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Sophie Mereau, 1770–1806

28. März 1770 Altenburg (Thüringen) (Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg) - 31. Oktober 1806 Heidelberg (Großherzogtum Baden)
Original- und Ausgangssprache(n)
Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch
Schlagworte
Übersetzte GattungenBiographien, Briefe, Dramen, Erzählungen, Romane

Rezeption und kritische Bewertung der Schriftstellerin und Übersetzerin Sophie Mereau haben lange unter ihrer Einordnung als „Schiller-Schülerin“, „begabter Dilettantin“, oder „Brentanos Frau“ gelitten: ein Schicksal, das von vielen ihrer Zeitgenossinnen geteilt wurde. Wie andere weibliche Intellektuelle der Zeit war Sophie Mereau lange eine periphere Erscheinung im literarischen Panorama und ist erst in letzter Zeit literaturkritisch statt durch die verengende Sicht ihrer sozialen Kontextualisierung gewürdigt worden.

Sophie Schubart, so ihr Geburtsname, wurde am 27. März 1770 in Altenburg geboren, als viertes Kind von Johanna Sophie Friederike geb. Gabler und dem herzoglich-sächsischen Obersteuerbuchhalter Gotthelf Heinrich Schubart. Über die Ausbildung Sophies und ihrer Schwester Henriette (1769–1831), die ebenfalls als Übersetzerin (aus dem Englischen) in Erscheinung trat, ist sehr wenig bekannt, auch die Tagebucheintragungen bieten keine Hilfe. Beide genossen allem Anschein nach eine für bürgerliche Verhältnisse überdurchschnittlich gute Ausbildung, wahrscheinlich vor allem durch privaten Unterricht, da sich die Altenburger Bürgertöchterschule – wie an solchen Schulen üblich – vorwiegend auf häusliche Arbeiten konzentrierte; zudem dürfte die Unterrichtssituation recht prekär gewesen sein.1Aus einem späteren Jahresbericht der Schule geht hervor, dass bis 1810 nur zwei Klassen bestanden, die mehr als 100 Kinder zählten (vgl. Just 1896: 5). Sicher hat der spätere Umgang mit zeitgenössischen intellektuellen Kreisen Sophie weitergeholfen; immer wieder erwähnt wird, dass sie 1794 als erste Frau die Vorlesungen Fichtes in Jena besuchte, was für ihre ehrgeizigen autodidaktischen Anstrengungen spricht, da sie als Frau ein reguläres Studium nicht aufnehmen konnte. Über die sprachliche bzw. fremdsprachliche Ausbildung der beiden Schwestern, die sich später als Übersetzerinnen – aus dem Französischen, Italienischen, Spanischen und Englischen – betätigen sollten, weiß man so gut wie nichts. Was Sophie betrifft, dürften die Sprachkenntnisse und auch die Bibliothek ihres zweiten Mannes, Clemens Brentano, von Bedeutung gewesen sein, was allerdings ihrer intellektuellen Selbstständigkeit keinen Abbruch tut.

Ihre Ambitionen und ihr unkonventionelles Leben sorgten für Aufsehen. 1793 heiratete sie den Universitätsbibliothekar und späteren außerordentlichen Professor der Rechte Friedrich Ernst Karl Mereau (1765–1825), der lange um sie geworben hatte, und zog mit ihm nach Jena, dem damals neben Berlin und Weimar wichtigsten kulturellen Zentrum im deutschsprachigen Raum. Doch zu eng waren die Ehebande für die schöne und begehrte und bald auch schriftstellerisch erfolgreiche Frau, die nicht bereit war, ihr Lebensglück den standesgemäßen Konventionen zu opfern. Nach einigen stürmischen Liebesverhältnissen ließ sie sich 1801 von ihrem Ehemann scheiden und lebte als eine der ersten Frauen in Deutschland zwei Jahre als selbständige Schriftstellerin. In Jena und nach der Scheidung in Weimar verkehrte sie in den angesehensten Salons der klassizistisch und romantisch inspirierten gesellschaftlichen Kreise. 1803 erneuerte sie die drei Jahre zuvor abgebrochene Beziehung zu Clemens Brentano, den sie schließlich heiratete. Sie zog mit ihm nach Heidelberg, wo sie drei Jahre später bei der Geburt ihres fünften Kindes starb.

Sophie Schubart Mereau Brentano schrieb Gedichte, die ab 1791 u. a. in Schillers Zeitschriften Thalia und Horen sowie in seinem Musen-Almanach veröffentlicht wurden, darüber hinaus Romane und Erzählungen, die in der zeitgenössischen Kritik positive Aufnahme fanden; sie gab literarische Zeitschriften, Kalender und Schriftenreihen heraus, und zwar teilweise unter ihrem wirklichen Namen, was damals keine Selbstverständlichkeit war2„Es ist für ein Weib sehr gefährlich zu dichten, noch gefährlicher einen Musenalmanach herauszugeben, […]“ (Amelung 1908: 45)., und sie übersetzte französische, italienische und spanische Literatur. Sie war bekannt und erfolgreich, doch konnte sie dennoch dem damals quasi unvermeidlichen Schicksal schreibender Frauen nicht entgehen, wohlwollend-entwürdigend als „Dilettantin“ betrachtet zu werden. 1797 schrieb Schiller an Goethe:

Unsere Freundin Mereau hat in der That eine gewiße Innigkeit und zuweilen selbst eine Würde des Empfindens und eine gewiße Tiefe kann ich ihr nicht absprechen. Sie hat sich bloß in einer einsamen Existenz und in einem Widerspruch mit der Welt gebildet. […] Weil aber, nach meinem Begriff, das Aesthetische Ernst und Spiel zugleich ist, wobei der Ernst im Gehalte und das Spiel in der Form gegründet ist, so muß die Mereau das Poetische immer der Form nach […] verfehlen.3Friedrich Schiller an Wolfgang Goethe, 17. August 1797. Online im Friedrich Schiller Archiv ‹https://www.friedrich-schiller-archiv.de›.

Die literarische Praxis einer Autorin um 1800 war notwendigerweise von Beginn an einem gesellschaftlichen Druck ausgesetzt, sich gewissen literarischen Verhaltensweisen anzupassen; dazu gehörte auch die Wahrnehmung und Akzeptanz des Unterschieds zu männlichen Schreibweisen. Was man als Frauenliteratur bezeichnet, bedeutet letztlich die Suche nach einer ‚weiblichen Stimme‘ seitens der Autorinnen, sowie seitens des weiblichen Publikums. Das Bewusstsein dieser besonderen Situation, die man mit Even-Zohar als eine sekundäre Stellung im literarischen Polysystem (Even-Zohar 1978) bezeichnen könnte, war für die Schriftstellerin und Übersetzerin Sophie Mereau grundlegend und entsprach im positiven Sinn ihrem Bedürfnis nach Freiheit und Selbstbestimmung. Wie sie im Leben eine Verwirklichung des ersehnten Glückes suchte, war die literarische Tätigkeit für sie nicht nur ein Mittel zum Broterwerb und somit zur ökonomischen Selbständigkeit, sondern auch und vor allem ein experimenteller Spielraum von Wünschen und Gefühlen, in dem sie für sich und für ihr Publikum durchaus nicht nur glückliche Schicksale entfaltete, dabei aber immer eine leidenschaftliche Suche nach eigenen Lebensformen zum Ausdruck brachte. Auch die übersetzten Texte nehmen, sowohl was den Inhalt als auch die sprachliche Gestaltung angeht, an dieser Suche teil.

Unter den literarischen Tätigkeiten, die zu dieser Zeit Raum für spezifische weibliche Subjektentwürfe ermöglichten (z. B. das Verfassen von Briefromanen, Autobiographien), wird die Übersetzung relativ selten erwähnt, obwohl nicht wenige Frauen um 1800 sich damit beschäftigten, da sich dadurch eine Gelegenheit bot, sich – oft durch Anonymität geschützt – intellektuell zu betätigen. So äußerte beispielsweise Sophies Schwester Henriette, die sich durch Übersetzungen mühsam ihren Lebensunterhalt verdiente, 1805 die Bitte, unter einem männlichen Namen arbeiten zu dürfen (s. Schwarz 1991: 226).

Sophie Mereau Brentanos literarische Tätigkeit fing 1791 an, als sie in den Zeitschriften Schillers regelmäßig Gedichte veröffentlichte. Schiller soll sie aufgefordert haben, Mme de Staëls Mémoires zu übersetzen, was für sein Vertrauen in die schriftstellerischen Fähigkeiten der jungen Frau spricht4Das Werk ist niemals erschienen, es ist aber anzunehmen, dass es zumindest begonnen wurde, wie man aus Schillers Empfehlung schließen kann, sie sollte sich mehr an dem Sinn als an dem genauen Wortlaut orientieren, siehe Gersdorff (1990: 33).. Ihren Vorschlag, die Ringparabel aus dem Decamerone Boccaccios (1313–1375) zu übersetzen, lehnte er mit der Bemerkung ab, sie sei schon zu bekannt5Friedrich Schiller an Sophie Mereau, Juli 1796, Online im Friedrich Schiller Archiv ‹https://www.friedrich-schiller-archiv.de›.. 1796 und 1797 erschienen dann in den Horen die Novellen Nathan und Carl von Anjou, König von Neapel (beide aus dem 10. Tag des Decamerone); eine dritte, Gerbino (aus dem 4. Tag), wurde nicht veröffentlicht. 1806, im Jahr ihres Todes, erschien als ihre letzte Italienisch-Übersetzung die Novelle Fiametta.6Die beiden 1804 bzw. 1806 erschienenen Bände Spanische und Italienische Novellen enthalten ausschließlich spanische Erzählungen.

Angesichts fehlender Hinweise auf die tatsächlichen Sprachkenntnisse Sophies wird man sich mit indirekten Schlussfolgerungen zufriedengeben müssen. Neben dem Französischen wird sie wahrscheinlich auch das Italienische bereits in ihrer Jugend gelernt haben; dass sie als junge und noch weithin unbekannte Autorin den Vorschlag unterbreitete und realisierte, aus einem in sprachlicher Hinsicht so anspruchsvollen Text wie dem Decamerone zu übersetzen, deutet auf bereits vorhandene Kenntnisse dieser Sprache hin. Die Übersetzung der Novellen Boccaccios markierte den Anfang ihrer Karriere als Übersetzerin noch vor ihrem Kontakt mit den Romantikern, darunter insbesondere mit den Brüdern Schlegel und Brentano, die für ihre Arbeit an der Fiametta wichtig waren.

Sie übersetzte überwiegend französische Literatur: Die Prinzessin von Cleves (1799), Persische Briefe von Montesquieu (1801–1802) – daraus die Geschichte Apheridons und Astartens (1802, Brief Nr. 67) – und Der Prinz von Condé (1800)7Ohne Autorname des Originals. Britta Hannemann zufolge handelt es sich um ein Werk von Edme Boursault (Hannemann 2005: 135f.).; ungedruckt im Nachlass8Biblioteka Jagiellónska, Kraków, Ms. Berol Varnhagen-Sammlung. fanden sich der Cid von Corneille sowie die Briefe zweier Liebenden, aus einer kleinen Stadt am Fuß der Alpen (eine Übersetzung von zwölf Briefen nach Jean-Jacques Rousseau aus Julie ou La Nouvelle Héloïse). Wichtig – nicht nur unter übersetzungsgeschichtlichen Gesichtspunkten – ist ihre Beschäftigung mit der berühmten Kurtisane und Salonnière Ninon de Lenclos (1620–1705), die sie als freie, unabhängige Frau fasziniert haben soll. In ihrer Zeitschrift Kalathiskos („Körbchen“) veröffentlichte sie 1802 Ninons de Lenclos. Nach mehreren Französischen Schriftstellern. Der neuesten Forschung nach handelt es sich um eine gekürzte Übersetzung von Antoin Brêts Mémoires sur la vie de Ninon de Lenclos (1751) (vgl. Hannemann 2005: 58ff.9Ebenda S. 77ff. wird ausgeschlossen, dass sie die Übersetzerin der Bruchstücke aus den Briefen und aus dem Leben der Ninon de Lenclos ist.).

Die weniger zahlreichen Übersetzungen aus dem Spanischen bedürfen im Hinblick auf Sophie Mereaus Sprachkenntnisse einer differenzierten Betrachtung. Aus dem Spanischen übersetzte sie Rückkehr des Don Fernand de Lara in sein Vaterland (1805) aus den Mitte des 17. Jahrhunderts entstandenen Novelas ejemplares y amorosas von Maria de Zayas y Sotomayor, und Die lehrreichen Erzählungen und Liebesgeschichten der Donna Maria de Zayas und Sotomayor (1804–1806). Auch die Wahl dieser Autorin, die als weiblicher Boccaccio bezeichnet und deren Lebensführung häufig als liederlich gebrandmarkt wurde, die aber gleichzeitig zu ihrer Zeit sehr geschätzt war, ist bezeichnend. Beide Bände verzeichnen keinen Übersetzernamen auf dem Titelblatt, Sophie Brentano wird nur als Herausgeberin der Reihe Spanische und Italienische Novellen genannt. Die Zuschreibung der Übersetzungen ist kontrovers gewesen; die Annahme Reinhold Steigs, sie seien Werke von Clemens Brentano (Steig 1894: 158), wurde von der jüngsten Kritik (z. B. Kastinger Riley 1986: 79ff.) zurückgewiesen. Die neueste Untersuchung von Britta Hannemann (2014), die sich intensiv mit dem Übersetzungswerk der Autorin beschäftigt hat, gibt weitgehende Aufschlüsse: Auf der Grundlage der Dokumente und in Anbetracht der äußeren Umstände ist anzunehmen, dass es sich bei den beiden Zayas y Sotomayor-Bänden „um eine irgendwie geartete Gemeinschaftsarbeit Sophie Mereaus mit Clemens Brentano handeln muss“ (Hannemann 2014: 280).

Auch bei den Texten aus dem Englischen ist die Zuschreibung nicht eindeutig. Da ihre Schwester Henriette über sehr gute Englischkenntnisse verfügte, kann man vermuten, dass beide Mädchen Englischunterricht erhalten hatten. Henriette Schubart wird meistens im Zusammenhang mit ihrer charmanten und erfolgreicheren Schwester genannt; sie lebte zurückgezogen und sehr bescheiden als nicht verheiratete, unvermögende Frau, die Brentano wie folgt beschrieb: „sie ist arm, beinah bettelarm, voll Talent, voll Fertigkeit, sie ließt gut, kann sehr gut englisch, sie ist mit den besten Schriften vertraut, sie hat Geist […]“ (Arnim, Brentano 1998: 391). Henriette übersetzte leidenschaftlich, wie sie in einem Brief an Sophie Mereau (vermutlich 1802) festhält:

Etwas Gutes zu übersetzen, ist mir viel lieber als etwas weniger Gutes zu machen – ich mögte weit lieber Schlegels Uebersetzungen des Shakespeare, als Schillers Sämtliche Werke gemacht zu haben. (zit. nach Schwarz 1991: 223)10Henriette Schubart war auch nach dem Tod der Schwester als Übersetzerin aus dem Englischen tätig; sie übersetzte u.a. Walter Scotts Lieder und Balladen (1817) und Washington Irvin. Über diese Übersetzerin gibt es bisher kaum einschlägige Untersuchungen, vgl. Gersdorff (1990: 268–279), Hannemann (2005: 176–190).

Es sei auch erwähnt, dass Henriette Schubart dichterisch tätig war. Zur Bibliographie Sophies werden gewöhnlich folgende Übersetzungen aus dem Englischen gezählt: Die Margarethenhöle oder die NonnenerzählungSapho und Phaon, die inzwischen beiden Schwestern zugeschrieben werden (vgl. Hannemann 2005: 202ff.) Dazu kommt Der Mann von vier Weibern, wobei weder die Übersetzerschaft noch die Autorschaft geklärt sind (vgl. ebd.: 210ff.). Die schwesterliche Zusammenarbeit wurde von Sophie bei der Veröffentlichung des Gedichtes Narzissus (frei nach Joseph Addison) in der Zalathiskos durch eine gekreuzte Namensnennung „H. Sophie Schubart“ (ebd.: 200) hervorgehoben.

Von Sophie Mereau sind keine Äußerungen über die Tätigkeit des Übersetzens überliefert – weder zu ihren eigenen Übersetzungen noch zum Übersetzen im Allgemeinen. Allerdings lassen Titel und Publikationsform Rückschlüsse auf ihre Arbeitsweise zu. Häufig ist sie die Herausgeberin der Periodika bzw. Schriftenreihen, in denen die Übersetzungen erscheinen: Sie verbindet also ihre Arbeit als Übersetzerin mit der als Herausgeberin. Ebenfalls erscheint sie oft auf dem Titelblatt nur als Herausgeberin oder sogar nur als Reihenherausgeberin. Angesichts der Schwierigkeit, sich als schreibende Frau zu behaupten, scheint ihr also mehr an der editorischen Arbeit zu liegen, während sie dem sozialen Druck, als Frau nicht namentlich zu erscheinen, bei den Übersetzungen zumeist nachgibt. Wäre es nach Brentano gegangen, hätte die Übersetzung der Fiametta unter dem Namen Arnims publiziert werden sollen (Arnim, Brentano 1998: 334).

Bei vielen ihrer Übertragungen handelt es sich um eine Auswahl aus einem umfangreicheren Werk, das mehr oder minder gekürzt und teilweise stark bearbeitet wird, was zum Teil durch die Veröffentlichung in Zeitschriften und Kalendern erklärt werden kann, andererseits aber auch die Zielsetzungen ihrer intellektuellen Arbeit verdeutlicht. Generell weisen ihre Bearbeitungen die Tendenz auf, komplizierte und vielschichtige Diskurse zugunsten einer handlungsbetonten Geschichte zu straffen. Ihr Interesse liegt hauptsächlich auf der Untersuchung von Seelenregungen und menschlichen Beziehungen, vor allem, aber nicht nur beim Thema Liebe. Der mögliche Befreiungs- und Selbstfindungsprozess, der im Zueinanderfinden zweier liebender Menschen entstehen kann, ist ein Hauptthema ihrer Romane und stets wiederkehrender Gegenstand ihrer Reflexionen und Tagebucheintragungen, was sicherlich auch die sprachliche Textur ihrer Übertragungen beeinflusst hat.

Ein roter Faden verbindet die Werke, in denen das Liebesleben und das Leben von Frauen eine besondere Rolle spielt: Ninon de Lenclos, die Romanfiguren der Maria de Zayas y Sotomayor und Fiametta sind genau wie Amanda und Nanette aus ihren eigenen Romanen Frauen, die „die Zeit in unserm Leben, wo unser Gefühl in seiner ersten vollen Blüte steht […], wo wir […] an Erfahrung Kinder, an Genuß Götter sind“ (Mereau 1997: 9) nicht vergessen oder einem bürgerlichen Stand geopfert haben. Es liegt nahe, dabei auch an Sophies eigenen Kampf um persönliche Erfüllung zu denken, sowohl was das Glück in Liebe und Ehe als auch ihre intellektuelle Arbeit angeht. Gerade das, was Sophie Mereau wie viele andere Frauen in den marginalen Bereich der Frauenliteratur und somit einer damals als dilettantisch betrachteten Subliteratur11In Goethes und Schillers Überlegungen zum Dilettantismus (in Über den Dilettantismus) wird die Frauenliteratur – im Sinne von Literatur von Frauen – explizit als Beispiel genannt. Vgl.: Bürger (1990). drängte, wird von der in den enthusiastischen Zeiten der aufklärerischen Freiheitsbestrebungen aufgewachsenen jungen Intellektuellen12Bey Frankreichs Feier. Den 14ten Junius 1790 war der Titel ihres ersten, in der Thalia (3. Bd., 11. Heft, S. 141–142) unter dem Autorinnennamen „von Demoiselle ***“ veröffentlichten Gedichts. als eine dringende Notwendigkeit zur Selbstverwirklichung empfunden. Damit verknüpft ist eine wichtige Funktion ihrer Poetik, die gerade in letzter Zeit eine kritische Auseinandersetzung mit ihrem Werk intensiviert hat. Sophie Mereau schreibt nicht nur aus ihrer Empfindung heraus, sondern sie schreibt auch für ihr Publikum aus jungen Frauen, die sie durch ihre Worte zur freien Selbstentwicklung und zu einem größeren Selbstbewusstsein ermutigen will. Dieser perlokutive Aspekt einer besonders auf junge Mädchen ausgerichteten literarischen Produktion ist in letzter Zeit immer wieder betont worden und sollte auch in seiner sprachlichen Komponente untersucht werden.

Nach ihrem Tod geriet ihr Name in Vergessenheit. Im 19. Jahrhundert erfuhren ihre Werke insgesamt keine nennenswerte Rezeption; nur weniges davon – wie ihr Gedichtband von 1800 oder ein Auszug aus dem Roman Amanda und Eduard wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts noch einmal verlegt. Ein neuerliches Interesse für ihr Werk setzt mit ihrem hundertsten Todestag (1906) ein, als ihre Übersetzung der Fiametta von Katharina Kippenberg durchgesehen und neu herausgegeben wird.13Boccaccio, Giovanni (1906): Fiametta, aus dem Italienischen übersetzt von Sophie Brentano; durchgesehen und vielfach ergänzt von Katharina Kippenberg. Leipzig: Insel. Die insgesamt distanzierte Haltung der Literaturwissenschaft im 20. Jahrhundert, die ihr nur eine marginale Position im literarischen Panorama der Romantik zubilligen und ihr sogar die Autorschaft einiger ihrer Übersetzungen abstreiten wollte, wurde bereits erwähnt. Von einer ‚Wiederentdeckung‘ oder vielmehr einer ernsthaften Rezeption ihres Werkes kann man erst seit einigen Jahrzehnten sprechen, da endlich damit begonnen worden ist, ihr Werk – einschließlich ihrer Übersetzungen – in die wissenschaftliche Diskussion einzubeziehen.

Anmerkungen

  • 1
    Aus einem späteren Jahresbericht der Schule geht hervor, dass bis 1810 nur zwei Klassen bestanden, die mehr als 100 Kinder zählten (vgl. Just 1896: 5).
  • 2
    „Es ist für ein Weib sehr gefährlich zu dichten, noch gefährlicher einen Musenalmanach herauszugeben, […]“ (Amelung 1908: 45).
  • 3
    Friedrich Schiller an Wolfgang Goethe, 17. August 1797. Online im Friedrich Schiller Archiv ‹https://www.friedrich-schiller-archiv.de›.
  • 4
    Das Werk ist niemals erschienen, es ist aber anzunehmen, dass es zumindest begonnen wurde, wie man aus Schillers Empfehlung schließen kann, sie sollte sich mehr an dem Sinn als an dem genauen Wortlaut orientieren, siehe Gersdorff (1990: 33).
  • 5
    Friedrich Schiller an Sophie Mereau, Juli 1796, Online im Friedrich Schiller Archiv ‹https://www.friedrich-schiller-archiv.de›.
  • 6
    Die beiden 1804 bzw. 1806 erschienenen Bände Spanische und Italienische Novellen enthalten ausschließlich spanische Erzählungen.
  • 7
    Ohne Autorname des Originals. Britta Hannemann zufolge handelt es sich um ein Werk von Edme Boursault (Hannemann 2005: 135f.).
  • 8
    Biblioteka Jagiellónska, Kraków, Ms. Berol Varnhagen-Sammlung.
  • 9
    Ebenda S. 77ff. wird ausgeschlossen, dass sie die Übersetzerin der Bruchstücke aus den Briefen und aus dem Leben der Ninon de Lenclos ist.
  • 10
    Henriette Schubart war auch nach dem Tod der Schwester als Übersetzerin aus dem Englischen tätig; sie übersetzte u.a. Walter Scotts Lieder und Balladen (1817) und Washington Irvin. Über diese Übersetzerin gibt es bisher kaum einschlägige Untersuchungen, vgl. Gersdorff (1990: 268–279), Hannemann (2005: 176–190).
  • 11
    In Goethes und Schillers Überlegungen zum Dilettantismus (in Über den Dilettantismus) wird die Frauenliteratur – im Sinne von Literatur von Frauen – explizit als Beispiel genannt. Vgl.: Bürger (1990).
  • 12
    Bey Frankreichs Feier. Den 14ten Junius 1790 war der Titel ihres ersten, in der Thalia (3. Bd., 11. Heft, S. 141–142) unter dem Autorinnennamen „von Demoiselle ***“ veröffentlichten Gedichts.
  • 13
    Boccaccio, Giovanni (1906): Fiametta, aus dem Italienischen übersetzt von Sophie Brentano; durchgesehen und vielfach ergänzt von Katharina Kippenberg. Leipzig: Insel.

Zitierweise

Mazza, Donatella: Sophie Mereau, 1770–1806. In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 22. März 2020.
BeschreibungSophie Mereau, Silhouette eines unbekannten Künstlers, ca. 1795 (Quelle: Günzel, Klaus: Die deutschen Romantiker. Zürich: Artemis und Winkler 1995, S. 201)
Datum25. März 2022
Sophie Mereau, Silhouette eines unbekannten Künstlers, ca. 1795 (Quelle: Günzel, Klaus: Die deutschen Romantiker. Zürich: Artemis und Winkler 1995, S. 201)