Siegfried Schmitz, 1886–1941
Die ausführlichsten Informationen zu Siegfried Schmitz, geboren am 27. Dezember 1886 im mährischen Neutitschein, finden sich bisher in Elisabeth Lebensafts Eintrag von 1993 im Österreichischen Biographischen Lexikon. Demnach war Schmtz ein „mosaischer Absolvent“ des Gymnasiums in Teschen an der heutigen polnisch-tschechischen Grenze. 1905 bis 1910 studierte er an der Universität Wien klassische Philologie und römisches Recht. Er arbeitete dann als Journalist und Redakteur, 1919–1927 für die zionistisch ausgerichtete Wiener Morgenzeitung, später für das gleichfalls in Wien erscheinende Wochenblatt Die Stimme. Auch in anderen jüdischen Zeitschriften (z.B. Menorah – jüdisches Familienblatt für Wissenschaft, Kunst und Literatur) schrieb Schmitz häufig über jüdische Kultur und Literatur.
Intensiv verfolgte und kommentierte er die zionistischen Auswanderungs- und Siedlungsaktivitäten sowie den Konflikt zwischen Juden und Arabern im britischen Mandatsgebiet Palästina.1Vgl. seinen warnenden Text Memento in Menorah Jg. 7 (1928), Nr. 9/10, September/Oktober 1929, S. 439–446.Ab 1934 lebte er vorwiegend in Mährisch-Ostrau, in den Jahren 1936/37 war er für den tschechoslowakischen Palästina-Gründungsfonds (Keren Hayesod) tätig. Ihm selbst gelang noch 1939 die Auswanderung nach Palästina. In der New Yorker jüdischen Zeitschrift Aufbau / Reconstruction erschien am 21. März 1941 eine Kurzmeldung über seinen Tod:
In Jerusalem beging Dr. Siegfried Schmitz, der frühere Wiener Redakteur und Uebersetzer der Werke Schalom Aschs ins Deutsche, Selbstmord. Schmitz, der im Alter von 54 Jahren stand, war u.a. auch der ständige Herausgeber der Kongress-Zeitung, die jeweils bei den zionistischen Weltkongressen erschien.
Lebensaft (1993) schreibt, dass er „angeblich wegen finanzieller Schwierigkeiten“ Selbstmord begangen habe.
Schmitts Essays und Feuilletons zur jüdischen Kulturgeschichte, Literatur und Folklore lassen sich dank der fortschreitenden Digitalisierung älterer Zeitschriftenbestände mittlerweile in größerem Umfang ermitteln. Aufschlussreich sind u.a. seine Aufsätze und Buchbesprechungen, die er 1919/20 in der Wiener Esra – Monatsschrift des jüdischen Akademikers veröffentlichte. Die Zeitschrift, von der nur acht Ausgaben erschienen2Ein vollständiger Bestand findet sich in der Judaica-Sammlung der Universitätsbibliothek Frankfurt/M. , verfolgte das Ziel, die gebildeten assimilierten Westjuden für den kulturellen Reichtum der traditionsbewussten osteuropäischen jüdischen Gemeinschaften empfänglich zu machen.3Vgl. z.B. Schmitzʼ Besprechung des Novellen-Bandes Die erste jüdische Republik (Berlin 1919) von Scholem-Alechem in H.5, S. 159f. Dieses kulturzionistische Programm prägte auch das übersetzerische Tun von Siegfried Schmitz. Man kann, wenn man das publizistische und übersetzerische Œuvre als Ganzes betrachtet, bei ihm sogar von einer ausgeprägten Politik der Translation sprechen.
Ab 1910 ist Schmitz als Übersetzer aus dem Jiddischen in Erscheinung getreten (Lebensaft 1993), zunächst durch Veröffentlichungen in Zeitschriften. Die Deutsche Nationalbibliothek nennt in ihrem Katalog für den Jiddisch-Übersetzer Schmitz 26 selbständig erschienene unterschiedliche Bücher; die meisten befinden sich am DNB-Standort Leipzig, einige auch in der Exil-Sammlung am Standort Frankfurt/M. Nach Auskunft des Katalogs übersetzte Schmitz ab 1917 und dann durch die ganzen 1920er Jahre Bücher von Isaac Leib Peretz (1852–1915), Scholem Alejchem (1859–1916) und Schalom Asch (1880–1957) für den Wiener, von Max Präger geleiteten Löwit-Verlag. Gemeinsam mit dem Verleger Präger gab Schmitz 1928 auch das Buch Jüdische Schwänke. Eine volkstümliche Studie heraus (Nachdruck 1964).4Vgl. das digital frei zugängliche Kapitel zur Geschichte des Richard Löwit-Verlags von Murray G. Hall (www.verlagsgeschichte.murrayhall.com/?page_id=370; Aufruf 2. August 2023).
Mit seinen sehr erfolgreichen Asch-Übersetzungen wechselte Schmitz 1929 zum Zsolnay-Verlag (Wien), der zwischen 1929 und 1932 elf Bücher von Asch in seiner Übersetzung veröffentlichte. Drei weitere Asch-Übersetzungen konnte Schmitz 1935, ‘36 und ‘38 in der Exilliteratur-Abteilung des Amsterdamer Verlags von Allert de Lange unterbringen. Zwei von Schmitz aus dem Jiddischen ins Deutsche gebrachte Bücher von L[amed] Schapiro (1878–1948)5Im DNB-Katalog werden die 1920 erschienenen Erzählungen Die Stadt der Toten irrtümlich einem „Leib Schapiro“ zugeordnet (Aufruf des Eintrags: 2. August 2023) und Joseph Opatoshu (1887–1954) erschienen 1920 und 1929 im ebenfalls im Umfeld der zionistischen Bewegung bzw. der „jüdischen Renaissance“ (Martin Buber) entstandenen Welt-Verlag (Berlin).
Das Wie seines Übersetzens ist unerforscht. An Quellen zur zeitgenössischen Rezeption der von ihm übersetzten Texte konnte ich bisher lediglich in Joseph Wulfs verdienstvoller Sammlung Theater und Film im Dritten Reich einen kurzen Text finden über eine Berliner Aufführung des Dramas Die Goldene Kette „von Jizchok Leib Perez in einer nach dem jüdischen Original ergänzten und freien Nachdichtung von Siegfried Schmitz“ (1966: 270f.)6Grundlage der Inszenierung im Berlin des Dritten Reiches war die 1917 in Wien erschienene, von Schmitz „aus dem Jüdischen“ [sic!] übersetzte Ausgabe (Perez 1917), ob Schmitz diese Fassung für die Berliner Inszenierung noch selbst überarbeitet hat, kann ich nicht sagen. Wulf dokumentiert einen (undatierten, aber nach 1935 verfassten) Bericht, den der Theaterkritiker und Nazi-Propagandist Hermann Wanderscheck über die Aktivitäten des Kulturbundes deutscher Juden verfasst hat, jener Organisation, die in den Jahren 1935 bis 1939 unter Aufsicht des Propagandaministeriums „den entlassenen und verfemten jüdischen Künstlern Arbeitsmöglichkeiten in einem Kultur-Ghetto zu verschaffen“ suchte (ebd.: 268). Ausführlich geht Wanderscheck auf die in einer chassidischen Rabbiner-Familie spielende Handlung des Dramas Die goldene Kette ein und schließt mit den Sätzen:
Diese Dichtung aus theologischer Vernunft gab Aufschluß über die Gefühlswelt des Chassidismus. Die Inszenierung zeigte starke symbolische Gestik und düstere Strenge. Die jüdische Darstellung war der rituellen Tendenz des Werkes verhaftet. (Zit. n. Wulff 1966: 271)
Anmerkungen
- 1Vgl. seinen warnenden Text Memento in Menorah Jg. 7 (1928), Nr. 9/10, September/Oktober 1929, S. 439–446.
- 2Ein vollständiger Bestand findet sich in der Judaica-Sammlung der Universitätsbibliothek Frankfurt/M.
- 3Vgl. z.B. Schmitzʼ Besprechung des Novellen-Bandes Die erste jüdische Republik (Berlin 1919) von Scholem-Alechem in H.5, S. 159f.
- 4Vgl. das digital frei zugängliche Kapitel zur Geschichte des Richard Löwit-Verlags von Murray G. Hall (www.verlagsgeschichte.murrayhall.com/?page_id=370; Aufruf 2. August 2023).
- 5Im DNB-Katalog werden die 1920 erschienenen Erzählungen Die Stadt der Toten irrtümlich einem „Leib Schapiro“ zugeordnet (Aufruf des Eintrags: 2. August 2023)
- 6Grundlage der Inszenierung im Berlin des Dritten Reiches war die 1917 in Wien erschienene, von Schmitz „aus dem Jüdischen“ [sic!] übersetzte Ausgabe (Perez 1917), ob Schmitz diese Fassung für die Berliner Inszenierung noch selbst überarbeitet hat, kann ich nicht sagen.