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Dorothea Greve, 1955–2016

1955 Bremen (BRD) - 14. Mai 2016 Iserlohn (BRD)
Original- und Ausgangssprache(n)
Jiddisch

Dorothea Greve (1955–2016) war Dozentin für Jiddisch an der Hamburger Universität. Die Salomo-Birnbaum-Gesellschaft für Jiddisch e. V. wurde von ihr mitbegründet. Sie hatte Lehraufträge am „Centro Ebraico“ der Universität Urbino/Italien, am Oxford Centre for Yiddish Studies und beim „Yiddish Summer Weimar“. Neben ihrer Lehrtätigkeit an Hochschulen, in Ferienkursen und in der Erwachsenenbildung widmete sie sich dem Gesang und der Rezitation jiddischer Lieder und Texte sowie verschiedenen künstlerischen Projekten wie der Theaterarbeit und der Mitwirkung beim Klezmer-Ensemble Frejlechs. Aus dem Jiddischen übersetzte sie u. a. das Wilnaer Ghettotagebuch der Mascha Rolnikaite (Ich muss erzählen, 2002). Ein Band mit jiddischen Erzählungen des aus Moldawien stammenden Autors Boris Sandler (Jg. 1950) erschien in ihrer und Hans-Ulrich Schroeders deutschsprachiger Version 2003.

Im Vorwort zu Rolnikaites Ghetto-Tagebuch von Marianne Butenschön wird die Geschichte der litauischen Juden („Litwaken“) knapp geschildert und ausführlich auf die Entstehung und – durch Zensureingriffe charakterisierte – Publikationsgeschichte des Tagebuchs sowie auf Leben und Werk der Mascha Rolnikaitė (1927–2016) eingegangen. Im letzten Absatz heißt es:

Die vorliegende Ausgabe des Tagesbuchs […] ist die im Auftrag des Kindler Verlags anhand der Aufzeichnungen vom Frühjahr 1945 und der Eingriffe der sowjetlitauischen Zensur in sorgfältiger Kleinarbeit wiederhergestellte Fassung des Urtextes. Der Text des wiederhergestellten Tagebuchs stimmt nach Angaben der Autorin zu neunzig Prozent mit dem Urtext überein, wobei die nicht-identischen zehn Prozent „nur einzelne Worte, Ausdrücke oder Wendungen, keineswegs aber die Fakten betreffen“. Im Interesse der Lesbarkeit sind in der vorliegenden Ausgabe mit Einverständnis der Autorin geringfügige redaktionelle Kürzungen vorgenommen worden. „Ich will niemanden umerziehen“, sagt Mascha Rolnikaite. „Ich hoffe einfach, dass meine Bücher von Gleichgültigen oder Unwissenden gelesen werden, die nicht darüber nachgedacht haben, was für eine Seuche das ist, der Nationalismus. Jede Art von Nationalismus. Wenn ich die Hoffnung verliere, höre ich auf zu schreiben.“ (Butenschön 2002: 31)

Zur Übersetzung aus dem Jiddischen äußert sich Butenschön nicht, auch nicht Rolinkaitė in ihrer auf „St. Petersburg, im Mai 2002“ datierten Nachbemerkung (S. 283 f.). Die Übersetzerin selbst hat ihrer deutschen Version vereinzelt Fußnoten beigegeben: zu Ortsnamen wie „Kowne“ = „Kaunas (Auf Wunsch der Autorin wurden die jiddischen Namen litauischer Städte und Orte mit Ausnahme Wilnas im Text beibehalten.) (A. d. Ü.)“ (Rolinkaite 2002: 34); zu einzelnen Personennamen wie „Antanas Smetona, Präsident der Republik Litauen (1926–40), kam durch einen Staatsstreich an die Macht. (A. d. Ü.)“ (ebd.: 36), oder zu Franz Murer:

Der österreichische SS-Standartenführer Franz Murer (geb. 1912) war zwischen 1941 und 1943 als Stellvertretender Gebietskommissar in Wilna für „jüdische Angelegenheiten“ zuständig (Gebietskommissar war Hans Hingst). Im Wilnaer Ghetto war er für seinen äußersten Sadismus bekannt und blieb den überlebenden Opfer, so Simon Wiesenthal, als „Schlächter von Wilna“ in Erinnerung. Trotz erdrückender Beweislast für die von ihm im Ghetto Wilna begangenen Verbrechen wurde Franz Murer 1963 von einem Grazer Geschworenengericht freigesprochen. (A. d. Ü.). (Ebd. 71)

Weitere Einzelheiten zur Entstehung der Übersetzung müssten von Jiddisch-Experten ermittelt werden.

Am Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ) bzw. für das Teilfach Jiddisch des Germanistischen Instituts der Universität Hamburg bot Greve Lehrveranstaltungen für Hörer aller Fachbereiche an. Im kommentierten Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 2006/2007 beschrieb sie ihren Kurs Jiddische Sprache und Literatur: YONTOYVIM BAY DI YIDISHE KLASIKER (für Studierende mit Vorkenntnissen) wie folgt:

Jiddisch war bis zum 2. Weltkrieg nicht nur die meistgesprochene Sprache innerhalb der Judenheit, sondern – neben dem Hebräischen – auch die produktivste Literatursprache. Die vorgeschlagene Lehrveranstaltung soll den Teilnehmern an der „Einführung in die jiddische Sprache und Kultur (1 & 2)“ und Interessenten mit vergleichbaren Vorkenntnissen Gelegenheit geben, die erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten anhand von jiddischen Originaltexten zu erproben, zu festigen und zu erweitern. In diesem und im Folgesemester werden wir Meistererzählungen der jiddischen Klassiker Mendele Mocher Sforim (1835–1917), Sholem Aleichem (1859–1916), Y.L. Peretz (1852–1915) und Sholem Asch (1880–1957) behandeln. Die Erzählungen führen durch den Jahreskreis der jüdischen Feiertage mit seinen Fest- und Gedenktagen, beginnend mit Rosch ha-Schana, dem Neujahrsfest, das im Herbst gefeiert wird. Es folgen Jom Kippur, Sukkot, Simchat Tora, Chanukkah, Purim, Pessach, Schawuot. Auch der eigentliche und im Grunde höchste Feiertag, der Sabbat, wird eingehend thematisiert. Somit erhalten die Teilnehmenden nicht nur Zugang zum Themenkomplex der „Feiertagsgeschichten“, die so typisch für die jiddische Klassik sind, sondern gelangen auch zu einem tieferen Verständnis jüdischen Brauchtums, der so genannten „Yidishkayt“. Neben der Lesefähigkeit wird auch die Entwicklung des freien Sprechens ein wichtiges Lernziel bleiben. Zu diesem Zweck werden wir unsere systematische Grammatik- und Wortschatzarbeit fortführen. Arbeitsgrundlage ist das von Marion Aptroot und Holger Nath eigens für den akademischen Gebrauch verfasste Lehrwerk Einführung in die jiddische Sprache und Kultur (ab Lektion 8). Quereinsteigern rate ich, sich ab Mitte September telefonisch mit mir in Verbindung zu setzen (040/677 3490, Mo.–Fr., 11–14 Uhr).

Literatur: Aptroot, Marion und Holger Nath, Einführung in die jiddische Sprache und Kultur (Helmut Buske Verlag: Hamburg, 2002); Birnbaum, Salomo A., Die jiddische Sprache: Ein kurzer Überblick und Texte aus acht Jahrhunderten (Hamburg, 1986); De Vries, Simon Philip, Jüdische Riten und Symbole (Wiesbaden, 2005); Dinse, Helmut und Sol Liptzin, Einführung in die jiddische Literatur (Stuttgart, 1978); Liptzin, Sol, A History of Yiddish Literature (New York, 1985); Niborski, Yitskhok & Bernard Vaisbrot, Yidish-frantseyzish verterbukh (Paris, 2002); Thieberger, Friedrich, Jüdisches Fest, jüdischer Brauch (Königstein/Ts., 1985); Roskies, David G., A Bridge of Longing: The Lost Art of Yiddish Storytelling (Cambridge/Mass. & London, 1995); Weinreich, Uriel, Modern English-Yiddish Yiddish-English Dictionary (1968).

Quellen

Butenschön, Marianna (2002): „Geistige Kraft kann physische Gewalt überwinden“. Vorwort. In: Rolnikaite, Mascha: Ich muss erzählen. Mein Tagebuch 1941–1945. Aus dem Jiddischen von Dorothea Greve. Berlin: Kindler, S. 7–31.
Rolnikaite, Mascha (2002): Ich muss erzählen. Mein Tagebuch 1941–1945. Aus dem Jiddischen von Dorothea Greve. Mit einem Vorwort von Marianna Butenschön. Berlin: Kindler.

Zitierweise

Kelletat, Andreas F.: Dorothea Greve, 1955–2016. In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 1. Januar 2025.

Bibliographie

Übersetzungen (Buchform)

Detaillierte Bibliographie