Elisabeth Kottmeier, 1902–1983
Elisabeth Kottmeier übertrug seit 1948 Gedichte ukrainischer Exildichter ins Deutsche und setzte sich engagiert für die Verbreitung ukrainischer Lyrik im Nachkriegsdeutschland ein. Unter anderem übertrug sie Wassyl Barkas Trojanden-Roman (Mannheim 1956) und stellte Anfang der 1950er Jahre eine Anthologie zeitgenössischer ukrainischer Lyrik in ihrer Übertragung zusammen, die sie unter dem Titel Weinstock der Wiedergeburt (Mannheim 1957) veröffentlichte. Kottmeier wurde im Kreise der ukrainischen Exildichter hoch geschätzt, ihre eigenen Gedichte wurden ins Ukrainische übersetzt und in Exilzeitschriften veröffentlicht.
Biogramm:
1902 in Sandowitz, Oberschlesien, als Älteste von drei Schwestern geboren, wuchs Elisabeth Kottmeier ab dem 8. Lebensjahr im Harz auf. Nach dem Abitur führte sie ein langer Weg über eine Buchhändlerlehre, Arbeit als Kindermädchen, Ausbildung zur Wohlfahrtspflegerin, Angestellte im Arbeitsamt Goslar, Bauernmagd in Ostpreußen und im freiwilligen Reichsarbeitsdienst und von 1934 bis Kriegsende 1945 als Sachbearbeiterin im Berliner Deutschen Institut für Jugendhilfe schließlich 1946 nach Dinkelsbühl. Dort lernte sie 1948 den Maler Jurij Solovij kennen, der sie in die ukrainische Dichtung einführte und sie dazu brachte, Gedichte aus dem Ukrainischen zu übertragen. 1954 heiratete sie den ukrainischen Dichter und Theaterschriftsteller Eaghor G. Kostetzky und wandte sich durch und mit Kostetzky intensiv der literarischen Übersetzung zu. Ihr Interesse galt dabei – so hat sie es selbst formuliert – den „Kulturen osteuropäischer Völker, zugleich den Möglichkeiten, die deutsche Sprache in der Begegnung mit anderen Sprachstrukturen an immer neuen Aufgaben zu erproben und so zu aktivieren.“ Zu Kottmeiers Übertragungen gehören u. a.
1. aus dem Russischen: Gedichte von Boris Pasternak und Bella Achmadulina sowie von Juri Tynjanow die Erzählung Secondelieutenant Sjedoch; 2. aus dem Ukrainischen von Lesja Ukrainka der Einakter Auf dem Blutacker, der 1969 vom Westdeutschen Rundfunk als Hörspiel gesendet wurde, von Olesj Hontschar der Roman Der Dom von Satschipljanka, (übersetzt zusammen mit E.G. Kostetzky) sowie 3. aus dem Polnischen Texte von Jerzy Lec.
Bis zu ihrer Pensionierung 1962 arbeitete Kottmeier als Berufsberaterin im Amtsbezirk Ansbach (Nordbayern) und konnte der umfangreichen und anspruchsvollen Übersetzertätigkeit und Korrespondenz nur in ihrer Freizeit nachgehen. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten widmete sie sich ganz ihrer eigentlichen Bestimmung.
Porträt:
„Eadem mutata resurgo“ – „Verwandelt kehre ich als dieselbe zurück“. Diesen Grabspruch des Mathematikers Jakob I. Bernoulli (1655–1705) stellt Elisabeth Kottmeier 1951 ihrer als Ganzes unveröffentlichten Gedichtsammlung Die Wolke singt voran und definiert damit ihre Lebenshaltung. Der Spruch bezieht sich auf die logarithmische Spirale, die sich in permanenten gesetzmäßigen Windungen ihrem Zentrum nähert, es jedoch nie erreicht und somit auch nie endet. In diesen Jahren hat Kottmeier begonnen, ukrainische Gedichte zu übersetzen und damit die Bestimmung für die zweite Hälfte ihres Lebens gefunden: als Übersetzerin und Vermittlerin zwischen Kulturen und Zeiten mittels Sprache. Zu ihrer Meisterschaft darin befähigten sie ihre eigenen Lebenserfahrungen, ihr innerer Kompass, ein außergewöhnliches Sprachgefühl, nie endende Lernbereitschaft und die empathische Auseinandersetzung mit ihrem Mann, dem Schriftsteller, Übersetzer und Literaturtheoretiker Eaghor Kostetzky.1Der literarische Nachlass von Elisabeth Kottmeier (Kürzel EK) und Ihor Kostetzky (auch Eaghor G. oder Igor Kostetzkyj u. andere Schreibweisen, Georg Lyszczinskyj, Ivan Merzljakov, geb. 14. Mai 1913 in Kiew, gest. 14. Juni 1983 in Gerlingen, Kürzel EGK) befindet sich seit Dezember 2013 im Archiv der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen und wird verzeichnet als Personen-Bestand FSO 01-242 Kostetzky. Er umfasst 101 Aufbewahrungskartons, von denen 75 Kartons das Werk und Wirken sowie Korrespondenz, Tagebücher und biografisches Material Kostetzkys beinhalten, 9 Kartons das gemeinsame Werk Kostetzky/Kottmeier, 8 Kartons das Werk und Korrespondenz sowie biografisches Material von Elisabeth Kottmeier, und 9 Kartons Materialen Dritter. – Sämtliche Zitate des Bestands FSO 01-242 stammen aus dem sog. Unterbestand von Elisabeth Kottmeier (Karton-Nr. 85 bis 93) und werden wie folgt nachgewiesen: z. B. bei Briefen EK an EGK + Datum, FSO 01-242, oder Kurz-Titel des Dokumentes aus dem biographischen Teil des Unterbestands EK, FSO 01-242 usw.).
Biographie
Anna Elisabeth Kottmeier wird am 31. Juli 1902 in Sandowitz, Kreis Großstrehlitz, in Schlesien als Älteste von drei Schwestern geboren.2Eine ausführliche Kottmeier-Biografie wurde bisher nicht veröffentlicht. Sie selbst hat viele Lebensläufe zu unterschiedlichen Zwecken zu Papier gebracht und aufbewahrt. Nach ihrem Tod hat ihre Schwester Irmgard Kottmeier den Nachlass geordnet und der Autorin dieses UeLEX-Porträts persönliche Schriftstücke und Fotos zur Aufbewahrung übergeben, die sich nicht im FSO 01-242 befinden. Auf diese Dokumente wird mit der Abkürzung „Archiv PK“ verwiesen. Dieser Beitrag stützt sich zusätzlich auf persönliche Gespräche mit Elisabeth Kottmeier. Ihr Vater, der Forstrat Adolf Kottmeier stammt aus Westfalen, die Mutter Elisabeth Kottmeier aus Thüringen. Die Geschwister wachsen in Wald und Natur auf, ab 1909 in Ilsenburg im Harz. Die Eltern vermitteln ihnen eine vertrauensvolle familiäre Bindung auf der Grundlage eines aufgeklärten Protestantismus und lassen die Schwestern ansonsten ihren unterschiedlichen Neigungen nachgehen – ein Konzept, das bei aller Unterschiedlichkeit zu einem lebenslangen Zusammengehörigkeitsgefühl führt. Als Elisabeth der Schulverweis droht, weil sie sich für die Rechte der Schülerinnen eingesetzt hat, ermöglicht ihr der Vater rechtzeitig den Wechsel an das Reform-Realgymnasium in Bad Harzburg. Dort besteht sie 1921 das Abitur. Ihrer Neigung zu Sprache und Literatur entsprechend absolviert sie eine Buchhändlerlehre in Würzburg und Halle und schließt sie 1923 erfolgreich ab. Gleichzeitig studiert sie vier Semester Kunstgeschichte und Psychologie und schreibt für die Hallesche Zeitung Kritiken über Vorträge und künstlerische Veranstaltungen.
Da sie aufgrund der wirtschaftlichen Lage keine Anstellung in ihrem Beruf findet, kehrt sie für einige Zeit in den elterlichen Haushalt zurück, lernt Haushaltsführung und Kochen und verdingt sich von 1924 bis 1929 in unterschiedlichen deutschen Städten als Kinderfräulein und Erzieherin. Sieben Monate verbringt sie bei einem Arztehepaar jüdischen Glaubens in Paris und erlernt die französische Sprache so gut, dass sie auf Französisch träumt. Kottmeier bezeichnet diese Jahre später als ihre Lehr- und Wanderjahre, die sie für ihre anschließende Berufswahl reif machten. Von 1929 bis 1931 besucht sie die renommierte ‚Staatlich anerkannte Wohlfahrtsschule für Hessen-Nassau und Hessen‘ in Frankfurt am Main und schließt sie mit der Staatlichen Prüfung für Wohlfahrtspflegerinnen, Hauptfach Wirtschafts- und Arbeitsfürsorge, ab. Gleichzeitig ist sie Gasthörerin am Philosophischen Seminar der Universität Frankfurt bei Paul Tillich3Paul Johannes Tillich: geb. 20. August 1886 in Starzeddel, gest. 22. Oktober 1965 in Chicago, Illinois, USA, deutscher und später US-amerikanischer protestantischer Theologe und Religionsphilosoph. Er gehörte den Religiösen Sozialisten an und musste 1933 Deutschland verlassen. Er lehrte von 1929 bis 1933 in Frankfurt am Main. Seine Lehren haben Elisabeths Lebensphilosophie tief beeinflusst..
In ihrer Abschiedsrede an der Wohlfahrtsschule begründet sie ihre Berufswahl, indem sie die geistigen und psychischen Herausforderungen ihrer Generation analysiert, die im Ersten Weltkrieg die Falschheit einer festen und vermeintlich richtigen Volksgemeinschaft bewusst erlebte, nach dem Schock über deren Zusammenbruch den Aufbau einer neuen, gerechteren Welt begeistert begrüßte und „in der Hölle der Inflation […] bis in die letzten Abgründe der Demoralisation“ sahen (Kottmeier 1931: 2). Kottmeier wendet sich ausdrücklich gegen jegliche ideologische Vereinnahmung und betont den Willen zur „Umgestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit nach Grundsätzen der Gerechtigkeit“ (ebd.). Sie bezeichnet die Ziele der Frauenbewegung als für sie selbstverständlich, die der Jugendbewegung als mögliche Voraussetzung. Sie benennt „die für die Fürsorge wichtigsten Weltanschauungen […], die christliche in ihren beiden Formen, die jüdische und die sozialistische“ (ebd.: 3), die alle die Verpflichtung zur Hilfe gegenüber dem Nächsten in sich tragen. In der ganzen Rede klingt die Labilität der aktuellen Verhältnisse und die möglicherweise schwierige Zukunft an, die zu klareren politischen Stellungnahmen zwingen wird, ohne dass dies explizit benannt wird. Sie schließt mit den Worten: „Wir wollen versuchen, es gut und richtig zu machen“ (ebd.: 4). Kottmeier wird nach kurzer Zeit als Praktikantin fest angestellte Arbeitsvermittlerin im Arbeitsamt Goslar. 1932 findet außerdem eine für ihre geistige und weltanschauliche Entwicklung existenziell wichtige Begegnung statt. Sie nimmt zum ersten Mal an einem Seminar in Fritz Klatts Freizeitheim in Prerow teil.4Fritz Klatt: geb. 22. Mai 1888 in Berlin, gest. 26.07. 1945 in Wien. Dem linken Flügel der Reformpädagogik zugehörig, Schriftsteller, Zeichner. Gründer des Volkshochschulheims Prerow. Er gilt als Initiator der berufspolitischen Diskussion und, nachdem er in den 1920er Jahren den Begriff Freizeitpädagogik eingeführt hatte, der modernen Freizeitpädagogik.
Es ergab tatsächlich eine Kettenreaktion von geistigen Entwicklungsfaktoren für mich. Ich habe noch jahrelang von Klatt gelernt, habe danach den ersten Zugang zur zeitgenössischen Musik und allem Möglichen gefunden. (EK an EGK, 13. März 1953, FSO 01-242)
Im April 1933 tritt Kottmeier offen für einen sozialdemokratischen Arbeitskollegen ein und macht auch sonst aus ihrer kritischen Haltung zur nationalsozialistischen Regierung keinen Hehl. Sie wird entlassen wegen politischer Unzuverlässigkeit und mit dem Hinweis, sie finde nirgendwo im Reich mehr eine Anstellung. Freunde raten ihr, für eine Zeit weit weg zu gehen und dann möglichst in einer großen Institution zu verschwinden. Sie verdingt sich von Mai bis September 1933 in Ostpreußen, Masuren, als Dienstmagd auf einem Bauernhof. Ab November arbeitet sie weiterhin in Masuren im Freiwilligen Arbeitsdienst, der damals noch von den Arbeitsämtern betreut wurde. In der Zwischenzeit, der einzig längeren Periode ihres Lebens, in der sie arbeitslos ist, unternimmt sie dort allein die drei schönsten Wanderungen ihres Lebens, wie sie später in mehreren Selbstzeugnissen und Briefen betont. Durch die Vermittlung eines früheren Lehrers erhält sie ab Mitte Juni 1934 eine Stelle als Sachbearbeiterin im ‚Deutschen Jugendarchiv e.V.‘, einem wissenschaftlichen Jugendfürsorgeinstitut, in Berlin. Es ist Schreibtischarbeit, bei der sie keinen direkten Kontakt mit den betreuten Menschen hat. Sie besucht weiterhin Seminare von Klatt, lernt dort und im weiteren Umkreis systemkritische Menschen kennen. Schon seit der Frankfurter Zeit ist sie mit Pfarrer Dr. Harald Poelchau5Dr. Harald Poelchau: geb. 5. Oktober 1903 in Potsdam, gest. 29. April 1972 in Berlin. Ab 1922 Studium der Theologie an der Kirchlichen Hochschule in Bethel, anschließend Wohlfahrtspflege an der Berliner Hochschule für Politik. Zweijährige Tätigkeit als Geschäftsführer der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfe. 1931 Promotion bei Paul Tillich, dem führenden Vertreter des Religiösen Sozialismus. Ende 1932 Bewerbung in Berlin um eine Stelle als Gefängnispfarrer. Ab April 1933 der erste vom NS-Regime eingesetzte Geistliche in einer Strafanstalt und damit Justizbeamter. Er wird zum wichtigen Beistand für die Opfer der nationalsozialistischen Gewalt und begleitet Hunderte zum Tode Verurteilte zur Hinrichtung. Er wird nach der NS-Zeit für Elisabeth Kottmeier bürgen.bekannt und teilt seine Überzeugungen. Sie unterstützt einen politischen Gefangenen und seine Familie und wird daraufhin selbst von der Gestapo verhört. Die lebenslange Freundschaft mit Heinrich Kromayer und seiner Familie beginnt.6Heinrich Kromayer: geb. 29. Oktober 1900 in Freiberg/Sachsen, gest. 23. Oktober 1993 Marion, Indiana, USA. Februar 1938 Emigration in die USA. Sehr enger Freund, der sich aus sozialdemokratischer Sicht sowohl kritisch mit der US-amerikanischen als auch mit der bundesdeutschen und der DDR-Gesellschaft auseinandersetzte. Die Informationen und Auseinandersetzungen zwischen ihm und Elisabeth Kottmeier (1956 bis 1980) geben einen aufschlussreichen Einblick in die politischen und gesellschaftlichen Einstellungen beider. In der Zeit zwischen 1948 bis 5. April 1952 liegen den Briefen einseitige engzeilig beschriebene Blätter über die unterschiedlichsten Themen, das Leben in Amerika betreffend bei. Sie waren für den großen Freundeskreis Kromayers in Deutschland bestimmt. Unter der Überschrift Understanding sollten sie weiter verbreitet werden und der gegenseitigen Verständigung dienen.
Der Vater von Kromayers Frau Erika ist Jude. Deshalb gilt sie entsprechend den 1935 in Nürnberg verkündeten „Rassegesetzen“ als Halbjüdin, und die junge Familie emigriert 1938 in die USA. Kottmeier hält während der ganzen Kriegszeit Kontakt mit Erikas Eltern. Trotz ihrer systemkritischen Haltung meldet sie sich am 1. Oktober 1939 zum Reichsarbeitsdienst der weiblichen Jugend. Sie wird „Maidenoberführerin“7Maidenoberführerin war der 8. von 16 Dienstgraden des Reichsarbeitsdienstes. Er entsprach einem Offiziersrang, also einer Leitungsfunktion. Die Pflichtdienstzeit im Arbeitsdienst betrug 6 Monate. Eine längere Verpflichtung war freiwillig., leitet in dieser Funktion ein Arbeitsdienstlager im Kreis Lüneburg und ist zuständig für eine Gruppe junger Frauen, die schnell Vertrauen zu ihr fassen, weil sie zuhört und gerecht ist. Einige Monate führt Kottmeier ein Tagebuch (Tagebuch, FSO 01-242), dessen Eintragungen Einblick in ihre Gedanken und Gefühle geben. Am 8. Juni 1940, nach einem vollen Arbeitstag, an dem sie verschiedenen Mädchen in schwierigen Situationen helfen musste und an schönen Momenten teilhaben konnte, schreibt sie:
So schwer es manchmal ist – es ist eine Gnade, soviel Menschenschicksal mitzuerleben. Nie wieder wird das kommen, wenn ich einmal nicht mehr Lagerführerin bin.
Kurze Zeit später wechselt sie in die Bibliothek, scheidet auf eigenen Wunsch zum 31. Dezember 1940 aus dem Dienst aus und kehrt zu ihrer inzwischen in ‚Deutsches Institut für Jugendhilfe e. V.‘ umbenannten Arbeitsstelle zurück. Dort arbeitet sie bis Kriegsende als Angestellte in der Bibliothek. Aufgrund ihres Ranges beim Arbeitsdienst wird sie nach dem Krieg im Rahmen der Entnazifizierungsverfahren zuerst in die Gruppe II als Belastete eingestuft. Dagegen legt sie Widerspruch ein und bringt zahlreiche eidesstattliche Erklärungen von Entlastungszeugen bei, u. a. von Poelchau und Erika Kromayers Eltern. Daraufhin wird sie als Entlastete anerkannt.8Beide Gerichtsurteile und die eidesstattlichen Erklärungen von Freunden, ehemaligen Kollegen und Arbeitgebern sind erhalten (Archiv PK).
Im Tagebucheintrag vom 27. März 1941 findet sich möglicherweise eine Erklärung für Kottmeiers damaliges Verhalten und für ihr weiteres Leben. Sie zitiert aus Klatts Buch Lebensmächte (1939), aus dem Kapitel Die geistigen Kräfte des Menschen gegenüber den schaffenden Mächten der Welt, S. 247: „[…] Diese geistige Vorsicht in all unseren Überzeugungen fordert unermüdliche Zucht von dem, der leidenschaftlich denkt, damit er alles, was er erlebt, auch das, was seiner geistigen Überzeugung widerspricht, als geistige Erfahrung verarbeitet.“ Und sie fügt selbst dem Zitat hinzu:
Ich bin neulich zu der Einsicht gekommen: Es ist Aufgabe der denkenden Menschen, das, was um sie herum geschieht, und das, was sie selbst an Erfahrungen durchmachen, so zu verarbeiten, dass sie einen positiv geladenen Lebensraum in und um sich schaffen, freie Luft zum Atmen. Ich will die Folgerung nicht verallgemeinern – aber: würde mir diese Leistung nicht immer wieder gelingen, so müsste ich mich aufhängen, einmal, weil ich dann das Leben nicht aushalten könnte, zum andern, weil ich dann unnütz wäre. (EK Tagebuch, FSO 01-242)
Beide Aussagen hat Elisabeth Kottmeier in ihrem Leben und Schaffen aufs Vollkommenste verwirklicht und damit viel Freude, Liebe und Bewunderung gewonnen, aber auch Missverständnisse provoziert und viele Nachteile und großen Schmerz für sich selbst in Kauf genommen. Vor allem aber hat sie ein authentisches Leben geführt. Im August 1943 wird bei einem Bombenangriff Kottmeiers Wohnhaus in Berlin Südende zerstört. Sie verliert all ihren Besitz und rettet ihr Leben nur, weil sie zu der Zeit bei ihrer Schwester in Urlaub ist. Sie zieht zu einer Freundin ins Evangelische Johannesstift. Wenig später wird auch ihre Arbeitsstelle zerstört. Sie erlebt den Häuserkampf in Berlin und macht sich keine Illusionen, was einer Frau im Falle der Eroberung zustoßen kann. Sie beschließt, sich auf keinen Fall umzubringen, was auch immer geschehen sollte, weil gerade Menschen wie sie überleben müssen. (Brief EK an Heinrich Kromayer 27. Juni 1946, FSO 01-242). Nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht bittet sie im Johannesstift sofort um „nützliche Arbeit“ (ebd.) und wird als Gärtnereigehilfin eingestellt. Nebenher versucht sie, die Bibliothek dort wieder zu ordnen und zu katalogisieren. Im August erkrankt sie an Diphterie und muss für mehrere Wochen ins Krankenhaus. Eine Zeit der Ruhe und Selbstfindung (ebd). Sie erfährt, dass ihre Eltern und die Schwestern leben und sich in Franken aufhalten. Im November 1945 meldet sie sich als Fürsorgerin zu der ‚Aktion Storch‘.9Aktion Storch: Am 26. Oktober 1945 starteten die Briten in Berlin eine Aktion für Kinder von 4 bis 14 Jahren. Mit Bussen wurden sie in die britisch besetzte Zone gebracht, weil es einfacher war, sie dort über den Winter zu versorgen, als Lebensmittel und Kleidung in die Stadt zu bringen. Im April kehrten sie wieder nach Berlin zurück. Insgesamt wurden so über 25 000 Kinder verschickt.
Um näher bei ihrer Familie zu sein, scheidet sie im April 1946 bei der Aktion Storch aus und schlägt sich in die amerikanische Zone nach Franken durch. Das gelingt ihr nicht zuletzt deshalb, weil sie ihre Entlassungspapiere durch die Nazis 1933 wohl gehütet hat und sie vorweisen kann. Von Mai bis August 1946 richtet sie als Vertretung für die ‚Innere Mission Nürnberg‘ die ‚Kinderheilstätte Bocksberg‘ bei Schalkhausen ein, dann wird sie vom ‚Evangelischen Hilfswerk‘ in Ansbach beschäftigt, bis sie schließlich ab November 1947 vom Arbeitsamt Ansbach in der Nebenstelle Dinkelsbühl als Arbeitsvermittlerin fest angestellt wird und zur Ruhe kommen kann. Viele ihrer Freunde sind gefallen oder ermordet worden. Ihre beste Freundin und deren Mutter sind bei einem Bombenangriff in Darmstadt umgekommen. Mit Heinrich Kromayer steht sie seit 1946 wieder in regem brieflichen Austausch, ist über ihn über die Verhältnisse in den USA und die politische Lage dort im Bilde. Sie wiederum informiert ihn über die Situation in ihrer Umgebung und in Deutschland (Briefwechsel EK Heinrich Kromayer, FSO 01-242). Die Care-Pakete des Freundes helfen ihr zudem, rein physisch zu überleben. Kottmeier bringt sich sofort in das kulturelle Leben Dinkelsbühls ein, schreibt Gedichte und Artikel für Lokalzeitungen und überregionale Zeitungen über die Stadt, wozu das Domjahr 1948 zum 500jährigen Jubiläum besondere Gelegenheit bietet. Sie wird mit zwei Werken im Programm der Veranstaltung ‚Dichtung um Dinkelsbühl‘ erwähnt (Kallert 1985: 110). Im selben Jahr lernt sie im August bei einer Ausstellung Yurij Solovij10Yurij Solovij (Schreibweise auch Juri Solowij u. a.): geb. 1921 in Staryj Sambor (Westukraine), gest. 2007 in Rutherford, USA. 1944 Abschluss der Kunstgewerbeschule in Lwiv, Emigration nach Deutschland, Dinkelsbühl, Heirat mit Liselotte, ein Sohn, Zentrum des Kreises ‚Die Einsiedler‘, 1951 Emigration in die USA, New York, internationale Ausstellungen, Rezensionen, Essays, emsiger Netzwerker zwischen ukrainischer emigrantischer und deutscher Kunst- und Literaturszene. Neoexpressionistischer Stil, teils abstrakt, teils figürlich, mit philosophischen und religiösen Themen. Besonders in den 1940er- und 1950er Jahren wichtiger Freund von Kottmeier und Kostetzky. Später Entfremdung., einen ukrainischen Maler, kennen, der sie mit einem Kreis von ukrainischen und deutschen Intellektuellen, namens ‚Die Einsiedler‘, bekannt macht.
Ihren ersten Abend dort verarbeitet sie später in der unveröffentlichten Erzählung Der rote Schwan (1949; FSO 01-242) und beschreibt ihn als magische Begegnung. Solovij führt sie in die ukrainische moderne Poesie ein, entflammt ihre Liebe dafür und bringt sie dazu zu übersetzen. Ab jetzt wird sie ihre Zeit zwischen Brotberuf im Arbeitsamt und übersetzerischer Berufung aufteilen. Kottmeier ist 46 Jahre alt.
Am Osterfest 1950 besucht Solovij die Freundin zusammen mit dem ukrainischen Schriftsteller, Literaturtheoretiker und Übersetzer Ihor Kostetzky, der sich zu dieser Zeit Georg Lyszczinskyj nennt und in einem Lager für Displaced Persons (DP) in der Nähe von München lebt. Mit ihm verbindet Elisabeth Kottmeier ihr Schaffen und ihre Liebe. Die Verlobung erfolgt 1952, kurz nachdem sie als Arbeitsvermittlerin nach Neustadt an der Aisch versetzt worden ist. Die Partner wohnen weiterhin an unterschiedlichen Orten. Die Kommunikation in der intensiven Zusammenarbeit wird durch unzählige Briefe (EK an EGK, FSO 01-242) und Kurzbesuche aufrecht erhalten, was die in Brotberuf und künstlerischer Tätigkeit pflichtbewusst und engagiert Arbeitende zwar an den Rand der Erschöpfung führt, ihr aber auch höchstes Glück und Erfüllung beschert. Das Paar heiratet im Oktober 1954. Elisabeth Kottmeier trägt als Ehefrau und im bürgerlichen Leben den Namen ihres Mannes, behält Kottmeier aber offiziell als Künstlernamen bei. 1955 im Oktober kann das Ehepaar in Ansbach/Eyb endlich eine gemeinsame Wohnung beziehen. In der unruhigen und schwierigen Phase des Getrenntseins steht eine Zeitlang die Frage im Raum, ob man nicht besser Deutschland verlassen und in die USA auswandern soll. Die ukrainischen Freunde Solovij und Barka11Wassyl Barka/Vasyl Barka, Geburtsname: Wassyl Kostjantynowytsch Otscheret, weiteres Pseudonym Iwan Werschyna: geb. 16. Juli 1908 in Solonycja, Gouvernement Poltawa, Russisches Kaiserreich, gest. 11. April 2003 in Liberty, New York, USA. Ukrainer. Theologisches Seminar und Pädagogische Hochschule in Lubny. Unterrichtet Physik und Mathematik im Donbass, Geschichte Westeuropas und Literatur des Mittelalters an der Universität in Krasnodar, am Krasnodarer Kunstmuseum tätig. Kenner der westeuropäischen Literatur. Lange Wanderungen durch die Ukraine, während des Holodomor fast gestorben. Dissertation Moskau 1940, Dozent an der Universität Rostow. Ab 1941 Soldat der Roten Armee, 1942 schwer verletzt, gelangt durch Kriegsgefangenschaft nach Berlin. Korrektor bei der Zeitschrift Golos. 1950 Emigration in die USA. Ab 1929 Publikationen als Dichter, später auch Prosa-Schriftsteller, Essayist, Literaturkritiker, Übersetzer (u. a. Shakespeare und Dante). Für Kottmeier zu Beginn ihrer Übersetzungstätigkeit zentrale Figur. unterstützen die Idee, Heinrich Kromayer rät ab (Heinrich Kromayer an EK, 19. April 1952, FSO 01-242), unter anderem weil er keine Basis für die befriedigende Sicherung des Lebensunterhalts seiner Freundin sieht. Welche Gründe das Paar letztendlich bewegt haben zu bleiben, ist nicht bekannt. Jedenfalls arbeitet Kottmeier als Berufsberaterin bis zu ihrer Verrentung 1962 beim Arbeitsamt Ansbach. 1964 zieht das Paar in eine gemeinsame Wohnung mit der Schwester Irmgard Kottmeier nach Schwaikheim (Baden-Württemberg) und kann sich ganz der literarischen, übersetzerischen und verlegerischen Lebensaufgabe widmen. Elisabeth Kottmeier stirbt am 11. Januar 1983. Am 14. Juni desselben Jahres folgt ihr Eaghor Kostetzky.
Innerer Weg
In vielen Selbstaussagen,Tagebüchern, Briefen, auf losen Blättern macht sich Kottmeier Gedanken darüber, wer sie ist, wo sie steht, was ihr wichtig ist, was sie kann und nicht kann. Auf einem Einzelblatt aus dem Jahr 1953 beschreibt sie Eigenschaften von sich, die deutlich machen, in welch hohem Maß sie zum Dichten, zum Übersetzen und zum gemeinsamen Leben mit Eaghor Kostetzky fähig und bereit war:
[…] Gefühl und Empfindung können mich fast umbringen und ganz töricht machen – aber wenn mein Verstand anfängt zu arbeiten, dann ist es, als hätte ich eine scharfe und biegsame Damaszenerklinge von Gott in die Hand gedrückt bekommen … Ich bin ebenso konservativ wie revolutionär im Prinzip. und so weiter. Pessimistisch – optimistisch, feige – tapfer, und so weiter – nur in einem Punkt fehlt mir der Gegenpol absolut: in der Liebe zur Freiheit. Denn die Gebundenheit gehört einer anderen Dimension an. Gebundenheit in und an Gott. In all diesen Spannungen – es sind nicht Schwankungen zufälliger Art, sondern durch ihre Polarität verbundene Spannungen – vollzieht sich das Wachsen vom Individuellen, Kreaturhaften, Organischen ins Rein-Geistige, vom Subjektiven ins Objektive, vom Leben in die Kunst. (FSO 01-242)
Sie schreibt außerdem Lebensläufe zu den unterschiedlichsten Zwecken: für Bewerbungen, zur Eingruppierung in eine höhere Gehaltsstufe, für Verlage, zur Selbstversicherung, für Freunde. Häufig unterteilt sie hier in den „äußeren Lebenslauf“ und in ihre innere Entwicklung zur Literatur und zur Übersetzung hin. Die Fakten im Folgenden nehmen das auf, was sie selbst bei diesem Weg für wichtig hielt. Sie hat früh Spaß an Sprachspielen und dem Erfinden von Theaterstücken, schreibt kleine Gedichte. Mit 13 oder 14 verfasst sie ein Gedicht, das ihr besonders erscheint, weil es auf keine Vorbilder in der Form zurückgreift und ganz eigene, über sich hinausweisende Bilder enthält. Von da an zeigt sie ihre Gedichte niemandem mehr. Die Ausnahme bildet Fritz Klatt. Er bestärkt sie darin zu dichten, übt aber auch strenge Kritik: „Wenn nicht so Gutes darunter wäre und im Ansatz so Gutes, würde ich viel gelinder urteilen“ (EK an Klatt, 1942, Archiv PK). In den Jahren 1922 bis 1926 dichtet Kottmeier kaum. Sie ist zu sehr mit leben beschäftigt, kommentiert sie. Ab 1926 verarbeitet sie ihre Erlebnisse in Gedichten und Erzählungen, die zum Teil erhalten sind, sucht aber keine Veröffentlichung. Erst als sie 1943 ausgebombt wird und nur die ihr wichtigsten Manuskripte übrig bleiben, weil sie sie bei sich trägt, nimmt sie das als Zeichen, dass sie dichten „soll“, nicht nur von sich aus „muss“. Sie stellt eine Gedichtauswahl zusammen unter dem Titel Der schmale Mond (FSO 01-242 ) und gewinnt 1944 den Vorwerk-Verlag, Darmstadt, für die Veröffentlichung. Bevor die Papierzuteilung bewilligt ist und der Vertrag endgültig unterschrieben, wird der Verlag ausgebombt. Ab jetzt aber sieht sich Kottmeier vor allem als Schriftstellerin und tritt mit ihren Gedichten in die Öffentlichkeit, z. B. im Rahmen des Kreises ‚Junge Dichtung‘ am 26. Februar 1946 in der Musikbücherei Charlottenburg (Programmheft, Archiv P.K.), dann auch 1948/49 in literarischen Zeitschriften wie u. a. Welt und Wort, Westermanns Monatshefte und Neue Literarische Welt. Sie sucht nach neuen Formen und wird sich immer klarer, wie ihre Gedichte werden sollen. Dies geschieht auch durch die Berührung mit der modernen Lyrik ukrainischer Exildichter und der beginnenden Übersetzungsarbeit an Wassyl Barkas Trojanden-Roman, einer „ukrainischen Liebesdichtung“, die in den folgenden Jahren im Zentrum ihres Schaffens stehen wird.12Der Trojanden-Roman ist eine Dichtung in Versform und der erste Teil der großen Dichtung Ozean. Wassyl Barka, der deutsch liest und schreibt, ist 1949 in die USA ausgewandert, nachdem er ab 1942 als Kriegsgefangener einige Jahre in Deutschland verbracht und nach dem Krieg in einem DP-Lager in Augsburg gelebt hat. Kottmeier hat ihn nie persönlich kennengelernt, steht aber in regem Briefkontakt mit ihm. Er erklärt ihr, welches seine Quellen waren, was ihn selbst im Leben und in seinem Schaffen geprägt hat.
Vor allem aber wirkt sich die ab 1950 einsetzende Zusammenarbeit mit Eaghor Kostetzky höchst fruchtbar auf Elisabeth Kottmeiers Poetologie und praktisches Schaffen aus. Der Boden dafür ist aufs Beste bereitet, so dass sie später sagen kann: „Haben wir jemals jahrzehntelang gelebt, ohne voneinander zu wissen? Jetzt, rückblickend, meine ich, diese frühere Zeit war nur der Weg zueinander“ (EK an EGK, 8. September 1953, FSO 01-242).
Literarisches Credo
1949 setzt sich Kottmeier im Manuskript zum Vortrag Über ‚moderne‘ Bildwortsetzung in Gedichten Goethes ausführlich damit auseinander, was die Qualität eines Gedichts ausmacht und legt dar, worin die Besonderheit der Sprache im Gedicht besteht: Komposition, Maß (Takt, Metrum), Tempo, Rhythmus, Melodie, Farbe, Tonstärken hat die Sprache mit anderen Kunstformen gemeinsam. Allein die „Bildworte“ gibt es einzig in der Sprache. Sie sind der rein sprachliche Ausdruck von konkreten und abstrakten Vorstellungen des Dichters, dessen einmalige Erfahrungen, Erlebnisse und Gedanken im künstlerischen Akt der besonderen Art zum Sinnträger werden. Der Verstand steht dabei im Dienst der Intuition. Die Bildworte müssen auf einmalige Weise „geladen“ sein, so dass eine neue unmittelbare Wirkung entsteht. Selbstverständlich wird dies zu unterschiedlichen Zeiten mit unterschiedlichen Mitteln erreicht. In Bildworten werden Echtheit, Ladekraft, Reichtum und Differenzierungsvermögen eines Dichters erkennbar. Man erkennt, ob er seine Epoche verstanden hat oder nicht. Letztendlich sind die Themen überzeitlich und weltumspannend (Liebe, Tod, Schmerz usw.), nur die Form, das heißt: die Ladung ändert sich und die Mittel, damit die Ladung ihre Wirkung neu entfalten kann. Deshalb ist die Form der Maßstab, nach dem die Qualität von Gedichten gemessen werden muss, nicht der Inhalt.13Sie bot diesen Vortrag, den sie vermutlich in der Volkshochschule Dinkelsbühl gehalten hat, mehreren Verlagen vergeblich zur Veröffentlichung an.
Damit trifft ihre Überzeugung genau das, was sie zum idealen Mitglied der „CHORS-Familie“ werden lässt. Kopf der Gruppe und Ideengeber ist Ihor Kostetzky. Ursprünglich als Vierteljahreszeitschrift der schönen Literatur und Kunst geplant, war 1946 lediglich eine Ausgabe von CHORS erschienen, ausschließlich mit Beiträgen ukrainischer Schriftsteller. Durch Solovij und die Dinkelsbühler Gruppe der ‚Einsiedler‘ erweitert sich 1950 das Spektrum um weitere Kunst-Arten und ins Internationale. 1951 schreibt Kostetzky ein Geleitwort zu 2. Ausgabe, in der er die Prinzipien der Gruppe noch einmal erläutert (Kostetzky 1951, FSO 01-242). Die Ausgabe erscheint jedoch nie.
CHORS, der Sonnengott der alten Slawen, soll die größtmögliche Spannweite in Raum und Zeit versinnbildlichen, ohne das individuell Nationale zu vergessen. Auf drei Prinzipien basiert die CHORS-Familie: der Selbstständigkeit und Souveränität der Kunst, der unwiederholbaren Individualität des Künstlers in seinem Schaffen und dem Primat der Form gegenüber dem Inhalt. Diese Prinzipien sollen die Auswahl der Beiträge für den Almanach und die Haltung der Mitglieder der CHORS-Familie bestimmen. Schon in einem der frühen, rein die Arbeit betreffenden Briefe an Kostetzky (EK an EGK, 16. Juli 1951, FSO 01-242) drückt Kottmeier ihre Freude und Ehre aus, zur CHORS-Familie zu gehören. Sie findet in dieser Auffassung von Literatur und Kunst und in deren Verbreitung ihre Lebensaufgabe und in Ihor Kostetzky den idealen Partner. „Wir binden unser Leben an unser Werk; unser Werk bindet uns zusammen. Das ist der Maßstab für alle Probleme, die noch auftreten werden,“ schreibt Kottmeier an Kostetzky am 29. Dezember 1952 (EK an EGK, FSO 01-242) kurz nach ihrer Verlobung. Von Anfang an ist sie sich im Klaren über die Widersprüche und Brüche in Kostetzkys Charakter, deren Auswirkungen auf das gemeinsame Leben und ihre eigene Rolle darin, aber sie erkennt in ihm auch das enorme Potential als Mensch, Schriftsteller und Literaturerneuerer. Sie sieht in ihm das Prisma der heutigen Gesellschaft, lernt enorm viel von ihm und empfindet ihre Verschiedenheit als ideale Voraussetzung zum gemeinsamen Schaffen. Dafür ist sie bereit, alles ihr Mögliche zu tun. Sie übernimmt vollständig die Organisation des Alltags und in weiten Teilen auch die Finanzierung, erhält Ihor Kostetzky viele Male physisch das Leben, erträgt und unterstützt ihn mitfühlend, aber auch klar analysierend bei seinen psychischen Krisen, arbeitet ihm bei seinen Übersetzungen aus dem Englischen (z. B. Shakespeare) und Französischen zu, indem sie Interlinearübersetzungen herstellt, redigiert alle seine Texte auf Deutsch und schreibt Vorlagen für die Korrespondenz auf Deutsch und Englisch.
Seit 1953 ist sie Mitarbeiterin der ukrainischen Exilzeitschrift Ukraina i swit / Die Ukraine und die Welt, deren Chefredakteur Eaghor Kostetzky ist. Sie ist verantwortlich für das Korrekturlesen des gesamten fremdsprachigen (nicht ukrainischen) Teils. Viele ihrer eigenen Gedichte, ihrer Übersetzungen und Rezensionen über ukrainische Literatur werden hier veröffentlicht.14Ukraina i swit/ Die Ukraine und die Welt war eine auf Ukrainisch erscheinende Emigrantenzeitschrift für Literatur und Kunst. Herausgeber war I. Sapiha. Ziel war es, die ukrainische Emigration mit den klassischen und den modernen Werken der internationalen und der eigenen Kunst bekannt zu machen. Eine vollständige Liste von E.K.s Beiträgen findet sich in der Bibliografie.
Sie ist Unterstützerin, selbstbewusste Kritikerin und unermüdliche Gesprächspartnerin. Sie erfüllt ihre Rolle bewusst, immer loyal und liebevoll bis zum letzten Atemzug, ohne ihre geistige Eigenständigkeit zu verlieren. In den ersten Jahren entstehen nach schwierigen und freudvollen Ereignissen ihre besten Gedichte. Die ukrainische Exilgemeinde schätzt Kottmeier auch als Schriftstellerin. Ihre Gedichte und Aufsätze werden in ukrainischen Exilzeitschriften in ukrainischer Übersetzung gedruckt (Beispiele in der Bibliographie, Anm. P.K.). 1951 stellt sie noch einmal eine Auswahl eigener Gedichte zusammen unter dem Titel Die Wolke singt. Sie wird als Ganzes nie veröffentlicht. Einige Gedichte erscheinen in Anthologien.15Die Dichterbühne, 1950, S. 122f., Mitten im Strom 1956, S. 67 ff. und Lyrik unserer Zeit, 1956, S. 41 f.
In den 1950er und 1960er Jahren schreibt Kottmeier viele Gedichte, die sie deutschen Zeitschriften und Zeitungen oft zusammen mit ihren Übersetzungen ukrainischer Gedichte anbietet. Sie werden zumeist als zu schwierig und unzugänglich abgelehnt. Darüber lacht die Autorin und macht den Zeitgeschmack dafür verantwortlich. Sie selbst ist sich ihrer Kriterien sicher. Erst posthum erscheinen 1984 der Gedichtband Die Stunde hat 60 Zähne, ausgewählt von Reiner Kunze, mit einem Vorwort von Petra Köhler, in der Edition Toni Pongratz, und 1987 Ostpreussischer Mägdesommer sowie die Erzählung Freunde im Freese-Verlag, Berlin, initiiert von ihrer Schwester Irmgard Kottmeier.
Elisabeth Kottmeiers sprachliches Können und geistiges Einfühlungsvermögen trat vor allem im Übersetzen an die Öffentlichkeit. Ohne ihre Erfahrung als Dichterin und Meisterin der deutschen Sprache hätte sie die Herausforderung beim Umschaffen von Werken aus vielen unterschiedlichen Sprachen und Zeiten nie so bravourös bewältigen können.
Die Übersetzerin
Warum der Dichter übersetzen soll lautet der Titel einer Abhandlung für die ukrainische Zeitschrift Sutschasna Ukraina 8 (59) vom 19. April 1953 (deutsche Fassung, FSO 01-242), in der Kottmeier ausführlich beschreibt, was Übersetzen aus ihrer Sicht bedeutet.16Vgl. zu diesem Aspekt auch ihren kleinen Essay Übersetzer und Sprache, erschienen im Mitteilungsblatt des VdÜ (Kottmeier 1973). Sie gibt damit gleichzeitig einen Einblick in ihre eigene Arbeitsweise, ohne dies explizit zu benennen. Es geht nicht um eine inhaltliche Eins zu eins-Übersetzung, sondern um das Umschaffen eines Kunstwerks aus einer fremden Sprache in ein Kunstwerk der eigenen. Sie kommt zu dem Schluss, dass sich das Übersetzen vom Schaffensprozess des Dichters nur insofern unterscheidet, als das Ergebnis schon feststeht. Die Schritte und Mittel beim schöpferischen Dichten und beim Übersetzen sind die gleichen, nur muss sie der Übersetzer einmal rückwärts und einmal vorwärts gehen. Es ist ein Exerzitium, wie sie es nennt, in dem er sich von sich selbst distanziert, um das Schaffen eines Anderen in allen Nuancen zu verstehen und es dann mit den Mitteln der eigenen Sprache wiederzugeben, und zwar in der Weise, dass der Leser in seiner Sprache das Gleiche empfindet wie der Leser der Ausgangssprache. Dadurch lernt der Dichter/Übersetzer seine eigene Sprache und deren Möglichkeiten neu und besser kennen und vervollkommnet so auch sein eigenes Schaffen. Kottmeier vertritt die Meinung, dass Dichter und Übersetzer den geistlichen Menschen, die Meditation üben, und den alten Handwerkern, die in praktischen Versuchen ihr Werk vollenden, ähnlicher sind als Wissenschaftlern und Theoretikern. Der Verstand ist in ihrem Schaffen wichtig, jedoch in dienender Funktion, ein Mittel zur formalen Analyse und zur Vorbereitung. Die Beschäftigung mit Theorien kann manchmal nützlich sein, bedeutet aber ein Verlassen der Schaffenssphäre, die künstlerische Analyse dagegen bleibt innerhalb dieser Sphäre. Kottmeier teilt das ganze Spektrum des Übertragungsprozesses in mehrere Schritte, von denen keiner ausgelassen werden darf:
1.) Das Lesen als Einstieg und Öffnung: das optische Gesamtbild der gedruckten Verse, Interpunktion. Lautes Lesen, hören und sprechen. Sie selbst braucht immer das Original im Schriftbild vor Augen und möchte den Ausgangstext von einem Muttersprachler vorgelesen bekommen.
2.) Eigentliches Exerzitium: Welche Wirkung hat das Gedicht im Aufnehmenden? Gemütslage, Assoziationen, Vorstellungen und Gedanken. Dies wird ergründet durch wiederholtes Lesen im Ganzen, in kleinen Portionen, durch Vor- und Zurückspringen, um Beziehungen, Verschlingungen, Imponderabilien ins Bewusstsein zu heben.
3.) Wodurch wird die spezifische Wirkung hervorgebracht? Das bedeutet: wie sieht die Werkstatt des Dichters aus? Rein technisch: Metrum, Strophenbau, Reim, Assonanz, Alliteration. Aber auch feiner: Womit wurde vornehmlich gearbeitet? Mit Bildern, Rhythmus, Klang, mehr mit Vokalen oder Konsonanten, mit spannungsreichen Vokalintervallen, Wiederholungen von Vokalen oder Konsonanten, gar einer durchgehenden Melodie? Was vertritt das Gedicht: eine bestimmte Stilrichtung, die Individualität des Autors, beides und in welchem Verhältnis?
4.) Der Inhalt. Oft ist er vermeintlich das Einfachste und steht gleich am Anfang. Kottmeier betont aber, dass es wichtig sei, den konkreten Inhalt, also das Sujet „bis zur konkreten Ausgangssituation“ zurückzuverfolgen. Je mehr der Dichter die Wirklichkeit im dichterischen Bild sublimiert hat, desto mehr Möglichkeiten zur Rückverwandlung gibt es für den Übersetzer. Deshalb muss er herausfinden und nachempfinden können, worauf der Dichter sich bezieht und worauf es ihm ankommt. Dazu muss er selbst vollkommen von sich absehen, aus sich heraustreten und sich ganz mit dem Anliegen des Autors identifizieren. Sie fügt hinzu, dass es im äußersten Fall sein kann, „dass erst das Erlebnis der gleichen oder einer ähnlichen Ausgangsposition ihn bis auf den Grund führt und ihn zugleich vom Grunde wieder abstößt in den Prozess des Nachschaffens.“ (ebd. FSO 01-242)
5.) Nachschaffen. Ist eigentlich ein Neuschaffen, bei dem schon sehr viel vorgegeben ist. Das Ziel ist, in der Zielsprache genau die gleiche Wirkung zu erreichen wie das Original, und zwar mit den gleichen oder, wenn das unmöglich ist, zumindest adäquaten und möglichst angenäherten Mitteln der freien Wahl. Kottmeier nennt das: „der eigenen Sprache im Ringkampf neue Möglichkeiten abgewinnen“ (ebd.) und ihren Geboten trotzdem treu zu dienen.
Abschließend beantwortet die Dichterin und Übersetzerin noch einmal ihre titelgebende Frage: Der Übersetzer steht zwischen dem Original und der eigenen Sprache und ist so Subjekt und Objekt der Kritik. Deshalb lernt er damit umzugehen und kann dann als Dichter mehr er selbst sein und substanziellere Kritik üben und aushalten. Kottmeier vergisst bei aller akribischen Detailarbeit niemals das ganzheitliche Ziel ihrer Arbeit, die Verbreitung und Durchsetzung der CHORS-Thesen.
Wie solch ein Exerzitium am konkreten Werk vor sich geht und wie die nachgeschaffenen Kunstwerke aussehen, kann man anhand des schmalen Gedichtbandes mit ausgewählter früher Lyrik von Boris Pasternak nachvollziehen. Boris Pasternak: Gedichte und wie man sie liest. Der Titel ist Programm: Von dem gut 100 Seiten umfassenden, 1961 im Züricher Arche-Verlag erschienenen Band nimmt das Vorwort: Wie Pasternaks Gedichte zu lesen sind ein knappes Drittel ein. Drei Seiten umfassen die Anmerkungen zu einzelnen Gedichten am Schluss. Es geht Kottmeier nicht nur darum, dass Pasternaks Gedichte auf Deutsch existieren. Sie will, dass die deutschen Leser verstehen, was Pasternaks Lyrik auszeichnet vor derjenigen anderer Dichter. Ohne Erklärung würde sie nur „in den Hörer hineinrauschen oder gar an ihm vorüber“ (Pasternak 1961: 7). Verstehen können die Leser aber nur, wenn sie die äußeren Gestaltungmittel kennen und im Deutschen wiedererkennen. Deshalb mutet sie ihnen eine ausführliche und komplexe Erklärung zu, was ihrer Meinung nach dann zu einem höheren Genuss führt. Dass das Ergebnis ihrer Übertragung gelungen ist, zeigt das abgedruckte Faksimile des Briefs von Pasternak an Kottmeier, den er, beeindruckt von der Lektüre, auf Deutsch an sie schrieb. Er bezieht sich in folgender Aussage auf das Gedicht Nach dem Regen (S. 37/38), es darf aber getrost auch für die anderen gelten:
Es ist seine Wiederholung, seine Abspiegelung in neuen Umständen, es ist derselbe Fall, entstanden in einer anderen Sprache, in Allem, dem Klange, der Bewegung, dem Sinne, dem Geiste der Auftürmung nach. Besser könnte und dürfte es nicht sein (ebd.: 37).
После дождя
За окнами давка, толпится листва,
И палое небо с дорог не подобрано
Всё стихло. Но что это было сперва!
Теперь разговор уж не тот и по-доброму.
Сначала всё опрометью, в разноряд
Ввалилось в ограду деревья развенчивать,
И попранным парком из ливня – под град.
Потом от сараев – к террасе бревенчатой.
Теперь не надышишься крепью густой.
А то, что у тополя жилы полопались, –
Так воздух садовый, как соды настой,
Шипучкой играет от горечи тополя.
Со стёкол балконных, как с бедер и спин
Озябших купальщиц – ручьями испарина.
Сверкает клубники мороженный клин,
И градники стелятся солью побаренной.
Вот луч, покатясь с паутины, залег
В крапиве, но, кажется, это не на́долго,
И миг недалек, как его уголек
В кустах разожжется и выдует радугу.
Nach dem Regen
Vorm Fenster Gedränge, es ballt sich das Laub.
Und Stille. Den Himmel, den niedergeblätterten,
Hat niemand vom Wege zusammengeklaubt.
Doch vorher! Nun sprang das Gespräch um, zum Besseren.
Am Anfang fuhr alles verworren, verwirrt,
Die Bäume entkrönend, hinein durch den Gartenzaun.
Vom Platzregen – unter den Hagel gestürzt,
Vom Stall – zur Terrasse, dem Park etwas anzutun.
Jetzt reicht für die Dichte das Einatmen kaum.
Und mochten der Pappel die Adern zwar aufplatzen,–
So perlt aus dem Bittren der Pappel in Schaum
Zersprudelnde Gartenluft, wie Mineralwasser.
Gleich Rücken und Hüften von Frauen im Bad,
Von fröstelnden, dampfen die dumpfen Balkonscheiben.
Der glitzernd befrorene Erdbeerkeil prahlt,
Und Hagelsalz bettet sich nach dem Davontreiben.
Dem Spinnweb entrollt, liegt ein lauernder Strahl
Auf Brennesseln, aber wohl nur einen Augenblick.
Dann glüht es wie Stahl im Gebläse, schon stahl
Der Lichtbogen farbig sich vor übers Taugebüsch.
Kottmeier ordnet das Werk Pasternaks in die literarische Tradition ein, eindeutig in die von Gogol, nicht in die von Pasternak selbst genannten Vorbilder Puschkin und Tschechow. Sie vergleicht es mit und setzt es von dem der Zeitgenossen ab, von Majakowskij, Zwetaewa, den Futuristen, den Symbolisten und kommt zu dem Schluss: „Boris Pasternak ist der Höhepunkt auf dem bedeutsamsten Gipfelpfad der großrussischen Sprache, dem Gogolschen“ (ebd.: 32) Sie konstatiert folgerichtig den danach einsetzenden Niedergang der russischen poetischen Sprache. Dagegen misst sie anderen Sprachen der Sowjetunion ein hohes, noch nicht genutztes Potential zu:
So hat […] die georgische Sprache, obwohl um gut 1000 Jahre älter als die russische, eine Menge noch nicht entdeckter Perspektiven vor sich. Aber das gleiche gilt auch für die ukrainische, eine so nahe slawische Sprache, die immer mit künstlichen Hindernissen umgeben war. (Ebd: 33)
Deshalb nimmt sie in ihre Gedichtauswahl je eine Übertragung von Pasternak aus dem Georgischen und dem Ukrainischen in ihrer deutschen Version auf und versieht sie mit ausführlichen Anmerkungen.
In einem im Nachlass erhaltenen, sieben Seiten umfassenden Manuskript Pasternaks Homburg (EK, FSO 01-242) beschreibt sie den russischen Dichter als Übersetzer und seine Art des Übersetzens, sozusagen seine andere Rolle, die aber seinen spezifischen Umgang mit der Sprache beim Dichten spiegelt. Wie sie selbst hat auch Pasternak Autoren aus ganz unterschiedlichen Zeiten und Sprachen übertragen und sie den russischsprachigen Lesern nahegebracht. Sie weist in ihrem Essay auf eine besondere Eigenschaft des Übersetzens hin, nämlich die, dass in der Übersetzung ein Werk eine andere Seite von sich zeigen könne, nicht im Sinne des Verfälschens, sondern indem andere Schwerpunkte, die es im Text gebe, zum Tragen kommen. So geschehen in Kleists Prinz von Homburg in der französischen Fassung (Filmfassung mit Gerard Philippe als Homburg), wo vom Hauptcharakterzug „Preußendrama“, der Tragödie von Pflicht und Eigenmächtigkeit, nichts blieb. Es wurde zur Tragödie von Traum und harter Wirklichkeit. Auch bei Pasternak sei der Text sehr viel weniger normativ, sondern persönlich menschlich, was sie an einzelnen Textbeispielen zeigt.
Eine weitere übersetzerische Arbeit zeigt im Besonderen ihre Fähigkeit der Analyse und einfühlsamen Umsetzung. Johannes R. Becher arbeitete in den 1920er Jahren als Journalist und Korrespondent für die ukrainische Zeitung Wseswit. Einige Texte waren in der ukrainischen Fassung erhalten, während die deutschen Originale unauffindbar blieben, u. a. die Skizze Hamburg. Sie war 1927 in der Nummer 36 in der Übersetzung von H. Petrenko erschienen. Kottmeier fertigte eine Rückübersetzung ins Deutsche im damaligen Stil des Autors an. Die Münchener Zeitschrift Kürbiskern veröffentlichte sie in Heft 3/1972 und von dort gelangte sie (mit zwei weiteren, von Rolf Göbner erstellten Rückübersetzungen aus dem Ukrainischen) in die Ausgabe mit Bechers Gesammelten Werken (Becher 1974: 555–559).17Vgl. Dokumentation des Arbeitsverlaufs, Archiv P.K. sowie den Kommentar in Becher 1974: 617.
Elisabeth Kottmeier übertrug in den 33 Jahren ihrer Übersetzertätigkeit aus einer Vielzahl von Sprachen, vor allem aus dem Russischen (Pasternak, Tynjanov, Tschechow, Prischwin, Bella Achmadulina, Eisenstein, u. a.), dem Ukrainischen (Barka, Hontschar, Lesja Ukrainka, Schewtschenko, u. a.) und dem Polnischen (Jerzy Lec, Hordynski). Ihr zeitliches Spektrum reicht vom 11. Jahrhundert (sie übersetzte für den Hanser-Verlag den gesamten Prosateil des von Serge A. Zenkovsky 1968 herausgegebenen Sammelbandes Aus dem alten Russland) bis zur Gegenwart (z. B. Achmadulina). Sie arbeitete dabei mit den namhaften westdeutschen (Hanser, Suhrkamp, Kiepenheuer & Witsch) sowie internationalen Verlagen in West (Arche, Schweiz; Theater-Verlag, Wien) und Ost (Sowjetliteratur, Sputnik) zusammen. Übersetzungen von ihr wurden seit den frühen 1950er Jahren in ukrainischen Exilzeitschriften in Argentinien, Kanada, den USA und der Bundesrepublik gedruckt.
1973 erhielt sie die Ehrengabe zum Andreas-Gryphius-Preis. In seiner Laudatio würdigt Fritz Martini Elisabeth Kottmeier als herausragende Übersetzerin und hebt den übergeordneten Sinn ihrer Arbeit hervor:
Weltvereinigung, Weltversöhnung geschieht auch hier, durch Ihr Schaffen – als ein sich gegenseitiges Erkennen im Medium der letzthin gemeinsamen, weil menschlichen Sprache. Aus der Stille Ihrer mühevollen, für viele verborgenen, oft verkannten Arbeit erwächst für uns ein großer Gewinn. (Typoskript S. 8; Archiv P.K.)
Martini spricht hier etwas aus, was Kottmeiers Umschaffen von einer Sprache in die andere und auch ihrem eigenen Schaffen zugrunde liegt: der Glaube an die eine menschliche Sprache, die so viele Ausprägungen hat, aber sich immer nur um dieses Eine dreht. Sie selbst beherrschte keine der von ihr übersetzten slawischen Sprachen aktiv. Die Frage, wie sie denn dann überhaupt übersetzen könne, wurde ihr oft gestellt. Sie antwortete einfach und selbstbewusst: „Ich kann deutsch.“ Sie brauchte in der Tat immer einen Mittler, mit dem sie zuerst eine Interlinearversion anfertigte. Dieser Mittler konnte in späteren Jahren auch ein Wörterbuch sein. In weiteren „Exerzitien“ musste sie verstehen, wie der Künstler gearbeitet hatte. Die wichtigste Person beim „Ringkampf“ mit Ausgangs- und Zielsprache wurde ab 1952 bei allen Werken Ihor Kostetzky, selbst ein erfahrener Übersetzer ins Ukrainische und Kenner des Polnischen und Russischen, mit einem enormen literaturgeschichtlichen Wissen und gestalterischen Anspruch, auch in eigenen Werken.
Vermittlertätigkeit
Als Elisabeth Kottmeier beginnt, aus dem Ukrainischen zu übersetzen, gibt es kein Wörterbuch. Es ist der Maler Yurij Solovij, der sie mit ukrainischer Poesie, mit der modernen Lyrik der Emigranten und speziell mit Wassyl Barkas Werken bekannt macht. Dessen Trojanden-Roman schlägt sie sofort in seinen Bann. Die Dichterin empfindet die Musikalität des Poems als polyphon, als Verbindung von Archaischem und Modernem, entdeckt Ähnlichkeiten zur ägyptischen Bilderschrift und zur modernen abstrakten Malerei, bezeichnet das Werk als die Verkörperung der östlichsten Möglichkeiten europäischer Lyrik und den Autor als „Magneten mit den beiden Polen des ganz Alten und des ganz Neuen“ (Kottmeier 1956: 11). Barkas Dichtung verkörperte ihr Ideal:
Es wirkt alles wie von selbst gewachsen. Aber – es gibt nichts Zufälliges, es ist nichts naiv „entstanden“, sondern sie wurde geschaffen. Barka, der lyrische Künstler, lässt sich nicht von seiner reichen Intuition verführen, sondern er arbeitet werkgerecht. (Ebd.: 12)
In den Jahren 1950/51 erstellt sie in langen Nachtsitzungen – tagsüber arbeitet sie im Dinkelsbühler Arbeitsamt – mit Yurij Solovij eine wörtliche Übersetzung. 1952/53 geht sie den ganzen Text noch einmal mit Ihor Kostetzky durch. Es dauert weitere drei Jahre, bis der Trojanden-Roman 1956 im Mannheimer Kessler-Verlag zweisprachig erscheint. Heute kann man ihn in der diasporiana elektronna bilioteka finden. Die Einführung in den Inhalt stammt von Ihor Kostetzky, sie selbst schreibt eine Einführung zu ihrer Übersetzung.
Die nach dem Krieg in Deutschland lebenden ukrainischen Dichter erkennen sehr schnell, welche Bedeutung Elisabeth Kottmeier für die Bekanntmachung und Verbreitung von ukrainischer Literatur haben könnte. Am 30. Juli 1951 veröffentlicht die Fränkische Landeszeitung eine Glückwunschadresse zu ihrem Geburtstag unter der Überschrift: Dank ukrainischer Künstler (auch in: Kallert 1985). Die Unterzeichnenden bilden den gesamten Kreis der ukrainischen Literaturschaffenden im deutschen Exil ab: E. Andijewska, W. Barka, Prof. Dr. W. Derzawyn, P. Kisko, I. Kostetzky, F. Kowal, M. Orest, W. Schajan, I. Solovyj, W. Staryzkyj, O. Zujewskyj. Ideologische und künstlerische Differenzen spielen hier keine Rolle. Alle sind sich einig in der Wertschätzung Elisabeth Kottmeiers und ihrer Arbeit. In den 1950er Jahren werden weltweit mehr Gedichte, Aufsätze und Übersetzungen von ihr in ukrainischen Exilzeitschriften gedruckt als in Deutschland.
Hier finden ihre Bemühungen wenig Resonanz. Bei Lesungen in Mannheim 1952 und 1957 liest sie eigene Werke und die ukrainischer Autoren in ihren Übersetzungen. Sie werden in den Lokalzeitungen positiv besprochen. Ein Barka-Abend in München, organisiert von ukrainischer Seite (1953), hat wenige Zuhörer. Der Zeitungsbericht des ukrainischen Dichters Wolodymyr Starytzky ärgert Elisabeth Kottmeier maßlos, weil er die falsche Aussprache ukrainischer Namen und die Verwechslung von Russland und Ukraine ins Zentrum stellt. Ihrer Meinung nach ist das an dieser Stelle vergleichsweise nebensächlich. Es geht darum, Barka als Dichter von Weltrang vorzustellen und bekannt zu machen (EK an EGK, 12. Oktober 1952, Archiv FSO). Aber auch die neu entstandenen deutschen literarischen Zeitschriften (z. B. Merkur) oder überregionale Zeitungen zeigen wenig Interesse. Oft können oder wollen auch gebildete Chefredakteure den Unterschied zwischen russischer und ukrainischer Sprache und Dichtung nicht verstehen. Zudem entspricht der literarische Ansatz der CHORS-Familie nicht dem gängigen Zeitgeschmack. Der Kalte Krieg einerseits und andererseits der Einfluss der Sowjetunion auf die deutschen Linken tun ein Übriges. Und zuletzt stehen auch die unterschiedlichen Positionen und Kämpfe der ukrainischen Emigranten untereinander einem gemeinsamen Vorgehen im Wege. Trotz aller Widrigkeiten und finanziellen Schwierigkeiten gelingt es Kottmeier 1957, die Gedichtsammlung Weinstock der Wiedergeburt – Moderne ukrainische Lyrik herauszugeben. Jahrelang hat sie aus ihren Übertragungen die für sie würdigsten sorgfältig ausgewählt. Bewusst hält sie sich von jeder politischen Stellungnahme fern. Sie widmet das Werk, in dem 32 Dichter mit je 2, 4 oder sogar 7 Gedichten zu Wort kommen, dem Maler Yurij Solovij, ihrem ersten Vermittler ukrainischer Kunst. Es ist Solovij, der nach ihrem Tod 1983 einen enthusiastischen Nachruf auf sie in der Zeitschrift Sucastnist veröffentlicht (Solovij 1983).
Auch in der Zusammenarbeit mit Kostetzky spielt die Vermittlertätigkeit ab 1952 die Hauptrolle. Allerdings liegt sein Schwerpunkt vor allem darauf, den Exilukrainern die Weltliteratur und herausragende zeitgenössische westliche Lyrik in ukrainischer Übersetzung zur Kenntnis zu bringen. Bei ersterem arbeitet Elisabeth Kottmeier eher zu, weil sie Englisch sehr viel besser beherrscht als Kostetzky. Er arbeitet an der Übersetzung von Shakespeares Sonetten, und hier fertigt Elisabeth Kottmeier die Interlinearübersetzungen an. Für die moderne Lyrik ist sie auch Ideengeberin. Ein Beispiel ist Paul Celan, dessen Gedicht Todesfuge sie in der von Frank Thiess herausgegebenen Neuen Literarischen Welt liest, wo es 1952 zum ersten Mal in Deutschland gedruckt wurde. Sie bezeichnet es als „Ur-Gedicht“ und vergleicht die Wirkung mit vorbiblischen Gesängen, die ins Alte Testament übernommen worden sind wie das Bogenlied (2. Sam. 1). Es sei kein Schrei, keine Anklage, nur Klage in vollkommener Übereinstimmung von Form und Inhalt. Sie schreibt gleich nach der Lektüre an Kostetzky:
[…] 4 Jahre lang ringe ich nun damit, zu verstehen, zu erfühlen, ob und wie heute Gedicht möglich ist. Und alles, was ich in diesen 4 Jahren gelernt habe durch Lesen, Schreiben, Denken, Kritik, Meditation und Läuterung des Spürsinns war notwendig, damit ich heranreifte, um dies Gedicht aufnehmen zu können. (EK an EGK, 16. 06. 1952, FSO 01-242)
Sie kennt den jungen Dichter Celan nicht, weiß nichts von seinem Schicksal. Sofort nach Erscheinen des Gedichtbandes Mohn und Gedächtnis kauft sie mehrere Exemplare und schickt sie u. a. an Barka und Solovij. Außerdem schreibt sie eine ausführliche Rezension, die 1953 in der ukrainischen Exilzeitschrift Porohy in Buenos Aires (Heft 48–51, S. 43–47) erscheint. Die minuziöse Analyse des Aufbaus und einzelner Gedichte endet mit der Interpretation der Todesfuge. Sie konstatiert, dass Celan sein Erleben und seine Emotionen vollkommen in Dichtung umsetzt und genau deshalb imstande ist, beim Leser eine solch tiefe Wirkung, nämlich Katharsis, zu erreichen. Als Künstler genieße er absolute Freiheit und agiere vollkommen unabhängig von der konkreten Wirklichkeit, die von Technik, Geldmacht und Staat geprägt sei, nicht mehr von Menschen gemachten Diktaturen. Darin liege sein eigentlicher und höchster Wert. Sie geht in keiner Weise auf Celans Biographie ein, auch nicht auf die heftigen Diskussionen über ihn in der literarischen Welt, und nimmt zum Inhalt keine Stellung. Celan entspricht ihrer Meinung nach vollständig den Ansprüchen, die CHORS an den Dichter hat, nämlich „Chaos in Kosmos“ umzuschaffen.
Bevor sie den Artikel beginnt, schreibt sie über den Verlag an Paul Celan und bittet ihn um Fakten zu seinem Leben und Werk (EK an Celan, 27. April 1953, DLA Marbach). Sie erhält keine Antwort. Auch auf den fertigen Aufsatz, den sie ihm mit der Bitte um „Freimütige Äußerung“ (EK an Celan, 12. Juli 1953, DLA, Marbach) zukommen lässt und gleichzeitig vier eigene Gedichte mitschickt, bekommt sie keine Reaktion. Warum Celan nicht geantwortet hat, ist nicht bekannt, und so wissen wir auch nicht, was er von ihrer Rezension hält. Aufgehoben hat er sowohl die Briefe als auch die Gedichte. Man findet sie in seinem Nachlass.18DLA Marbach, Briefe von Elisabeth Kottmeier an Paul Celan, 27. April und 12. Juli 1953; Sign. D 90.1.1794/1-2. Elisabeth Kottmeier hält ihn weiterhin für den besten Lyriker der Nachkriegszeit. Die deutsche Fassung ihrer Celan-Besprechung schickt sie an den Merkur, der sich sehr beeindruckt zeigt von der Untersuchung, aber eine Veröffentlichung ablehnt mit der Begründung, dass sie keine Sinnfrage stellt und ihre Schlussfolgerungen reine Behauptungen seien.19Redaktion Merkur an EK, 2. November 1953, DLA Marbach, D: Merkur, Sign. HS 0047300955.
Für Mai 1953 erhält Kottmeier die Einladung zu einer Kunsttagung nach Schloss Elmau. Sie hat das unbedingte Gefühl, dorthin fahren zu sollen. Sie fühlt sich nun in der Lage und ist gewillt, persönlich die Kunstauffassung von CHORS überzeugend zu vertreten, sich einzumischen in die literarische Debatte, möchte Barka und die moderne ukrainische Lyrik bekannt machen und auch selbst als Schriftstellerin größere Beachtung finden (EK an EGK, 13. März 1953, FSO 01-242). Da sich Kostetzky zu der Zeit in einer schweren psychischen Krise befindet, verzichtet sie jedoch, um bei ihm zu sein und mit ihm zu arbeiten. Er und CHORS sind das Wichtigste. (EK an EGK, 16./17. März 1953, FSO 01-242). Damit ist die Priorität in Elisabeth Kottmeiers Leben und bezüglich ihres eigenen unabhängigen Agierens endgültig gesetzt.
Das 2. CHORS-Heft erscheint aus organisatorischen und vor allem finanziellen Gründen nie. 1960 und 1961 engagieren sich die beiden noch einmal aktiv bei einer Zeitschrift, die eine ähnliche Ausrichtung wie CHORS hat, aber nur zwei Ausgaben erlebt (PAN und PANinternational). Der eigene spezifische Anspruch an moderne Literatur, das geringe Entgegenkommen der deutschen Literaturszene und die Konflikte mit den unterschiedlichen ukrainischen literarischen Kreisen führen fast zwangsläufig dazu, dass das Ehepaar Kostetzky-Kottmeier einen eigenen Verlag gründet, um seine Vorstellungen zu verwirklichen. Sie nennen ihn Auf dem Berge, ukrainisch „на горi“ – Ukrainische Ausgaben im Exil. Unter diesem Markenzeichen geben sie ab Mitte der 50er Jahre Werke von Schriftstellern unterschiedlichster Nationalität und Zeiten in Originalsprache und/oder Übersetzung heraus, z. B. aus dem Chinesischen, dem Japanischen, dem Englischen.20Eine vollständige Liste der verlegten Ausgaben findet sich in der Bibliografie. Eine sehr genaue Beschreibung der Verlagsarbeit und der Zusammenarbeit von Kostetzky/Kottmeier veröffentlicht Solovij 1962 in der ukrainischen Zeitschrift Sucasnist.
Der Schwerpunkt liegt auf dem Ukrainischen, was sich nicht vor allem in der Auswahl der Autoren niederschlägt, sondern darin, dass immer auch die Übersetzungen der Texte ins Ukrainische aufgenommen werden. Der Umfang der Publikationen schwankt. Er reicht von wenige Seiten umfassenden gefalteten DIN A4-Blättern, auf denen ein Gedicht in Originalsprache und Übersetzung mitsamt Kurzbiografie und Unterschrift des Autors abgedruckt ist – die sogenannten Poetischen Flugblätter – bis zu Ausgaben von mehreren hundert Seiten, z. B. sämtliche Übersetzungen in slawische Sprachen von Stefan Georges Gedichten mit Fotos, Handschriften und ausführlichen Kommentaren oder ukrainische Übersetzungen von Shakespeare (Sonette, König Lear und Romeo und Julia). Nicht zu vergessen eine umfängliche Auswahl der Werke von Ezra Pound. Kottmeier und Kostetzky unterteilen die Ausgaben in verschiedene Reihen: Для аматорiв / Für Amateure. In dieser Reihe erscheinen auch der Trojanden-Roman und Weinstock der Wiedergeburt in Zusammenarbeit mit dem Kessler-Verlag. Свiтовий театр / Welttheater und Музична серiя /Musikalische Reihe, diese allerdings nur mit einem Werk: Alexander Gretschaninoff: Missa Oecomenica.
Der Verlag ist nicht auf Gewinn ausgerichtet. Man kann die Bücher nicht kaufen, sondern sie werden an die großen Bibliotheken deutschland- und weltweit verschickt und an Freunde und Kollegen verschenkt. Die Finanzierung wird vor allem privat und häufig unter materiellen Opfern ermöglicht, manchmal durch Kooperationen oder Kofinanzierungen unterstützt. Die Auflagen betragen meist einige hundert, nie mehr als 1000 Exemplare. Alle Publikationen sind kleine Gesamtkunstwerke aus Inhalt und Form, die alle Sinne ansprechen.
Als Beispiel soll die Entstehung des Bandes dienen: Die Auserwählten Claire und Yvan Goll. Nach einem Treffen von Kottmeier und Kostetzky mit Claire Goll 1959 in Paris entsteht die Idee, einen kleinen Band mit repräsentativen Gedichten Yvan Golls herauszugeben, und zwar in drei Sprachen: deutsch, französisch und ukrainisch. Auch Gedichte von Claire Goll sollen aufgenommen werden. Das Goll-Ehepaar verkörpert in vielerlei Hinsicht die Ideale von Kottmeier und Kostetzky und weist erstaunliche Parallelen zu ihnen selbst auf. Yvan Goll galt als Vater des Surrealismus und ausgezeichneter Vertreter des Expressionismus und wurde als solcher schon lange von Kostetzky verehrt. Goll war sowohl Theoretiker als auch Schaffender, Vertriebener und doch in verschiedenen Kulturkreisen heimisch, sowohl dem Judentum als auch dem Katholizismus verbunden, Zeiten und Kulturen in seinem Werk verbindend. Er schrieb auf Deutsch und Französisch und schuf Gedichte mit einem unfehlbaren Laut-, Rhythmus- und Kompositionsgefühl, das überzeitlich ist und Zeichen vollkommener Poesie (CHORS). Claire Goll war selbst auch Dichterin und gleichzeitig Muse, Übersetzerin und Bewahrerin des Werkes ihres Mannes. Die facettenreiche vollkommene Liebe zwischen Yvan und Claire Goll verbanden Elisabeth Kottmeier und Ihor Kostetzky mit ihrer eigenen.
Das 52 Seiten umfassende Büchlein entstand in enger Absprache mit Claire Goll, was in Briefen dokumentiert ist (DLA Marbach, Claire Goll, 1959 und 1961). Es erschien zum zehnten Todestag von Yvan Goll in 250 Exemplaren und war von der Farbe des Umschlages, das an die Farbe von Claires berühmtem rotem Haar erinnern sollte, bis zum Aufbau und der Seitengestaltung genauestens durchdacht und mit Bedeutung aufgeladen. Das Titelblatt zeigt eine Zeichnung des Paares von Marc Chagall. Die Lesenden werden zuerst visuell mit dem Paar bekannt gemacht. Eine Jugendfotografie mit Namensschriftzug geht dem von Kottmeier und Kostetzky gemeinsam verfassten und unterschriebenen Vorwort in Französisch, Deutsch und Ukrainisch voran. Zwei einander anblickende gezeichnete Portraits von Yvan lockern es auf. Das erste Gedicht ist die 8. Strophe der Chansons Malaises von Yvan, auf derselben Seite Claires deutsche Übersetzung Malaiische Liebeslieder, auf der gegenüberliegenden Seite die ukrainische Übersetzung. Es folgen ein Liebesgedicht Claires auf Deutsch mit ukrainischer Übersetzung, dann sechs Gedichte Yvans, darauf jeweils ein Gedicht von beiden, sodann ihre Portraits, die sich anblicken, auf gegenüber liegenden Seiten. Der letzte Text wird visuell eingeführt durch die Fotografie einer nigerianischen Plastik, die den Heiligen Franziskus im Gespräch mit den Vögeln zeigt. Der Sängerwettstreit aus dem Prosatext Neue Blümlein des Heiligen Franziskus wird als Gemeinschaftswerk von Claire und Yvan Goll ausgewiesen, da Claire ihn nach dem Tod ihres Mannes vollendet hat. Der Text ist auf Deutsch geschrieben, in ihm werden aber altfranzösische Verse des Dichters Gaucelm Faidit zitiert. Diese werden weder ins Deutsche noch ins Ukrainische übersetzt, sondern wirken als Klang und Wortbild. Ein zweiter Auszug aus dem Franziskus-Text auf Französisch beschließt den literarischen Teil. Als Anhang wird – ausschließlich auf Ukrainisch – Yvan Golls Aussage über Kunst aus dem Aufsatz Der Expressionismus und die Expressionisten von Oswald Burghardt alias Jurij Klen, erschienen in Kiew 1929, zitiert. Kurz zusammengefasst: Man muss in der Kunst alles bisher Dagewesene zerschlagen und formal und inhaltlich neue Formen finden, um zur wahren Darstellung der Welt zu gelangen und zum Inneren der Menschen durchzudringen. Die Bühnenkunst zeigt das Leben durch eine Lupe, dringt in übernatürliche Sphären vor, was den großen Dichtern aller Zeiten bekannt war. Sie gehen damit weit über den reinen Realismus hinaus, den Goll als die größte Perversion und Katastrophe für die Kunst bezeichnet. Damit fasst Yvan Goll das Credo von CHORS zusammen und die Herausgeber erklären gleichzeitig das Anliegen ihrer Arbeit.
Im gleichen Tenor ist Kottmeiers Essay Yvan Goll und das Echte gehalten, der 1961 in der Monatszeitschrift Welt und Wort erscheint. Er kann als Rezension des Buches Yvan Goll: Dichtungen. Lyrik, Prosa, Drama gelesen werden. Claire Goll hatte 1960 zum zehnten Todestag ihres Mannes den 840 Seiten umfassenden Band herausgegeben, der das Werk Yvan Golls ausführlich darstellt. Kottmeier lobt die Arbeit uneingeschränkt und stellt die Eigenart von Yvan Golls Schaffen mit vielen Beispielen dar. Sie geht mit keinem Wort auf die Plagiatsvorwürfe von Claire Goll an Celan und ihre unberechtigte Übernahme von Celans Übersetzungen der Gedichte ihres Mannes ein. Bemerkenswert ist der kleine Exkurs zur Rolle der Frauen allgemein:
Nicht zu umgehen ist an dieser Stelle ein bemerkenswertes Phänomen, das hier gleichsam nur in Klammern erwähnt sei. Ein gewichtiger Teil dessen, was die Jahre der Diktatur, des Krieges und der Fluchten von uns abschnitten, ist durch Frauen erhalten, gehütet und wieder herbeigetragen worden [Es folgen zahlreiche Beispiele; P.K.] Die Frage des starken Geschlechts in unserem verworrenen Jahrhundert gewinnt beinahe metaphysische Bedeutung. (Kottmeier 1961: 142)
Gleichzeitig ist der Essay eine in oft beißendem Ton gehaltene Streitschrift gegen die herrschende oberflächliche marktbestimmte Literaturauffassung und für eine auf das Echte, Wahre und Ewige zielende Kunst, die unabhängig sei von historischen und politischen Strömungen. Dieses Echte könnten nur Menschen mit einem sechsten Sinn dafür erkennen, und das seien natürlich nur wenige. So gerieten die wahren Dichter in die Gefahr, vergessen zu werden, wenn ihre Unterstützerinnen nicht mehr leben werden. Kottmeier weist als Ausweg auf die Bedeutung von Übersetzungen der Werke hin, und zwar nicht in die großen, benachbarten Sprachen,
sondern in eine ganz entfernte Sprache […] , so z. B. ins Japanische oder ins Bengalische. […] Und es ist gar nicht unwahrscheinlich, daß die poetische Echtheit unserer Dichter durch den Widerhall in jenen Kulturen bewiesen wird, wo man nicht nach Jahrhunderten, sondern nach Jahrtausenden mißt, und wo die Werte unerschüttert nach ihrem Rang geordnet bleiben – trotz aller politischen Umwandlungen. (Ebd.: 142)
Das sind bedenkenswerte und sehr angreifbare Äußerungen, aber darin besteht das Credo von Elisabeth Kottmeier und Ihor Kostetzky, das beide, einzeln oder zusammen überall und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln in die Öffentlichkeit bringen.
So nehmen sie europaweit aktiv an Schriftstellertreffen und Theaterfestivals teil, z. B. in Rom, Spoleto und Stockholm, arbeiten eine Zeitlang im PEN-Club mit und treten wieder aus, als ihnen die Richtung nicht mehr gefällt. Das Ehepaar freundet sich mit dem österreichischen Schriftsteller, Hörspielautor und Übersetzer Jan Rys an und trifft sich ab Ende der 1950er Jahre regelmäßig mit gleichgesinnten Autoren auf der Burg Karlstein. Die Gruppe versteht sich zwar nicht offiziell als Gegenpart der Gruppe 47, vertritt aber deutlich anders gewichtete Positionen.
Kottmeier und Kostetzky führen einen lebhaften Schriftwechsel mit einer großen Anzahl von Dichtern und Schriftstellern in aller Welt. In ihren Wohnungen zuerst in Eyb und später in Schwaikheim geben sich internationale Gäste die Klinke in die Hand. Es gibt nichts, was die Ehepartner nicht miteinander besprechen, ausdiskutieren und in die Wege leiten. Kottmeier ist immer verständnisvoll, einfühlsam und sehr klar in der Sache. Sehr oft muss sie vermitteln, und sie tut das mit großem diplomatischem Geschick im Privaten und in der Öffentlichkeit. Kottmeier konnte mit ihren eigenen Werken nie eine große Öffentlichkeit erreichen. Kaum jemand kennt sie heute. Wer das Glück hatte, sie persönlich kennenzulernen, war von ihrer Offenheit, ihrem Humor und ihrer Güte beeindruckt und über ihr kristallklares Denken und die messerscharfen, treffenden Formulierungen erstaunt und entzückt. Dinkelsbühl hat ihr nach ihrem Tod eine Dauerausstellung im Historischen Museum gewidmet, im Jahrbuch der Historischen Gesellschaft „Alt-Dinkelsbühl“ 1985/87 findet man eine ausführliche Würdigung (Kallert 1985). Mit dem Umbau des Museums sind die Materialien ins Archiv gewandert. Ihr Ehemann und Schaffensbruder Ihor Kostetzky gelangt, seit die Ukraine nach Auflösung der Sowjetunion verstärkt um ihre eigene Identität auch in Sprache und Literatur ringt, zu einiger Berühmtheit in seiner Heimat, weil seine Theorien, seine Verdienste um die ukrainische Sprache und Literatur viel Fruchtbares beitragen. In der Ukraine werden Doktorarbeiten geschrieben und Symposien abgehalten. Marco Stech, ein ukrainischer, in Kanada lebender Literaturwissenschaftler macht sich seit Jahrzehnten um Kostetzky verdient.21Marco Robert Stech ist Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Kulturwissenschaftler. Er arbeitet am Kanadischen Institut für ukrainische Studien (CIUS) der Universität von Alberta und der Universität von Toronto. Er ist Direktor der Internet Enzyklopädie der Ukraine und zweier wissenschaftlicher Zeitschriften: Journal für Ukrainische Studien und Ukraina Moderna. Er interessiert sich seit Jahrzehnten für das Leben und das Werk Ihor Kostetzkys, publiziert darüber und gab u. a. die Ausgewählten Werke von Ezra Pound in der Übersetzung von Ihor Kostetzky neu heraus.
Elisabeth Kottmeier wurde lange Zeit lediglich in einigen Nachschlagewerken erwähnt, aber ohne sie gäbe es Kostetzkys Schaffen nicht. Ihr gebührt auch deshalb Anerkennung. Langsam wendet sich die Forschung ebenfalls ihrem Schaffen zu. Eine maßgebliche Rolle spielt dabei das Archiv der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen, Abteilung Sowjetunion und Nachfolgestaaten unter der Leitung von Maria Klassen. 2015 widmete ihr Maria Ivanytska einen längeren Passus in ihrer Habilitationsschrift (2015: 289–292).22Maria Ivanytska hat auch die Ausarbeitung dieses UeLEX-Beitrags angeregt und die erste Version gegengelesen. Olesia Lazarenko weist seit fünf Jahren in Vorträgen und Publikationen auf Ukrainisch auf Kottmeiers Arbeit hin (Lazarenko 2020, 2021, 2024).23Olesia Lazarenko ist Dozentin an der Europäischen Universität Viadrina in Frankfurt/Oder und an der Universität Potsdam und erstellt die Bibliographie zu diesem Porträt.
Elisabeth Kottmeier hat der Ukraine und die Ukraine hat ihr viel zu verdanken zu einer Zeit, in der kaum jemand den Eigenwert ihrer Dichtung und Sprache erkannt hat. Die Dichterin und Übersetzerin ist sich dessen bewusst und auch ihrer einstigen Wirkung. Am 9. November 1953 schreibt sie an Kostetzky:
Wenn einmal, irgendwann einmal die Mütter ihren Söhnen und Töchtern in der Ukraine erzählen: Es war einmal ein Herz im Abendland, das schlug für uns und wurde die Heimat unseres Bruders Ihor Jurij, des Verbannten […]. Dann wird meine abgeschiedene Seele wie ein Kranich über die Steppen und Wälder, über die Äcker und Ströme fliegen und sie alle grüssen. / Leise sein, Geliebter, damit dies geschehe. Und niemals jemandem in meinem Namen wehe tun. (Archiv FSO)
Anmerkungen
- 1Der literarische Nachlass von Elisabeth Kottmeier (Kürzel EK) und Ihor Kostetzky (auch Eaghor G. oder Igor Kostetzkyj u. andere Schreibweisen, Georg Lyszczinskyj, Ivan Merzljakov, geb. 14. Mai 1913 in Kiew, gest. 14. Juni 1983 in Gerlingen, Kürzel EGK) befindet sich seit Dezember 2013 im Archiv der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen und wird verzeichnet als Personen-Bestand FSO 01-242 Kostetzky. Er umfasst 101 Aufbewahrungskartons, von denen 75 Kartons das Werk und Wirken sowie Korrespondenz, Tagebücher und biografisches Material Kostetzkys beinhalten, 9 Kartons das gemeinsame Werk Kostetzky/Kottmeier, 8 Kartons das Werk und Korrespondenz sowie biografisches Material von Elisabeth Kottmeier, und 9 Kartons Materialen Dritter. – Sämtliche Zitate des Bestands FSO 01-242 stammen aus dem sog. Unterbestand von Elisabeth Kottmeier (Karton-Nr. 85 bis 93) und werden wie folgt nachgewiesen: z. B. bei Briefen EK an EGK + Datum, FSO 01-242, oder Kurz-Titel des Dokumentes aus dem biographischen Teil des Unterbestands EK, FSO 01-242 usw.).
- 2Eine ausführliche Kottmeier-Biografie wurde bisher nicht veröffentlicht. Sie selbst hat viele Lebensläufe zu unterschiedlichen Zwecken zu Papier gebracht und aufbewahrt. Nach ihrem Tod hat ihre Schwester Irmgard Kottmeier den Nachlass geordnet und der Autorin dieses UeLEX-Porträts persönliche Schriftstücke und Fotos zur Aufbewahrung übergeben, die sich nicht im FSO 01-242 befinden. Auf diese Dokumente wird mit der Abkürzung „Archiv PK“ verwiesen. Dieser Beitrag stützt sich zusätzlich auf persönliche Gespräche mit Elisabeth Kottmeier.
- 3Paul Johannes Tillich: geb. 20. August 1886 in Starzeddel, gest. 22. Oktober 1965 in Chicago, Illinois, USA, deutscher und später US-amerikanischer protestantischer Theologe und Religionsphilosoph. Er gehörte den Religiösen Sozialisten an und musste 1933 Deutschland verlassen. Er lehrte von 1929 bis 1933 in Frankfurt am Main. Seine Lehren haben Elisabeths Lebensphilosophie tief beeinflusst.
- 4Fritz Klatt: geb. 22. Mai 1888 in Berlin, gest. 26.07. 1945 in Wien. Dem linken Flügel der Reformpädagogik zugehörig, Schriftsteller, Zeichner. Gründer des Volkshochschulheims Prerow. Er gilt als Initiator der berufspolitischen Diskussion und, nachdem er in den 1920er Jahren den Begriff Freizeitpädagogik eingeführt hatte, der modernen Freizeitpädagogik.
- 5Dr. Harald Poelchau: geb. 5. Oktober 1903 in Potsdam, gest. 29. April 1972 in Berlin. Ab 1922 Studium der Theologie an der Kirchlichen Hochschule in Bethel, anschließend Wohlfahrtspflege an der Berliner Hochschule für Politik. Zweijährige Tätigkeit als Geschäftsführer der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfe. 1931 Promotion bei Paul Tillich, dem führenden Vertreter des Religiösen Sozialismus. Ende 1932 Bewerbung in Berlin um eine Stelle als Gefängnispfarrer. Ab April 1933 der erste vom NS-Regime eingesetzte Geistliche in einer Strafanstalt und damit Justizbeamter. Er wird zum wichtigen Beistand für die Opfer der nationalsozialistischen Gewalt und begleitet Hunderte zum Tode Verurteilte zur Hinrichtung. Er wird nach der NS-Zeit für Elisabeth Kottmeier bürgen.
- 6Heinrich Kromayer: geb. 29. Oktober 1900 in Freiberg/Sachsen, gest. 23. Oktober 1993 Marion, Indiana, USA. Februar 1938 Emigration in die USA. Sehr enger Freund, der sich aus sozialdemokratischer Sicht sowohl kritisch mit der US-amerikanischen als auch mit der bundesdeutschen und der DDR-Gesellschaft auseinandersetzte. Die Informationen und Auseinandersetzungen zwischen ihm und Elisabeth Kottmeier (1956 bis 1980) geben einen aufschlussreichen Einblick in die politischen und gesellschaftlichen Einstellungen beider. In der Zeit zwischen 1948 bis 5. April 1952 liegen den Briefen einseitige engzeilig beschriebene Blätter über die unterschiedlichsten Themen, das Leben in Amerika betreffend bei. Sie waren für den großen Freundeskreis Kromayers in Deutschland bestimmt. Unter der Überschrift Understanding sollten sie weiter verbreitet werden und der gegenseitigen Verständigung dienen.
- 7Maidenoberführerin war der 8. von 16 Dienstgraden des Reichsarbeitsdienstes. Er entsprach einem Offiziersrang, also einer Leitungsfunktion. Die Pflichtdienstzeit im Arbeitsdienst betrug 6 Monate. Eine längere Verpflichtung war freiwillig.
- 8Beide Gerichtsurteile und die eidesstattlichen Erklärungen von Freunden, ehemaligen Kollegen und Arbeitgebern sind erhalten (Archiv PK).
- 9Aktion Storch: Am 26. Oktober 1945 starteten die Briten in Berlin eine Aktion für Kinder von 4 bis 14 Jahren. Mit Bussen wurden sie in die britisch besetzte Zone gebracht, weil es einfacher war, sie dort über den Winter zu versorgen, als Lebensmittel und Kleidung in die Stadt zu bringen. Im April kehrten sie wieder nach Berlin zurück. Insgesamt wurden so über 25 000 Kinder verschickt.
- 10Yurij Solovij (Schreibweise auch Juri Solowij u. a.): geb. 1921 in Staryj Sambor (Westukraine), gest. 2007 in Rutherford, USA. 1944 Abschluss der Kunstgewerbeschule in Lwiv, Emigration nach Deutschland, Dinkelsbühl, Heirat mit Liselotte, ein Sohn, Zentrum des Kreises ‚Die Einsiedler‘, 1951 Emigration in die USA, New York, internationale Ausstellungen, Rezensionen, Essays, emsiger Netzwerker zwischen ukrainischer emigrantischer und deutscher Kunst- und Literaturszene. Neoexpressionistischer Stil, teils abstrakt, teils figürlich, mit philosophischen und religiösen Themen. Besonders in den 1940er- und 1950er Jahren wichtiger Freund von Kottmeier und Kostetzky. Später Entfremdung.
- 11Wassyl Barka/Vasyl Barka, Geburtsname: Wassyl Kostjantynowytsch Otscheret, weiteres Pseudonym Iwan Werschyna: geb. 16. Juli 1908 in Solonycja, Gouvernement Poltawa, Russisches Kaiserreich, gest. 11. April 2003 in Liberty, New York, USA. Ukrainer. Theologisches Seminar und Pädagogische Hochschule in Lubny. Unterrichtet Physik und Mathematik im Donbass, Geschichte Westeuropas und Literatur des Mittelalters an der Universität in Krasnodar, am Krasnodarer Kunstmuseum tätig. Kenner der westeuropäischen Literatur. Lange Wanderungen durch die Ukraine, während des Holodomor fast gestorben. Dissertation Moskau 1940, Dozent an der Universität Rostow. Ab 1941 Soldat der Roten Armee, 1942 schwer verletzt, gelangt durch Kriegsgefangenschaft nach Berlin. Korrektor bei der Zeitschrift Golos. 1950 Emigration in die USA. Ab 1929 Publikationen als Dichter, später auch Prosa-Schriftsteller, Essayist, Literaturkritiker, Übersetzer (u. a. Shakespeare und Dante). Für Kottmeier zu Beginn ihrer Übersetzungstätigkeit zentrale Figur.
- 12Der Trojanden-Roman ist eine Dichtung in Versform und der erste Teil der großen Dichtung Ozean. Wassyl Barka, der deutsch liest und schreibt, ist 1949 in die USA ausgewandert, nachdem er ab 1942 als Kriegsgefangener einige Jahre in Deutschland verbracht und nach dem Krieg in einem DP-Lager in Augsburg gelebt hat. Kottmeier hat ihn nie persönlich kennengelernt, steht aber in regem Briefkontakt mit ihm. Er erklärt ihr, welches seine Quellen waren, was ihn selbst im Leben und in seinem Schaffen geprägt hat.
- 13Sie bot diesen Vortrag, den sie vermutlich in der Volkshochschule Dinkelsbühl gehalten hat, mehreren Verlagen vergeblich zur Veröffentlichung an.
- 14Ukraina i swit/ Die Ukraine und die Welt war eine auf Ukrainisch erscheinende Emigrantenzeitschrift für Literatur und Kunst. Herausgeber war I. Sapiha. Ziel war es, die ukrainische Emigration mit den klassischen und den modernen Werken der internationalen und der eigenen Kunst bekannt zu machen. Eine vollständige Liste von E.K.s Beiträgen findet sich in der Bibliografie.
- 15Die Dichterbühne, 1950, S. 122f., Mitten im Strom 1956, S. 67 ff. und Lyrik unserer Zeit, 1956, S. 41 f.
- 16Vgl. zu diesem Aspekt auch ihren kleinen Essay Übersetzer und Sprache, erschienen im Mitteilungsblatt des VdÜ (Kottmeier 1973).
- 17Vgl. Dokumentation des Arbeitsverlaufs, Archiv P.K. sowie den Kommentar in Becher 1974: 617.
- 18DLA Marbach, Briefe von Elisabeth Kottmeier an Paul Celan, 27. April und 12. Juli 1953; Sign. D 90.1.1794/1-2.
- 19Redaktion Merkur an EK, 2. November 1953, DLA Marbach, D: Merkur, Sign. HS 0047300955.
- 20Eine vollständige Liste der verlegten Ausgaben findet sich in der Bibliografie. Eine sehr genaue Beschreibung der Verlagsarbeit und der Zusammenarbeit von Kostetzky/Kottmeier veröffentlicht Solovij 1962 in der ukrainischen Zeitschrift Sucasnist.
- 21Marco Robert Stech ist Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Kulturwissenschaftler. Er arbeitet am Kanadischen Institut für ukrainische Studien (CIUS) der Universität von Alberta und der Universität von Toronto. Er ist Direktor der Internet Enzyklopädie der Ukraine und zweier wissenschaftlicher Zeitschriften: Journal für Ukrainische Studien und Ukraina Moderna. Er interessiert sich seit Jahrzehnten für das Leben und das Werk Ihor Kostetzkys, publiziert darüber und gab u. a. die Ausgewählten Werke von Ezra Pound in der Übersetzung von Ihor Kostetzky neu heraus.
- 22Maria Ivanytska hat auch die Ausarbeitung dieses UeLEX-Beitrags angeregt und die erste Version gegengelesen.
- 23Olesia Lazarenko ist Dozentin an der Europäischen Universität Viadrina in Frankfurt/Oder und an der Universität Potsdam und erstellt die Bibliographie zu diesem Porträt.