Header Icon Header Icon
Logo

Suche in UeLEX

Felix Paul Greve, 1879–1948

14. Februar 1879 Radem/Radomno (Deutsches Reich) - 19. August 1948 Simcoe (Ontario) (Kanada)
Original- und Ausgangssprache(n)
Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch
Auszeichnungen
Ehrendoktor (1946 University of Manitoba in Winnipeg), Ehrendoktor (1946 Mount Allison University), Governor General’s Award (Kanada) (1947)
Schlagworte
Übersetzerisches ProfilBerufsübersetzer, Kollektives Übersetzen, Sprachwechsel Übersetzte GattungenDramen, Erzählungen, Komödien, Märchen, Romane, Science-Fiction Sonstige SchlagworteÜbersetzungsfabrik

Vorbemerkung der Redaktion

Die Arbeit an diesem Porträt wurde vom Deutschen Übersetzerfonds im Rahmen des Projekts UeLEX-Neustart gefördert.

Felix Paul Greve bzw. Frederick Philip Grove, wie er sich in Nordamerika nannte, war einer der produktivsten deutschen Übersetzer der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts. Innerhalb von acht Jahren übertrug er rund siebzig Werke unter anderem von Balzac, Browning, Flaubert, Gide, H.G. Wells und Oscar Wilde ins Deutsche. Daneben war er als Schriftsteller und Herausgeber tätig.

Biografie

Felix Paul Greve wurde am 14. Februar 1879 in Radomno (Westpreußen) geboren und starb am 19. August 1948 unter dem Pseudonym Frederick Philip Grove im kanadischen Simcoe (Ontario). Er stammte aus kleinbürgerlichen Verhältnissen: Sein Vater war Tramwagenfahrer und Schaffner in Hamburg, wohin die Familie 1881 zog. Im Jahr darauf verließ der Vater die Familie. Seine Mutter betrieb eine kleine Pension. Felix hatte eine zwei Jahre ältere Schwester, die bereits mit vierzehn Jahren in ein Dienstverhältnis eintrat, um Geld zu verdienen, und 1893 in die USA ging.

Felix gelang der Sprung auf das Hamburger Johanneum, die älteste und traditionsreichste höhere Schule Hamburgs, wo er die Unterstützung des Rektors Dr. Schultheß genoss. Er legte 1898 das Abitur ab und schrieb sich für ein Studium der Klassischen Philologie und Archäologie an der Universität Bonn ein. Dank der Fürsprache seines Mentors erhielt er ein großzügiges mehrjähriges Stipendium. In Bonn begegnete er unter anderem Herman Kilian, einem Spross aus hoch angesehener und vermögender Familie, mit dem ihn eine homoerotische Beziehung verband. Nach zweijährigem Studium in Bonn und einem Aufenthalt am Kaiserlichen Deutschen Archäologischen Institut in Rom (Dezember 1900 bis Februar 1901) zog er zum Wintersemester 1901/1902 nach München, wo er Kontakt zum Kreis um Karl Wolfskehl und Stefan George suchte und sich als „Privatgelehrter“ und „Schriftsteller“ eintragen ließ (Martens 1997: 126). Wie George und sein Kreis betätigte er sich von nun an als Dichter und Übersetzer und brach das Studium ab. Zusammen mit Kilian, dessen Mutter Schottin war, übersetzte er 1901 Oscar Wildes Intentions, das 1902 unter dem Titel Fingerzeige von Oscar Wilde im Verlag J.C.C. Bruns erschien. 1902 veröffentlichte er zudem seinen ersten, Kilian gewidmeten Gedichtband, Wanderungen, sowie ein Versdrama, Helena und Damon.

Im Oktober 1902 brach Greve seine Münchner Kontakte ab und ging nach Berlin. Hier begann er eine Affäre mit Else Endell, der Ehefrau des Jugendstilarchitekten August Endell. Im Mai 1903 wurde Greve am Bonner Hauptbahnhof festgenommen: Kilian hatte ihn – mutmaßlich aus Eifersucht auf Else – wegen Betrugs angezeigt. Über Jahre hatte Greve sich hohe Summen für seinen verschwenderischen Lebensstil geliehen, dieses Geld jedoch nie an Kilian zurückgezahlt. Während seiner einjährigen Haft produzierte Greve aus schierer Geldnot und zur Tilgung seiner Schulden eine Flut von Übersetzungen, die zum Teil unter Pseudonym erschienen. Im Gefängnis verfasste er außerdem seinen ersten Roman, Fanny Essler, der 1905 herauskam. Nach seiner Entlassung übersetzte er an wechselnden Orten in der Schweiz, Frankreich und Deutschland unermüdlich weiter. Mit zweien seiner Autoren, André Gide und H.G. Wells, führte er eine intensive Korrespondenz und besuchte sie in Paris und Sandgate (Ernst/Martens 1999: 13; Martens 1997: 245).

1906 erschien Greves zweiter Roman Maurermeister Ihles Haus. Im August 1907 heiratete er Else Endell. Um der Schuldenspirale zu entkommen – trotz zahlreicher Übersetzungsaufträge hatte er aufgrund seines aufwändigen Lebensstils permanente Geldsorgen –, fingierte er 1909 einen Selbstmord und reiste über Liverpool und Quebec in die USA. 1910 folgte ihm Else dorthin, wo die beiden eine Weile auf einer Farm in Sparta, Kentucky lebten. Die Ehe zerbrach jedoch, und Greve wanderte 1912 in die kanadische Provinz Manitoba aus, wo er als Lehrer Fred Grove an einer Schule unterrichtete.

1914 heiratete er eine Kollegin; 1915 wurde seine Tochter geboren, 1930 sein Sohn. Grove schrieb sich an der University of Manitoba ein und erwarb 1922 einen Bachelor in Französisch und Deutsch. 1921 erhielt er die kanadische Staatsbürgerschaft.

In den 1920er Jahren wurde er mit der Veröffentlichung von Over Prairie Trails (1922), Settlers of the Marsh (1925), A Search for America (1927) und anderer Romane zum Begründer des kanadischen Prärieromans. Den Lehrerberuf gab er 1924 auf und zog 1929 nach Ottawa in die Provinz Ontario, um eine Stelle als Lektor beim Verlag Graphic Publishers anzunehmen.

1944 erlitt er einen ersten Schlaganfall. Das literarische Schreiben konnte er jedoch bis zu seinem Tod 1948 fortsetzen, unter anderem mit der Pseudo-Autobiografie In Search of Myself (1946), für die er den angesehensten kanadischen Literaturpreis, den Governor General’s Award, erhielt. In ihr gab er sich – mit Anleihen bei der Biografie von Herman Kilian – als Sohn einer wohlhabenden britisch-schwedischen Familie aus, der in einem Schloss in Schweden aufgewachsen war und nur in den feinsten Kreisen verkehrte. „Je mens constamment“ – ich lüge permanent, hatte er bereits 1904 André Gide gegenüber bekannt (zit. nach Martens 1997: 18). Seine deutsche Herkunft und seine wahre Identität kamen erst 1973 durch Recherchen des kanadischen Literaturwissenschaftlers Douglas Spettigue ans Tageslicht (Spettigue 1973).

Arbeitsweise

Als Felix Paul Greve seine ersten übersetzerischen Schritte unternahm, tat er dies aus Vergnügen an der Arbeit mit Sprache – er war sehr sprachbegabt. Seine Freundschaft mit Herman Kilian, der vermutlich sehr gut Englisch sprach, mag ihn zudem angeregt haben. Greve war aber auch bestrebt, sich in literarischen Kreisen, etwa bei Stefan George und Karl Wolfskehl, einen Namen zu machen. So wollte er sich auf eine Karriere als Schriftsteller vorbereiten. Seine und Kilians Übersetzung von Wildes Intentions ging auf Eigeninitiative zurück, mit ähnlichem Engagement wandte Greve sich auch in späteren Jahren an Verleger, um ihnen Übersetzungen anzubieten und dabei bereits konkrete Vorschläge zu Ausstattung, Auflage und Illustrationen des Buches zu machen. Ein konstantes Problem war jedoch Greves fehlende Sicherung der Übersetzerrechte. So übersetzte er für den Verlag J.C.C. Bruns verschiedene Gesellschaftskomödien von Oscar Wilde, die jedoch nicht erscheinen konnten, da ein Berliner Theateragent die Rechte an den Stücken besaß.

Abgesehen von Aufenthalten in Italien sind bis zum Jahr 1904 keine Auslandsaufenthalte verzeichnet. Greve scheint über sehr gute Schulkenntnisse im Englischen und Französischen verfügt zu haben, Italienisch hat er sich wohl dank seiner langjährigen Lateinkenntnisse in kurzer Zeit in Rom angeeignet. Als ihm 1906 die Übersetzung der Novellen von Cervantes angeboten wurde, schrieb Greve, er freue sich, seine „spanischen Kenntnisse, die so lange vernachlässigt waren“, wiederbeleben zu können (Sarkowski 2000: 30). Hierbei dürfte es sich allerdings um reine Aufschneiderei handeln: An Selbstbewusstsein mangelte es ihm nie. Seine Übersetzung von Walter Paters Marius kommentierte er gegenüber dem damaligen Verleger des Insel Verlags Poellnitz mit den Worten: „Der englische Text ist dem Engländer genau so schwer wie meiner dem Deutschen. Ich weiß das zu beurteilen, da ich das Englische mindestens so gut beherrsche wie das Deutsche. Es wurde mir auch vielfach von Engländern bestätigt.“ (Sarkowski 2000: 29).

In seiner sechsjährigen Korrespondenz mit André Gide (1903–1909) (Ernst/Martens 1999) stilisierte sich Greve als unermüdlicher Übersetzer und homme de lettres, der ein atemberaubendes Pensum bewältige und nachts nicht mehr als drei Stunden schlafe. Den Immoraliste habe er vom 26. April 1904 bis 1. Mai 1904 übersetzt, und dies ohne Wörterbuch. Wie so oft bei Greve könnte es sich hierbei allerdings auch um Prahlerei handeln. So erfindet er in seiner Korrespondenz Publikationen, die nirgendwo im Druck nachgewiesen sind, und beschreibt Aufenthaltsorte, an denen er nachweislich nicht war. In Vorwegnahme seiner späteren Selbststilisierung täuschte er in Briefen vor, sein Vater sei ein reicher Industrieller. Tatsache ist jedoch, dass er, wie erwähnt, aus blanker existenzieller Not ein gewaltiges Pensum übersetzte. Seinen Verlegern bot er sich auch als Übersetzer für Französisch, Italienisch und alte Sprachen an sowie als Herausgeber einer Romanreihe. Da die Übersetzerhonorare gepfändet zu werden drohten und kein Verlag sich mit einem Häftling als Übersetzer schmücken wollte, verwendete Greve die Pseudonyme Konrad Thorer und F.C. Gerden. Mit seinen Übersetzungen verdiente Greve nach eigenen Angaben aus dem Jahr 1908 rund 1.400 bis 1.800 Mark pro Monat (Ernst/Martens 1999: 185), was heute ca. 7.500 bis 10.000 Euro entspräche.

Übersetzungspoetologische Äußerungen

In einem Brief an Gide äußert Greve sein Unverständnis über das Tempo anderer Übersetzer. Er verstehe gar nicht, wie man so langsam übersetzen könne; der Autor habe doch bereits alles gemacht:

Je ne comprends simplement pas, comment on peut traduire autrement. L’auteur a tout fait. … le travail qui reste au traducteur : mais c’est un rien ! Il faut prendre la température (comme vous dites) d’un livre, il faut saisir le ton. … et former le sens en gardant les mots même, tant qu’il est possible. (zit. nach Ernst/Martens 1999: 89).1 „Ich verstehe einfach nicht, wie man anders übersetzen kann. Der Autor hat doch schon alles gemacht. … die Arbeit, die dem Übersetzer bleibt, ist nur noch eine Kleinigkeit! Man muss die Stimmung (wie Sie sagen) eines Buches erfassen, man muss die Tonlage einfangen … und die Bedeutung unter weitestgehender Beibehaltung der Wörter bilden.“ (Übers. von C. K.)

In einem anderen Brief an den französischen Schriftsteller vergleicht er das Handwerk des Übersetzers mit dem des Schuhmachers: „Je fais des livres, comme le cordonnier fait des bottes“2„Ich mache Bücher wie ein Schuster seine Stiefel.“ (Übers. von C. K.) (ebd.: 163). Er spielte hiermit auf eine Kritik seines Widersachers Franz Blei an, der ebenfalls Gide übersetzte und Greve vorwarf, wie „eine Fabrik“ zu übersetzen, „Wilde, Wells, Flaubert, Murger (!), 1001 Nacht, [Greve] übersetzt alles, was man ihm aufträgt, im Jahr 20 Bände. … Ein Mensch, der Wilde, Gide und Murger übersetzt, ist eine Maschine“ (zit. nach ebd.: 239f.).

Rezeption

Die Qualitäten Greves als Übersetzer waren bereits zu seinen Lebzeiten höchst umstritten. Einerseits wusste Anton Kippenberg, Insel-Verlagsleiter ab 1906, Greves Schnelligkeit zu schätzen und betraute ihn nicht nur mit der Übersetzung des Don Quixote, der Novellen von Cervantes und der Erzählungen aus den 1001 Nächten, sondern bat ihn auch um Beteiligung an der 16-bändigen Balzac-Ausgabe des Insel Verlags. Andererseits bemängelte er Greves Nachlässigkeit und ließ dessen Übersetzung von Murgers Die Boheme 1919 neu übersetzen. Besonders Greves letzte Übersetzung hinterließ bei Insel einen bitteren Nachgeschmack: Stefan George hatte Kippenberg vorgeschlagen, eine Dickens-Ausgabe zu verlegen. Greves Probeübersetzung des David Copperfield befand er, George, jedoch keinesfalls für gut. Sie sei „herunterdiktiert“ und enthalte viele Schnitzer. Dennoch verteidigt George den Übersetzer gegenüber Kippenberg: „Lassen Sie Herrn Greve Zeit. Ich weiß, er kann oder konnte übersetzen, nur tut er es immer nicht mit der genügenden Sorgfalt“ (zit. nach Sarkowski 2000: 32). Kippenberg selbst erkennt an, dass „viele seiner [Greves] Leistungen … vortrefflich waren und seiner hohen Begabung entsprachen“. Leider hätten „Geldmangel und die Notwendigkeit, eine alte Schuld … abtragen zu müssen“ ihn zur Übernahme von mehr Arbeiten gezwungen, „als er trotz enormer Arbeitskraft in guter Qualität auszuführen fähig war“ (ebd.: 34).

Der britische Verleger von H.G. Wells schätzte Greves Arbeit ausdrücklich und vergab die Übersetzungsrechte erst nach Vorlage einer Probeübersetzung an ihn: „The specimen of translation has been most carefully examined, and is reported upon most favourably“ (Brief von Heinemann Publishers an H.G. Wells, 4. Januar 1904; Sammlung F. P. Greve / Grove im Literaturarchiv Saar-Lor-Lux, Saarländische Universitäts- und Landesbibliothek).

André Gide schwärmt geradezu von Greves Übersetzung des Immoraliste:

Je ne puis vous exprimer le plaisir que j’ai pris à lire votre traduction ; elle me paraît excellente, et certains passages … sont de vraies tours-de-force d’ingéniosité. … Il faut que vous ayez de notre langue une entente extraordinairement aigue et raffinée. (zit. nach Ernst/Martens 1999: 83f.)3„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, mit welchem Vergnügen ich Ihre Übersetzung gelesen habe; sie scheint mir ausgezeichnet zu sein, und einige Passagen … sind wahre Meisterleistungen des Einfallsreichtums … Sie müssen ein außerordentlich ausgeprägtes und feines Verständnis unserer Sprache haben.“ (Übers. von C. K.)

Ähnlich wie Franz Blei griff auch der Kritiker Max Meyerfeld, ein Übersetzer und Freund Oscar Wildes, die Übersetzerleistung Greves scharf an und warf ihm eine Reihe von Fehlleistungen vor (Kohlmayer 1996: 38ff). In seiner Analyse von Greves Übersetzungen der Wilde-Stücke konstatiert Rainer Kohlmayer eine Normalisierung, Entindividualisierung und Enttheatralisierung der ausgefeilten, bühnenwirksamen englischen Dialoge. Diese stilistische Nivellierung führt er auf Greves naturalistische Ästhetik zurück (ebd.: 40–57). Nach Ansicht von Klaus Martens, der sich über Jahrzehnte mit dem Werk Greves auseinandergesetzt hat, ging es Greve wahrscheinlich gar nicht darum, „sich in den Dienst des ausländischen Autors und seines Textes zu stellen“, sondern vielmehr eine aktuelle literarische Schöpfung hervorzubringen (Martens 1997: 151). Greve wiederum monierte seinerseits beispielsweise Johannes Gaulkes Übersetzung von Das Bildnis Dorian Grays und rechtfertigte in der Vorrede zu Diana of the Crossways die sinngemäße Übersetzung oder „Paraphrasierung des Sinns“ damit, dass eine wortgenaue Übertragung aufgrund von Merediths Neologismen und seiner kühnen Sprache unmöglich sei.

In ihrer Untersuchung des Übersetzerstils von Felix Paul Greve diagnostiziert Beate Hermes 1997 die Tendenz zum Festhalten an der Lexik, Morphologie und Syntax des Ausgangstextes, sodass die sprachliche Fremdheit erhalten bleibe. Als Beispiele führt sie Übersetzungen wie „eine ziemlich schwere Rechnung („a rather heavy bill“, 57), „die schlafenden Wasser“ („les eaux dormantes“, 83) und „wenn sie nichts gesehen hat, so kommt das, weil ich gut verbarg“ („si elle n’a rien vu c’est que je cachais bien“, 85) an. Greves Betonung der Form und der ästhetischen Wirkung des Einzelwortes sieht Hermes in Zusammenhang mit der Kunst- und Literaturauffassung von Stefan George. Zudem entspreche Greves Bemühen um sprachliche Verknappung – etwa durch das Auslassen von Artikeln, Hilfsverben oder Konjunktionen – den Stileigentümlichkeiten von Stefan George, unter dessen Einfluss sich Greves Stil ausgebildet habe und den Greve zumindest in seinen ersten literarischen Werken zu imitieren versucht habe (Hermes 1997: 105ff.).

Für den Buchhandelshistoriker Heinz Sarkowski ist die Übersetzung der Erzählungen aus den 1001 Nächten Greves bedeutendste und erfolgreichste Übersetzung. Sie beruht auf der englischen Ausgabe des Afrikaforschers Sir Richard Francis Burton, die 1886–1888 in zehn Bänden in London erschienen war. Zwar gab es bereits eine deutsche Übersetzung, die Greve möglicherweise nutzte, den Text übertrug er jedoch deutlich freier und farbiger. Hermann Hesse lobte sie 1909 in der Zeitschrift März als „weitaus die vollständigste, ernsthafteste und geschmackvollste deutsche Ausgabe des großen alten Märchenwerkes“ (Sarkowski 2000: 31f.).

Bis heute lieferbar sind im Insel Verlag Greves Übersetzungen von Balzacs Glanz und Elend der Kurtisanen, Eine dunkle Affäre, Ein Junggesellenheim, Der Landarzt, Das verfluchte Kind sowie Wildes Erzählungen und Märchen. Auch die unter dem Pseudonym Konrad Thorer veröffentlichte Übertragung von Der scharfsinnige Ritter Don Quixote von der Mancha erscheint in revidierter Fassung bis heute.

Besonderheiten des übersetzerischen Schaffens

In einer Zeit, in der gebildete Leser die im Leipziger Verlag Tauchnitz erscheinenden englischen Originale lasen, prägte Greve eine sich herausbildende Übersetzerkultur und machte ein allgemeines deutsches Publikum erstmals mit Autoren wie Wilde und Wells bekannt. Er akquirierte nicht nur Übersetzungen, sondern machte Verlage auf vielversprechende Neuerscheinungen aufmerksam und gestaltete maßgeblich das englischsprachige Programm des Verlages J.C.C. Bruns. Die Entwicklung seiner eigenen literarischen Werke vom Ästhetizismus (Wanderungen) zum Naturalismus/Realismus (Fanny Essler) entspricht der Entwicklung der von ihm übersetzten Texte – von Pater und Wilde zu Flaubert und Wells. Er scheint sich mit den Autoren seiner Übersetzungen literarische Vorbilder gesucht zu haben. Seine übersetzerischen Tätigkeiten stellte er in Kanada fast gänzlich ein. Zu einer Zeit, da die kanadische Literatur um Anerkennung als „nationale Literatur“ kämpfte, wären Übersetzungen für ihn dort weder lukrativ noch prestigeträchtig gewesen.

Anmerkungen

  • 1
    „Ich verstehe einfach nicht, wie man anders übersetzen kann. Der Autor hat doch schon alles gemacht. … die Arbeit, die dem Übersetzer bleibt, ist nur noch eine Kleinigkeit! Man muss die Stimmung (wie Sie sagen) eines Buches erfassen, man muss die Tonlage einfangen … und die Bedeutung unter weitestgehender Beibehaltung der Wörter bilden.“ (Übers. von C. K.)
  • 2
    „Ich mache Bücher wie ein Schuster seine Stiefel.“ (Übers. von C. K.)
  • 3
    „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, mit welchem Vergnügen ich Ihre Übersetzung gelesen habe; sie scheint mir ausgezeichnet zu sein, und einige Passagen … sind wahre Meisterleistungen des Einfallsreichtums … Sie müssen ein außerordentlich ausgeprägtes und feines Verständnis unserer Sprache haben.“ (Übers. von C. K.)

Quellen

Divay, Gaby (1995a): Names, Pseudonyms, Monograms, and Titles in F. P. Grove/Greve’s Work. In: German-Canadian Yearbook, Bd. 14 (1995), S. 129–151.
Divay, Gaby (1995b): F.P. Greve’s First and Last Translations: Dante’s Vita Nuova and Swift’s Modest Proposal. In: German-Canadian Yearbook, Bd. 14 (1995), S. 107–128.
Ernst, Jutta / Martens, Klaus (1999): Felix Paul Greve – André Gide: Korrespondenz und Dokumentation. St. Ingbert: Röhrig 1999.
Gammel, Irene (1994): Sexualizing power in naturalism: Theodore Dreiser and Frederick Philip Grove. Calgary: University of Calgary Press.
Hermes, Beate (1997): Felix Paul Greve als Übersetzer von Gide und Wilde: eine Untersuchung zum Übersetzerstil. Frankfurt/M.: Lang.
Hjartarson, Paul (Hg.) (2003): The Politics of Cultural Mediation: Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven and Felix Paul Greve. Edmonton: University of Alberta Press.
Kohlmayer, Rainer (1996). Oscar Wilde in Deutschland und Österreich. Untersuchungen zur Rezeption der Komödien und zur Theorie der Bühnenübersetzung. Tübingen: Max Niemeyer.
Martens, Klaus (1997): Felix Paul Greves Karriere: Frederick Philip Grove in Deutschland. St. Ingbert: Röhrig. – Erweitert und aktualisiert als: F.P. Grove in Europe and Canada. Translated Lives. Edmonton: The University of Alberta Press 2001.
Martens, Klaus (1998): Battles for recognition: Greve, Gide, also Blei. In: Canadian Review of Comparative Literature, Jg. 25 (1998), Nr. 3/4, S. 328–347.
Pacey, Desmond (1971): Tales from the margin: the selected short stories of Frederick Philip Grove. Toronto: Ryerson Press.
Pacey, Desmond (2019): The Letters of Frederick Philip Grove. Toronto: University of Toronto Press.
Sarkowski, Heinz (2000): Felix Paul Greve als Übersetzer für den Insel-Verlag. In: Buchhandelsgeschichte. Aufsätze, Rezensionen und Berichte zur Geschichte des Buchwesens 2000/1, S. B27–B34.
Spettigue, Douglas O. (1973): Frederick Philip Grove. The European Years. Ottawa: Oberon.

Archiv

Sammlung F. P. Greve / Grove im Literaturarchiv Saar-Lor-Lux, Saarländische Universitäts- und Landesbibliothek.

Zitierweise

Kotte, Claudia: Felix Paul Greve, 1879–1948. In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 9. Mai 2022.
BeschreibungFelix Paul Greve (Quelle: University of Manitoba Archives & Special Collections)
Datum23. März 2022
Felix Paul Greve (Quelle: University of Manitoba Archives & Special Collections)