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Eberhard Günther Kern, 1899–1974

15. Mai 1899 Hamburg (Deutsches Reich) - 1974 Bad Oldesloe (Bundesrepublik Deutschland)
Original- und Ausgangssprache(n)
Norwegisch, Schwedisch

Eberhard Günther Kern kam 1922 als junger Mann nach Norwegen und verstand sich zeitlebens als Mittler zwischen diesen beiden Ländern, deren Sprachen und Kulturen. Kern war vor allem Sprachlehrer, er führte bis 1945 in Oslo eine sehr gut gehende Sprachschule, das angeschlossene Übersetzungsbüro arbeitete für die Wirtschaft und während des Krieges für die Behörden der deutschen Besatzungsmacht sowie des Ministerpräsidenten Vidkun Quisling. Kern hat nur wenige Bücher übersetzt, als seine wichtigste Übersetzung galt lange Zeit die Übertragung von Adolf Hitlers Mein Kampf ins Norwegische. Diese Übersetzung wurde 2002 Gegenstand eines bemerkenswerten Prozesses: Nachdem ein norwegischer Verlag sie ohne Erlaubnis der Erben neu aufgelegt hatte, ging Kerns Enkelsohn Ketil Kern vor Gericht und verlangte unter Berufung auf das Urheberrecht, dass die gesamte Auflage sowie alle Druckvorlagen umgehend vernichtet würden.

Eberhard Günther Kern, geboren am 15. Mai 1899 in Hamburg und dort aufgewachsen, zog 1922 nach Norwegen, weil er sich in eine norwegische Kommilitonin namens Sølvi verliebt hatte. Beide begeisterten sich für germanische Sprachen, Philosophie und Politik, das Paar heiratete und bekam vier Kinder.

Anfangs arbeitete Kern als Lehrer in Sprachschulen, aber schon drei Jahre nach seiner Ankunft gab er im norwegischen Rundfunk Deutschunterricht, was ihm eine gewisse landesweite Bekanntheit bescherte. 1930 eröffnete er in bester Osloer Lage eine Sprachschule sowie ein Übersetzungsbüro.

Er verstand sich als Vermittler und Bindeglied zwischen Deutschland und Norwegen, hatte einen großen Bekanntenkreis, war viel unterwegs, hielt in Deutschland Vorträge über Norwegen,1Das Deutsche Rundfunkarchiv listet in der Abteilung „Schriftsteller im Rundfunk“ für die Jahre 1924 bis 1932 zwei Vorträge auf: Norwegische Literaturgeschichte in dreißig Minuten (25. August 1929, SFS Breslau), Eberhard Günther Kern, Oslo, liest nordische Volksmärchen in eigener Übersetzung (15. August 1931, MIRAG Leipzig). Online unter: ‹www.dienste.dra.de/schriftsteller/autoren.php?buchst=K&aname=Eberhard%20G%FCnther%20Kern› (letzter Aufruf 8. April 2021). in Norwegen über Deutschland. Ende der zwanziger Jahre sprach er in einer deutschsprachigen Vortragsreihe mit dem Titel Plauderei: Eilfahrt durch das deutsche Schrifttum, unter anderem über Gerhart Hauptmann, Frank Wedekind und Stefan George, auch über Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes (Jul-Larsen 2020: 70). 1932 stellte er in dem Vortrag Ein neuer deutscher Dichter den damals sehr populären Erwin Guido Kolbenheyer vor, der zum „am meisten ausgezeichnete[n] Schriftsteller der NS-Zeit“ werden sollte (Wendland 2013).2Vgl. das Urteil des Literaturwissenschaftlers Herbert Seidler (1980) über Kolbenheyers Romantriologie Paracelsus (1917, 1922 und 1926): „Auf Grund ihrer Ideologie, ihrer Mystifizierung des Deutschtums gehört diese Romantrilogie zu den Vorboten des völkisch-nationalen Ungeistes, wie er im Dritten Reich geherrscht hat.“ Diese Vermittlungsarbeit beanspruchte Kern so sehr, dass es irgendwann Sølvi war, die die Schule und „die Norwegisch-Sparte des Übersetzungsbüros“ leitete (Kern 2013: 30).

Kerns Werben für Deutschland war immer und nachdrücklich ein Werben für das nationalsozialistische Deutschland, denn Günther und Sølvi Kern waren bereits in den zwanziger Jahren überzeugte Nationalsozialisten, auch wenn sie erst 1933 in die NSDAP eintraten. Er war bis 1937 deren Ortsgruppenleiter für Oslo, 1935 beendete der Staatliche Rundfunk die Zusammenarbeit mit Kern, weil „seine Begeisterung für die völkische deutsche Kultur in Nationalsozialismus umschlug“ (Jul-Larsen 2020: 70).

In den Jahren der deutschen Besatzung von 1940 bis 1945 steigerte sich Kerns Engagement für den Nationalsozialismus3Ein Beispiel für dieses Engagement: Am 1. August 1941 teilte Kern der „NDSAP, Abteilung Norwegen“ mit, dass er aufgrund „der Entwicklung der Umstände“ einen Schritt vollzogen habe, den er bereits 1932 erwogen habe: er trete mit seiner Familie aus der Kirche aus. Er beteuert wortreich seinen Glauben an ein nationalsozialistisches Deutschland, seine Kirchensteuer werde er künftig an die NSDAP überweisen. Erstaunlicherweise erschien dieser vermutlich deutsch verfasste Brief unter der Überschrift „Vi tror på Tysklands sendelse“ komplett und (schlecht) ins Norwegische übersetzt in der illegalen norwegischen Widerstandszeitung ALT FOR NORGE (Nr. 47 vom 23. September 1941, S. 4). Kerns Brief muss der Redaktion von jemandem zugespielt worden sein, der/die im NSDAP-Büro, genauer gesagt in Karl Spanaus‘ Büro des Landeskreisleiters der NSDAP in Norwegen Zugang zur eingehenden Korrespondenz hatte. Digitalisat unter: ‹digitalt.uib.no/bitstream/handle/1956.2/2655/1941.nr.47.pdf› (letzter Aufruf 8. April 2021). und er gab Anlass zu Vermutungen, dass er Deutsche wie Norweger denunzierte; in einem Vermerk in den Akten der SS-Forschungseinrichtung Deutsches Ahnenerbe, Unterabteilung Norwegen, vom 17. Oktober 1942 heißt es zu seinen Kontakten:

Seit 20 Jahren leitet Kern eine Sprachschule, durch die im Laufe der Jahre tausende von jungen und alten Norwegern der Intelligenzkreise gegangen sind, mit denen Kern enge Verbindung aufrecht erhalten hat. Er führt über sämtliche seiner Schüler und ehemaligen Schüler seit Jahrzehnten eine genaue Kartei und ist daher in der Lage, über die Entwicklung jedes Einzelnen, insbesondere über seine politische Entwicklung, seine Einstellung zu Deutschland genauen Aufschluß zu geben. (Schwalm 1942a: 1)4Es handelt sich vermutlich um Gesprächsprotokolle für die Akten der Ahnenerbe-Unterabteilung Norwegen. Hans Schwalm wurde „im Herbst 1942 […] als SS-Hauptsturmführer nach Oslo versetzt, um die Ahnenerbe-Unterabteilung Norwegen zu leiten. Damit war er praktisch der persönliche Vertreter Heinrich Himmlers in Norwegen.“ (Wikipedia, Stichwort: Hans Schwalm (Geograph)).

In einer weiteren SS-internen Aktennotiz wird allerdings hervorgehoben, dass Kern „als ein typischer Kurbler anzusprechen [sei], der ein maßloses Geltungsbedürfnis hat und sich für den entscheidenden Mittelpunkt des deutsch-norwegischen Kulturlebens hält“ (Schwalm 1942b: 4). Er setze sich „auf jedes Pferd, das auch nur in seiner Nähe vorbeireitet“, aber „seine Fähigkeiten als Sprachlehrer seien nicht zu bezweifeln“ (ebd.: 5). Schon der frühere deutsche Botschafter Sahm, so der Vermerk, habe Kern jedoch für „einen Schädling für das deutsche Ansehen gehalten, weil er sich […] als 200%iger Nazi in alles eingemischt und dadurch nur dem Ansehen der Bewegung geschadet habe“ (ebd.: 4). Auch sei zu bedauern, dass Kern „ein solch krankhaftes Geltungsbedürfnis habe, auf Grund dessen er weit über seine wirklichen Fähigkeiten hinaus eine politische und gesellschaftliche Stellung beanspruche, die ihm nicht zukomme“ (ebd.).

Dass Kern sich für wichtig und einflussreich hielt, ist allerdings nicht erstaunlich, wenn man weiß, dass er es war, der Hans Wilhelm Scheidt mit Vidkun Quisling bekannt machte. Quisling war Parteiführer der Nasjonal Samling und wurde 1942 Ministerpräsident des Landes, Scheidt kam 1939/1940 im Auftrag Adolf Hitlers nach Oslo, um die Invasion Norwegens vorzubereiten. Kern verkehrte also in den höchsten Kreisen der deutschen Besatzer und norwegischen Kollaborateure.

Seit Ende der dreißiger Jahre engagierte er sich für die Gründung einer weltweiten Fernschule, die die deutsche Sprache und deutsches Gedankengut per Brief und Rundfunk verbreiten sollte (Kern 2013: 131). In dieses Projekt investierte er Zeit, Energie und so viel Geld, dass die Schule bankrott zu gehen drohte (ebd.: 30). Im September 1944 schrieb er an Ministerpräsident Vidkun Quisling, er stehe vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch, der einzige ihm verbliebene Mitarbeiter sei sein Sohn: „Nicht einmal mehr das Dienstpersonal will noch bei mir als Deutschem angestellt sein.“ Unterschrieben ist der Brief mit „Heil und Sieg“ (Kern 2013: 31).

Bei all dem fand Kern in den vierziger Jahren noch die Zeit, mehrere Bücher zu übersetzen. 1937 erschien der Sammelband

Norwegen: Gestalt und Kräfte; Streiflichter über Landschaft, Naturschätze, Volk, Kultur, Wissenschaft, Entdeckerfahrten, Sport, Verkehr, Handel und Gewerbe im heutigen Norwegen. 67 Aufsätze von führenden Fachleuten mit 450 Aufnahmen. 159 Seiten durchgehend mit s/w-Fotos.

Herausgeber war der bekannte norwegische Bibliothekar Karl Fischer (1861–1939). Das Buch war im Jahr 1900 unter dem Titel La Norvège. Ouvrage officiel publié a l’occasion de l’Exposition universelle de Paris 1900 erschienen, eine Neuausgabe von 1937 mit demselben Titel war offenbar die Vorlage für die deutsche Übersetzung (vgl. Torp: 2009), die bibliographischen Angaben vermerken: „Die deutsche Übersetzung und Ausgabe besorgte Eberhard Günther Kern“. Das Buch erschien in Oslo, richtete sich aber fraglos an die zahllosen Deutschen, für die Norwegen ein „Sehnsuchtsland“ war. Kerns Übersetzung von Vidkun Quislings Rußland und wir, die 1942 erschien, zielte zwar auf den deutschen Markt, aber sicher auch auf die über 300.000 Deutschen, die seit 1940 als Besatzungssoldaten in Norwegen stationiert waren.

Seine bekannteste Arbeit aber ist die Übersetzung von Adolf Hitlers Mein Kampf. 1941 publizierte der auf nationalsozialistische Propagandaliteratur spezialisierte J.M. Stenersens Forlag Min Kamp in zwei Bänden. Ab Mai 1945 wurde das Buch selbstverständlich nicht mehr verkauft. Aber im November 2002 kam Min Kamp in der alten Übersetzung wieder in den norwegischen Buchhandel, veröffentlicht von einem neuen Verlag namens Nexus, der sich als „rebellisches, unangepasstes und unkalkulierbares Gegengewicht zu den etablierten Verlagen“ (Kern 2013: 98) verstand. Da Mein Kampf ein wichtiges historisches Dokument sei, habe man sich, so Verlagschef Thomas Hvoslef-Eide, für die ursprüngliche Ausgabe entschieden, er selbst fügte lediglich ein Vorwort von einer Seite Länge hinzu. Der Originalverlag Stenersen hatte der Neuausgabe zugestimmt.5Den Konflikt um die Neuausgabe dokumentiert u.a. Øyvind Holen 2007 in seinem digital veröffentlichten Beitrag Mein Kampf på norsk? Zur Übersetzung sagte 2002 Hans Fredrik Dahl, ein führender Experte für die Besatzungszeit, dass diese „ganz gut“ sei und er nie auf kritische Bemerkungen hinsichtlich ihrer Qualität gestoßen sei.

Nicht zugestimmt hatten der Neuausgabe von Min Kamp die Erben des 1974 verstorbenen Kern. Man hatte sie schlicht nicht gefragt. Enkelsohn Ketil Kern war völlig unvorbereitet, als ein Journalist ihn im November 2002 telefonisch um eine Stellungnahme bat. Ketil wusste nicht nur nichts von der Neuauflage, er wusste nicht einmal, dass sein Großvater Hitler übersetzt hatte. Er war entsetzt und empört. Nexus behauptete auf Nachfrage, man habe die Erben trotz intensiver Bemühungen nicht aufspüren können – was Ketils Zorn vergrößerte, denn er steht im Telefonbuch und Kern ist in Norwegen ein seltener Name.

Als die Presse berichtete, dass Ketil seine Zustimmung verweigern wolle, meldete sich der Norwegische Verband der Sachbuchautoren und -übersetzer bei ihm und übernahm, mit Ketil Kerns Zustimmung, die juristische Seite der Angelegenheit. Die Verträge von 1941 zwischen Eberhard Günther Kern und dem Stenersen Verlag waren bei einem Brand im Verlag vernichtet worden. Somit galt das Urheberrecht, das auch in Norwegen siebzig Jahre nach dem Tod des Rechteinhabers weiterbesteht, und somit besaßen Ketil Kern und Eberhard Günther Kerns einziger noch lebender Sohn die Rechte an der Übersetzung. Der Onkel wollte von einer Neuausgabe ebenfalls nichts wissen und trat alle Rechte an seinen Neffen ab.

Das Buch war bereits in einer Auflage von 3.000 Stück erschienen, der Verlag war also unter Druck. Er bot eine Entschädigung an und schlug vor, den Namen des Großvaters aus der Neuauflage zu streichen. Ketil Kern lehnte ab. Er verlangte, dass wegen Verletzung des Urheberrechts und weil das Buch rassistisch sei und den Rassismus fördere, alle ausgelieferten Exemplare zurückgerufen und die gesamte Auflage sowie alle Druckvorlagen vernichtet werden solltenDas wiederum lehnte der Verlag ab.

Die Sache lief – bemerkenswert schnell – bis zur letzten Instanz, die im Februar 2003 urteilte, dass der Verkauf gestoppt und die Auflage vernichtet werden müsse. Die Restauflage gehörte Ketil Kern. Er und der Anwalt des Übersetzerverbandes holten die restlichen 2.300 Bücher im Auslieferungslager ab, brachten sie zur Müllverbrennungsanlage und warfen sie persönlich ins Feuer. Damit war das Buch verschwunden, selbst die Nasjonalbibliotek besitzt keines. Der Verlag hatte, wie die Nasjonalbibliotek auf Anfrage mitteilte, vor dem Gerichtsurteil keine Pflichtexemplare abgeliefert.

Eberhard Günther Kerns Frau Sølvi und seine Tochter Krimhildt kamen im Herbst 1944 bei einem Schiffsunglück ums Leben, zur gleichen Zeit fiel sein ältester Sohn an der Ostfront. Kern selbst wurde nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945 von den Norwegern verhaftet und saß anderthalb Jahre ohne formelle Anklageschrift in strenger Einzelhaft. Man warf ihm Spionagetätigkeit und Landesverrat vor, 1947 wurde er ohne Prozess nach Deutschland ausgewiesen, weil man einem deutschen Staatsbürger schwerlich Landesverrat zuungunsten Norwegens vorwerfen konnte. Die beiden überlebenden Söhne blieben in Norwegen.

In Deutschland gründete Kern umgehend Kerns Internatsschule, die offenbar gut lief. Die Schule war erst in einem Gutshaus bei Rendsburg untergebracht, 1960 kaufte er in Bad Oldesloe das Herrenhaus des Gutes Blumendorf, die Auffahrt zu der privaten Realschule war von deutschen und norwegischen Flaggen gesäumt – er sah sich immer noch als Brückenbauer zwischen Norwegen und Deutschland. 1967 bezog er ein historisches Gebäude in der Bad Oldesloer Innenstadt, Einheimische nannten die Schule „Kerns Kinderknast“. Eberhard Günther Kern starb – offenbar als geachteter Bürger – 1974 in Bad Oldesloe. Sein Enkelsohn sagte, er habe große Sehnsucht nach Norwegen gehabt, sei aber nach 1947 nie mehr dort gewesen. Über die Gründe ist nichts bekannt, man kann vermuten, dass die Norweger ihm, nachdem sie ihn deportiert hatten, die Einreise verweigert hätten.

1945, als er in Oslo im Gefängnis saß, erläuterte er in einer auf Norwegisch verfassten Verteidigungsschrift, warum er unmöglich Spion sein könne. Er schrieb unter anderem:

Ich bin Lehrer und Schriftsteller. Beide Berufe verlangen, dass man in seinem tiefsten Innersten völlig ungebunden ist, wenn die eigene Arbeit andere überzeugen soll. Ich habe mit meiner Arbeit überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt. Das setzt unbedingt voraus, dass ich mein Leben von allen Heimlichkeiten, die nicht meinen Beruf betreffen, frei halte. (Kern 2013: 98; Übersetzung E.D.D.)6Originalwortlaut: „Jeg er lærer og forfatter. Begge yrker krever at man innerst inne er helt uhemmet hvis ens arbeide skal overtyde andre. Mitt arbeide som jeg har oppnådd resultater med som ligger over gjennomsnittet forutsetter ufravikelig at jeg holder mitt liv rent for all kjennskap til mitt yrke uvedkommende hemmelige ting.“

So eigenartig das Argument klingt, so eigenartig verwinkelt, gestelzt, teils schwer verständlich ist das Norwegisch, in dem Kern den Text geschrieben hat. Er wirkt schlecht übersetzt, das Deutsch scheint deutlich durch. Andererseits fiel Ketil, als er 2002 zum ersten Mal Min Kamp in der Übersetzung seines Großvaters las, zuallererst die Sprache auf: Das war keine der beiden gängigen Schriftsprachen Riksmål oder Nynorsk, sondern eine selten benutzte Variante namens Samnorsk, eine, wie Ketil schreibt, „radikale Schriftsprache. Wie in aller Welt war das möglich? Großvater war doch Deutscher“ (Kern 2013: 11).

Ja, wie war das möglich? Nachdem der Prozess 2003 entschieden war, entdeckte Ketil eine E-Mail seines Onkels, die er schon viele Monate zuvor erhalten, aber übersehen hatte:

Lieber Ketil, ich denke, Du solltest wissen, dass E.G.K. Mein Kampf gar nicht übersetzt hat. Es war seine Frau, meine Mutter Sølvi. Das ist der Grund, warum man die Sprache der norwegischen Ausgabe fast als Samnorsk bezeichnen muss.

Wenn er dennoch als Übersetzer aufgeführt ist, dann lag das zum einen daran, dass er die Zulassung als Übersetzer hatte, zum anderen an der sehr speziellen Beziehung der beiden. Sie zog sich in den Monaten, die das dauerte, völlig in ihr Arbeitszimmer zurück. Das macht eine Kinderschar nicht gerade froh, aber wir waren Schlimmeres gewohnt und akzeptierten es. Meine Mutter sprach mit mir nie über den Inhalt des Buches. (Kern 2013: 144)

2019 veröffentlichte der neu gegründete Literarum forlag eine kommentierte Ausgabe von Min Kamp, übersetzt von Dag Biseth. Der Umschlag ist sehr eng an die Ausgabe von 1941 und 1942 angelehnt, samt Reichsadler mit Hakenkreuz im Eichenkranz.

Anmerkungen

  • 1
    Das Deutsche Rundfunkarchiv listet in der Abteilung „Schriftsteller im Rundfunk“ für die Jahre 1924 bis 1932 zwei Vorträge auf: Norwegische Literaturgeschichte in dreißig Minuten (25. August 1929, SFS Breslau), Eberhard Günther Kern, Oslo, liest nordische Volksmärchen in eigener Übersetzung (15. August 1931, MIRAG Leipzig). Online unter: ‹www.dienste.dra.de/schriftsteller/autoren.php?buchst=K&aname=Eberhard%20G%FCnther%20Kern› (letzter Aufruf 8. April 2021).
  • 2
    Vgl. das Urteil des Literaturwissenschaftlers Herbert Seidler (1980) über Kolbenheyers Romantriologie Paracelsus (1917, 1922 und 1926): „Auf Grund ihrer Ideologie, ihrer Mystifizierung des Deutschtums gehört diese Romantrilogie zu den Vorboten des völkisch-nationalen Ungeistes, wie er im Dritten Reich geherrscht hat.“
  • 3
    Ein Beispiel für dieses Engagement: Am 1. August 1941 teilte Kern der „NDSAP, Abteilung Norwegen“ mit, dass er aufgrund „der Entwicklung der Umstände“ einen Schritt vollzogen habe, den er bereits 1932 erwogen habe: er trete mit seiner Familie aus der Kirche aus. Er beteuert wortreich seinen Glauben an ein nationalsozialistisches Deutschland, seine Kirchensteuer werde er künftig an die NSDAP überweisen. Erstaunlicherweise erschien dieser vermutlich deutsch verfasste Brief unter der Überschrift „Vi tror på Tysklands sendelse“ komplett und (schlecht) ins Norwegische übersetzt in der illegalen norwegischen Widerstandszeitung ALT FOR NORGE (Nr. 47 vom 23. September 1941, S. 4). Kerns Brief muss der Redaktion von jemandem zugespielt worden sein, der/die im NSDAP-Büro, genauer gesagt in Karl Spanaus‘ Büro des Landeskreisleiters der NSDAP in Norwegen Zugang zur eingehenden Korrespondenz hatte. Digitalisat unter: ‹digitalt.uib.no/bitstream/handle/1956.2/2655/1941.nr.47.pdf› (letzter Aufruf 8. April 2021).
  • 4
    Es handelt sich vermutlich um Gesprächsprotokolle für die Akten der Ahnenerbe-Unterabteilung Norwegen. Hans Schwalm wurde „im Herbst 1942 […] als SS-Hauptsturmführer nach Oslo versetzt, um die Ahnenerbe-Unterabteilung Norwegen zu leiten. Damit war er praktisch der persönliche Vertreter Heinrich Himmlers in Norwegen.“ (Wikipedia, Stichwort: Hans Schwalm (Geograph)).
  • 5
    Den Konflikt um die Neuausgabe dokumentiert u.a. Øyvind Holen 2007 in seinem digital veröffentlichten Beitrag Mein Kampf på norsk?
  • 6
    Originalwortlaut: „Jeg er lærer og forfatter. Begge yrker krever at man innerst inne er helt uhemmet hvis ens arbeide skal overtyde andre. Mitt arbeide som jeg har oppnådd resultater med som ligger over gjennomsnittet forutsetter ufravikelig at jeg holder mitt liv rent for all kjennskap til mitt yrke uvedkommende hemmelige ting.“

Quellen

Holen, Øyvind (2007): Mein Kampf på norsk?, online unter: ‹www.oyvindholen.wordpress.com/2007/09/22/mein-kampf-pa-norsk/› (letzter Aufruf 15. April 2021).
Jul-Larsen, Kristoffer (2020): Vurderende stemmer. Litteraturkritikk og litteraturformidling i norsk radio 1925–2000. Trondheim: Norges Teknisk-Naturvitenskapelige Universitet [Digitale Ausgabe der Dissertation].
Kern, Ketil (2013): Hva har du med Hitler å gjøre, pappa? Oslo: Juritzen Forlag.
Schwalm, Hans (1942a): Report from Dr. Schwalm on a Meeting with School Director Kern in Oslo, October 17, 1942, online unter: ‹www.digitalcommons.ursinus.edu/norwegian/8› (letzter Aufruf 8. April 2021).
Schwalm, Hans (1942b): Report from Hans Schwalm on a Meeting with SS-Obersturmführer Dr. Vollberg, October 25, 1942, online unter: ‹www.digitalcommons.ursinus.edu/norwegian/5› (letzter Aufruf 8. April 2021).
Seidler, Herbert (1980): Kolbenheyer, Erwin Guido. In: Neue Deutsche Biographie 12 (1980), S. 453-455 [Online-Version].
Torp, Olaf Chr. (2009): Karl Fischer. In: Norsk biografisk leksikon [1999–2005]. Netzpublikation 2009 (nbl.snl.no/Karl_Fischer).
Wendland, Hans-Georg (2013): Aspekte der Kultur- und Literaturpolitik im nationalsozialistischen Deutschland. München: GRIN Verlag, online unter: ‹www.grin.com/document/264448› (letzter Aufruf 10. Mai 2021).

Zitierweise

Drolshagen, Ebba D.: Eberhard Günther Kern, 1899–1974. In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 1. Mai 2021.
CaptionSølvi und Eberhard Günther Kern, Mitte der 1930er Jahre (©: Ketil Kern)
Publication Date28. März 2022
Sølvi und Eberhard Günther Kern, Mitte der 1930er Jahre (©: Ketil Kern)

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