Hellmuth Wetzel, 1890–1940
Hellmuth Wetzel ist Sohn der Malerin und Graphikerin Ines Wetzel (1872-1938), die sich in den Jahren um den Ersten Weltkrieg sowie in der Weimarer Republik auch als Pazifistin und Frauenrechtlerin stark engagierte.1So sammelte sie mit Käthe Kollwitz in den 1920er Jahren Spenden für die Aktion „Deutsche Künstler für das hungernde Rußland“. Vgl. den Wikipedia-Eintrag zu Ines Wetzel. dort auch weitere Hinweise auf ihre politischen Aktivitäten; Aufruf 9. Januar 2025. Es erstaunt vor diesem familiären Hintergrund nicht, dass Hellmuth Wetzel nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten die Widerstandstandsgruppe „Stille Front“ gründete, die die gleichnamige Untergrundzeitung herausgab. Nach Aussage seiner Frau Johanna Wetzel2Lt. Eintrag im Dachauer Sterberegister war die Ehe geschieden worden. Vgl. Sterberegister Standesamt Dachau 1940, Nr. 1356; Kopie in den Arolsen Archives, Dokument 10365422. wurden im Februar 1938 die Mitglieder der Gruppe durch die Gestapo verhaftet (vgl. Wetzel 1947). Mehrere starben in Konzentrationslagern, unter ihnen auch Hellmuth Wetzel am 4. Dezember 1940 im Konzentrationslager Dachau. Als Todesursache vermerkt der am 16. Dezember 1940 (auf „schriftliche Anzeige der Staatspolizeileitstelle München vom 6. Dezember 1940“) erstellte Eintrag im Dachauer Sterberegister (Standesamt): „Versagen von Herz und Kreislauf“3Sterberegister Standesamt Dachau 1940, Nr. 1356; Kopie in den Arolsen Archives, Dokument 10365422. In einem Leserbrief an den New Yorker Aufbau schrieb Johanna Wetzel 1947 über die „Stille Front“:
Die Nazipartei hätte alle diese Männer, die sich da zusammengetan hatten, mit Freuden in ihren Reihen willkommen geheissen, waren sie doch alle „rassenreine Arier“. Am 6. Mai 1936 sandte man meinen Mann, nachdem man ihn zum Chefredakteur gemacht hatte, mit dem Zeppelin nach New York. Er bat Amerika nicht, ihn zu behalten. Er ging zurück. Auf meine Frage, warum, erklärte er: „Ich bin ein Deutscher. Ich will in Deutschland für Deutschlands Freiheit kämpfen. Wenn alle Antinazis das Feld räumen, wird Deutschland für ewig der Schandfleck der Erde bleiben. Man muss gegen diese Verbrecher kämpfen.“ Und so kämpfte er. Mit ihm viele mit bekannten und unbekannten Namen. Am 15. Februar 1938 wurden 54 Mitglieder der „Stille Front“ verhaftet. (Wetzel 1947)
Einige Lebensstationen Wetzels lassen sich anhand von im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte (München) erhaltenen Dokumenten rekonstruieren. So heißt es in einem auf den 12. Januar 1940 datierten Schriftsatz des Generalstaatsanwalts beim Landgericht Berlin über den Hauptangeklagten „Schriftleiter Hellmuth Wetzel“:
[…] geboren am 13. September 1893 in Frankfurt a/Main, wohnhaft in Berlin-Charlottenburg, Niehburstrasse 58, geschieden, nicht vorbestraft, polizeilich festgenommen am 17. Februar 1938, seit dem 13. Mai 1938 in richterlicher Untersuchungshaft, jetzt auf Grund des Haftbefehls vom 10. November 1938, im Gefängnis Berlin, Lehrter Strasse […] Der Angeschuldigte Hellmuth Wetzel war von 1917 bis 1921 politischer Redakteur im „Berliner Börsencourier“ und seit 1925 im „Wolf’schen Telegrafenbüro“, dem heutigen „Deutschen Nachrichtenbüro“ [der offiziellen Presseagentur des Dritten Reichs; AFK] tätig. (Seebens 1940: 1 und 2f.)
Dass es Wetzel und seinen Mitstreitern von der „Stillen Front“ vor allem um die Wiederherstellung des Rechtsstaats und einer liberalen Demokratie oder auch konstitutionellen Monarchie ging, wird in der 19 engzeilig beschriebene Seiten umfassenden Anklageschrift durch ausgiebige Zitate aus den von Wetzel und seinem Freund Johannes Junack4„Der Angeschuldigte Johannes Junack [geb. 26. Mai 1901 in Berlin, gest. am 9. September 1940 im Konzentrationslager Sachsenhausen; AFK] war von 1924 bis 1926 ebenfalls im ‚Wolf’schen Telegrafenbüro‘ und seitdem in der Nachrichtenagentur ‚Transocean‘ beschäftigt. Er gehörte von 1919 bis zu der im Jahre 1933 erfolgten Auflösung der Deutschnationalen Volkspartei an […].“ (Seebens 1940: 1 und 3) verfassten „Hetzschriften“ deutlich. Über deren technische Herstellung berichtet der Staatsanwalt Dr. [Melle] Seebens:
Wetzel arbeitete die von ihm verfassten Hetzschriften als Manuskripte aus und liess diese durch seine geschiedene Ehefrau, die Jüdin Johanna Sara Wetzel, geb. Krug, und z. T. auch durch die im gleichen Hause wohnende Jüdin Alice Sara Sinn, geb. Löbel, in die Schreibmaschine auf Wachsmatritzen schreiben. Die in den meisten Fällen mittels Abziehapparates vorgenommene Vervielfältigung erfolgte auf einem von Junack zur Verfügung gestellten Flachdrucker, der sich zum Teil in der Wohnung Wetzels, zum Teil in der im gleichen Hause befindlichen Wohnung der Eheleute Sinn befand, und vom Angeschuldigten Ihlenfeld, zum Teil unter Mitwirkung von Frau Wetzel, bedient wurde. Die Kosten für das Papier haben Wetzel und Junack selbst getragen. (Seebens 1940: 13)
Über Wetzels literarische und übersetzerische Arbeiten ist bisher nur wenig bekannt, etwa dass er zwischen 1912 und 1915 in Franz Pfemferts Wochenschrift Die Aktion eigene Gedichte veröffentlichte.5Sieben in der Aktion erschienene Wetzel-Gedichte wurden erneut veröffentlicht auf der von Irene Stasch betreuten Homepage Deutsche Liebeslyrik: www.deutsche-liebeslyrik.de/wetzel_hellmuth.htm; Aufruf 10. Januar 2025. In Bibliotheken und Antiquariaten findet man etliche von ihm aus dem Englischen bzw. Amerikanischen übersetzte zwischen 1927 und 1939 in Berlin erschienene Bücher. Häufig handelt es sich um in Großbritannien bzw. den USA besonders erfolgreiche zeitgenössische Unterhaltungs- und Kriminalromane, etwa von Hilaire Belloc (1870–1953), Max Brand (1892–1944), Robert Elliot Burns (1892–1955), John Ferguson (1871–1952), William J. Locke (1863–1930), Edward Phillips Oppenheim (1866–1946) oder Ernest Temple Thurston (1879–1933).
Anmerkungen
- 1So sammelte sie mit Käthe Kollwitz in den 1920er Jahren Spenden für die Aktion „Deutsche Künstler für das hungernde Rußland“. Vgl. den Wikipedia-Eintrag zu Ines Wetzel. dort auch weitere Hinweise auf ihre politischen Aktivitäten; Aufruf 9. Januar 2025.
- 2Lt. Eintrag im Dachauer Sterberegister war die Ehe geschieden worden. Vgl. Sterberegister Standesamt Dachau 1940, Nr. 1356; Kopie in den Arolsen Archives, Dokument 10365422.
- 3Sterberegister Standesamt Dachau 1940, Nr. 1356; Kopie in den Arolsen Archives, Dokument 10365422.
- 4„Der Angeschuldigte Johannes Junack [geb. 26. Mai 1901 in Berlin, gest. am 9. September 1940 im Konzentrationslager Sachsenhausen; AFK] war von 1924 bis 1926 ebenfalls im ‚Wolf’schen Telegrafenbüro‘ und seitdem in der Nachrichtenagentur ‚Transocean‘ beschäftigt. Er gehörte von 1919 bis zu der im Jahre 1933 erfolgten Auflösung der Deutschnationalen Volkspartei an […].“ (Seebens 1940: 1 und 3)
- 5Sieben in der Aktion erschienene Wetzel-Gedichte wurden erneut veröffentlicht auf der von Irene Stasch betreuten Homepage Deutsche Liebeslyrik: www.deutsche-liebeslyrik.de/wetzel_hellmuth.htm; Aufruf 10. Januar 2025.