Philippine von Reden, 1774–1841
Am 25. November 1774 wurde Philippine Freiin Knigge als einzige Tochter des Freiherrn Adolph von Knigge (1752–1796) und seiner Frau Henriette von Baumbach (1749–1808) in Kassel geboren.1Als Geburtsjahr wird in manchen Nachschlagewerken auch 1775 genannt, in der neueren Knigge-Forschung (Knigge 1996: 474, Grätz 2013:9) jedoch 1774. Es folgten Umzüge zur Großmutter nach Nentershauen (1775), sowie nach Hanau (1777), Frankfurt (1780), Heidelberg (1783), Hannover (1787) und Bremen (1790) (vgl. die „Zeittafel“ in Nübel 1996: 108ff.).
Philippine wuchs nicht wie ein klassisches adeliges Einzelkind auf, da ihr Vater lange Zeit unter finanziellen Schwierigkeiten litt. In Bezug auf die Heidelberger Zeit schreibt Manfred Grätz:
So lebte er [Knigge] denn in Heidelberg vor allem von der Schriftstellerei und verbesserte sein Einkommen dadurch, daß er sieben bis acht Kinder in Pension zu sich nahm und gemeinsam mit seiner kleinen Tochter Philippine in allen damals üblichen Fächern persönlich unterrichtete, und zwar […] bis zu acht Stunden täglich. (Grätz 2013: 10)
In einer Tagebuchstelle beschreibt Knigge sein ehrgeiziges Erziehungsprogramm folgendermaßen:
Da ich nunmehr Muße bekam, fieng ich an, dem Unterricht meiner Kinder mehr Fleiß zu widmen; Mathematik, Geschichte, Erdbeschreibung, Music, Generalbaß, theatralischer Tanz, Fechten, Springen, Ballspiel, Kartenspiel, Italienisch, Französisch, höhere Arithmetik, Prosodie, Rhätorik, Calligraphie; nach ganz neuer, selbst ausgegrübelter Methode: Declamation. (zit. nach Grätz 2013: 11)
1785 ließ Knigge im Magazin für Frauenzimmer als erste Veröffentlichung aus der Feder seiner Tochter das „Lied eines zehnjährigen Mädchens“ abdrucken. 1789 folgte die kleine Monographie Versuch einer Logic für Frauenzimmer. Im gleichen Jahr und im Folgejahr wirkte Philippine an zwei Opernübersetzungen ihres Vaters mit (Mozarts Figaros Hochzeit und Salieris Talisman). Die erste eigene Übersetzung folgte 1795 (Jonathan Swifts Leben von Thomas Sheridan).
1798, zwei Jahre nach dem Tod des Vaters, heiratete Philippine Claus Friedrich von Reden (1774–1840) und zog mit ihrer Mutter zu ihrem Mann nach Clausthal, später auf das Gut Wendlinghausen bei Detmold und anschließend auf den Redenhof in Hasenbeck bei Hameln. 1804 wurde ihr erstes von neun Kindern geboren, von denen sechs das Erwachsenenalter erreichten.
In den Jahren 1799 bis 1830 legte Philippine von Reden weitere Übersetzungen und mehrere eigenständige Veröffentlichungen vor. Am 10.12.1841, ein Jahr nach ihrem Ehemann, starb sie und wurde in Hameln begraben.
Die in der Bibliographie der Werke ihres Vaters abgedruckte „Bibliographie der Schriften von Philippine von Reden, geb. Freiin Knigge“ (Knigge 1996: 473ff.) umfasst zwölf Einträge, davon sechs Übersetzungen. Einige Titel werde ich im Folgenden kurz besprechen.
Zunächst zu dem bereits erwähnten Lehrbuch Versuch einer Logic für Frauenzimmer, bei dem Philippine Knigge als „Herausgeberin“ fungierte. Der Stoff basierte auf dem Lehrmaterial des Vaters, während der Text offenkundig zu großen Teilen von der Tochter formuliert wurde (vgl. Thiel 1996). Dies geht auch aus der Vorrede der „Herausgeberin“ hervor, in der sich im Übrigen bereits erste Reflexionen zum Thema Übersetzen finden, hier am Beispiel der Terminologie:
Noch muß ich erinnern, daß die Schwierigkeit, die lateinischen Kunstwörter in gleichbedeutende teutsche zu übersetzen, mich bewogen hat, oft den lateinischen oder französischen Ausdruck beizubehalten, oder ihn wenigstens hinzuzufügen. So giebt es, z.B. kein teutsches Wort, welches, so wie ratio, raison, zugleich objectivische und subjectivische Vernunft und zugleich Ursache bedeutete. (Knigge 1789: IX)
Bei der 1795 veröffentlichten Übersetzung von Thomas Sheridans Swift-Biographie hatten Vater und Tochter die Rollen getauscht: In der Titelei firmiert die Tochter als Übersetzerin und der Vater als Herausgeber. Die Titelei enthält auch bereits einen Hinweis darauf, dass es sich nicht um eine vollständige Übersetzung handelt: „abgekürzt und aus dem Englischen übersetzt“. Zu den erfolgten Kürzungen findet sich im „Vorbericht des Herausgebers“ folgende Erläuterungen:
Was die Abkürzungen betrifft; so haben sie besonders da Statt gefunden, wo im Originale sehr lange Stellen aus Swifts Tagebuche gänzlich abgeschrieben und viel Briefe, die teutschen Lesern nicht sehr wichtig seyn konnten, vollständig eingerückt waren. Aus beyden findet man nur Auszüge. (Sheridan / Knigge 1795: unpag.)
Weitere Kürzungen werden in einer Anmerkung der Übersetzerin am Ende des Werkes erwähnt:
Die Übersetzerinn hat, zu Vermeidung größerer Weitläufigkeit, aus Sheridans Werke, Swifts Familien-Nachrichten und sein ganzes Testament weggelassen. (Sheridan / Knigge 1795: 444)
In einer zeitgenössischen Rezension wird die Übersetzung wohlwollend dargestellt, wenn auch ohne Vergleich mit dem Original:
Uebrigens glaubt Rec. daß noch einige Abkürzungen in den erstern Abschnitten hätten vorgenommen werden können […]. Zuweilen ist der Ton und die Sprache etwas gedehnt und alftränkisch […] Doch sind dies kleine Flecken, die dem Werth des Ganzen nicht Abbruch thun. Rec. kann das Original, das er nicht kennt, nicht beurtheilen und versichert von der Uebersetzung, daß sie fließend und mehrentheils sprachrichtig ist; daß die Uebersetzerin vielen Dank verdient, uns diese erneuerte Bekanntschaft mit einem so originellen Genie, als Swift war, verschafft zu haben und daß das Ganze eine instruktive und anziehende Lektüre gewährt. (Anon. 1796: 94)
In den Jahren 1799 und 1800 erschienen zwei Oktavbändchen mit dem Titel Lebensregeln aus den besten ältern und neuern Schriftstellern gesammelt von Philippine Eregine Knigge (Reden 1799/1800). Vermutlich um von der Bekanntheit ihres Vaters zu profitieren, hatte Philippine von Reden, die seit 1798 verheiratet war, ihren Mädchennamen für die Veröffentlichung gewählt. Zu Wort kommen vor allem griechische und römische Philosophen und Dichter. In der zweiten Auflage wurden Maximen von Larochefoucauld hinzugefügt (Reden 1800). Inwieweit Philippine von Reden bei der Auswahl der Zitate selbst als Übersetzerin tätig geworden ist und inwieweit es sich noch um Auszüge aus dem Fundus ihres Vaters handelt, ist nicht gesichert:
In den Lebensregeln wirken die Bildungsmaximen und die Erwartungen des Vaters nach, der das Buchprojekt vielleicht sogar angeregt und um einige Lesefrüchte bereichert hatte. Da die zwei Bändchen im Kleinoktavformat keine Vorreden enthalten, bleiben die Entstehungsumstände des Werkes im Dunkeln. (Koloch 2011: 203)
In einer zeitgenössischen Rezension wird bemängelt, dass die Verfasserin ihre eigenen Ansichten nicht stärker eingebracht habe:
Unstreitig würden diese Aphorismen dadurch noch mehr an Interesse gewonnen haben, wenn die als Schriftstellerinn bekannte Verfasserinn wenigstens hier und da zur richtigern Bestimmung einzelner Sätze und ihrer Erläuterung, eigene Ideen, Meinungen und Selbstbeobachtungen hinzugethan hätte. (Anon. 1800: 206)
1826 legt Philippine von Reden erneut eine Monographie mit dem Titel Lebensregeln vor, dieses Mal jedoch mit dem Hinweis „Nach dem Französischen frei bearbeitet“ (Reden 1826). Nach Kolochs Angaben stand eine französische Sammlung mit dem Titel Maximes de conduite (1. Auflage 1751) Pate, die jedoch nicht als Vorlage erwähnt wird (vgl. Koloch 2011: 205). Die Maximes de conduite, die bis 1813 mehrfach neu aufgelegt wurden, gehören nach Kolochs Recherchen auch zu den Quellen eines weiteren Ratgebers mit dem Titel Seelenspiegel für junge Damen aus den höhern Ständen (Reden 1830; vgl. Koloch 2011: 207ff). Die Verfasserin selbst schreibt in ihrer Einleitung dieses neuen Werkes zu deren Quellen:
In der Absicht den Nutzen mit dem Vergnügen zu verbinden und dadurch den ernsten Betrachtungen welche dies kleine Werk enthält, mehr Eingang zu verschaffen, habe ich einige nach ältern französischen und englischen Originalen bearbeitete Erzählungen und Novellen, welche mir zu einem unschädlichen Zeitvertreib für junge Damen geeignet, schienen hinzugefügt und hoffe meinen doppelten Zweck erreicht zu haben. (Reden 1830: IV)
Die Auswahl der Quellen scheinen einer gewissen Beliebigkeit zu entspringen. Koloch spricht daher auch von einem „Prinzip des Zusammenwürfelns“ (Koloch 2011: 208).
Zum Abschluss möchte ich eine anonym erschienene Veröffentlichung von Philippine von Reden erwähnen, zu deren Entstehung es sehr unterschiedliche Angaben in der Sekundärliteratur gibt: Das bei Knigge (1996: 481) abgedruckte Titelblatt trägt die Angaben: Männerliebe, Frauenherz. / Eine Geschichte / nach dem Englischen der Mrs. Opie / frei bearbeitet. / Leipzig 1821. / Rein’sche Buchhandlung. Der genaue Titel des Ausgangstextes ist auch in der neueren Sekundärliteratur (z.B. Koloch 2011: 204; Gibbels 2017: 123) nicht genannt, die Monographie wird jedoch als Übersetzung von Philippine von Reden eingeordnet. Grätz vermutet dagegen, dass es sich um eine Pseudoübersetzung handele (ohne diese Vermutung jedoch näher zu begründen):
1821 veröffentlichte sie den Roman Männerliebe, Frauenherz, angeblich ‚nach dem Englischen der Mrs. Opie frei bearbeitet‘, aber wohl ihrer eigenen Feder entflossen. (Grätz 2013: 29f.)
Leider konnte ich diese Monographie nicht einsehen.2Nach meinen Informationen ist sie nur noch in der Rara-Sammlung der Universitätsbibliothek Oldenburg erhalten, aber nicht ausleihbar. Ich vermute aber anhand des Erscheinungsjahrs und des Titels sowie des restlichen Œuvres von Philippine von Reden, dass es sich nicht um ein eigenständiges Werk handelt, sondern um eine Übersetzung einer oder mehrerer Erzählungen der Sammlung Tales of the Heart von Amelia A. Opie, die 1820, also ein Jahr vor Männerliebe, Frauenherz, erschienen ist und Erzählungen und Novellen mit Titeln wie „A Woman’s Love“ enthält (vgl. Opie 1820: Bd. 2, S. 200–419).
Zur Entstehung der Übersetzungen und sonstigen Werke von Philippine von Reden (geb. Knigge) bleiben also noch einige Fragen offen, die nur durch weitere übersetzungsphilologische Studien erhellt werden können.
Anmerkungen
- 1Als Geburtsjahr wird in manchen Nachschlagewerken auch 1775 genannt, in der neueren Knigge-Forschung (Knigge 1996: 474, Grätz 2013:9) jedoch 1774.
- 2Nach meinen Informationen ist sie nur noch in der Rara-Sammlung der Universitätsbibliothek Oldenburg erhalten, aber nicht ausleihbar.