Johannes Bobrowski, 1917–1965
„Ich bewundere jeden, der das kann“ – Johannes Bobrowski als Nachdichter
Der 1917 in Tilsit geborene, im ostpreußischen Rastenburg und in Königsberg aufgewachsene Dichter Johannes Bobrowski, der Kunstgeschichte studieren wollte, aber zum Militär einberufen wurde, als Soldat an der Westfront kämpfen und dann den Russlandfeldzug mitmachen musste, der aus russischer Kriegsgefangenschaft Weihnachten 1949 zu seiner mittlerweile im Ostberliner Stadtteil Friedrichshagen lebenden Familie entlassen wurde, war nicht nur musikalisch sehr begabt, sondern auch an Sprache und Literatur interessiert. Sein Interesse war immer größer als sein „Fleiß“. Aber er war „bibelfest“, er las griechische und lateinische Texte, Arno Holz, Alfred Brust, Stefan George. Seine „Zuchtmeister“ waren dann Herder, Hamann und Klopstock. Mit den Gedichten, die er seit 1941 schrieb, war kein Lebensunterhalt zu bestreiten. Er wurde Lektor im Altberliner Verlag Lucie Groszer, betreute Kinder-, Märchen- und Sagenbücher. 1960 wechselte er als Lektor zum Union Verlag. Von 1961 bis zu seinem frühen Tod 1965 erschienen jeweils in Ost und West drei Gedichtbände, Erzählungen und zwei Romane. In diesen Jahren wurde er auch häufiger um Übersetzungen gebeten.
Am 10. September 1963 schrieb Bobrowski an den israelischen Dichter David Rokeah:
Ich selber habe nicht das leiseste Talent für Übertragungen, ich hab mich an tschechischen und russischen Dichtern, einmal an Shelley versucht, aber es waren reine Mißerfolge. Ich bewundere jeden, der das kann. (JBB IV: 93)
Diese Selbsteinschätzung mag vielleicht für Shelley gelten, in der Nachdichtung Ewiger Wechsel wird der Tag „sorgenfahl“ und beschert den Reim „ob du umarmst dein Leid, abtust die Qual“ (GW II: 363).
Bobrowskis Übersetzungen von Gedichten Pasternaks sind „gemeistert“. Dessen Gedichte und den Roman Doktor Schiwago schätzte er. Zum Tod am 30. Mai 1960 schrieb er als Epitaph Gedächtnis für B. L. (GW I: 138). Im erhaltenen Satzmanuskript des Union Verlags lautete zuerst die Überschrift Zu Pasternaks Gedächtnis (GW V: 141). Boris Leonidowitsch Pasternak widmete er auch ein Epigramm (GW I: 238). Die drei Nachdichtungen Geliebte – du Abgrund, Ein Geheimnis und Nicht berühren (GW I: 258-60) entstanden für die 1965 im Verlag Kultur und Fortschritt erschienene Anthologie russischer Liebesgedichte Zwei und ein Apfel, hrsg. von Edel Mirowa-Florin und Leonhard Kossuth. Am 15. Februar 1965 sandte Bobrowski die Nachdichtungen an Kossuth:
wie zugesagt, hier die drei Versuche. Ich hab versucht, was (mir) möglich war, – es geht eben doch nicht richtig. Ganze Bildvorstellungen waren nur mit Adjektiven oder nicht mehr bemerkbaren Nuancen oder durch Stellung im Satz auszudrücken, vieles ist ganz weggefallen. Nun wirkts wohl allzu glatt. Wie gesagt, mehr kann ich nicht. (JBB IV: 563)
Derartige Skepsis gehörte zum Wesen seines Schriftstellerhandwerks, verursacht durch die jahrelangen Mühen, das nötige Verständnis für seine Dichtungen zu finden. Die höchste sprachliche Präzision, nämlich das Ungesagte der poetischen Spurensuche Pasternaks zur Sprache zu bringen, war sein Anspruch. Das Wesentliche eines Gedichts war nicht „Mitteilung“, nicht die „Aussage“, es ging ihm als Dichter um das poetische „Mehr“.
Außer Pasternak übersetzte Bobrowski für die von Franz Fühmann und Ludvík Kundera herausgegebene Anthologie tschechischer Lyrik des 20. Jahrhunderts Die Glasträne zwei Gedichte von Konstantin Biebl: Javanerinnen und Die Javanerin spricht (GW I: 256 f.). Für den Kinderbuchverlag Berlin übersetzte er 1964 mit einfühlsamer erzählerischer Lust Samuil Marschaks Dialogdichtung Das Tierhäuschen (GW I: 261–283).
Auch den Übersetzer Bobrowski leiteten Klopstocks Gedanken über Sprache und die Natur der Poesie:
Das Wesen der Poesie besteht darinn, daß sie, durch die Hülfe der Sprache, eine gewisse Anzahl von Gegenständen, die wir kennen, oder deren Daseyn wir vermuthen, von einer Seite zeigt, welche die vornehmsten Kräfte unsrer Seele in einem so hohen Grade beschäftigt, daß eine auf die andre wirkt, und dadurch die ganze Seele in Bewegung setzt. (Klopstock 1759: 107)