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Enrique Beck, 1904–1974

12. Februar 1904 Köln (Deutsches Reich) - 16. September 1974 Riehen (Schweiz)
Original- und Ausgangssprache(n)
Spanisch
Auszeichnungen
Orden der Befreiung Spaniens (1955)
Schlagworte
Übersetzte GattungenDramen, Lyrik Sonstige SchlagworteExil (NS-Zeit), Frankreich (Exil), Schweiz (Exil), Spanien (Exil) Übersetzerisches ProfilNachdichter

Mehr als ein halbes Jahrhundert lang galt Enrique (d. i. Heinrich oder auch Heinz) Beck als die deutsche Stimme des Dichters und Dramatikers Federico García Lorca (1898–1936). Bis auf den Diwan des Tamarit und die Sonette der dunklen Liebe, die zu seinen Lebzeiten noch nicht im Original publiziert waren, übertrug er das Gesamtwerk des am 19. August 1936 von Falangisten ermordeten Spaniers und prägte nachhaltig das Bild, das sich die Deutschen von Lorca machten. War er als dessen leidenschaftlicher Entdecker und verdienstvoller Wegbereiter lange Zeit überwiegend gelobt und weithin gewürdigt worden, so wird ihm heute vorgeworfen, dem deutschsprachigen Lese- und Theaterpublikum den Zugang zum „wahren“, zumindest zu einem „wahreren“ (Rudin 2000: 4) Lorca aufgrund sprachlicher, kultureller und translatorischer Inkompetenz sowie stilistischer Eigenmächtigkeiten verstellt zu haben.

Biographisches

Geboren am 12. Februar 1904 in Köln als Sohn des jüdischen Ehepaars Carl Beck und Hedwig Beck, geb. Meyer, wuchs Heinrich Beck in Hannover auf, wo er das Reformgymnasium Bismarckschule besuchte. Die galoppierende Inflation der beginnenden Zwanzigerjahre verhinderte ein Studium der Veterinärmedizin. Stattdessen schrieb sich Beck an einer Höheren Handelsschule ein, absolvierte eine kaufmännische und technische Lehre und arbeitete in diversen Druckereien. Daneben versuchte er sich als Theaterkritiker. 1927 eröffnete er in Köln ein Büro als selbstständiger Werbefachmann, drei Jahre später verlagerte er seine einträgliche Tätigkeit nach Hannover und Berlin. Ein früher Text aus seiner Feder handelt von der „Entelechie der Reklame“. Im Januar 1933 schloss er sich der antifaschistischen Widerstandsgruppe Komitee für proletarische Einheit an, dem Mitglieder der KPD, der KPD-O, der SPD und der SAPD, darunter der spätere IG Metall-Vorsitzende Otto Brenner, angehörten, und wirkte nach eigenem Bekunden an der Herausgabe der illegalen Zeitung Klassenkampf mit. Als er Ende August von seiner bevorstehenden Verhaftung erfuhr, bestieg er „um 00.05 Uhr den Zug nach Basel – es war fünf Minuten nach zwölf“ (Petignat 1974) und der Beginn eines lebenslangen Exils.

Als ihm die Schweiz eine längerfristige Aufenthaltsgenehmigung verweigerte, erlangte Beck nach vergeblichen Bemühungen um Asyl in Frankreich oder Großbritannien ein Einreisevisum nach Spanien. Anfang 1934 traf er in Barcelona ein, wo er sich als ambulanter Zeitungsverkäufer, Vertreiber politischer Emigrantenliteratur und Designer von Gebrauchsgegenständen über Wasser hielt und erste Spanischkenntnisse erwarb. Im Laufe des Jahres trat er der Unió Socialista de Catalunya und dem Komitee gegen Krieg und Faschismus bei. In Letzterem war er zuständig für die Betreuung von Flüchtlingen und wurde alsbald Vorsitzender der deutschen und österreichischen Sektion. Nach dem Putsch des Militärs unter General Franco gegen die Zweite Spanische Republik und dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs am 17. Juli 1936 kämpfte er mehrere Tage lang in einer bewaffneten Miliz zur Verteidigung der Republik. Nachdem er gegen die Vereinigung verschiedener sozialistischer Gruppierungen mit der Kommunistischen Partei Spaniens zur Partit Socialista Unificat de Catalunya (PSUC) und gegen den immer stärker werdenden Einfluss der Kommunisten protestiert hatte, wurde er im August wegen des Verdachts auf „Zellenbildung“ aus einem Lazarett heraus verhaftet und in die Parteizentrale des PSUC im besetzten Hotel Colón geschafft, jedoch von einer Patrouille befreit und vom anarchistisch dominierten Zentralkomitee der antifaschistischen Milizen von allen Vorwürfen entlastet.

Von literarischer Tätigkeit jedweder Art konnte bis dahin nicht die Rede sein. Nun aber trat die entscheidende Wende in seinem Leben ein. Zur Nachbehandlung im Wartezimmer eines Arztes, blätterte Beck, so seine eigene Darstellung, in einem Artikel über Federico García Lorca:

Ich durchlas ihn, ohne zu wollen, mechanisch, um die Langeweile zu vertreiben, und stiess auf ein paar Verse, ich glaube aus „Dichtung vom tiefinnern Sang“, griff nach meiner Füllfeder oder nach meinem Bleistift: Der Blitz hatte eingeschlagen, ich war verliebt wie sonst nur in Frauen, kaufte mir die „Zigeunerromanzen“ und übersetzte […]. (Beck: So war es. War es so?, zit. nach Rudin-Bühlmann 1993: 31)

Wenn man der Schilderung einer regelrechten Epiphanie Glauben schenken darf, war es dieser coup de foudre, der den Werbetexter zum Nachdichter, den Sprachautodidakten zum Lyrikexperten, den exilierten Deutschen zum imaginierten Spanier und Heinrich Beck zu Enrique Beck1Der genaue Zeitpunkt der Umbenennung, ob bereits 1936 oder erst 1938, ist nicht bekannt, doch ist sie von einiger Signifikanz: „Namensgebung ist alles andere als ein unschuldiger Akt. […] Denn Benennen ist Aneignen, ist Eingliedern, ist Einverleiben. […] Eine Namensänderung bedeutete eine Machtverschiebung. Namen sind also alles andere als bedeutungslos austauschbar. Sie sind keine nebensächliche Angelegenheit. Namen versprechen Ansehen. Sie sind Identifikationsmittel. Und: Namen stellen Zugehörigkeiten dar. […] Insofern ist Heinrichs Umbenamung auch kaum Ausdruck seines Angekommenseins (in einer realen spanischen Identität), sondern vielmehr Zeichen seiner Wunschidentität“ (Spieler 2014: 188f.). machte. Der mittel- und heimatlose Emigrant hatte seine Bestimmung und Berufung gefunden. Er hispanisierte sich, und er poetisierte sich. Zwar engagierte er sich auch weiterhin politisch, etwa im Internationalen Antifaschistischen Emigrantenkomitee, geriet nach antikommunistischen Äußerungen abermals in Haft und wurde erneut entlassen. Nach den „Maiereignissen“ von 1937, bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen innerhalb der republikanischen Zone Barcelonas zwischen dem PSUC einerseits und Anarchosyndikalisten und Trotzkisten andererseits, wurde Beck ein drittes Mal arrestiert und anfangs in einem Lagerraum, sodann im Zentralgefängnis von Barcelona monatelang gefangen gehalten und erst nach Intervention des sozialdemokratischen Innenministers der Zentralregierung in mildere „Ehrenhaft“ genommen. Im Dezember 1937 erhielt er eine Ausreisegenehmigung nach Frankreich, wurde jedoch an der Grenze, angeblich wegen eines belastenden Dokumentenfundes, in seiner Wohnung zum vierten Mal verhaftet. Anfang Februar 1938 von der Anklage des Hochverrats und der Spionage freigesprochen und wenig später aus der Haft entlassen, durfte er nun endlich nach Frankreich ausreisen, von wo aus er im April 1938 illegal Schweizer Boden betrat.

Doch unbeschadet der widrigen äußeren Bedingungen blieb Beck seiner Obsession treu. Lorca füllte die Lücke, welche Flucht, Exil, Bürgerkrieg und mehrfacher Gewahrsam sowie der Verlust seiner „makellosen [politischen] Überzeugung“ (zit. n. Rudin-Bühlmann 1993: 38) in sein Leben gerissen hatten:

[Ich] übersetzte, auf nichts anderes erpicht, trunken, krank, während Bombardements, hungrig, weniger hungrig, gleichviel. Von des Grossen Bruders kleinen Brüdern verhaftet, des Hochverrats, Defaitismus, Diebstahls, Raubes, der faschistischen Zellenbildung, Spionage, Menschfresserei – ich entsinne mich nicht mehr der Katalogdetails – vielleicht auch der Päderastie, Sodomie, Notzucht etc. – bezichtigt: ich übersetzte; die Manuskripte wurden beschlagnahmt, ich erwirkte ihre Rückgabe, arbeitete, änderte: nie dachte ich an Edition – wo auch? (Beck: So war es. War es so?, zit. nach Rudin-Bühlmann 1993: 39).

Im Sommer 1938 begegnete Beck in Zürich der Altistin Ines Leuwen (d. i. Agnes Löwenstein, 1902–1976), Stieftochter des expressionistischen Dramatikers Carl Sternheim und gleichfalls deutsch-jüdische Emigrantin, die seine Lebens- und Leidensgefährtin, seine Alleinerbin, Nachlassverwalterin und schließlich Stifterin der 1976 gegründeten Heinrich Enrique Beck-Stiftung werden sollte. Auch sie verliebte sich zunächst in Lorca, den Poeten, und in Beck, den Übersetzer:

Als ich Enrique kennenlernte, machte er mir gar keinen Eindruck, er sah elend und kränklich aus. Dann las er mir aus den Zigeunerromanzen, die er zu seiner ganz privaten Freude, aus hingerissener Begeisterung und Liebe zu dem Dichter Lorca, übertragen hatte, vor, und zwar als erstes Grün ich liebe Dich grün … Der Eindruck auf mich war unbeschreiblich: ich hatte das Gefühl von einem Lastwagen überfahren zu werden … es war wie ein metaphysischer Einbruch in meine Welt. Ich empfand mich im wahrsten Sinne des Wortes „Lorca“ verfallen, verliebte mich leidenschaftlich in die Verse der Zigeunerromanzen und ebenso in die fabelhafte deutsche Sprache Enriques. (Zit. n. Rudin-Bühlmann 1993: 41)

Nach kurzem Aufenthalt in Liechtenstein und Bekanntschaft mit dem ebenfalls in die Schweiz geflüchteten deutschen Dramatiker Georg Kaiser (1878–1945) konnte Beck erste Lorca-Übertragungen und -Aufsätze veröffentlichen, und es gelang ihm, jene „Edition“ zu lancieren, an die er „nie gedacht“ hatte: Im September 1938 brachte der Zürcher Verlag Stauffacher Lorcas Zigeunerromanzen heraus, über die Thomas Mann, sicherlich auch aus Solidarität mit dem Exilgenossen, befand:

Die Gedichte haben in ihrer Wildheit und Zartheit einen starken Eindruck auf mich gemacht; man empfindet auch nichts von der sprachlichen Gezwungenheit, die meistens Übersetzungen von Lyrik anhaftet. (Brief an Beck, 28. August 1938, zit. n. Rudin-Bühlmann 1993: 43)

Beck, laut Ines Leuwen „durchaus Sozialist und ganz links, aber nicht Kommunist, auch nicht Trotzkist“ (zit. n. Rudin-Bühlmann 1993: 45), bettelarm, physisch und psychisch zermürbt, aufgrund einer Verwechslung kurzfristig ein weiteres Mal inhaftiert, ständig von Ausweisung, Abschiebung oder Auslieferung nach Deutschland bedroht und mit dem Verbot jeglicher Erwerbstätigkeit belegt2„Ich habe so etwas von gänzlich erbarmungsloser Bürokratie und giftiger Reaktion noch nie gesehen – in einem so demokratisch bemäntelten Lande: In Bern sitzen Skorpione über den Akten, die mit ihrem eigenen Stachel und ihrem eigenen Gift die Akten beschreiben“ (Beck: Brief an die American Guild for German Cultural Freedom, Mitte Juli 1939, zit. nach Rudin-Bühlmann 1993: 50)., konnte mithilfe Ines Leuwens und einflussreicher Gönner wie Hermann Hesse, André Gide, Alexander Moritz Frey, Erika Mann und Annette Kolb immer wieder „Erstreckungen der Frist zur Ausreise aus der Schweiz“ erwirken und sich nach mehreren Anläufen finanzielle Unterstützung sowohl durch die Basler Hilfsstelle für Flüchtlinge als auch durch die American Guild for German Cultural Freedom sichern – monatliche Stipendienzahlungen, die ihm die Arbeit an Lorcas Theaterstück Bodas de sangre ermöglichten. Die Uraufführung der Bluthochzeit fand mit einer Sondergenehmigung der schweizerischen Fremdenpolizei am 15. April 1944 im Schauspielhaus Zürich statt. Doch gesundheitliche Probleme, familiäre Katastrophen – beide Eltern hatten sich vor dem Zugriff der Gestapo das Leben genommen, der Vater bereits 1937, die Mutter 1941 –, die äußerst prekäre Exilsituation und die nach der Niederlage der Spanischen Republik hinfällig gewordene ministerielle Autorisierung seiner Übersetzungen Lorcas ließen die weitere Übersetzungsarbeit stocken. Von 1941 bis 1944 verfasste Beck eigene Gedichte: die Sammlungen Pairi Daëza, Melete und Aoide, Das offene Antlitz und Mneme.

Es verwundert nicht, dass in Briefen aus dieser Zeit erstmals die Sehnsucht nach einem auch aus der mediterranen jüdischen Herkunft hergeleiteten geistigen Wunschort, nach einem Identifikationsobjekt anklingt, so in einem Schreiben vom 20. Januar 1939 an Álvarez del Vayo, den sozialistischen Außenminister der Spanischen Republik, den Beck in Genf aufgesucht hatte:

Nichts existiert, als das Band, das mich mit dem spanischen Volk verbindet – das Band der Bewunderung, das Band der antifaschistischen Überzeugung und, überdies, das Band der Gleichartigkeit jener, deren Vorfahren an den Ufern des Mittelmeers geboren worden sind. […] Niemand wird mich daran hindern können, mich als Spanier, Europäer, Sozialist, Antifaschist zu fühlen. (Zit. n. Rudin-Bühlmann 1993: 139–140, Dokument 45, Original spanisch)

Oder, am 12. März 1945, in einem Brief an Georg Kaiser:

Ich will in den Süden. Man hat mich ermordet. Und ich will auferstehen. Im Süden. Ach, ich armes armes Eselchen. Ich will in den Süden. (Ebd.: 138, Dokument 44)

Ebenso, am 2. März 1946, an Lorcas Bruder Francisco in New York:

Ich möchte nach Spanien zurückkehren, ans Mittelmeer, wo ich, glaube ich, vor einigen tausend Jahren geboren wurde – geistig. Ich liebe das spanische Volk, seine Lebensart, seine alte Kultur; ich liebe die Landschaft, das Klima. Ich möchte zurückkehren, lasst mich zurückkehren. (Ebd.: 144–145, Dokument 49, Original spanisch)

Überzeugt, „dass die Einführung Lorcas in das deutsche Sprachgebiet ein literarisches und kulturelles Ereignis ist, wie die Einführung Shakespeares es war“ (Beck: Brief an Oberer, 27. Juli 1944, ebd.: 57), bemühte Beck sich hartnäckig, wenngleich zunächst ohne Erfolg, sowohl um weitere Buchausgaben als auch um die alleinige Berechtigung seiner übersetzerischen Tätigkeit durch Lorcas Erben, vertreten durch den jüngeren Bruder des Dichters, Francisco García Lorca. Inständig bat er diesen um Bestätigung, „dass ich befugt bin: 1. das gesamte Werk Ihres Bruders zu übersetzen 2. dass ich als einziger zur Übersetzung ins Deutsche befugt bin“ (Beck: Brief an Francisco García Lorca, 15. September 1945, ebd.: 142, Dokument 48, Original spanisch). Nach Fürsprache Thomas Manns erfolgte die ersehnte Bestätigung, vorerst allerdings nur in Form eines Telegramms vom 15. Februar 1946:

Ich bestätige Sie als den einzig ermächtigten übersetzer des gesamten werkes von federico garcia lorca ins deutsche […]. (Ebd.: 59)

Nunmehr konnte sich Beck, rechtlich abgesichert, mit ganzer Kraft und geradezu missionarischem Eifer der selbstgewählten Aufgabe widmen, Lorca ins Deutsche zu transponieren. Von 1947 bis 1959 in Basel wohnend, unterbrochen von Reisen in die Schweizer Alpen, nach Frankreich und Italien, übersetzte er weitere Bühnenstücke Lorcas, die immer häufiger auch in Deutschland zur Aufführung gelangten, und baute ab 1952 eine tragfähige Geschäftsbeziehung mit dem Insel Verlag Wiesbaden (später Frankfurt am Main) auf.

Am 30. Januar 1955 verlieh ihm die spanische Exilregierung in Paris den Orden der Befreiung Spaniens, die einzige bezeugte öffentliche Ehrung Becks:

Durch seine Treue der Republik gegenüber, durch seine Liebe zu Spanien, welches ihm von 1933 bis 1938 Asyl und Freiheit bot, durch seine Verehrung der Spanischen Literatur und seine Hingabe an einen der größten unter den Dichtern, die sie bereicherten, hat Enrique Beck sich des Vertrauens und der Dankbarkeit der freien Spanier würdig gezeigt. Nachdem der Orden der Befreiung Spaniens per Dekret vom 3. September 1947 gegründet worden ist, um herausragende Leistungen im Dienste der Freiheit Spaniens auszuzeichnen, gewähre ich hiermit […] Don Enrique BECK die Aufnahme in den zivilen Orden der Befreiung Spaniens, im Range eines Ritters. (Ebd.: 151, Dokument 53, Original spanisch)

1955 war aber auch das Jahr, in dem die Mutter und die Schwestern Lorcas sowie die schwedische Theateragentin Karin Alin seinen Alleinvertretungsanspruch bestritten und, in Gestalt des Österreichers Hans Weigel, ein Literaturkritiker erstmals vehement gegen Becks Monopol ebenso wie gegen die Manieriertheit seines Stils polemisierte:

Vor allem aber ist und bleibt die Übersetzung des leider unvermeidlichen Enrique Beck ein gewaltiges Hindernis auf dem Wege zur Erschließung Lorcas. Etliches wurde notdürftig retuschiert, allzuviel blieb in der „einzig berechtigten“ Version, die holpert und stolpert und an dichterische Ergüsse bei Vereinsabenden gemahnt. Da wird nachgestellt jedes Objekt, es wird bestickt die Fahne, es wird verschandelt die Sprache, dem Metrum zuliebe ist von einer „Freimau’rin“ die Rede, und in derart frei maurischem Stil macht sich der Beck zum Gärtner im blumigen Land der Poesie. (Weigel 1955)

Dieses harsche, sarkastische Urteil muss Beck zutriefst gekränkt haben. Die vor seinem biographischem Hintergrund verständliche Empfindlichkeit gegenüber kritischen Einwänden war bereits Ende Mai 1953 zum Ausbruch gekommen: „Die meisten Kritiker von Rang sind tot, nur sehr, sehr wenige verbleiben. Die Mehrzahl ist aus dem absoluten Nichts emporgekommen – und schreibt mit billigster Tinte (manchmal mit offenkundig brauner) des Boulevard-Typs“ (Zit. nach Rudin-Bühlmann 1993: 70). Im Falle Weigels freilich handelte es sich um einen zwar konservativen, aber ernst zu nehmenden Literaturkenner ebenfalls jüdischer Herkunft, der von 1938 bis 1945 seinerseits Zuflucht in der Schweiz gesucht hatte.3Auch der Emigrant Bertolt Brecht zeigte sich, wenngleich nur privat, frühzeitig skeptisch: „ich blättere in lorcas gedichten, in der mäßigen übertragung durch beck“, las aber doch „mit genuß“ (Tagebucheintrag, 29. Dezember 1950, Brecht o. J.: 425).

Moniert wurden auch das „Schreckensregiment“ des „Übersetzers als Diktator“ (N. N. 1955), Becks autoritäre Machtansprüche, seine Interventionen bei Inszenierungen, sein unablässiger Kampf um künstlerische Anerkennung seitens der literarischen Öffentlichkeit. Gleichwohl ließen sich die Streitigkeiten mit Lorcas Familienangehörigen 1956 durch die Aushandlung eines schriftlichen Vertrags beenden, der Becks Alleinrecht auf Übersetzungen ins Deutsche bekräftigte. Drei Jahre später wurde Beck nach einigem bürokratischen Hin und Her in Basel eingebürgert – in formeller, vermutlich nur formeller Hinsicht war sein Exil damit beendet. Auch durch die Eheschließung mit Ines (hispanisiert: Inés) Leuwen im Folgejahr stabilisierten sich seine bürgerlichen Verhältnisse. Seine angeschlagene Gesundheit freilich verschlechterte sich zusehends. Beck litt an Schlaflosigkeit, Konzentrationsschwäche und einem Darmgeschwür. Auch die sich Ende der sechziger Jahre häufenden Anfeindungen durch Kritiker, Intendanten und Regisseure dürften ihm zugesetzt haben. Nur sieben Monate nach seinem siebzigsten Geburtstag verstarb Beck am 16. September 1974 an seinem letzten Wohnort in Riehen bei Basel. Zuvor hatte der Schriftsteller und Übersetzer Günter W. Lorenz dem Jubilar, einem „Einzelgänger in der deutschen Literatur“, ein bedeutsames Wächteramt bescheinigt:

[…] Beck war unbequem geworden: dem Franco-Regime durch sein unermüdliches Eintreten für einen in Spanien verpönten Dichter, den pseudoliterarischen Literatur- und Theaterrevolutionären hierzulande durch sein Veto gegen die Umfälschung von Lorcas Werk in „progressives“ Theater. Denn Beck wachte und wacht unnachsichtig über dieses Werk, dem er sein Leben und sein eigenes dichterisches Opus untergeordnet hat. (Lorenz 1974)

Übersetzerisches Profil

Trotz angegriffener Gesundheit, bitterer Armut und lange verweigerter Arbeitserlaubnis (diese wurde ihm erst 1950 erteilt!) gelang es Beck von seinem Schweizer Exil aus, Lorca auch in jenem Land zum Durchbruch zu verhelfen, das ihn vertrieben hatte, an das er 1954 Entschädigungsansprüche stellte (vier Jahre später wurde diesen in zweiter Instanz stattgegeben) und in das er keinesfalls zurückkehren wollte: Deutschland. Lorcas Bühnenstücke wurden landauf, landab in Becks Versionen dargeboten, Becks übersetzerisches Werk mit Ausgaben der Insel-Bücherei und der Bibliothek Suhrkamp geadelt. Häufig beliefen sich die Druckauflagen der von ihm übertragenen Gedichtbände auf Zehntausende Exemplare. Im Alleingang hatte er – dies sein unbestreitbares Verdienst – Lorcas Dichtungen und Dramen im deutschsprachigen Raum nicht nur bekannt gemacht, sondern so erfolgreich durchgesetzt, dass Lorca zum meistgelesenen und meistgespielten spanischsprachigen Autor avancierte.

Enrique Beck stellt einen Sonderfall in der deutschen Übersetzungsgeschichte des 20. Jahrhunderts dar. Da ist zum einen seine jahrzehntelang unangefochtene, wenn auch nicht selten beklagte Monopolstellung. Titel- oder Impressumseiten der von ihm übersetzten Bücher waren fast ausnahmslos mit dem Zusatz „einzig autorisierte“ beziehungsweise „einzig berechtigte Übersetzung“ versehen. Nur wenige Vertreter der Zunft hatten eine ähnlich starke Position inne: etwa der österreichische Schriftsteller und Shaw-Übersetzer Siegfried Trebitsch (1868–1956), der sich ebenfalls die ausschließlichen Übersetzungsrechte ins Deutsche zu verschaffen wusste und dessen Schicksal als jüdischer Emigrant (erst in Paris, danach in Zürich) etliche Parallelen aufweist. Becks Status als Statthalter und Verwalter Lorcas, im Verein mit einer geschickten Vermarktungsstrategie, verhalf ihm gegen Ende seines Lebens zu einer gewissen Machtfülle und zu einem nicht unbeträchtlichen Einkommen. Mit einigem Recht konnte er die ihm zufließenden Tantiemen vor allem aus Theateraufführungen, aber auch aus Buchverkäufen als Akt der Wiedergutmachung für die erlittenen Entbehrungen und für seinen aufopferungsvollen Einsatz begreifen.

Indes war die von Beck eingeforderte „Exklusivität“, anders als bei Trebitsch, von Anfang an zweifacher Natur. Nicht nur hatte Beck ein Monopol auf Lorca, Lorca hatte sozusagen auch ein Monopol auf Beck. Nicht nur duldete Beck keine anderen Lorca-Übersetzer neben sich, er duldete auch keine anderen Dichter neben Lorca.4„Er war das einzige lyrische Genie dieser Zeit dekadenter psychopathischer Allerweltsschmerzreimer, anämischer parfümierter Salonpoetaster, hochstapelnder sich avantgardistisch gebärdender Versgewerbetreibender.“ (Beck in der Beilage zu einem Brief an die American Guild, 12. November 1938, zit. nach Rudin-Bühlmann 1993: 115, Dokument 20). Die Selbstlosigkeit, mit der er sich ganz und gar in den Dienst eines Autors stellte, gepaart mit einem ausgeprägten Sendungsbewusstsein, hat im deutschen Sprachraum nicht ihresgleichen. Kaum ein Übersetzer hat sich so ausschließlich und mit nie nachlassender Energie einem einzigen Œuvre verschrieben, kaum ein Übersetzer sein künstlerisches Schaffen so misslichen Umständen abgerungen. Lorca war Becks Lebensaufgabe und Lebensleistung, wenn nicht gar sein Lebenssinn und Lebenszweck. Die einmal entflammte Liebe zu einem Dichter, der in seinen Dramen jenen Beck überaus vertrauten „Zusammenprall von zwei Mächten“ thematisierte, „die wir als Prinzip der Autorität und Prinzip der Freiheit bezeichnen können“ (Pörtl 1992: 473), verließ ihn zeitlebens nicht.

Zum anderen kann Beck als „Ausnahmephänomen des sichtbaren Translators“ (Hoeffle 2003) gelten. Sichtbar war er nicht nur im Literaturbetrieb: Entgegen den damaligen Gepflogenheiten prangte sein Name meist schon auf dem Buchumschlag, regelmäßig meldete er sich mit erläuternden Einführungen, Artikeln, Vorabdrucken und Briefen zu Wort. Sichtbar war er auch, was seine eigenwillige übersetzerische Handschrift betrifft, die man als „Superimposition“, als Überlagerung des Originals durch den höchst subjektiven Sprachduktus des Übersetzers, bezeichnen muss.

An Sichtbarkeit gewann er darüber hinaus durch Adaptionen seiner Bühnenfassungen in der Sphäre der Musik. Zwei Übersetzungen Becks dienten, textlich nahezu unverändert, als Vorlage für Wolfgang Fortners (1907–1987) erfolgreiche Opern Bluthochzeit. Lyrische Tragödie in zwei Akten (sieben Bildern) (UA am 8. Juni 1957 im Opernhaus der Stadt Köln) und In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa. Vier Bilder eines erotischen Bilderbogens in der Art eines Kammerspiels (UA am 10. Mai 1962 im Schloßtheater Schwetzingen). Udo Zimmermanns (1943–2021) Die wundersame Schustersfrau. Oper in zwei Akten (UA am 25. April 1982 im Schloßtheater Schwetzingen) und Aribert Reimanns (*1936) Bernarda Albas Haus. Oper in drei Akten (UA am 30. Oktober 2000 im Nationaltheater München) beruhen ebenfalls auf den Fassungen Enrique Becks. Der Italiener Luigi Nono (1924–1990) versah seine Musik für das Ballett Der rote Mantel von Tatjana Gsovsky nach Lorcas In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa mit „Vokaltexten“ von Enrique Beck (UA am 1. Oktober 1954 im Berliner Theater des Westens).

Auch Becks Lyrikübertragungen wurden vielfach vertont. Hermann Reutter (1900–1985) komponierte gleich vier Liederzyklen nach Lorca (Drei Zigeunerromanzen, Ein kleines Requiem, Spanischer Totentanz und Andalusiana), Tilo Medek (1940–2006) deren zwei (Yerma, Drei Lieder), und Walter Steffens (*1934) schuf das Chorwerk Siguiriya – ein weiterer Umstand, der für die Wirkmächtigkeit der Beck’schen Übertragungen spricht: Komponisten haben ein untrügliches Gespür für Tonfall, Sangbarkeit und rhythmische Qualität. In seiner Trauerrede für Beck hielt Wolfgang Fortner fest:

Ich lernte Beck als den kennen, der Lorcas Werk in kongenialen Nachdichtungen uns, die in der deutschen Sprache denken, erschloss. Das Beck’sche Wortgesamt liess mich zum Komponisten von Lorcas ‚Bluthochzeit‘ und ‚Perlimplín‘ werden. Ich hätte eine philologisch noch so korrekte Übersetzung des grossen Spaniers wahrscheinlich nie komponieren können; durch Beck wurde Lorcas Werk für mich originale deutsche Dichtung, die ich in den inneren Rhythmus meiner Musik übersetzen konnte.5Online unter: http://archiv.beck-stiftung.ch/app/de/public/knowledgenet/taxonomy/61/62/I/122 (letzer Aufruf 10. September 2022).

In der Tat wurde den Opernlibretti von der Kritik vielfach ein hohes sprachliches Niveau bescheinigt.

Zu der von ihm verfolgten Übersetzungsstrategie sind von Beck so gut wie keine Äußerungen überliefert; in seinen Vor- und Nachbemerkungen konzentriert er sich meist auf Lorca selbst. An einer Stelle bekundet er, sich „ephemerem Geschmack im Bereich deutscher Sprache“ (Nachbemerkung in Lorca: Briefe an Freunde 1966: 260) nicht unterwerfen zu wollen. An Lorcas Bruder Francisco schreibt er lediglich:

Das Übersetzen, das heißt: Reproduzieren, erfordert eine riesige und gewissenhafte künstlerische Arbeit, besonders, wann man die lebendige Essenz der Dichtung Ihres Bruders in gleichartige Formen fassen will. (Zit. nach Rudin-Bühlmann 1993: 58)

Insofern muss Becks Übersetzungsmethode aus den Übersetzungen selbst extrapoliert werden – Texten, die er zwar von Auflage zu Auflage, von Ausgabe zu Ausgabe revidierte und zu verbessern suchte, in denen sich jedoch teils verhängnisvolle Tendenzen beobachten lassen. So neigt Beck, wie sich an zahllosen Details belegen ließe, dem „poetischen“ Effekt zuliebe zu einem romantisierenden, ästhetisierenden und exotisierenden Sprachgestus sowie zu archaischer und regionaler Wortwahl, um nur die wichtigsten Stichpunkte zu nennen. Eine Strophe des Gedichts Patio húmedo aus Lorcas Libro de Poemas (1921) und Becks Übertragung Feuchter Hof mag genügen, um seinen Hang zu intensivierendem, interpretierendem, paraphrasierendem und kommentierendem Übersetzen zu veranschaulichen:

¡Oh, torre vieja!
Llora
Tus lágrimas mudéjares
Sobre este grave patio
Que no tiene fuente.

(Lorca: Die Gedichte 2008: I,42/43; vgl. Muster 1991: 132)
Weine, o alter Turm, deine
Tränen christlicher Baukunst
und arabischer Ornamentik
über diesen tiefernsten Hof,
darin kein Springbrunnen spielt.

Ist hier die „lebendige Essenz der Dichtung […] in gleichartige Formen“ gefasst? Die kurzen Verse werden aufgefüllt und ausgedehnt, die Mudejaren – arabische Muslime unter der Herrschaft der Reconquista – aufs Architektonische reduziert, die Großschreibung am Zeilenanfang aufgegeben, der Brunnen als Springbrunnen vereindeutigt, die nüchtern-schnörkellose Sprache des Originals aufgehübscht. Hinzuerfunden sind der tiefernste Hof und das Spiel des Springbrunnens. Zweifellos eine schöne Gedichtstrophe, jedoch keine werkgetreue Übertragung.

Allein diesem einen Beispiel, das bei Weitem nicht so extrem anmutet wie viele andere seiner Lösungsversuche, lässt sich entnehmen, auf welche Weise Beck seinem Autor ein Sprachgewand überwirft, das ihn mitunter bis zur Unkenntlichkeit verdeckt. Beck, der passionierte Verfechter Lorcas, ist zuvörderst seinem eigenen Sprach- und Dichtungsideal verpflichtet. Die Alterität, die er bei Lorca vorfand oder vorzufinden glaubte: das Spanische, das Andalusische, das Maurische, das Volkstümliche, das „Zigeunerische“, wird von Beck in ein Deutsch eingemeindet, das den Leser vom authentischen Lorca der Tradition und der Moderne, der Folklore und der Avantgarde, des Realismus und des Experiments entfernt – und dies vermittels eines künstlichen, oft preziösen Idioms, das allererst mit seiner persönlichen Vorstellungswelt korrespondiert. Als Übersetzer schreibt Beck so, wie er geschrieben hätte, wäre er selbst Dichter geblieben. Dazu gehört seine Vorliebe für verniedlichende Diminutiva („Mägdelein“), ausgefallene Wendungen („das mütterlich Schöpfwerk“, „knorrig Gewurzel“) und skurrile Wortschöpfungen („Leidweg“ für calvario). Die bei aller – sei es symbolistischen, sei es surrealistischen – Metaphorik schlanke und schlichte Diktion Lorcas, die weitestgehend der Alltagssprache abgelauscht ist, weicht einem gehobenen, ja hochartifiziellen Ton.

Stellen wie die oben angeführte verdanken sich nicht etwa dem Zufall, gelegentlicher übersetzerischer Fahrlässigkeit oder einzelnen Fehlleistungen; vielmehr entspringen sie einem durchgängigen Konzept von nachgerade existentieller Bedeutung. Zwar hatte sich Beck „mit dem Werk [Lorcas] identifiziert“ (Beck: Brief an Francisco García Lorca, 31. Juli 1946, zit. n. Rudin-Bühlmann 1993: 62, Original spanisch), verwandelte dieses im Akt der Übertragung jedoch seiner eigenen Poetik an. Eine so idiosynkratische Form kultureller Aneignung – durch Überidentifizierung einerseits, Entidentifizierung andererseits – verdankt sich möglicherweise einer anhaltenden Identitätskrise. Von Ulrike Spieler wird denn auch Becks spezifische Übersetzungsethik und -politik biographisch verortet und im triangulären Spannungsverhältnis von Identität, Professionalität und Kulturalität angesiedelt. Mittels einer systematischen Wortfeldanalyse attestiert sie Beck die Überführung spanischer Kultureme und Realia in ein von der deutschen Romantik beeinflusstes Spanien- wie auch Deutschlandbild, welches reines Wunschbild gewesen sei. Dahinter stehe der Versuch einer „Identitäts(re)konstruktion mittels Übersetzung“, der Beck’sche Lorca sei „nicht das Produkt einer reinen Übersetzungs-, sondern mehr noch einer Identifikationshandlung“ (Spieler 2014: 23), des prozessualen Erwerbs einer hybriden Identität. Ihr Resümee lautet:

Ein zwischen die Fronten des letzten Jahrhunderts geratener, von den Machtkämpfen zerriebener und entwurzelter Mensch. Beck sah zu, sich erneut in einem „System“ zu orientieren. Gegen seine deutschen Wurzeln sprach das NS-Regime, einer Verwurzelung in Spanien stand das Franco-Regime im Weg, die Schweiz verhielt sich mehr als reserviert. Er rettete sich in ein Dazwischen, den „Dritten Raum“ der Übersetzung. […] Das Übersetzen bot ihm den Rahmen, gab ihm den Raum dafür: ein „Gehäuse“. Insofern war Übersetzen für Beck augenscheinlich eine identitätsstiftende Handlung. Er fand, er konstruierte seine eigene Identität anhand der fremden. (Spieler 2014: 22f.)

Mit einer derartigen Interpretation ließe sich in der Tat Becks geradezu trotziges Beharren auf den einmal eingenommenen übersetzerischen Positionen, seine poetische „Einverleibung“ Lorcas zufriedenstellend erklären.

Kritik, Kontroverse, Eklat

Becks Übertragungen wurden anfänglich mit Respekt und Wohlwollen, ja Bewunderung aufgenommen. In der ersten Besprechung der Zigeunerromanzen wird ihm ein gutes Zeugnis ausgestellt:

Die Übersetzung […] hat eine Volkstümlichkeit und einen Adel, eine Arglosigkeit und einen Schwung, die sie hinter die Urschrift nicht allzu weit werden zurücktreten lassen. (Politzer 1939: 550)

Noch 1961 konstatiert Günter W. Lorenz in seiner Lorca-Monographie, der ersten deutschsprachigen überhaupt:

Becks Übersetzungen stellen einen der wenigen Glücksfälle der Weltliteratur dar, in dem ein großer Dichter einen ebenbürtigen Nachdichter und Interpreten findet. (Lorenz 1961: 261)

1974 hingegen regte sich im Rahmen einer systematischeren Übersetzungskritik in einer Fachpublikation erstmals grundsätzlicher Widerspruch. Der Romanist Klaus Pörtl wies auf gravierende Mängel in Becks Übertragung des Romancero Gitano hin, die von Auslassungen und Hinzufügungen über die Vernachlässigung von Assonanzen und Parallelismen bis hin zu gesuchter, ungenauer, unglücklicher oder fehlerhafter Wortwahl reichten und vor allem einem zwanghaft durchgehaltenen Versmaß geschuldet seien. Freilich ging Pörtl in seiner Bewertung von fragwürdigen Prämissen aus: dass „es unmöglich ist, eine lyrische Dichtung in einer fremden Sprache auch nur annähernd adäquat wiederzugeben“ (Pörtl 1974: 183), und dass „die Übersetzung eines lyrischen Kunstwerks der nachherigen Kommentierung bedarf“ (Pörtl 1974: 184). Auch vertrat er, an Friedrich Schleiermacher anknüpfend, apodiktische Positionen wie:

[…] Beck versucht, den Autor in die Sprache des Lesers zu führen. Das ist jedoch ein prinzipiell falscher, dem Werk des Dichters abträglicher Ausgangspunkt. (Ebd.: 201)

oder:

Ein dichtender Übersetzertyp wird für diese Arbeit in der Regel weniger in Frage kommen als vielmehr der geschulte Philologe […]. Auf jeden Fall darf die Übersetzung nie den Anspruch eines eigenständigen Kunstwerks erheben. (Ebd.: 202)

Sosehr Becks dichterischer Antrieb seinem übersetzerischen Tun im Wege stand, den Anspruch eines eigenständigen Kunstwerks durfte, ja musste er erheben, so wie jeder andere Lyrikübersetzer auch. Eine besondere Rolle für Pörtls negatives Urteil spielt Becks Verwendung des seit Herder und den Romantikern im Deutschen fest verankerten trochäischen Tetrameters, der „spanischen Romanze“, deren Urbild, die meist achtsilbige lyrisch-epische Verserzählung romance, Lorca jedoch durch freiere Rhythmen und Themen gerade aufgebrochen hatte. In der Tat zwängt Beck Lorcas Verse in ein strenges metrisches Korsett; semantische Präzision und Plastizität des Ausdrucks sind für ihn nicht oberstes Gebot. Aufgrund seiner Priorisierung der Metrik sieht er sich immer wieder zu syntaktischen und stilistischen Verrenkungen genötigt.

Die stetig lauter werdende Kritik (vgl. Marx 1984, Muster 1991) galt keineswegs nur dem bekanntesten Gedichtband Lorcas, den eingedeutschten Zigeuner-Romanzen, sondern ausnahmslos allen lyrischen und dramatischen Übersetzungsarbeiten Becks. Gerügt wurden die zahllosen Flickwörter, das Aufblähen der Verszeilen durch frei erfundene Adjektive und Adverbien, die Verkennung von Verbformen sowie mangelnde Idiomatik einschließlich Sprechbarkeit in den Stücken.

Indes sollte es seit Klaus Pörtl Intervention weitere vierundzwanzig Jahre dauern, bis sich Becks deutsche Verlage Insel und Suhrkamp von ihrem Übersetzer distanzierten, dann allerdings mit einem Paukenschlag: In einem beispiellosen Schritt gab der Suhrkamp Verlag am 19. Mai 1998 auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz bekannt, Becks Fassungen aus dem Verkehr gezogen und rechtzeitig zu Lorcas 100. Geburtstag Neuübersetzungen (darunter auch von Hans Magnus Enzensberger) in Auftrag gegeben zu haben. Die Heinrich Enrique Beck-Stiftung, die die Rechtsnachfolge Inés Leuwens angetreten hatte, hatte dem Drängen der Erben Lorcas nachgegeben und auf den bis zum Ablauf der siebzigjährigen Schutzfrist Ende 2006 gültigen Alleinvertretungsanspruch verzichtet. Die ausgeteilte Pressemappe enthielt vernichtende Fachgutachten des Linguisten Harald Weinrich und des Lektors Helmut Frielinghaus (vgl. Spieler 2000: 289–311). Was sich in Verlagsprogrammen und auf Theaterbühnen über einen langen Zeitraum hatte behaupten können – noch im entscheidenden Jahr 1998 brachte der Insel Verlag einen Band mit Lorcas Gedichten in Becks Übertragung heraus! –, wurde quasi über Nacht zu einer schweren Versündigung an Sinn und Form des Originalwerks Lorcas und an der deutschen Sprache deklariert. Der „Fall Lorca“, besser gesagt: der „Fall Beck“ zog weite Kreise; zahlreiche Zeitungen berichteten über den einmaligen Vorgang, oft hämisch oder gehässig – die Rede war von Verfälschung, Verhunzung, Ergüssen, als sei man sich des Skandalons schon immer bewusst gewesen.

Wie konnte es zu einem so abrupten Sinneswandel, zu einer so radikalen Neubewertung der Leistung Becks kommen? Zunächst einmal gilt der Grundsatz: Originale reifen, Übersetzungen altern, weswegen alle dreißig, vierzig oder fünfzig Jahre entstehende Neuübersetzungen auch und gerade von Klassikern einen unerlässlichen Beitrag zum Fortleben und Fortwirken der Originale und zum lebendigen Austausch zwischen den Kulturen leisten. Zweitens stellt Vielstimmigkeit, die zeitgleiche Koexistenz und der Dialog konkurrierender Übertragungen eine Bereicherung des literarischen Lebens dar und gestattet divergierende Perspektiven auf das jeweilige Ausgangswerk. Fraglos traf der Suhrkamp Verlag diese Entscheidung aber auch aus kommerziellen Erwägungen heraus, in der Hoffnung auf einen Aufschwung des merklich zurückgegangenen Absatzes des Lorca’schen Œuvres auf dem deutschsprachigen Buchmarkt und auf eine Wiederbelebung seiner Bühnenpräsenz. Das rigorose Vorgehen jedoch kam einer bewussten Auslöschung gleich; Becks Schaffen wurde von einem Tag auf den anderen boykottiert, sein Name eliminiert.

Dass der Vertrieb von Becks Fassungen nun untersagt werden soll, ist vom künstlerischen Standpunkt aus betrachtet genauso unsinnig wie das vorangehende exklusive Übersetzungsrecht Becks. (Rudin 2000: 337)

Eine literarische „Offenbarung“ (Schmitt 2000) wie zu Becks Zeiten wird Lorca wohl nie mehr sein können. Einen solchen Sog und Widerhall wie damals dürfte der Dichter der Liebe, des Todes, der Schmerzen und der Leiden heute, da das Interesse an Lyrik insgesamt nachgelassen hat und Spanien nicht mehr ideeller Wunschort eines Unbehausten, sondern mühelos erreichbares Reiseziel von Touristenmassen ist, schwerlich noch einmal erzeugen. Möglicherweise fallen die akkurateren Übertragungen, die die Beck’schen abgelöst haben oder noch ablösen werden, aber auch zu „prosaisch“ aus, als dass sie eine vergleichbare Wirkung entfalten könnten. Mit seiner Verfahrensweise hatte Beck dem Zeitgeschmack und dem Erwartungshorizont der Nachkriegszeit mit ihrem Hunger nach ausländischer Literatur vermutlich recht genau entsprochen: Wo in deutscher Lyrik und Prosa „Kahlschlag“ herrschte, war expressionistischer Überschwang willkommen. So hält Ernst Rudin den Beck’schen Zigeuner-Romanzen, anders als etwa dem Beck’schen Dichter in New York, trotz der Abweichungen vom Original eine ästhetische Wirkungsäquivalenz zugute:

Seine Zigeuner-Romanzen scheinen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren im deutschen Sprachraum eine ähnliche Wirkung gehabt zu haben, wie ihre Vorlage zuvor im spanischen. Und der aus übersetzungskritischer Perspektive mit Recht beanstandete Stil Becks scheint für diese Wirkungsäquivalenz mitverantwortlich gewesen zu sein. Becks alternierendes Versmass und sein altertümelnder Duktus geben seinen Zigeuner-Romanzen einen epischen und moritatenhaften Charakter und evozieren damit beim deutschsprachigen Publikum eine eigene dichterische Tradition. Die eigentliche Faszination der Gedichte liegt […] im Kontrast zwischen der vertrauten, althergebrachten Form einerseits und dem exotischen Inhalt und den kühnen Bildern andererseits. Dieser Rezeptionsmechanismus ist mit jenem des spanischsprachigen Publikums vergleichbar, das die überlieferte Romanzenform mit Zigeunerthematik und Lorcas Metaphern kombiniert sieht. Eine metrisch freiere und weniger altertümelnde Übersetzung wird im Direktvergleich mit dem Ausgangstext äquivalenter sein als Becks Version. Wirkungsästhetisch wird sie aber dadurch hinter Becks Fassung zurückbleiben müssen, dass sie uns nicht an die eigene lyrische und epische Tradition erinnert und damit die Spannung zwischen den beiden Diskurstypen nicht erzeugen kann. Aus dieser Optik stellen Becks Zigeuner-Romanzen eine optimal äquivalente Übersetzung dar. (Rudin 2000: 332)

Um noch einmal Becks Bekenntnis „Man hat mich ermordet. Und ich will auferstehen“ aufzugreifen: Lorca war von den Faschisten ermordet worden. In Beck, so die Hoffnung des Übersetzers, sollte er auferstehen – in einer veränderten historischen Konstellation wird eine neuerliche Einswerdung dieser Art ein Ding der Unmöglichkeit sein.

Anmerkungen

  • 1
    Der genaue Zeitpunkt der Umbenennung, ob bereits 1936 oder erst 1938, ist nicht bekannt, doch ist sie von einiger Signifikanz: „Namensgebung ist alles andere als ein unschuldiger Akt. […] Denn Benennen ist Aneignen, ist Eingliedern, ist Einverleiben. […] Eine Namensänderung bedeutete eine Machtverschiebung. Namen sind also alles andere als bedeutungslos austauschbar. Sie sind keine nebensächliche Angelegenheit. Namen versprechen Ansehen. Sie sind Identifikationsmittel. Und: Namen stellen Zugehörigkeiten dar. […] Insofern ist Heinrichs Umbenamung auch kaum Ausdruck seines Angekommenseins (in einer realen spanischen Identität), sondern vielmehr Zeichen seiner Wunschidentität“ (Spieler 2014: 188f.).
  • 2
    „Ich habe so etwas von gänzlich erbarmungsloser Bürokratie und giftiger Reaktion noch nie gesehen – in einem so demokratisch bemäntelten Lande: In Bern sitzen Skorpione über den Akten, die mit ihrem eigenen Stachel und ihrem eigenen Gift die Akten beschreiben“ (Beck: Brief an die American Guild for German Cultural Freedom, Mitte Juli 1939, zit. nach Rudin-Bühlmann 1993: 50).
  • 3
    Auch der Emigrant Bertolt Brecht zeigte sich, wenngleich nur privat, frühzeitig skeptisch: „ich blättere in lorcas gedichten, in der mäßigen übertragung durch beck“, las aber doch „mit genuß“ (Tagebucheintrag, 29. Dezember 1950, Brecht o. J.: 425).
  • 4
    „Er war das einzige lyrische Genie dieser Zeit dekadenter psychopathischer Allerweltsschmerzreimer, anämischer parfümierter Salonpoetaster, hochstapelnder sich avantgardistisch gebärdender Versgewerbetreibender.“ (Beck in der Beilage zu einem Brief an die American Guild, 12. November 1938, zit. nach Rudin-Bühlmann 1993: 115, Dokument 20).
  • 5
    Online unter: http://archiv.beck-stiftung.ch/app/de/public/knowledgenet/taxonomy/61/62/I/122 (letzer Aufruf 10. September 2022).

Quellen

Brecht, Bertolt (o. J.): Arbeitsjournal. Erster Band 1938 bis 1942. Zweiter Band 1942 bis 1955. Anmerkungen von Werner Hecht. Herausgegeben von Werner Hecht. Peking u. a.: Auf- und Abbau-Verlag. (Raubdruck).
Hoeffle, Carmen (2003): Heinrich Enrique Beck – das Ausnahmephänomen des sichtbaren Translators. Dargestellt am Fallbeispiel der autorisierten Übersetzung Heinrich Enrique Becks von Federico García Lorcas „Zapatera prodigiosa“. Universität Graz, Diplomarbeit.
Lorenz, Günter W. (1961): Federico García Lorca. Karlsruhe: Stahlberg. Gekürzte Neuausgabe u. d. T. Federico García Lorca in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek: Rowohlt 1963. (Rowohlt Monographien 82).
Lorenz, Günter W. (1974): Wächter über Lorcas Werk. In. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 12. Februar 1974.
Marx, Maria-Christiane (1984): Federico García Lorca: „La Casa de Bernarda Alba“ – „Bernarda Albas Haus“ in der Übersetzung von Enrique Beck. Versuch einer Übersetzungskritik unter besonderer Berücksichtigung der Schwierigkeiten bei der Übersetzung von Theaterstücken. Universität des Saarlandes, Diplomarbeit.
Muster, Wilhelm (1991): Federico García Lorca und sein Übersetzer. In: Pfeiffer, Erna / Kubarth, Hugo (Hg.): Canticum Ibericum. Neuere spanische, portugiesische und lateinamerikanische Literatur im Spiegel von Interpretation und Übersetzung. Georg Rudolf Lind zum Gedenken. Frankfurt am Main: Vervuert, S.123–135. (Editionen der Iberoamericana, Reihe III, Bd. 35).
N. N. (1955): Sensationeller Konflikt um Lorca. Mutter und Geschwister des Dichters stellen sich gegen den „einzig berechtigten“ Übersetzer. In: Bild-Telegraf, 17. März 1955.
Petignat, Raymond (1974): Begegnung im Wartezimmer. In: Basler Nachrichten, 23. Februar 1974.
Pörtl, Klaus (1974): García Lorcas Romancero Gitano in Becks Übersetzung. Versuch einer Übersetzungskritik. In: Briesemeister, Dietrich (Hg.): Sprache, Literatur, Kultur. Romanistische Beitrage. Frankfurt am Main: Peter Lang, S. 183–205.
Pörtl, Klaus (1992): Probleme des Kulturtransfers: García Lorcas Theater in der deutschsprachigen Rezeption. In: Schwend, Joachim / Hagemann, Susanne / Völkel, Hermann (Hg.): Literatur im Kontext – Literature in Context. Festschrift für Horst W. Drescher. Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang, S. 465–478. (Scottish Studies, Bd. 14).
Politzer, Heinz (1939): Federico García Lorcas „Zigeunerromanzen“. In: Mass und Wert, 2 (1939) 4, S. 550–553.
Rudin, Ernst (2000): Der Dichter und sein Henker? Lorcas Lyrik und Theater in deutscher Übersetzung, 1938–1998. Kassel: Edition Reichenberger. (Europäische Profile, Bd. 52).
Rudin-Bühlmann, Sibylle (1993): Enrique Beck. Ein Leben für García Lorca. Exil in Spanien [und der Schweiz]. Zürich: Pendo.
Schmitt, Hans-Jürgen (2000): Vom Pathos befreit. Keine Offenbarung mehr, aber eine aufregende Neuübersetzung. Federico García Lorcas Gedichtband „Dichter in New York“. In: Frankfurter Rundschau, 21. Dezember 2000.
Spieler, Ulrike (2014): Übersetzer zwischen Identität, Professionalität und Kulturalität: Heinrich Enrique Beck. Berlin: Frank & Timme. (TRANSÜD. Arbeiten zur Theorie und Praxis des Übersetzens und Dolmetschens, Bd. 67).
Weigel, Hans (1955): Bild-Telegraf, 3. Februar 1955.

Sonstige Quellen

Internet-Plattform der Heinrich Enrique Beck-Stiftung, c/o Petitjean & Berger, Rheinsprung 1, CH-4001 Basel, Telefon:0041-61-2601010, www.beck-stiftung.ch.

Zitierweise

Oeser, Hans-Christian: Enrique Beck, 1904–1974 . In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 16. November 2022.