Olga Halpern, 1887–1967
Vorbemerkung der Redaktion
Dieses Biogramm entstand im Rahmen des DFG-geförderten D-A-CH-Projekts Exil:Trans (2019–2022) und erschien zuerst in: Tashinskiy, Aleksey / Boguna, Julija / Rozmysłowicz, Tomasz (Hg.): Translation und Exil (1933–1945) I: Namen und Orte. Recherchen zur Geschichte des Übersetzens. Berlin: Frank & Timme 2022, S. 417–420.
Ihren Lebensweg bis zur Flucht von Berlin nach Moskau im Februar 1933 hat Olga Halpern in einem für die Internationale Kontrollkommission der Komintern verfassten Lebenslauf beschrieben. Demnach wurde sie am 24. März 1887 als Tochter des Bankiers Josef Rapaport in Mogiljov (Podolien) geboren. Sie lernte zuhause bei deutschen Erzieherinnen und russischen Hauslehrern. Wegen einer Lungenerkrankung wurde sie 1901 für vier Jahre in die Schweiz geschickt, später war sie an den Universitäten Wien und Heidelberg als Gasthörerin eingeschrieben. 1910 heiratete sie im galizischen Stanislau den Rechtsanwalt und Großgrundbesitzer Dr. Hans Halpern. Aus der Ehe stammt die Tochter Lucy Bella Halpern. Während des ersten Weltkriegs lebte Halpern in Wien, 1918 ging sie mit ihrem Mann zurück nach Stanislau, von dort erneut nach Wien, wo sie (laut ungarischer Wikipedia) die Lehramtsprüfung ablegte. In Wien heiratete sie 1923 den Schriftsteller Andor Gábor (1884–1953) und kam in Kontakt zu weiteren emigrierten ungarischen Kommunisten. Sie engagierte sich im Hilfskomitee für das hungernde Russland und arbeitete für Randorganisationen der Kommunistischen Partei.
Im April 1926 zog sie nach Berlin um und trat noch im selben Jahr in die KPD ein. „Schriftstellerin“ steht in der Rubrik „Beruf“ in ihrem auf den Namen Herta Stein 1929 ausgestellten Mitgliedsbuch. Neben der reinen Parteiarbeit (Zelle Reichsdruckerei) engagierte sie sich im Schutzverband Deutscher Schriftsteller, war 1927/28 intensiv am Aufbau des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller beteiligt und erledigte ab 1929 vertrauliche Aufträge für die Botschaft der Sowjetunion. Gleich nach dem Reichstagsbrand kam es zu einer Haussuchung, Andor Gábor musste fliehen und Olga Halpern wurde von der Politischen Polizei aufgefordert, „auf Grund meines polnischen Passes“ Deutschland zu verlassen. Das tat sie „mit Zustimmung der Parteizentrale“ am 23. März 1933.
Die folgenden zwölf Jahre lebte sie mit ihrem Mann in Moskau – mehrere Jahre zusammen mit Johannes R. Becher und Lilly Korpus im zehnten Stock des Schriftstellerhauses in Lawruschenskij pereulok. 1941 wurden sie nach Taschkent evakuiert. Neben ihrer Arbeit als Übersetzerin und Redakteurin übernahm Halpern in Moskau wie zuvor in Berlin organisatorische Aufgaben, u. a. als Sekretärin der deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung Revolutionärer Schriftsteller. Auch dadurch hatte sie zahlreiche Kontakte zu anderen Emigranten: Becher, Erpenbeck, Günther, Hay, Huppert, Lilly Korpus, Kurella, Lukács, Ottwalt, Scharrer, Weinert, Hedda Zinner usw.
Halpern und Gábor überlebten trotz einzelner Anfeindungen die Mitte der 30er Jahre einsetzenden „Parteisäuberungen“, denen viele ihrer aus Deutschland und Ungarn emigrierten Genossen zum Opfer fielen. Im Juli 1945 folgte Halpern ihrem bereits im Frühjahr nach Ungarn zurückgekehrten Mann. Andor Gábor starb 1953, Olga Halpern kümmerte sich um seinen Nachlass und die Herausgabe seiner Werke und initiierte 1958 den Andor Gábor-Literaturpreis. In Gábors Nachlass (Ungarische Akademie der Wissenschaften, Budapest) finden sich viele an Olga Halpern gerichtete Briefe aus den Jahren 1949–1967, die ihre fortdauernde Verbundenheit mit den deutschen literarischen Exilkreisen belegen, darunter über hundert Briefe von Lilly (Korpus-)Becher.
Translatorisches
Mit der Übersetzung russischer Gegenwartsliteratur hat Halpern in den 20er Jahren in Berlin begonnen. 1927 erzielte gleich ihre erste größere Übersetzung – der 464 Seiten umfassende Roman Zement von Fjodor Gladkow – hohe Auflagen und deutliche Anerkennung durch die Kritik. Walter Benjamin rühmte Halperns „vollendete Übersetzung“, die u. a. Gladkows Leistung, „den Argot der Bolschewiken in die Literatur“ eingebracht zu haben, für des Russischen nicht mächtige Leser erfahrbar werden lasse. Sieben weitere von Halpern übersetzte Bücher sowjetischer Autoren – darunter 1930 der zweite Band von Scholochows Der stille Don – erschienen bis zum Ende der Weimarer Republik in Berlin und Wien. Der Scholochow-Band sowie die Zement-Ausgabe von 1927 wurden 1932 außerdem in Moskau verlegt, ebenso 1932 zeitgleich mit der Berliner Ausgabe ein weiterer Gladkow-Roman: Neue Erde. Die drei Übersetzungen veröffentlichte die Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR (Vegaar). Bei der Vegaar erschienen zwischen 1934 und 1937 weitere Halpern-Übersetzungen, von denen eine in Zusammenarbeit mit Hilde Angarowa entstand. Nach durch die „Säuberungs“-Aktionen bedingter Auflösung der Vegaar und erzwungener Produktionspause folgten zwischen 1939 und 1941 bei Meshdunarodnaja Kniga / Das internationale Buch von ihr ins Deutsche gebrachte Bücher von Ehrenburg, Fadejew und Scholochow. Halpern-Übersetzungen (mitunter Vorabdrucke aus den Buchausgaben) finden sich zusätzlich in den Moskauer Exilzeitschriften Das Wort und Internationale Literatur.
Von Halpern scheint es keine eigenen Aussagen zu ihrem übersetzerischen Tun zu geben, sieht man von einer Wortmeldung am 8. September 1936 ab: „Ich arbeite als Übersetzerin […]. Der Verlag [die Vegaar] gibt mir immer die besten Bücher, ich habe einen Wirkungskreis wie kaum jemand“ (Müller 1991: 525). Im Mai desselben Jahres hatte Johannes R. Becher in der Internationalen Literatur unter dem Titel Dem unbekannten Mitarbeiter – Olga Halpern zum 50. Geburtstag (es war allerdings erst ihr 49.) ein Porträt veröffentlicht. Darin heißt es u. a.,
daß die erwachende Sowjetliteratur in ihr den Genossen gefunden hat, der es ihr durch seine Uebersetzungen ermöglichte, im Westen einzurücken. Wir deutschen Schriftsteller beneiden ein wenig unsere [russischen] Freunde, eine solche Uebersetzerin gefunden zu haben. Und vielleicht hat unsere Genossin Olga auch diesen Geburtstagswunsch: „Uebersetzt uns so, wie ich mich bemüht habe Euch zu übersetzen.“ Gewissenhaft, unter strenger Beibehaltung der spezifischen dichterischen Eigentümlichkeiten, ohne willkürliche Auslassungen oder scheinpoetische Zutaten: nur so übersetzt findet ein Dichter auch eine Heimat in einer anderen Sprache… (Becher 1936: 103)
31 Jahre später erneuerte Becher im Neuen Deutschland (23. März 1967) dieses Lob mit einem Gruß an eine ferne Freundin – zum 80. Geburtstag von O. Halpern. Am 24. März 1967, wenige Tage vor ihrem Tod, wurde Halpern „für hervorragende kulturpolitische Leistungen […] die Johannes-R.-Becher-Medaille des Deutschen Kulturbundes in Gold verliehen“ (Urkunde im Budapester Nachlass).
Weitere Hinweise auf Halpern finden sich in einem Erinnerungstext ihrer Enkeltochter Magda Gábor (1986), in Autobiografien wie Hedda Zinners Selbstbefragung (1989: 96f. u. ö.) und in der Fachliteratur zum Exilland Sowjetunion (Pike 1981, Barck/Jarmatz 1989, Müller 1991). Gründlichere translationshistorische Studien (einschließlich Archivrecherchen in Berlin, Moskau und Budapest) stehen aus.