Charlotte Eckert, Jg. 1933
Charlotte Eckert, geboren in Lodz, gehört einer Generation von Übersetzern polnischer Literatur ins Deutsche an, die in Polen geboren und aufgewachsen sind und nach 1945 im Nachkriegsdeutschland zu engagierten Vermittlern polnischer Literatur wurden. Darunter waren mehrere, deren Geburtsort ebenfalls Lodz ist: Karl Dedecius, Kurt Kelm, Walter Tiel, Peter Ball, die Österreicherin Gerda Leber-Hagenau, Alois Hermann. Im Unterschied zu diesen ist Charlotte Eckert jedoch in einem deutschen Milieu groß geworden: Die Vorfahren der Familie waren im 19. Jahrhundert mit der bäuerlichen schwäbischen Armutszuwanderung nach Russisch-Polen gekommen. Zu Hause wurde nur deutsch gesprochen, die beiden Töchter wuchsen nicht bikulturell auf, besuchten eine deutsche Schule. Die ältere Schwester konnte noch etwas Polnisch lernen, während es nach 1939 keinen Polnischunterricht mehr gab. Die Familie hat sich dennoch in Lodz nie als fremd empfunden.
Gegen Kriegsende kam die Familie auf dem Fluchtweg in Richtung Westen zunächst ins schlesische Grünberg (ab 1945 Zielona Góra) und gelangte 1946 schließlich nach Weißenfels in Sachsen-Anhalt, wo Charlotte Eckert 1953 ihr Abitur machte. Sie ging anschließend nach Berlin und studierte bis 1957 Slawistik mit dem Hauptfach Polnisch an der Humboldt-Universität bei Professor Viktor Falkenhahn. So holte sie etwas nach, was ihr in Lodz nicht mehr möglich war: den intensiven Kontakt zur polnischen Sprache und Kultur. Sie schloss noch eine Zusatzausbildung zum Erwerb der Lehrbefähigung für Deutsch für polnische Muttersprachler an, im Schulpraktikum betreute sie der verdienstvolle Polnischlehrer Josef Kotyczka, der ihr zur damaligen Zeit nicht viel Hoffnung auf eine Polnischlehrer-Anstellung machte. Sie entschied sich daher für eine Tätigkeit als Lektorin und Redakteurin im Union-Verlag in Berlin, wo sie bis 1963 tätig war und nebenbei ein Zusatzstudium für Verlagsrecht abschloss. Mitte der sechziger Jahre begann sie dann selbst polnische Literatur ins Deutsche zu übersetzen. 1971/72 absolvierte sie auf Vermittlung des Schriftstellerverbandes der DDR ein einjähriges Studium am renommierten Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig. Nicht zu vergessen, dass zwischendurch auch zwei Söhne geboren wurden.
Als freischaffende Übersetzerin aus dem Polnischen arbeitete sie mit mehreren Verlagen zusammen (u.a. Union-Verlag, Kiepenheuer Verlag, Kinderbuchverlag, Verlag Neues Leben, Henschel Verlag). Besonders intensiv gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem Verlag Volk und Welt, mit dessen Lektorin Jutta Janke sie bis zum Ende des Verlags nach der deutschen Wiedervereinigung eng verbunden war. In der Nachwendezeit, als viele DDR-Verlage zusammenbrachen, erschienen dann nur noch vereinzelt neue Übersetzungen von Charlotte Eckert.
Sie hat insgesamt mindestens 16 Bücher ins Deutsche übertragen, die z.T. mehrere Auflagen erlebten, sowie etliche Erzählungen in Sammelbänden des Verlags Volk und Welt, z.B. in der renommierten Reihe Erkundungen, an anderen Büchern hat sie als Teilübersetzerin (u.a. mit Kurt Kelm, Caesar Rymarowicz, Hubert Schumann, Sigrid Moser) mitgewirkt.
Auffällig an ihrem Gesamtwerk ist die Vielfalt der Genres, die ihre Bibliografie ausweist: Vom Märchen- und Jugendbuch über Kriminalromane, phantastische und Horrorliteratur zu Science Fiction, Memoiren- sowie Fachliteratur reicht die Palette, davon einige Bücher mit hohem Recherche-Aufwand, etwa das Buch von Roman Brandstaetter Jesus von Nazareth in vier Bänden mit fast 1800 Seiten, an dem sie zwei Jahre arbeitete sowie der überwiegend von ihr übersetzte und gemeinsam mit Jutta Janke herausgegebene Band Anglergeschichten (1975) von Jerzy Putrament, dessen Übertragung hohe Anforderungen an die Kenntnis der Fachtermini wie auch des Angler-Soziolekts stellte und einen authentischen Einblick in die schöne Welt des Angelns gibt – der Autor des Buches war selbst ein begeisterter Angler.
Putrament stand in den siebziger Jahren in den Übersetzungsplänen des Verlags Volk und Welt an prominenter Position, die meisten Titel – insgesamt sechs – sind zwischen 1971 und 1982 von Charlotte Eckert übertragen worden, darunter Der General, Der Hochverräter, Akropolis sowie die 1982–84 erschienenen Lebenserinnerungen Putraments Ein halbes Jahrhundert. Memoiren in einer autorisierten, von Dietrich Scholze sorgfältig edierten und mit einem informativen Vorwort versehenen gekürzten Ausgabe in vier Bänden (Band 1, 2 und 4 in der Übersetzung von Charlotte Eckert, Band 3 von Hubert Schumann). Sie betreffen inhaltlich die Jahre zwischen 1944 und 1970 in der Volksrepublik Polen, für die Übersetzung ein schwieriges Terrain.
Bereits nach der Wiedervereinigung Deutschlands erschien 1991, von Charlotte Eckert übertragen, im Kiepenheuer Verlag Leipzig das kleinformatige Romanbüchlein Die große Welt Zappowitz des Lemberger Schriftstellers Jan Lam (1838–1885) von 1869, das es übersetzerisch in sich hat: ein satirischer Text aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Galizien, voller kakanischer Titulaturen, Hierarchien, Dienstgrade und sprachlicher Besonderheiten, mit denen die Übersetzerin souverän fertig wurde. Jan Lam schrieb neben den bekannteren Lemberger Chroniken auch einige satirische Romane, darunter Wielki świat Capowic, in dem er die kleinbürgerlich-provinzielle Welt in Galizien, das nach der Ersten Polnischen Teilung 1772 an die österreichischen Habsburger gefallen war, aufs Korn nahm und die stickige Atmosphäre der „großen Zappowitzer Welt“ nachzeichnete. In den deutschen Sprachraum hat das Buch also erst spät Eingang gefunden.1Akademie der Künste (Berlin): Archiv des Verlages Volk und Welt. Unter der Signatur VuW 5501 ist von einem Gutachten von Stabrey (der späteren Jutta Janke) vom 15. Juli 1957 über Jan Lams Buch mit dem Titel „Die vornehme Welt von Schafbocksheim“ (poln. cap „Ziegenbock“) die Rede, das offenbar nie das Licht der Welt erblickt hat.
Charlotte Eckert hat auch an der Übersetzung von Schriften des polnischen Arztes, Pädagogen und Schriftstellers Janusz Korczak (Sozialmedizinische Schriften. Sämtliche Werke Bd. 8, 1999 und Sozialkritische Publizistik. Die Schule des Lebens. Sämtliche Werke, Bd. 7, 2002) mitgewirkt.
Seit 1977 war sie Mitglied im Schriftstellerverband der DDR. 1981 wurde sie vom Minister für Kultur Polens für ihre Verdienste um die Vermittlung der polnischen Literatur in Deutschland mit der Medaille „Zasłużony o kulturę polską“ ausgezeichnet. Für ihre langjährige Tätigkeit im Verlag Volk und Welt, insbesondere aber auch für die Übersetzung der Memoirenbände von Jerzy Putrament, erhielt sie 1983 die Übersetzerprämie des Verlages. In seiner Laudatio hebt der Direktor des Verlages Volk und Welt, Jürgen Gruner, ihre „sprachliche Vielseitigkeit und ihr stilistisches Feingefühl“ hervor, „ob es sich um einen poetischen, dialektal gefärbten Text, um einen witzigen Dialog oder um derbe Alltagssprache handelt“ (Jürgen Gruner, Berlin den 2. März 1984). Dem kann man sich nur anschließen. Charlotte Eckert suchte stets neue inhaltliche und stilistische Herausforderungen in ihrer Übersetzertätigkeit.
Zu translatorischen Problemen hat sich Charlotte Eckert nicht explizit geäußert, sie zeigt aber in ihren Texten, welches ihre jeweiligen Übersetzungsprinzipien sind. In dem Märchenbuch Kuhhaut. Hundert Polnische Volksmärchen (1987) z.B. platziert sie – zwar im Anhang – „den Versuch einer Adaption“ (eines der polnischen Märchen) „in schlesischer Mundart, die den unübersetzbaren Originalton der mundartlichen Texte verdeutlichen soll“ (S.431).
Anmerkungen
- 1Akademie der Künste (Berlin): Archiv des Verlages Volk und Welt. Unter der Signatur VuW 5501 ist von einem Gutachten von Stabrey (der späteren Jutta Janke) vom 15. Juli 1957 über Jan Lams Buch mit dem Titel „Die vornehme Welt von Schafbocksheim“ (poln. cap „Ziegenbock“) die Rede, das offenbar nie das Licht der Welt erblickt hat.