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Lilli Jergitsch, 1904–1988

2. April 1904 Graz (Österreich-Ungarn) - 17. Juli 1988 Wien (Österreich)
Orte
Graz, Moskau, Engels(Republik der Wolgadeutschen), Wien, Swerdlowsk, Kujbyschew
Original- und Ausgangssprache(n)
Russisch
Schlagworte
Übersetzerisches ProfilBerufsübersetzer, Exilübersetzer Übersetzte GattungenRundfunkbeiträge, Sachtexte, Zeitungstexte Sonstige SchlagworteExil (NS-Zeit), Sowjetunion (Exil)

Vorbemerkung der Redaktion

Dieses Porträt entstand im Rahmen des DFG-geförderten D-A-CH-Projekts Exil:Trans (2019–2022). Eine gekürzte Fassung erschien zuvor in: Tashinskiy, Aleksey / Boguna, Julija / Rozmysłowicz, Tomasz: Translation und Exil (1933–1945) I: Namen und Orte. Recherchen zur Geschichte des Übersetzens. Berlin: Frank & Timme 2022, S. 428–431.

Lilli Jergitsch wurde am 2. Februar 1904 in Graz in einer kleinbürgerlichen Familie geboren, die sich in der Arbeiterbewegung engagierte. Laut Angaben in einem ihrer Lebensläufe aus ihrer Komintern-Kaderakte (RGASPI f.495-o.187-d.1538: Bl. 45r–48v, ca. 1940) war ihr Vater Ernst Jergitsch (geboren 1873 in Klagenfurt) ein selbständiger Zahntechniker. Die ein Jahr ältere Mutter Cäcilie, geb. Derblich, stammte aus der Familie eines armen jüdischen Händlers aus der Westukraine und war Hausfrau. Früh verweist, kam Cäcilie Derblich mit 20 Jahren nach Wien, wo sie sich „als kaufmännische Angestellte bis zu ihrer Heirat durchbrachte“ (ebd.: Bl. 45v). Beide Eltern waren schon seit den 1890er Jahren in der Sozialdemokratischen Partei Österreichs engagiert. Nach dem Umzug der Familie 1912 von Graz nach Wien hat Jergitsch vier Jahre „Unterrealgymnasium“ und drei Jahre Erzieherinnenausbildung bei den „Kinderfreunden“ in Wien absolviert, um anschließend dort zu arbeiten (ebd. Bl. 45r). Es war ein Selbsthilfeverein, der Kinderbetreuung für Arbeiterfamilien organisierte. Entstanden ist dieser Verein in Graz, wo Jergitschs Mutter bei der Gründung geholfen hat. Der Verein wurde mit dem Verbot der Sozialdemokratischen Partei 1934 ebenfalls verboten1Siehe chronologische Selbstdarstellung der Organisation online unter: ‹https://kinderfreunde.at/ueber-uns/geschichte/zeitspuren-1› (letzter Aufruf 20. Oktober 2021).. Lilli Jergitsch betont in ihren in den 1930er und 1940er Jahren verfassten Lebensläufen aus nachvollziehbaren Gründen, dass die Mutter zum einen nur eine „kleine Funktionärin, Vertrauensmännin“ war, die „in die Häuser kassieren und zu Sitzungen ging“, und zum anderen, dass sie „entschieden am linken Flügel der Arbeiterbewegung“ stand und 1932 der KPÖ beitrat (ebd.: Bl. 45r).

Auch Lilli Jergitsch selbst war eine „organisierte Kommunistin“ (Barck 2007: 157). Sie trat 1926 der Kommunistischen Partei Österreichs bei und ihr weiteres Schicksal war durch das kommunistische Netzwerk geprägt, in dem sie sich seither bewegte.

Nachdem ihre Stelle als Horterzieherin „abgebaut“ worden war und sie sich erfolglos um eine Anstellung bei der Gemeinde Wien bemüht hatte („Die Jergitsch ist Kommunistin, sie bekommt bei uns keine Anstellung“, ebd.: Bl. 46), bot ihr ihr ehemaliger Lehrer aus der Mittelschule und der nunmehrige Verleger Johannes Wertheim 1926 die Möglichkeit, bei ihm als „Verlagsgehilfin“ zu arbeiten. Dies war ihr Einstieg in die „Arbeit am geschriebenen und gedruckten Wort“ (Beer-Jergitsch 2013: 20).

Auch diese Stelle verlor Jergitsch nach einem knappen Jahr und arbeitete nur gelegentlich im Sekretariat der KPÖ und bei der Roten Hilfe, bis sie schließlich 1928 beschloss, mit Zustimmung der Parteiführung in die Sowjetunion auszuwandern. Sie war zu diesem Zeitpunkt alleinstehend und schwanger. Die ersten beiden Jahre arbeitete sie in Engels (Wolgadeutsche ASSR) in der Redaktion der deutschsprachigen Nachrichten und der Roten Jugend als literarische Mitarbeiterin, als „Litsotrudnik“. Nach dem zweimonatigen Besuch bei ihrer Mutter in Wien im Herbst 1930 – „1930 trieben bereits ‚Heimfahrer‘ aus der Sowjetunion in Deutschland und Österreich ein wütende sowjetfeindliche Kampagne“ (RGASPI f.495-o.187-d.1538: Bl. 46) – bekam sie durch Vermittlung des Mitarbeiters des Internationalen Agrarinstituts in Moskau Max Kemper2Jg. 1903, 1941 verhaftet, weiteres Schicksal unbekannt, s. KI-Datenbank, Vatlin 2012: 293. das Rückreisevisum in die Sowjetunion und die Möglichkeit, künftig in Moskau zu arbeiten (ebd.: Bl. 71). Sie wechselte verschiedene Arbeitsstellen und Tätigkeiten (Stenotypistin, Deutschlehrerin, Bibliothekarin), bis sie 1934 bei der Deutschen Zentral-Zeitung als Übersetzerin angestellt wurde. Sie blieb dort tätig bis zur Einstellung der Zeitung Ende 1938. Viele Mitarbeiter der DZZ waren schon zuvor Opfer stalinistischer Repressionen geworden. Trotz der – in dieser Zeit der „Säuberungen“ unbedingt Verdacht erregenden – sozialdemokratischen Vergangenheit ihrer Eltern blieb Lilli Jergitsch jedoch verschont.3Dieser Umstand mutet mit Blick auf die sog. „Kontaktschuld“ umso erstaunlicher an, als in ihrer unmittelbaren Umgebung mehrere Personen als „deutsche Spione“ „entlarvt“ und verhaftet wurden. Martin Juncker z. B., der verantwortliche Redakteur der Roten Jugend in Engels, wurde 1938 verhaftet und soll in einem Verhör sogar Jergitsch selbst belastet haben als diejenige, die an ihn „Instruktionen“ des deutschen Geheimdienstes weitergegeben habe. Dies geht aus der Stellungnahme des stellvertretenden Leiters der 2. Abteilung des NKGB (des sowjetischen Volkskommissariats für Staatssicherheit) Ilja Iljušin (geb. Edel᾽man) vom 1. Oktober 1945 bezüglich des Ausreiseantrags von Jergitsch hervor (RGASPI f.495-o.187-d.1538: Bl. 5r). Der Antrag wurde im Übrigen genehmigt, wobei Iljušin vermerkte, dass die „geheimdienstliche Observierung“ („agenturnaja razrabotka“) Jergitschs fortgesetzt werde (ebd.).

Eine Zeitlang arbeitete sie als Korrektorin in der Druckerei Iskra Revoljucii, „wo damals in Moskau so ziemlich alles Fremdsprachige gedruckt wurde“ (Beer-Jergitsch 2013: 128). Eine bekannte von ihr, Larissa Tennenbaum, kam eines Tages zu ihr: „Lauf schnell in die Druckerei, dort sind gestern Korrektoren verhaftet worden“ (ebd.: 127). Stellen wurden also frei und so fing sie dort an, völlig ohne jede Erfahrung. Im ca. 1940 geschriebenen Lebenslauf aus der Kaderakte schrieb sie:

Die Arbeit in der Druckerei war für mich sehr anziehend, weil ich zum ersten Mal in einem „richtigen“ Betrieb und unmittelbar mit den Arbeitern in der Produktion verbunden war. (RGASPI f.495-o.187-d.1538: 47v)

Doch auch diese Stelle wurde „abgebaut“. Nun schlug sich Jergitsch mit verschiedenen Gelegenheitsjobs durch: „Die Vegaar […] gab mir mitunter Maschinenschreibarbeiten, Rose Wittfogel Korrekturen zu lesen“ (Beer-Jergitsch 2013: 130). Rose Wittfogel, die bis 1929 mit dem in die USA emigrierten späteren Verfasser von Oriental Despotism Karl August Wittfogel verheiratet gewesen war, wanderte wie Jergitsch in die Sowjetunion aus (allerdings erst 1932) und arbeitete dort eine Zeitlang ebenfalls als Übersetzerin und Redakteurin im Moskauer Verlag Učpedgiz, dem Moskauer Staatsverlag für Lehrbücher und Pädagogik. Jergitsch dürfte sie in ihrer Zeit beim Verlag kennengelernt haben.

Schließlich wurde Jergitsch 1940 Übersetzerin beim Moskauer Rundfunk in deutscher Sprache und behielt diese Arbeit bis zu ihrer Ausreise nach Österreich:

Eines Tages, um die Mitte des Jahres 1940, ging ich in der Gorkistraße in eine Telefonzelle und rief die Nummer des Radiokomitees, genauer: Moskauer Rundfunk in deutscher Sprache, Genossen Schwab, an. „Brauchen Sie vielleicht einen Übersetzer?“ – „Kommen Sie herauf!“ – So wurde ich Übersetzerin beim Radio. (Beer-Jergitsch 2013: 131)

Die Beschäftigung begann im Februar 1940 (die Angaben in den Erinnerungen „um die Mitte des Jahres 1940“ (ebd.) ist offenbar falsch) und lief zuerst probeweise, ohne Anstellung und ohne Vertrag; die Festanstellung erfolgte erst Ende September (RGASPI f.495-o.187-d.1538: Bl. 47v). Nach Ausbruch des Krieges wurde der Sender 1941 nach Swerdlowsk (Jekaterinburg) evakuiert; 1942, nachdem die Gefahr einer Eroberung durch die deutsche Wehrmacht für Moskau abgewendet war, nach Kujbyschew (Samara).

Bereits im Juli 1946 durfte sie mit ihrem Sohn Fritz nach Wien ausreisen, die Erlaubnis wurde ihr vom NKGB, dem sowjetischen Volkskommissariat für Staatssicherheit, am 1. Oktober 1945 erteilt (s. ebd.: Bl. 3.).

Translatorisches

Im sowjetischen Exil durchlief Lilli Jergitsch zwei mehr oder weniger dauerhafte „translatorische Stationen“: 1934–1938 als festangestellte Übersetzerin bei der Deutschen Zentral-Zeitung (1927–1938) und ab 1940 beim Moskauer Rundfunk in deutscher Sprache (dem sog. Inoradio).

Die meisten Personen, die für die DZZ, diebedeutendste deutschsprachige sowjetische Zeitung jener Zeit, als Übersetzer tätig waren, waren Emigranten und Exilanten aus Deutschland, Österreich und Ungarn, obwohl den Hauptadressatenkreis des Periodikums die sowjetdeutsche Bevölkerung bildete (vgl. Tashinskiy 2022: 327–332). Die Tageszeitung bestand zu wesentlichen Teilen aus übersetzten Texten, wobei die meisten Übersetzungen nicht als solche gekennzeichnet waren und somit auch keine Übersetzernamen aufwiesen. Es handelte sich um Artikel aus der russischsprachigen Sowjetpresse, hauptsächlich Pravda und Izvestija, Meldungen der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS, offizielle Beschlüsse der sowjetischen Regierung, sonstige Verlautbarungen, Reden von KPdSU-Funktionären, aber auch Auszüge aus russischen literarischen Werken und aus Sachtexten (vgl. ebd.: 340ff.).

Daneben hat Lilli Jergitsch im sowjetischen Exil Lehrbücher aus dem Russischen übersetzt. Zwei davon weisen im verlegerischen Peritext ihren Namen auf: Geographie der kapitalistischen Staaten (Engels: Deutscher Staatsverlag 1933) und Astronomie. Astrophysik; Lehrbuch für die 10. Klasse der Mittelschulen (Engels: Deutscher Staatsverlag 1936). Laut Jergitschs Erinnerungen wurden ihr derartige Aufträge (Übersetzungsaufträge, aber auch Korrekturlesen von fremden Übersetzungen russischer Lehrbücher ins Deutsche) durch die ungarische Kommunistin Jolan Kelen-Fried, die Leiterin der deutschen Abteilung des bereits erwähnten Verlags Učpedgiz, vermittelt, in dem Jergitsch von Januar bis Oktober 1933 beschäftigt war. Kelen-Fried war Jergitschs Nachbarin im Wohnheim in Anan’evskij pereulok 5. Warum diese Lehrbücher trotz der Beschäftigung im Moskauer Verlag (erinnert durch Jergitsch selbst und dokumentiert in der RGASPI-Kaderakte) in Engels publiziert wurden, bleibt ungeklärt. Der tatsächliche Umfang ihrer translatorischen Tätigkeit für den Učpedgiz-Verlag dürfte größer gewesen sein, zumal sich Jergitsch daran erinnert, dass ihre Abteilung auch die Zeitschrift Zwei Welten herausbrachte (Jergitsch 2013: 64). Dies war ein in Moskau erscheinendes deutschsprachiges Periodikum, hauptsächlich für Deutschlernende, in dem es auch viele übersetzte Texte gab (die meisten davon nicht namentlich gekennzeichnet). Darüber hinaus erwähnt Jergitsch in ihrem Lebenslauf „Gelegenheitsarbeiten“ für den Verlag für fremdsprachige Literatur, ohne Näheres auszuführen.

Aus dem Učpedgiz schied sie im November 1933 aus. In ihren Erinnerungen spricht sie von „persönlichen Gründen für diese Entscheidung“ (Jegtisch 2013: 66). Im Lebenslauf aus der Kaderakte nennt sie allerdings „große, zum erheblichen Teil politische Differenzen mit [der] Chefin Kelen-Fried“ (RGASPI f.495-o.187-d.1538: Bl. 47) als Grund dafür, warum sie „weichen“ musste.

Zu den Aufgaben beim Moskauer Rundfunk in deutscher Sprache, bei dem sie ab Februar 1940 beschäftigt war, gehörte die Übersetzung von sog. Swodkas, den Heeresberichten, sowie verschiedenen anderen Berichten von der Front und aus dem Hinterland, die „meist ein Elaborat der TASS-Abteilung Desinformation“ waren (Jergitsch 2013: 156). Mit dem Ausbruch des Krieges wurde die Arbeit anstrengender: Urlaube wurden gesperrt, es wurde in Schichten gearbeitet, Tag und Nacht musste einer der Übersetzer anwesend sein, um die nach Mitternacht eintreffenden Heeresberichte zügig übersetzen zu können. Immer wieder wurde die Arbeit durch Fliegeralarm unterbrochen (ebd.: 132f.).

Während der Evakuierung existierte der Sender zeitweise nur formal, als Reservesender, für den Fall, dass der Moskauer Betrieb unterbrochen werden sollte. Im Sommer 1943 konnten fast alle Mitarbeiter in die Hauptstadt zurückkehren, so auch Lilli Jergitsch. Hier kam neben den üblichen Heeresberichten noch eine andere Übersetzungsaufgabe hinzu: es mussten sowjetische Erwiderungen auf Goebbelsʼ Leitartikel aus der Wochenzeitung Das Reich, die auch als Reden ausgestrahlt wurden, ins Deutsche übersetzt werden. Zur Verbesserung der Übersetzungsleistung durften die Übersetzer Goebbels Reden „im Original“ anhören (vgl. ebd. 165). Eine Zeitlang gab es sogar spezielle Sendungen für Österreich; Lilli Jergitsch hatte dabei die Aufgabe, die Texte in ein „schönes österreichisches Deutsch“ zu bringen. Diese Sendungen verantwortete im Übrigen ab 1945 Ernst Fabri (ebd.: 164), der ehemalige Ko-Leiter des Kulturteils in der DZZ.

Zu ihren Übersetzerkollegen gehörte noch vor der Evakuierung der 1903 in Leipzig geborene Journalist Alexander Großmann, der ab 1939 für das Radiokomitee als Übersetzer arbeitete und nach dem Krieg in die DDR ging.4Nach Angaben in der KI-Datenbank bekam der parteilose Alexander Großmann (Alexandr Grigorʼevič Grosman) bereits 1925 die sowjetische Staatsbürgerschaft – vermutlich aus familiären Gründen, denn sein Vater Grigorij Großmann stammte aus Russland. Allem Anschein nach handelte es sich um den 1863 im Ekaterinoslaver Gouvernement (heute urk. Dnipro) geborenen Revolutionär Grigorij Grossman (Ruvim Alterovič, später Pseudonym Kovrov), der 1891 nach seiner Verbannung in Jakutien ins Ausland ging und sich zuletzt in Berlin niederließ, wo er als Journalist tätig war (vgl. Dejateli 1934: Sp. 995; die KI-Datenbank vermerkt als Geburtsjahr des Vaters 1907, was unmöglich stimmen kann. Außerdem wird dort Samara als Geburtsort des Vaters genannt. Laut der Dejateli-Enzyklopädie, die zuverlässiger zu sein scheint, ging G. Grossman dagegen in Samara zur Schule). Wann der Sohn Alexander in die Sowjetunion kam, geht aus den Angaben nicht hervor, jedenfalls hatte er vor der Übersiedelung in die UdSSR in Kopenhagen studiert. Dies erklärt auch die Tatsache, dass er ab Januar 1944 verantwortlicher Redakteur für Sendungen in dänischer Sprache wurde. Die Datenbank enthält außerdem eine Aussage seiner Ehefrau Eva Helmut Rechlin aus dem Jahr 1949: „Derzeit befindet er sich in Susuman auf der Kolyma, wohin er für 5 Jahre mit Beibehaltung der Bürgerrechte deportiert wurde“ (KI-Datenbank: Erhebungsbogen Alexander Großmann). Die Deportation hat Großmann anscheinend überlebt, denn lt. Jergitsch siedelte er in die DDR über (Beer-Jergitsch 2013: 167). Jergitschʼ Autobiographie enthält im Anhang ein kurzes Biogramm über einen „GROSSMANN Alexander (1903–2003)“ (ebd.: 203); die darin enthaltenen Angaben sind jedoch unzutreffend, da sie auf einer Verwechslung mit einem anderen, 1909 in Ungarn geborenen Alexander (Sándor) Grossman beruhen, der nie in der Sowjetunion war (vgl. dazu den Wikipedia-Artikel ‹https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Grossman›, letzter Aufruf 25. August 2022). Später, in der Evakuierung, kamen Enja (Emanuell) Margolis und seine Frau Regina Margolis (geb. Czora)5„Enja Margulies“ erwähnt Beer-Jergisch in ihren Erinnerungen (2013: 147, 156). Regina Margolis arbeitete als Übersetzerin für das Inoradio zwischen 1941 und 1943 laut Angaben in der KI-Datenbank (Erhebungsbogen Regina Margolis, geb. Czora). sowie Erich Wendt und Erwin Kramer hinzu. Die Margolisʼ blieben in der Sowjetunion und arbeiteten u. a. als literarische Übersetzer für DDR-Verlage; Erich Wendt (1902–1965) kehrte 1947 nach Deutschland zurück, wurde Leiter des Aufbau-Verlags und bekleidete verschiedene leitende Positionen im kulturpolitischen Bereich der DDR. Erwin Kramer (1902–1979), von Beruf Ingenieur und Lokomotivführer, kehrte ebenfalls in die DDR zurück und wurde dort u. a. Minister für Verkehrswesen und Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn.

Nach der Rückkehr nach Österreich setzte Lilli Jergitsch ihre übersetzerische Tätigkeit fort, u. a. als Übersetzerin für die sowjetische Nachrichtenagentur TASS.  

Anmerkungen

  • 1
    Siehe chronologische Selbstdarstellung der Organisation online unter: ‹https://kinderfreunde.at/ueber-uns/geschichte/zeitspuren-1› (letzter Aufruf 20. Oktober 2021).
  • 2
    Jg. 1903, 1941 verhaftet, weiteres Schicksal unbekannt, s. KI-Datenbank, Vatlin 2012: 293.
  • 3
    Dieser Umstand mutet mit Blick auf die sog. „Kontaktschuld“ umso erstaunlicher an, als in ihrer unmittelbaren Umgebung mehrere Personen als „deutsche Spione“ „entlarvt“ und verhaftet wurden. Martin Juncker z. B., der verantwortliche Redakteur der Roten Jugend in Engels, wurde 1938 verhaftet und soll in einem Verhör sogar Jergitsch selbst belastet haben als diejenige, die an ihn „Instruktionen“ des deutschen Geheimdienstes weitergegeben habe. Dies geht aus der Stellungnahme des stellvertretenden Leiters der 2. Abteilung des NKGB (des sowjetischen Volkskommissariats für Staatssicherheit) Ilja Iljušin (geb. Edel᾽man) vom 1. Oktober 1945 bezüglich des Ausreiseantrags von Jergitsch hervor (RGASPI f.495-o.187-d.1538: Bl. 5r). Der Antrag wurde im Übrigen genehmigt, wobei Iljušin vermerkte, dass die „geheimdienstliche Observierung“ („agenturnaja razrabotka“) Jergitschs fortgesetzt werde (ebd.).
  • 4
    Nach Angaben in der KI-Datenbank bekam der parteilose Alexander Großmann (Alexandr Grigorʼevič Grosman) bereits 1925 die sowjetische Staatsbürgerschaft – vermutlich aus familiären Gründen, denn sein Vater Grigorij Großmann stammte aus Russland. Allem Anschein nach handelte es sich um den 1863 im Ekaterinoslaver Gouvernement (heute urk. Dnipro) geborenen Revolutionär Grigorij Grossman (Ruvim Alterovič, später Pseudonym Kovrov), der 1891 nach seiner Verbannung in Jakutien ins Ausland ging und sich zuletzt in Berlin niederließ, wo er als Journalist tätig war (vgl. Dejateli 1934: Sp. 995; die KI-Datenbank vermerkt als Geburtsjahr des Vaters 1907, was unmöglich stimmen kann. Außerdem wird dort Samara als Geburtsort des Vaters genannt. Laut der Dejateli-Enzyklopädie, die zuverlässiger zu sein scheint, ging G. Grossman dagegen in Samara zur Schule). Wann der Sohn Alexander in die Sowjetunion kam, geht aus den Angaben nicht hervor, jedenfalls hatte er vor der Übersiedelung in die UdSSR in Kopenhagen studiert. Dies erklärt auch die Tatsache, dass er ab Januar 1944 verantwortlicher Redakteur für Sendungen in dänischer Sprache wurde. Die Datenbank enthält außerdem eine Aussage seiner Ehefrau Eva Helmut Rechlin aus dem Jahr 1949: „Derzeit befindet er sich in Susuman auf der Kolyma, wohin er für 5 Jahre mit Beibehaltung der Bürgerrechte deportiert wurde“ (KI-Datenbank: Erhebungsbogen Alexander Großmann). Die Deportation hat Großmann anscheinend überlebt, denn lt. Jergitsch siedelte er in die DDR über (Beer-Jergitsch 2013: 167). Jergitschʼ Autobiographie enthält im Anhang ein kurzes Biogramm über einen „GROSSMANN Alexander (1903–2003)“ (ebd.: 203); die darin enthaltenen Angaben sind jedoch unzutreffend, da sie auf einer Verwechslung mit einem anderen, 1909 in Ungarn geborenen Alexander (Sándor) Grossman beruhen, der nie in der Sowjetunion war (vgl. dazu den Wikipedia-Artikel ‹https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Grossman›, letzter Aufruf 25. August 2022).
  • 5
    „Enja Margulies“ erwähnt Beer-Jergisch in ihren Erinnerungen (2013: 147, 156). Regina Margolis arbeitete als Übersetzerin für das Inoradio zwischen 1941 und 1943 laut Angaben in der KI-Datenbank (Erhebungsbogen Regina Margolis, geb. Czora).

Quellen

Barck, Simone (2007): Gelebter Internationalismus. Lilli Beers unpathetischer Lebensbericht. In: Bolbecher, Siglinde (Hg.): Zwischenwelt 9. Frauen im Exil. Wien: Drava Verlag, S. 153–170.
Beer-Jergitsch, Lilli (2013): Im Alltag der Stahlzeit. 18 Jahre in der UdSSR. Lilly Beer-Jergitsch (1904–1988). Lebenserinnerungen. Hg. von Karin Nusko und Ilse Korotin. Wien: Praesens Verlag.
(Dejateli =) Dejateli revoljucionnogo dviženija v Rossii. Bio-bibliografičeskij slovarʼ. Tom III, vosʼmidesjatye gody, vypusk 2: G–Z. Moskva: Vsesojuznoe Obščestvo političeskich katoržan i ssyl'no-poselencev 1934.
(KI-Datenbank =) Buckmiller, Michael / Meschkat, Klaus (2007): Biographisches Handbuch zur Geschichte der Kommunistischen Internationale. Ein deutsch-russisches Forschungsprojekt. Biographische Datenbank CD-ROM. Berlin: Akademie Verlag.
Vatlin, Aleksandr (2012): „Nu i nečistʼ“. Nemeckaja operacija NKVD v Moskve i Moskovskoj oblasti 1936–1941 gg. Moskva: ROSSPĖN.
Tashinskiy, Aleksey (2022): Der zerschnittene Stalin: Translatorisches Handeln im sowjetischen Exil. Mit einer Fallstudie zur Deutschen Zentral-Zeitung. In: Tashinskiy, Aleksey / Boguna, Julija / Rozmysłowicz, Tomasz (Hg.): Translation und Exil (1933–1945) I: Namen und Orte. Recherchen zur Geschichte des Übersetzens. Berlin: Frank & Timme, S. 305–352.

Archiv

Russisches Staatsarchiv für sozio-politische Geschichte RGASPI, Moskau (Kaderakte Lilli Jergitsch im Archiv der Kommunistischen Internationale, f.495-o.187-d.1538).

Zitierweise

Tashinskiy, Aleksey: Lilli Jergitsch, 1904–1988. In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 25. August 2022.
CaptionLilli Jergitsch, Foto aus der Komintern-Kaderakte, Entstehungsdatum unbekannt (RGASPI f.495-o.187-d.1538, Bl. 34).
Publication Date25. August 2022
Lilli Jergitsch, Foto aus der Komintern-Kaderakte, Entstehungsdatum unbekannt (RGASPI f.495-o.187-d.1538, Bl. 34).