn man sie getrennt von dem Milieu, aus dem sie erwachsen sind und das sie vertreten, betrachten wollte; denn ihre historische Gestalt ist unlöslich verbunden mit einem bestimmten Zeitabschnitt, einer bestimmten Nation, und nur in dieser Verbindung gewinnt sie ihren rechten Wert. Ein solcher ist Iwan Wasoff, der gegenwärtig der populärste Dichter der bulgarischen Nation ist und ihr getreuester Vertreter in der Poesie. Wenn wir uns aus seinen Werken sein Bild aufzubauen versuchen, so wird es uns nicht verborgen bleiben, dass es ihm fehlt an dem alle Tiefen und Weiten umfassenden Blick, an dem flammenden genialen Temperament, dass er aber ein inniges und klares Empfinden, ein ehrliches Wollen, ein schönes, ruhiges Talent besitzt. Ich beginne mit dem Hinweis auf die Mängel des von seinem Volke so gefeierten Dichters, weil man sie sich nicht verhehlen darf, um zu einer vollen und gerechten Würdigung der Persönlichkeit zu gelangen, weil die Erkenntnis seiner Vorzüge dadurch nicht geschmälert, vielmehr vertieft wird.

Nach diesen einführenden und außerordentlich treffenden Worten gibt er eine ausführliche Darstellung des Lebensweges Ivan Vazovs und macht mit seinen hauptsächlichsten Werken bekannt, unter denen er besonders die Epopöe der Vergessenen hervorhebt; daneben gibt er auch eine gerechte Würdigung des Hauptwerkes Vazovs, des Romans Unter dem Joch. Zusammenfassend weist er nochmals auf die große Bedeutung des Dichters für die Entwicklung der bulgarischen Literatur hin und schließt mit den Worten:

Noch ist es keinem der Jüngeren gelungen, Wasoff zu ersetzen; nur Versuche künden sich hie und da mit kräftigem Streben an. Noch immer ist er der treueste poetische Vertreter seiner Nation, seine literarische Tätigkeit bedeutet ein beträchtliches Stück bulgarischer Literaturgeschichte, er ist ihr bester Repräsentant in der Zeit der ersten Entwicklung nach der Befreiung zur nationalen Selbständigkeit. Und damit hat er einen Anspruch auf die Dankbarkeit seiner Nation und auf anerkennende Beachtung der Welt.

Mit wenigen Worten mögen hier noch die Übersetzungen Georg Adams aus dem Bulgarischen erwähnt werden. Sieht man von der Übersetzung der Erinnerungen des Haidukenanführers Panajot Chitov ab, die 1878 von dem deutschen Orientalisten Georg Rosen herausgegeben wurde, sowie von der von einem Bulgaren stammenden Übersetzung einiger Skizzen aus dem bulgarischen Residenzleben (Draski i šarki) von Ivan Vazov, die 1895 in Leipzig erschien, so sind die Übersetzungen Georg Adams die ersten, durch die die bulgarische Literatur in Form von Originalwerken in Deutschland bekannt wurde. Er übertrug eine große Anzahl von Gedichten von Botev, Slavejkov, Javorov, Christov und Mara Belčeva. Ein Sonett von Ivan Vazov mag als Beispiel für die Eleganz der Übertragungskunst Georg Adams hier angeführt sein:

Das Lied in der Nacht

Ochrida schläft … Als wär’s vom Grab verschlungen.
Es ruhen Mann und Weib im dumpfen Traum.
Da tönt durch’s stille Haus, erst hörbar kaum,
Ein Freiheitslied, von Kindermund gesungen.

Frau, heiß sie schweigen – ruft der Mann erschreckt.
Getroffen von des Liedes Zauberkraft,
Geh, geh … nein, wart noch … ach, Verderben schafft
Uns solches Lied, das Sturm und Donner weckt.

Was soll das Lied? Schnell, mach ein End‘ dem Singen!
Wollen sie Ketten meinen Händen bringen?
Geh … Wart … Laß mich die Worte nur verstehen …

O weh! Mit Angst packt mich die Melodie,
Furchtbare Worte … Doch wie wohl tun sie …
O heiliger Gott, sei gnädig ihrem Flehen!

Außer Gedichten übertrug Adam zahlreiche Idyllen Petko Todorovs, die gesammelt und als Buch 1919 in Leipzig erschienen sind. Daneben übersetzte er mehrere Erzählungen Ivan Vazovs, den Baj Ganju von Aleko Konstantinov, wovon nur Auszüge gedruckt erschienen sind, einen Abschnitt aus dem Buch Haidukensehnsucht von Javorov, der erst jetzt zum ersten Mal gedruckt wurde (in der Anthologie Bulgarische Erzähler, Berlin 1961), und schließlich den großen Essai Penčo Slavejkovs über das bulgarische Volkslied nebst einem großen Teil der von Slavejkov zusammengestellten Volksliedersammlung, die beide ebenfalls 1919 in Leipzig in einem Band erschienen sind. Zweifellos sind das die dichterisch wertvollsten Übertragungen aus der bulgarischen Volkspoesie, die in deutscher Sprache existieren. Ein Beispiel möge auch hier Zeugnis davon ablegen:

Legt‘ mich auf der Straße nieder,
auf der Straße schlief ich ein,
und die Straße war mein Bette,
und mein Kissen war ein Stein.
Hab‘ gelegen, hab‘ geschlafen,
hab‘ im Traum vor mir gesehn,
rotgegürtet, blumenprangend,
da ein zartes Mägdlein stehn.
Als ich aufstand, nachzuschauen,
ach, da wart kein Mädchen mehr –
und ich kann’s doch nicht mehr tragen,
Einsamkeit ist trüb und schwer.
Ach, allein hab‘ ich geschlafen,
Bett und Kissen harter Stein,
nur der Traum gab mir das Mädchen,
wach nun bin ich ganz allein.

Penčo Slavejkov rühmt Adams Übersetzungen der bulgarischen Volkslieder mit den Worten:

In deutscher Sprache sind bisher am schönsten die Übersetzungen bulgarischer Volkslieder von Dr. Georg Adam. Diese wenigen Lieder sind vor allem vom poetischen Standpunkt aus interessant.

Und auch der bekannte bulgarische Literaturwissenschaftler Bojan Penev spricht sich 1920 in einer Besprechung der von Adam übersetzten Volksliedersammlung in ähnlichem Sinne aus, wenn er schreibt:

Die Übersetzungen von Georg Adam gehören zu den besten. Adam, ein ausgezeichneter Kenner der bulgarischen gesprochenen und Literatursprache, vermochte es, sich in die Bilder und in die Musik unserer Volkslieder einzuleben und ihren Reichtum im Deutschen in natürlicher und freier Form wiederzugeben.

Das gesamte umfangreiche Lebenswerk Georg Adams wird noch in einer größeren Studie untersucht werden, die als Beitrag zur Erforschung der deutsch-slawischen Wechselbeziehungen gedacht ist.

Zitierweise

Randow, Norbert: Georg Adam, 1874–1948. In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 10. Dezember 2021.
BeschreibungGeorg Adam (Gemälde von Arthur Segal (1875–1944), Privatbesitz)
Datum23. August 2022
Georg Adam (Gemälde von Arthur Segal (1875–1944), Privatbesitz)