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Erich Kästner, 1899–1974

23. Februar 1899 Dresden (Deutsches Reich) - 29. Juli 1974 München (Bundesrepublik Deutschland)
Original- und Ausgangssprache(n)
Englisch
Auszeichnungen
Georg-Büchner-Preis (1957)
Schlagworte
Übersetzerisches ProfilDichterübersetzer, Gelegenheitsübersetzer, Nachdichter Übersetzte GattungenDrehbücher, Jugendliteratur, Kinderliteratur, Lyrik Sonstige SchlagworteInnere Emigration (NS-Zeit)

Wer den Namen Erich Kästner hört, dürfte zuerst an seine Kinderbücher denken, an Emil und die Detektive (1929), Pünktchen und Anton (1931), Das fliegende Klassenzimmer (1933) oder Das doppelte Lottchen (1949). Kästner hat aber auch für Erwachsene geschrieben. Sein Roman Fabian (1931) gilt als Schlüsselwerk der Neuen Sachlichkeit, der Roman Die verschwundene Miniatur (1935) wurde in 22 Sprachen übersetzt. Ferner entstanden Gedichte, Chansontexte für das Kabarett, ein Theaterstück, Arbeiten für den Rundfunk, Drehbücher, Essays, Beiträge für das Feuilleton usw. Es gibt kaum ein literarisches Genre, in dem Kästner nicht geschrieben hätte.

Sein übersetzerisches Werk ist vergleichsweise überschaubar. Es umfasst ein Theaterstück für Kinder, zwei Gedichte, ein Drehbuch und zwei Nacherzählungen von Klassikern der Weltliteratur. Hauptzielgruppe seines übersetzerischen Arbeitens waren die Kinder.

Biographie

Erich Kästner wurde am 23. Februar 1899 in Dresden in kleinbürgerlichen Verhältnissen geboren. Schon früh förderte seine Mutter die geistige Entwicklung des einzigen Sohnes. Er absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Volksschullehrer, holte dann das Abitur nach und studierte nach dem Ersten Weltkrieg (der ihn zum Gegner von allem Militärischen machte) Germanistik, Geschichte, Philosophie und Theatergeschichte. 1925 wurde er an der Universität Leipzig mit der gut 100 Seiten umfassenden Dissertation Friedrich der Große und die deutsche Literatur. Die Erwiderungen auf seine Schrift „De la litterature allemande“ promoviert. Um sein Studium zu finanzieren, schrieb er ab 1922 Beiträge für die Neue Leipziger Zeitung. 1927 zog er nach Berlin, wo er als freier Mitarbeiter für bedeutende Zeitungen und Zeitschriften wie die Vossische Zeitung, das Berliner Tageblatt oder Die Weltbühne tätig wurde. 1928 erschien sein erster Gedichtband (dem bis 1933 drei weitere folgten), 1929 mit Emil und die Detektive der erste Roman für Kinder, 1931 mit Fabian – Die Geschichte eines Moralisten ein Großstadtroman über die krisengeschüttelte Weimarer Republik. Daneben verfasste er Texte für das Kabarett und arbeitete weiter als Theaterkritiker sowie für den Rundfunk.

1933 ging Kästner nicht ins Exil. Obwohl seine von Goebbels als „Asphaltliteratur“ geschmähten Werke zum großen Teil verboten und öffentlich verbrannt wurden und er de facto ein Publikationsverbot erhielt, setzte er seine literarische Arbeit unter verschiedenen Pseudonymen fort. Die Mitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer blieb ihm verwehrt, aber 1942/42 schrieb er – mit Duldung der Kammer – das Drehbuch für den UFA-Film Münchhausen. Auch wurden viele seiner Bücher ab 1933 in der Schweiz weiter verlegt und konnten in Deutschland gekauft werden.1Die Reichsschrifttumskammer erteilte Kästner am 14. Januar 1943 erneut ein Schreibverbot (vgl. Enderle 1966: 78). Aufschlussreich für seine antinazistische Haltung ist das 2006 aus dem Nachlass herausgegebene Blaue Buch, sein Kriegstagebuch der Jahre 1941, 1943 und 1945 (Kästner 2006).

Gleich nach Kriegsende nahm Kästner seine publizistische Tätigkeit wieder auf. Er war 1946/47 Leiter des Feuilletons der Neuen Zeitung in München (Chefredakteur der damals in bis zu 2,5 Millionen Exemplaren erscheinenden Zeitung: Hans Habe), von 1946 bis zur Währungsreform Herausgeber der Zeitschrift Pinguin. Für junge Leute (vgl. Ebbert 1994) und schrieb Texte für das Kabarett. Er veröffentlichte bereits 1946 bei Rowohlt (Stuttgart und Hamburg) den Sammelband Bei Durchsicht meiner Bücher – eine Auswahl aus vier Versbänden. 1949 folgten Der tägliche Kram – Chansons und Prosa 1945–1948 sowie Das doppelte Lottchen und anschließend weitere Bücher für Kinder. 1951–1962 war er Präsident des westdeutschen PEN-Zentrums. 1957 wurde Kästner mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Zwischen 1961 und 1967 erschienen noch neue Buchveröffentlichungen von ihm, danach bis zu seinem Tod am 29. Juli 1974 in München nur noch Neuauflagen oder neue Zusammenstellungen seiner früher entstandenen Werke.

Literarische Bedeutung

Obwohl Erich Kästner Ende der sechziger Jahre zum „schweigenden Autor“ wurde, hat er für die Literatur in mehrerer Hinsicht eine weitreichende Bedeutung. Seine Werke für Kinder stellen Kinder nicht mehr als idealtypische Figuren dar, sondern verleihen ihnen eine eigene Persönlichkeit. Als „längst fällige Hinwendung der Literatur für Kinder ebenso zur überprüfbaren Realität wie zu realistischen Ausdrucksmitteln“ bezeichnet Marcel Reich-Ranicki die Kinderbücher von Erich Kästner (Reich-Ranicki 2006). Er war aufgeschlossen für neue Medien und arbeitete so für den Rundfunk und den Film. Nach dem Krieg wurde er wie erwähnt Feuilletonchef der Neuen Zeitung, die als überregionale „amerikanische Zeitung für die deutsche Bevölkerung“ demokratische Aufklärung leisten sollte. Er brachte den Deutschen internationale Autoren von Thornton Wilder bis Jean-Paul Sartre näher (Hanuschek 1999: 332 ff.), neue Entwicklungen der Literatur, die während des Dritten Reichs an Deutschland vorbeigingen, er druckte Texte emigrierter Kollegen wie Thomas Mann und Carl Zuckmayer oder förderte junge Autoren wie Wolfgang Bächler und Alfred Andersch. Kästner nutzte seine Stellung und seine Verbindungen, um im Nachkriegsdeutschland die Spaltungen im literarischen Leben (Exil und Nicht-Exil; west- und ostdeutsche, alte und junge Autoren) zu überwinden (vgl. Kästner 1950a).

Sprachbiographie

Französisch hat Kästner in der Dresdner Bürgerschule gelernt, das Englische erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, als er 1919 das König-Georg-Gymnasium in Dresden besuchte. „In kürzester Zeit lernte er Englisch nach und legte ein glanzvolles Abitur ab“, schreibt ein Biograph (Hanuschek 2004: 26). Bei Luiselotte Enderle, seiner Lebensgefährtin und ersten Biographin, heißt es: „Er musste Englisch nachlernen. Er büffelte Tag und Nacht“ (Enderle 1966: 35). Das Englisch-Lernen kostet „eisernen Fleiß“, gelingt Erich Kästner aber „mühelos“ (Bemmann 1998: 37), beschreibt eine andere Biographie Erich Kästners Erlernen der Fremdsprache. „Innerhalb eines dreiviertel Jahres hat er Englisch nachgelernt und dafür ein Gut im Abiturzeugnis bekommen“ (Hanuschek 1999: 62), liest man in einer weiteren Biographie. Auch beim Erlernen der Fremdsprache erwies er sich so als „patentierter Musterknabe“, wie es 1930 in seinem Gedicht Kurgefasster Lebenslauf heißt. Kästners Übersetzungen und Nachdichtungen stammen, bis auf eine Ausnahme, den Don Quichotte von Cervantes für Kinder, aus dem Englischen.

1. Peter Pan oder Das Märchen vom Jungen, der nicht groß werden wollte (1952)

„Nur Erich Kästner konnte Peter Pan […] für die deutschen Kinder übersetzen. Kästner ist selber, wie Peter Pan, ein Junge, der nicht groß werden will“ (Kus 1952). Dazu passt der Titel, unter dem die Erzählung Drei Männer im Schnee als Theaterstück bekannt wurde: „Das lebenslängliche Kind“ (Kästner / Buhre 1934). Dazu passt aber auch die Aufforderung Kästners selbst: Lasst euch die Kindheit nicht austreiben!“ (Kästner 1950b). Hanuschek sieht Kästners Verhältnis zu Peter Pan anders. Er stellt die Frage, ob er nicht unter dem Peter-Pan-Syndrom litt, einer, populärwissenschaftlich ausgedrückt, Verhaltensstörung überwiegend junger Männer, die nicht erwachsen werden wollen (Hanuschek 1999: 43). Er weist auch darauf hin, dass Kästner die Übersetzung von Peter Pan offenbar so wichtig war, dass er sie in die Auswahlausgabe Erich Kästner für Erwachsene aufnahm (ebd.). In einer Kritik zur deutschen Erstaufführung des Stücks (23. April 1952, Bayrisches Staatsschauspiel, München) wird Kästner als der „gottgegebene Bearbeiter gerade dieses Stoffes“ bezeichnet (Süskind 1952). Die Übersetzung finden auch heute noch Anklang. Zu einer Inszenierung von 2013 schreibt die Hannoversche Allgemeine Zeitung: „Mina Salehpour verwendet […] die von Erich Kästner übersetzte, anspruchsvolle Theaterfassung, in der die Ambivalenz Peter Pans – sein kindlicher Charme und Mut, aber auch sein Narzissmus – deutlich [werden].“ (Rinas 2013).

2. Old Possums Katzenbuch (1952)

„Über ein Jahr arbeitete ich an den Eliot’schen Katzengedichten“, erinnert sich der Übersetzer Werner Peterich (1984). Aber der Suhrkamp-Verlag, dem er die Gedichte anbot, entschied anders. Statt seine Übersetzungen direkt zu veröffentlichen, schrieb ihm der Verleger, wolle man sie von namhaften deutschen Dichtern bearbeiten lassen. Werner Peterich stimmte zu. In Old Possums Katzenbuch (Eliot 1952) war nominell nur ein einziges Gedicht von ihm übrig geblieben. Alle anderen Gedichte bearbeiteten die vom Verlag ausgewählten Dichter, nämlich Annemarie Seidel, Rudolf Alexander Schröder, Nora Wydenbruck, Friedrich Podszus, Peter Suhrkamp, Carl Zuckmayer und Siegfried Unseld. Werner Peterich weist aber auch darauf hin, dass einzig Erich Kästner sich „kein Deut um seine Vorlage kümmerte“, sondern etwas „völlig Eigenständiges“ schuf (Peterich 1984). In der Nachbemerkung steht auch in späteren Ausgaben des Bibliothek-Suhrkamp-Bandes noch der Hinweis, dass die Übersetzung der Texte von Werner Peterich angeregt wurde und dass ihm besonders für seine wort- und sinngetreuen Vorarbeiten zum deutschen Text zu danken sei, die den Dichtern neben den englischen Originalen für ihre Nachdichtungen an die Hand gegeben werden konnten (Eliot 1972: 138). Dass Kästner von der Vorlage, wie Werner Peterich berichtet, keinen Gebrauch machte, wird nicht erwähnt.

Kästner kannte die Katzengedichte von T. S. Eliot spätestens seit 1949. Im Gespräch mit einem Mitarbeiter der Neuen Schweizer Rundschau zitierte er „begeistert ganze Strophen des englischen Originals“. Hintergrund des Gesprächs war, dass der Journalist Kästner die Gedichte zur Übersetzung nahe legen wollte, als „dem einzigen Schriftsteller, der diese Verse vielleicht nachdichten könnte.“ Zu diesem Zeitpunkt erklärte er noch, dass dies „eine ungeheure Arbeit wäre“ und dass „zum Schluss wahrscheinlich ein völlig anderes Buch heraus käme“ (Fischer 1949/50). Was zu Kästners Meinungsumschwung beitrug, wenigstens ein Gedicht aus der Sammlung zu übertragen, ist nicht überliefert. Seine Übersetzung von The Naming of Cats – Wie heißen die Katzen findet sich prominent als erstes Gedicht im Buch.

In seinem Essay Meine Katzen schreibt Kästner selbst über den Gedichtband Old Possum’s Book of Practical Cats, dass T. S. Eliot sich „ernsthaft, und das heißt humorvoll“, mit der Frage beschäftigt habe, ob „die Katze selbst ein Rätsel ist“ (Kästner 1959: 11). Und weiter: „Eliot sinnt darüber nach, worüber wohl die Katzen nachsinnen, wenn sie ‚in profound meditation‘ vor sich hin starren.“ Als Antwort zitiert er das Gedicht von T. S. Eliot, das er selbst übersetzt hat:

The Naming of Cats is a difficult matter,
lt isn’t just one of your holiday games;
You may think at first I’m as mad as hatter
When I tell you, a cat must have THREE DIFFERENT NAMES.

Wie heißen die Katzen? gehört zu den kniffligsten Fragen
Und nicht in die Rätselecke für jumperstrickende Damen.
Ich darf Ihnen, ganz im Vertrauen, sagen:
Eine jede Katze hat drei verschiedene Namen.

In Ihrem Beitrag über Kästners Nachdichtungen betont Susanne Kreller die Freiheit seiner Übersetzung. Satzeinschübe, wie sie im Original nicht vorkommen, sind charakteristisch auch für Kästners eigene Lyrik. Daraus entstehe ein eigenständiger Rhythmus (Kreller 2014: 409). Auch Wortschöpfungen wie die „jumperstrickenden Damen“ führt Kästner ein, obwohl es dafür im Original keine Entsprechung gibt. Genauso verwendet er andere Namen für die Katzen als in der englischen Vorlage. Aus Munkustrap, Quaxo, Coricopat, Bombalurina und Jellylorum werden bei ihm Schnurroaster, Tatzitus, Katzastrophal, Kralline und Nick Kater. Für die deutsche Version des Musicals Cats übernimmt der Übersetzer Michael Kunze im Übrigen die englischen Original-Namen.

3. Besuch vom Nikolaus

Anlass für die Übersetzung des 1855 entstandenen Gedichts A Visit from St. Nicholas von Clement Clark Moore war eine von Jella Lepman (1891–1970) 1946 organisierte Kinderbuchausstellung in Berlin. Die Veranstalterin wollte den Kindern „ein kleines literarisches Weihnachtsgeschenk machen“ (Kreller 2014). Kästner und Lepman hatten sich in der Nachkriegszeit kennengelernt und arbeiteten mehrfach zusammen (vgl. dazu Hanuschek 1999: 360ff.).

Kästner hält sich bei der Übersetzung des Gedichts relativ stark an das Original, wie das folgende Beispiel zeigt:

Twas the night before Christmas, when all through the house
Not a creature was stirring, not even a mouse

In der Nacht vor dem Christfest, da regte im Haus
Sich niemand und nichts, nicht mal eine Maus.

Susanne Kreller stellt fest, dass Kästner sich an der metrischen Gestaltung des Ausgangstextes orientiert und auch rhythmische Zäsuren beibehält bzw. ergänzt. Sie merkt ferner an, dass er in seiner Übersetzung, anders als in seinen eigenen Gedichten, keine kurzen Verse verwendet, sondern nahe am Ursprungstext und dessen Struktur bleibt (Kreller 2014, S. 408).

Als „fröhlich-weihnachtliche Verse“ bezeichnet Susanne Schübel diese Übersetzung (Schübel 1998) und weist darauf hin, wie sehr Clement Clark Moores Gedicht das amerikanische Weihnachten geprägt hat. Kreller weist darauf hin, dass in Deutschland die amerikanische Vorstellung von Weihnachten lange Zeit fremd war, dass aber im Zuge der Globalisierung diese Ferne verloren ging (Kreller 2014: 404). Insoweit ist die Übersetzung von Erich Kästner auch so etwas wie eine kulturelle Brücke zwischen dem deutschen Weihnachtsverständnis und der amerikanischen Weihnachtstradition. Wiederholte Neuausgaben von Kästners Übersetzung zeigen, dass sie auch heute noch von den Verlagen hoch bewertet wird weiterhin ihre Leser findet. Bemerkenswert ist dabei, dass, gewiss aus Marketing-Erwägungen, auf Umschlägen und Titelseiten Kästners Name in die eigentlich für den Originalautor des Textes vorgesehene Zeile gerückt wird.

4. Don Quixote (1956) und Gullivers Reisen (1961)

Die Nacherzählungen von Klassikern nehmen in Kästners kinderliterarischen Werken eine zentrale Rolle ein. Er hat mit Till Eulenspiegel (1938), den Abenteuern des Barons Münchhausen (1951) und den Geschichten um die Schildbürger (1956) die drei wichtigsten Motivkreise der deutschen Schwänke nacherzählt, dazu das Märchen vom Gestiefelten Kater (1950). Die Leichtigkeit in Kästners Nacherzählungen hebt Benedikt Erenz am Beispiel des Gestiefelten Katers hervor (Erenz 2000). Auch Luiselotte Enderle, Kästners Lebensgefährtin, argumentiert in dieser Richtung: „Es ist immer einmal wieder an der Zeit, solche unzerreißbaren Geschichten nachzuerzählen. Sonst schmecken sie den Kindern altbacken, obwohl sie alterslos sind“ (Enderle 1966: 124). Am Beispiel von Gullivers Reisen gibt sie außerdem einen Einblick in Erich Kästners Vorgehen:

Kästner arbeitete an seiner Gulliver-Fassung über ein halbes Jahr. Und er machte sich – Swift möge ihm das verzeihen – das heimliche Vergnügen, die herrlichen Abenteuer durch eigene kleine Einfälle, bei den Zwergen wie bei den Riesen, zu bereichern. Daß es bis heute niemand gemerkt hat, ist kein Wunder. Denn die Kinder konnten es nicht merken, da sie das Original nicht kennen. Und die Zehnzeilenschinder konnten es erst recht nicht merken. Sie rezensierten, was sie nicht gelesen hatten. (Enderle 1966: 124)

Erich Kästner blieb auch bei diesen Bearbeitungen seiner Gewohnheit treu, durch ein Vorwort sein Verständnis des Textes deutlich zu machen. In Gullivers Reisen lässt er „Lemuel Gulliver“ selbst das Vorwort schreiben (Kästner 1961: 125–127) und dieser zitiert dazu den Autor von Gullivers Reisen, Jonathan Swift, den er als „hochgelehrten Mann voller Phantasie“ charakterisiert: „Die Philosophen haben zweifellos Recht, wenn sie behaupten, daß nichts an und für sich klein oder groß ist, sondern einzig und allein im Vergleich mit anderem.“ Und er benennt am Ende des Vorworts die Zielgruppe, für die er das Buch geschrieben hat: „Für alle Menschen, die neugierig sind. Für die Gelehrten, fürs Volk und für die Kinder.“

Kritisch und differenziert würdigt Ute Harbusch die Nacherzählung von Erich Kästner:

Die Sympathien des Nacherzählers liegen unmissverständlich bei den kleinen Leuten. Während er das Große zum Monströsen anwachsen lässt, wird das Kleine zum Niedlichen hin stilisiert. Wohl kann sich auch Kästners Gulliver einige politsatirische Spitzen nicht verkneifen. Dazu streut er in seinen Bericht ein paar Anachronismen wie „Schlaftabletten“, „Lebensmittelkarten“, „Großstadtverkehr“ und ähnliches ein. Die Stärke dieser Bearbeitung liegt jedoch in der Tat in den vielen „kleinen Einfällen“: Ein Fischerjunge, der Gullivers Knopf wie einen Laib Schweizer Käse vergnügt nach Hause rollt, eine Kanonenkugel, die dem Riesen gerade einmal die Zungenspitze verbrennt – solche Hinzuerfindungen machen aus der Welt der (jeweils) Kleinen eine liebevoll geschilderte und reich ausgestattete Puppenstube.
Gullivers Reisen von 1961 ist die chronologisch letzte der Kästnerschen Nacherzählungen. Sie hat das Original zwar anders gewürzt, doch seiner Schärfe weitgehend beraubt. (Harbusch 1999: 22f.)

Literaturwissenschaftlich mag diese Einschätzung stimmen, sie lässt aber den für Kästner typischen Blickwinkel, die Sicht der Kinder, außer Acht.

Auch bei der Einordnung von Erich Kästners Nacherzählung von Don Quichotte bleibt Ute Harbusch der literaturwissenschaftlichen Sichtweise treu und stellt die Nacherzählung in einen größeren Zusammenhang:

Über Don Quichotte, so heißt es, hat das siebzehnte Jahrhundert gelacht, das achtzehnte gelächelt und das neunzehnte geweint. […]
Sein Don Quichotte von 1956 klingt wie ein Abgesang. Hier lacht nicht mehr der am besten, der zuletzt lacht, vielmehr lachen alle über den, der es im Grunde nur gut meinte. […] Wenn Kästner diesmal in die Rolle des Ritters von der traurigen Gestalt schlüpft, zieht er sich den unbequemen Schuh der Selbstkritik an, doch malt er sich zugleich eine Träne ins lächelnde Gesicht. (Harbusch 1999: 27 f.)

Das zeitgenössische Presseecho fiel anders aus. Über Kästners Version von Don Quichotte veröffentlichte Der VHTL eine Besprechung, in der von einem „dreifachen Vergnügen“ die Rede ist. Das sei der Geschichte selbst, der gelungenen Bearbeitung von Erich Kästner und den Illustrationen von Horst Lemke zu verdanken: „Das ist ein Buch, das jedes Kind begeistert!“ (-ma 1963). Die „eigentümliche Note“, die Kästner seiner Nacherzählung gegeben hat, lobt auch Gustav Kemperdick in Der Zeit (Kemperdick 1961).

Helmut Habe kritisiert, dass Kästner „das aus dem Französischen übernommene unbegründete Don Quichotte“ (statt Don Quijote) verwendet (Habe 1961: 444). Er verweist darauf, dass Kästners Nacherzählung als freie Übertragung einzigartig in dem Sinne sei, dass es keine andere Bearbeitung dieser Art gebe. Die Begrenzung Kästners auf zehn Kapitel „ist eines Dichters würdig, der den Mut hat, für Kinder zu schreiben.“ Habe verweist aber auch auf sprachliche und sachliche „Ungenauigkeiten“ von Kästner, der aus Mägden und Vagabundinnen Kellnerinnen oder aus dem Bergpass Puerto Lapice einen Hafen macht. Auch die Charakterisierung von Don Quichotte, der im Buchtitel noch „scharfsinnig“ genannt wird, als verrückt, wird von Habe gerügt (ebd.).

5. Drehbuch All about Eve (1952)

Der Name des Übersetzers war für den deutschen Filmverleih von All about Eve u. a. ein Mittel zur Vermarktung des Films. Erich Kästners Name stand auf den Filmplakaten genauso wie in der Illustrierten Film-Bühne (Nr. 1419, 1952) prominent direkt unter dem Filmtitel, nur dieser Titel selbst war noch größer geschrieben. Die Urteile über die Qualität der Übersetzung entsprachen dieser Hervorhebung. Kästner war nicht nur ein wirtschaftliches Zugpferd, er wurde den Erwartungen gerecht, wie die Urteile in der Presse zeigen. Der Film wurde „durch die Dialogsicherheit eines erstrangigen Synchronisators, der Erich Kästner heißt, ausgezeichnet ins Deutsche übertragen“, urteilt Die Zeit (mmg: 1952). Von der „sorgfältigen deutschen Fassung Erich Kästners“ sprach Der Spiegel am 30. Januar 1952, Edith Hamann in den Filmblättern davon, „dass die deutsche Synchronisation mehr ist als eine gute Übersetzung“, weil „dafür der Name Erich Kästner bürgt“ (Hamann 1952). Oder: „Erich Kästner übertrug den umfassenden Dialog ins Deutsche, ohne ihn zu verdeutschen. Selten kann man dieses Lob einer Synchronisation so vorbehaltlos spenden“ (Krause 1952). Die Aufzählung lässt sich beinahe beliebig fortsetzen: „Erich Kästner schrieb Dialoge, die sich hören lassen können“ (Kirst 1952); in der FAZ vom 8. Mai 1952 hieß es: „Den deutschen Dialog hat sehr zum Vorteil des Films der alte Filmhase und sprachliche Könner Erich Kästner geschrieben. So geht kein Gramm des originellen Geistes, insbesondere der Ironien verloren“. In der Neuen Zeitung wurde Nachahmung empfohlen: „Erich Kästners Dialogtext hat fechterische Eleganz und Treffsicherheit. Wenn man doch öfter Schriftsteller dieses Formats mit solchen Aufgaben betrauen wollte“ (Peters 1952). Und die Illustrierte Herz-Dame-Weltrevue vom 16. Februar 1952 verlieh Kästner sogar einen imaginären Filmpreis:

Für die deutsche Fassung des Films hätte man keinen besseren, nachempfindenderen und nachschöpfenden Autor finden können als den Meister der Pointe Erich Kästner, der den besten Synchrondialog schuf, den wir bisher kennen gelernt haben. Wenn es einen Oscar für eine solche Leistung geben würde, Erich Kästner hätte ihn verdient.

Auch in der neueren Biographie von Hanuschek wird auf die Qualität der Übersetzung hingewiesen: „Die originalen Dialoge ließen keinen Raum für Sentimentales, Kästners Bearbeitung ist entsprechend scharf und genau und zeigt ihn von der besten Seite“ (Hanuschek 1999, S. 377).

Kästner selbst kommentierte die Übersetzungsarbeit in einem Brief anders. Es war seine erste und seine letzte Synchronarbeit für den Film. Er beklagte:

Ich sitz nun seit Tagen über All about Eve und muss sagen: Dieses Silbenstechen ist ärger als Hundeflöhen! Am schlimmsten sind die Labialen, da muss wegen des Mundschlusses etwas Passendes gefunden werden (klingt wie Hohn), auch wenn dann Wort und Satz keinen Sinn ergeben. Und das soll ich nun noch fast zwei Wochen weitertreiben! Abscheulich! (Kästner 1951)

Die Übersetzung des Filmdrehbuchs führte über die Übersetzung hinaus auch zu einer Arbeit für das Kabarett: Für das Gastspiel von Bruni Löbel im Programm Ihre Sorgen möcht ich haben des Münchner Kabaretts Die kleine Freiheit, das am 21. März 1952 Premiere hatte, schrieb Kästner den Text Einiges über Eva2Unveröffentlichter Text im Nachlass von Erich Kästner im Deutschen Literaturarchiv Marbach, Sg. 8-504 – 1952-03-21-Einig.. Bruni Löbel schreibt in ihrer Biographie Eine Portion vom Glück, dass ihr das Chanson das liebste aller Chansons war, die sie je gesungen habe (Löbel 1995: 298f.).3Bruni Löbel verwechselt Einiges über Eva allerdings mit dem anderen Chanson Plädoyer einer Frau, das Erich Kästner für das Programm für sie geschrieben hat. Der Refrain „Werde Oma, aber bleibe Kind“ wurde im Ensemble zum geflügelten Wort, wie sich Bruni Löbel erinnert. Das Beispiel zeigt, dass Erich Kästner seine Arbeit mehrfach nutzte, hier die Übersetzung als Anregung zu einer Arbeit für das Kabarett.

Weitere Übersetzungen von Filmdrehbüchern lehnte Kästner ab, selbst für die Synchronisation des Gattinnenmörderfilms Monsieur Verdoux von Charlie Chaplin wollte er nicht tätig werden, obwohl er Chaplin verehrte (Hanuschek 1999: 378). Er begründete dies in einem Brief an seine Sekretärin Elfriede Mechnik damit, dass er „mindestens auf Jahre hinaus nie wieder eine solche Fiesarbeit vorzunehmen gedenke“ (Kästner 1952). Er sei von der Arbeit für All about Eve noch immer „leicht zerrüttet“. Auch das Angebot, das Drehbuch für den Film The Four Poster von Stanley Kramer nahm er nicht an (Hanuschek 1999: 377).

6. Fazit

Als Fazit bleibt, dass Erich Kästner mit seinen wenigen Übersetzungen durchaus Bleibendes geschaffen hat. Peter Pan wird in seiner Übersetzung nach wie vor auf der Bühne gespielt, Don Quichotte und Gullivers Reisen sind für Kinder noch immer ein Einstieg in diese wichtigen Werke der Weltliteratur und All about Eve gilt als Meilenstein der Lippensynchronisation. Im Gesamtwerk sind die Übersetzungen Erich Kästners nur Randerscheinungen, die mitunter nur als „Gefälligkeiten unter Literaturfreunden“ entstanden sein sollen (Kreller 2014: 414). Aber etwas mehr Beachtung, als ihnen bisher in der umfangreichen Kästner-Forschung eingeräumt wurde, verdienen sie schon.

Anmerkungen

  • 1
    Die Reichsschrifttumskammer erteilte Kästner am 14. Januar 1943 erneut ein Schreibverbot (vgl. Enderle 1966: 78). Aufschlussreich für seine antinazistische Haltung ist das 2006 aus dem Nachlass herausgegebene Blaue Buch, sein Kriegstagebuch der Jahre 1941, 1943 und 1945 (Kästner 2006).
  • 2
    Unveröffentlichter Text im Nachlass von Erich Kästner im Deutschen Literaturarchiv Marbach, Sg. 8-504 – 1952-03-21-Einig.
  • 3
    Bruni Löbel verwechselt Einiges über Eva allerdings mit dem anderen Chanson Plädoyer einer Frau, das Erich Kästner für das Programm für sie geschrieben hat.

Quellen

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Eliot, T. S. (1972): Cats, [Übersetzer wie Eliot T. S. (1952)]. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Enderle, Luiselotte (1966): Erich Kästner, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek: Rowohlt.
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Fischer, Heinrich (1949/50): T. S. Eliot als Humorist. In: Neue Schweizer Rundschau, Jg. 17 (1949/50), S. 738.
Habe, Helmut (1961): Über Jugendbearbeitungen von Cervantes‘ Don Quijote. In: Jugendliteratur, Jg. 7, Heft 10 (Oktober 1961), S. 434–445.
Hamann, Edith (1952): Alles über Eva. In: Filmblätter (Berlin), H. 15/1952, S. 310–311.
Hanuschek Sven (1999): Keiner blickt dir hinter das Gesicht, das Leben Erich Kästners. München, Wien: Hanser.
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Harbusch, Ute (1999): Münchhausens Schildbürgerstreiche. In: Marbacher Magazin 86/1999, S. 22–28
Kästner, Erich (1950a): Die literarische Provinz. In: Erich Kästner: Die kleine Freiheit. Chansons und Prosa. Frankfurt/M.: Fischer Bücherei 1963, S. 59–64.
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— (1951): Brief an Helga Veith vom 20. August 1951. DLA Marbach, Nachlass Erich Kästner, Signatur Br/HV1951-08-20.
— (1952): Brief an Elfriede Mechnik vom 16. Februar 1952. DLA Marbach, Nachlass Erich Kästner, Signatur Br/EM1952-02-16.
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— (1961): Gullivers Reisen. In: Erich Kästner: Maskenspiele. Nacherzählungen. Hg. von Sybil Gräfin Schönfeldt. München: Hanser 1998, S. 123–172 (zuerst 1961).
— (2006): Das Blaue Buch. Kriegstagebuch und Roman-Notizen. Hg. von Ulrich von Bülow und Silke Becker. Aus der Gabelberg’schen Kurzschrift übertragen von Herbert Tauer. Marbach: Deutsche Schillergesellschaft. (Marbacher Magazin 111/112).
Kästner, Erich / Buhre, Werner (1934): Das lebenslängliche Kind, Ein Lustspiel in vier Akten. Berlin: Chronosverlag. [Buhre unter dem Pseudonym Robert Neuner].
Kemperdick, Gustav (1961): Von der Prärie zum Hinterhof. In: Die Zeit, 1. Dezember 1961.
Kirst, Hans-Helmut (1952): Neue Filme in München – „Alles über Eva“ – vielfach preisgekrönt. In: Münchner Merkur, 3. Februar 1952.
Krause, Rudolf (1952): Alles über Eva (all about Eve). In: Der neue Film (Wiesbaden), Nr. 18/1952.
Kreller, Susan (2014): Sogenannte jumperstrickende Damen: Erich Kästners Nachdichtungen von Clement Clarke Moores A Visit From Saint Nicholas und T. S. Eliots The Naming of Cats. In: Kästner im Spiegel. Beiträge der Forschung zum 40. Todestag. Hg. von Sebastian Schmideler und Johan Zonneveld. Marburg: Tectum Verlag, S. 401–417.
Kus, Alexander (1952): Erich Kästner und die Direktive. In: Die Freiheit (Mainz), 22. Dezember 1952.
Löbel, Bruni (1995): Eine Portion vom Glück, Erinnerungen. München: Herbig Verlag.
-ma (1963): Ein Buch unter den Christbaum. In: Der VHTL. Organ des Verbandes der Handels-, Transport- und Lebensmittelarbeiter der Schweiz (Zürich), 29. November 1963, S. 5.
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Zitierweise

Czier, Uwe / Primus, Dora: Erich Kästner, 1899–1974. In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 1. April 2020.
BeschreibungErich Kästner 1961 (Foto: Fritz Basch; Quelle: Nationaal Archief, CC0)
Datum28. März 2022
Erich Kästner 1961 (Foto: Fritz Basch; Quelle: Nationaal Archief, CC0)

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