Friederike Helene Unger, 1741/1751–1813
Obwohl die Übersetzerin, Schriftstellerin und Verlegerin Friederike Helene Unger eine wichtige Protagonistin des Berliner Literaturbetriebs zur Goethezeit war, ist ihre Vita nur sehr lückenhaft überliefert.1Auch scheint von Friederike Helene Unger kein Bildnis erhalten zu sein. Eine Zeichnung, die in einem Lexikonartikel mit ihr in Verbindung gebracht wird, zeigt nach Angaben von Giesler (2003: 59) eine bekannte Namensvetterin, die Schauspielerin Friederike Unger. Dies gilt schon für das Geburtsjahr: In den meisten Quellen werden 1741 oder 1751 als Geburtsjahr genannt. Susanne Zantop hält 1741 für wahrscheinlich und äußert dazu folgende Vermutung: „Es ist möglich, daß Unger selbst das spätere Datum angab, um den Altersunterschied zu ihrem erheblich jüngeren Mann zu verschleiern“ (Zantop 1991: 410). Bei dem „erheblich jüngeren Mann“ handelt es sich um den Berliner Verleger Johann Friedrich Unger (1753-1804), den sie um 1785 heiratete (das genaue Jahr ist ebenfalls nicht bekannt).
Nicht mit Sicherheit bekannt ist auch der Name ihrer Mutter. Ihr Vater war der preußische Generalleutnant Friedrich Rudolf Graf von Rothenburg (1710–1751). Sie selbst bezeichnete sich in einem Brief als uneheliche Tochter des Grafen (vgl. Lehmstedt 1996: 92), dessen Ehe mit der Marquise de Parabère als kinderlos galt. Nach dem Tod des Vaters wuchs sie im Haus des Hofpredigers Johann Peter Bamberger und dessen Frau Antoinette in Potsdam auf, genoss dort eine gute Erziehung und lernte u.a. sehr gut Französisch.
Gegen Ende der 1770er Jahre kam sie in den Haushalt des Holzschneiders Johann Georg Unger in Berlin, vermutlich als Erzieherin von dessen Tochter. Dort lernte sie auch Ungers Sohn, ihren späteren Mann, Johann Friedrich Unger, kennen, der 1780 seinen eigenen Verlag gründete. In den Folgejahren erschienen dort zahlreiche Übersetzungen und Originalschriften aus Friederike Helenes Feder. Bekanntheit erlangte u.a. die Übersetzung von Rousseaus Confessions (Bekenntnisse, 1782), die, wie alle Übersetzungen, anonym erschien. Auch ihr erster, viel beachteter Roman Julchen Grünthal. Eine Pensionsgeschichte (1784) und die weiteren erzählerischen Texte erschienen ohne Nennung ihres Namens.
Nach der Heirat mit Johann Friedrich Unger brachte sich Friederike Helene Unger noch stärker in das Verlagsgeschäft ein, zu dessen Programm u.a. Werke von Goethe, Karl Philipp Moritz und Friedrich Schlegel zählten, ebenso wie Übersetzungen von Werken Cervantes’ oder Shakespeares.
„Ungeachtet ihrer unehelichen Geburt und ihrer Heirat mit einem Bürgerlichen verkehrte sie in allerhöchsten Kreisen“ (Lehmstedt 1996: 95), bis hin zum preußischen Königshaus. Von persönlichen Konflikten geprägt war die Beziehung zum Schlegel-Kreis, möglicherweise ausgelöst durch eine unglückliche Liebesbeziehung zu Friedrich Schlegel.
Nach dem Tod Johann Friedrich Ungers (1804) übernahm seine Witwe als Alleinerbin (die Ehe war kinderlos geblieben) die Geschäfte des hochverschuldeten Verlags. Ihre eigene literarische Produktion ging in dieser Zeit zurück, brach aber nie ganz ab. Trotz intensiver Bemühungen um eine Konsolidierung der Verlagsgeschäfte, u.a. durch eine Reduktion des umfangreichen und heterogenen Programms, gelang es Friederike Helene Unger nicht, den Verlag in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, während der französischen Besatzung Berlins, zu sanieren, so dass sie schließlich 1811 Konkurs anmelden musste. Am 21. September 1813 starb Friederike Helene Unger, „verarmt und wohl auch vereinsamt“ (Lehmstedt 1996: 129).
Zu Ungers Werk schreibt Birte Giesler, die eine Monographie zu ihrem erzählerischen Werk verfasst hat: „Zwischen 1782 und 1810 schafft Unger ein umfangreiches Werk, zu dem neben Übersetzungen und Zeitschriftenbeiträgen neun Originalromane und zwei Erzählungen gehören“ (Giesler 2003: 56). Das erzählerische Werk blieb nach Ungers Tod lange Zeit unbeachtet und wird „seit einigen Jahren im Zuge des Genderdiskurses […] verstärkt untersucht u. als intertextuelle Auseinandersetzung mit dem männlich dominierten Genre des Bildungsromans neu bewertet“ (Hahn / Vorderstemann 2011: 691). Einige Zuordnungen der anonym erschienenen Werke sind allerdings umstritten. Dies gilt besonders für den Roman Bekenntnisse einer schönen Seele (1806), der 1991 von Susanne Zantop neu herausgegeben und mit einem Nachwort versehen wurde. Laut Zantop, die verschiedene Hypothesen für die Autorschaft referiert, „tendieren heutige Kritiker auf Grund von Stil- und Stoffvergleichen dazu, Unger als Hauptautorin der Bekenntnisse anzusehen“ (Zantop 1991: 388). Diese Zuordnung wird von Alexander Nebrig vehement abgelehnt. Nebrig hält den Historiker Paul Ferdinand Friedrich Buchholz für den Autor und gibt dafür zahlreiche Indizien an (vgl. Nebrig 2008: 107ff.).
Auf Ungers Romane und Erzählungen gehe ich im Folgenden nicht weiter ein. Hierzu vgl. insbesondere Giesler (2003), die vier Romane und Erzählungen ausführlich interpretiert und zudem eine umfangreiche Bibliographie vorgelegt hat, sowohl zu Ungers eigenen literarischen Werken als auch zu ihren Übersetzungen. Gieslers Liste von Ungers Übersetzungen umfasst 14 Monographien aus den Jahren 1782 bis 1798, von denen neun in einschlägigen Literaturzeitschriften rezensiert wurden (vgl. Giesler 2003: 313ff.). Abgesehen von einer Übersetzung aus dem Englischen stammen alle Übersetzungen aus dem Französischen. Die meisten Übersetzungen sind bei Johann Friederich Unger erschienen. Im Folgenden werde ich auf einige ausgewählte Übersetzungen näher eingehen.
Zunächst zu der bereits erwähnten Übersetzung von Rousseaus Confessions, die 1782 in zwei Bänden unter dem Titel J.J. Rousseau’s Bekenntnisse erschien (Rousseau / Unger 1782). In ihrem Vorwort, die unter dem Titel „Vorerinnerung des Uebersezzers“ abgedruckt wurde, betont Unger, dass ihr die Wiedergabe von Rousseaus Individualstil besonders wichtig gewesen sei:
Die Übersetzung, welche ich davon liefere, hat wenigstens, denke ich, den Vorzug, daß sie möglichst getreu ist, und sogar größtentheils die Eigenheiten des Rousseauschen Stils durchschimmern läßt. Ich würde fehlerhaft zu übersetzen geglaubt haben, wenn ich bei einem Buche von dieser Art, das Charakteristische in dem Stil des Verfassers durch mehr Leichtigkeit des Ausdrucks und Periodenbaus übertüncht hätte. (Rousseau/Unger 1798: Bd. 1, unpag.)
Ein zeitgenössischer Rezensent bemerkt lobend: „Ich finde sie [die Übersetzung] treu und fließend, und einige Stellen so gut, so ganz im Geiste Rousseau’s gegeben, daß ich schwerlich glaube, daß sie im Ganzen auch von einer spätern übertroffen werden könne“ (Engel 1782: 162). Es soll allerdings nicht verschwiegen werden, dass diese Rezension in einem Periodikum aus dem Hause Unger erschienen ist.
Eine differenziertere Analyse aus heutiger Sicht hat Alexander Nebrig vorgelegt. Nebrig bescheinigt der Übersetzung Vollständigkeit und bestätigt, dass sich die Syntax an Rousseaus Stil orientiere. Für den Wortschatz gelte dies jedoch nicht: „Die Eigenart von Ungers Übersetzung gibt sich erst auf lexikalischer Ebene zu erkennen, wo Unger Rousseaus Eigenschaftswörter in zahlreichen Fällen mit weniger Emphase wiedergibt oder einen bildlichen Ausdruck vermeidet“ (Nebrig 2008: 101), wofür Nebrig eine Reihe von Beispielen zitiert. Damit schaffe Unger eine „nüchterne Distanz zur Vorlage“ (2008: 103), eine Haltung, die sich auch in anderen Übersetzungen widerspiegele und dem Stil von Ungers eigenen Werken entspreche. Für Ungers spätere Übersetzungen gilt diese Charakterisierung m.E. jedoch nicht, wie wir noch sehen werden.
Ab 1785, als eine Übersetzung von Beaumarchais’ Le Mariage de Figaro erschien (Beaumarchais / Unger 1785), etablierte sich Unger vor allem als Dramenübersetzerin. Ich möchte an dieser Stelle zunächst zwei Übersetzungen von Komödien Molières herausgreifen: Der Betbruder, „nach Molier’s Tartüff frei übersetzt“ (Molière / Unger 1787) und Der adelsüchtige Bürger, eine „Posse mit Tanz untermischt“ (Molière/Unger 1788), nach der comédie-ballet Le Bourgeois Gentilhomme.
In der „Vorrede“ der Tartuffe-Übersetzung rechtfertigt der anonyme „Übersetzer“ [sic], „daß er dem andächtigen Betrüger, statt der Molierischen Ausdrükke andere unseres Zeitalters, und in unserer Sphäre gangbare in den Mund legte“ (Molière / Unger 1787: 13). Die Anpassung an die deutsche Zielkultur zeigt sich auch beim Umgang mit den Namen der Figuren: „Fast alle Namen sind durch deutsche ersetzt (Orgon => Herr von Wilhelmi, Valère => Herr von Lilienfels, Cléante => Baron Forstheim, Tartuffe => Gollberg usw.)“ (Keck 1996: 156).
Auch in Ungers zweiter Molière-Übersetzung werden die Namen angepasst. So wird z.B. aus Monsieur Jourdain, dem Protagonisten der Komödie, Herr Schulz. Meloni unterstreicht in seiner Analyse den kolloquialen Stil der Übersetzung und zitiert in diesem Kontext u.a. die folgende Passage:
Monsieur Jourdain. Hé bien, Messieurs? qu’est-ce? me ferez-vous voir votre petite drôlerie? […] Eh la… comment appelez-vous cela? Votre prologue ou dialogue de chanson et de danse.
Herr Schulz. Diener Ihr Herr, Diener. Nun, bringen Sie mir schon was von Ihren Schnikschnakkereien? […] Je nun! Was weiß ich gleich, wie Ihr Leute das nennt. Ein Prohlog, oder… wie heißt so ein Ding, wie ich bestellt habe? (zit. nach Meloni 2009: 789)
Einem zeitgenössischen Rezensenten ging dies zu weit: „Nur rathen wir dem Verf., künftig seine Karikaturzüge mehr zu mäßigen. Spott, der zu sichtbar übertreibt, macht kaum Einmal Lachen, und bessert nichts“ (Anon. 1789: 464). Allerdings weisen weder Meloni noch der zeitgenössische Rezensent darauf hin, dass die Übersetzung im Titel nicht als Komödie, sondern als Posse bezeichnet wird.
Als Ungers erfolgreichste Dramenübersetzung entpuppte sich jedoch ein Stück, das 1790 unter dem Titel Der Mondkaiser. Eine Posse in drei Aufzügen. Aus dem Französischen frei übersetzt ohne Nennung des Autors oder eines Ausgangstextes erschien (Unger 1790). Dieses kurze, satirische Stück in der Tradition der commedia dell’arte, das auf einer märchenhaften Mondinsel spielt, erfuhr eine erstaunliche Resonanz, wie Anne Fleig im Nachwort eines von ihr herausgegeben Neudrucks betont: „Der Mondkaiser wurde mindestens bis 1798 immer wieder gespielt, am Königlichen Nationaltheater in Berlin zwischen 1790 und 1796 allein 31 Abende, aber etwa auch am Hoftheater in Weimar unter Goethes Leitung“ (Fleig 2000: 59f). Zur Genese des Textes schreibt Fleig: „Der Mondkaiser von Unger geht zurück auf Arlequin Empereur dans la lune von Nolant de Fatouville, der nach italienischen Vorlagen von Evaristo Gherardi gearbeitet hatte. Die französische Fassung wurde im März 1684 in Paris zum ersten Mal aufgeführt und 1700 von Gherardi in die Sammlung Théâtre italien aufgenommen“ (Fleig 2000: 52). Im Vergleich zu Ungers früheren Dramenübersetzungen resümiert Fleig: „Der vergleichende Blick auf ihre Übersetzungen zeigt, daß sie sich zunehmend ins komische Fach einarbeitete und ihre Übertragungen immer freier wurden“ (Fleig 2000: 59).
Unger war im Übrigen nicht nur als Literaturübersetzerin tätig, sondern hat auch einige historische und politische Monographien übersetzt. Bereits 1784 publizierte sie die Übersetzung eines Buches zur Geschichte der Bastille von Simon Nicolas Henri Linguet (Linguet / Unger 1784). Politisch besonders brisant war die Veröffentlichung der Monographie Geheime und kritische Nachrichten von den Höfen, Regierungen und Sitten der wichtigsten Staaten in Italien von Joseph Gorani im Jahr 1794. Diese erschien nicht im Hause Unger, sondern wurde von dem Berliner Verleger Christian Friedrich Voß unter dem Namen einer „Tarnfirma“ (Lehmstedt 1996: 98), Peter Hammer in Köln, publiziert. In der „Nachschrift des Übersetzers“ zu Beginn von Band 1 finden sich mehrere Formulierungen, die offenkundig dazu dienen sollen, sich öffentlich von den Ansichten des Verfassers zu distanzieren, z.B. wenn davon die Rede ist „daß in diesem Buche ein Französischer Republikaner schreibt, und daß gewiß bei dessen Schilderungen öfters mehr als Eine Leidenschaft im Spiele gewesen ist“ (Gorani / Unger 1794: IX). Die „Nachschrift“ endet mit folgendem Bekenntnis:
Wäre, wie der Uebersetzer gern glaubt, auch nur die Hälfte von dem wahr, was der Französische Bürger Joseph Gorani von mehreren Italiänischen Höfen […] erzählt; so reichte selbst das schon hin, unseren Deutschen Bürgern Liebe zu ihren Fürsten und ihrem Vaterlande einzuflößen: zu jenen, weil sie ihre Bestimmung besser erfüllen […], zu diesem, weil es nicht von Despotismus gedrückt wird […]. (Gorani/Unger 1794: X)
Insgesamt kann Friederike Helene Unger, neben ihrem eigenen erzählerischen Werk, ein beachtliches übersetzerisches Schaffen vorweisen, das z.T. unter schwierigen Umständen entstand. Zwar musste sie sich zu Lebzeiten ihres Mannes nicht um einen Verlag für ihre Schriften bemühen, bezog aber als Verlegersfrau auch kein Honorar. Nach dem Tod ihres Ehemanns wurde Friederike Helene Ungers finanzielle Situation noch prekärer.
Forschungsdesiderata liegen noch in der empirischen Überprüfung einiger Zuschreibungen. Unklarheiten bestehen nicht nur im Hinblick auf eigene erzählerische Schriften, sondern auch hinsichtlich einzelner Übersetzungen. So stammt laut Lehmstedt (1996: 98) vermutlich nur die Übersetzung der ersten beiden von drei Bänden des oben erwähnten Buches von Gorani von Unger.
Anmerkungen
- 1Auch scheint von Friederike Helene Unger kein Bildnis erhalten zu sein. Eine Zeichnung, die in einem Lexikonartikel mit ihr in Verbindung gebracht wird, zeigt nach Angaben von Giesler (2003: 59) eine bekannte Namensvetterin, die Schauspielerin Friederike Unger.