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Irma Reblitz, Jg. 1939

16. März 1939 Ludwigshafen am Rhein (Deutsches Reich)
Original- und Ausgangssprache(n)
Englisch, Französisch, Spanisch

Irma Reblitz stammt aus bürgerlichen Verhältnissen. Sie wurde am 16. März 1939 in Ludwigshafen geboren. 1943 floh die Familie aus der zerbombten Industriestadt nach Unterfranken, kehrte dann aber nach Ludwigshafen zurück. Dort machte Reblitz ihr Abitur, ihre Schulfremdsprachen waren Latein, Französisch und ein wenig Englisch.1Die für dieses Biogramm zusammengetragenen Informationen beruhen vor allem auf einem von mir mit Gaia (Irma) Reblitz am 7. Oktober 2024 in Heidelberg geführten Gespräch (S.K.-L.), einen Wikipedia-Eintrag zu ihr gibt es bisher (Oktober 2024) nicht.

Sie studierte Philosophie, Geschichte und Romanistik (Schwerpunkt Französisch) in Bonn, Freiburg und West-Berlin. Für ein Jahr ging sie mit einem Stipendium nach Paris, wo sie am Institut Phonétique ein Abschlusszeugnis (certificat) erhielt. Zurück nach Berlin setzte sie ihr Studium fort, reiste viel und verdiente ihren Unterhalt als freischaffende Übersetzerin und Journalistin. Auch in die DDR unterhielt sie Kontakte, für 1965 ist z. B. ein – gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann Henrich von Nussbaum durchgeführter – Besuch bei Bobrowski dokumentiert.2Vgl. die im März 1965 auf einer Schmuckkarte („800 Jahre Messestadt Leipzig / 20 Jahre Volkssolidarität für Einheit und Frieden“) von dem Ehepaar Reblitz/Nussbaum gemeinsam mit Bobrowski geschriebenen Grüße an Klaus Völker (West-Berlin): „tot ist halb so gut wie schön / von Deinem lieben Johannes // Völker – höret die Signale …! Irma R[eblitz] // In Ihren Kreisen be/verfangen, H. v. Nussbaum“. (Abbildung aus dem Privatarchiv Klaus Völker; Text auch in Bobrowski 2017: IV, 573).

Von Irma Reblitz mitunterschriebene Grußkarte an Klaus Völker, März 1965. (Privatarchiv Völker)

Irma Reblitz hatte regen Kontakt zur APO bzw. in die linke Studentenszene. 1968 veröffentlichte sie in Diskus – Frankfurter Studentenzeitung einen umfangreichen Aufsatz über Claude Simon: Von der Wirklichkeit der Kunst.

In ihrem Essay schildert sie Simons künstlerische Entwicklung bzw. seine „Poetologie“, wie sie sich an neun Hauptwerken ablesen lasse, von Le Tricheur (1945) bis zu Histoire (1967). Die alleinige Zuordnung dieser „gewichtigen Bücher“ zur „Schule“ des Nouveau Roman (Nathalie Sarraute, Alain Robbe-Grillet) hält Reblitz für „wenig erhellend“ und „fragwürdig“. Aus Translationssicht interessant ist auch ihre Kritik daran, dass von Simons Büchern „hierzulande erst vier, und in falscher Reihenfolge“ erschienen seien (Reblitz 1968). Wie es in einem Text aus dem Jahr 1968 kaum anders sein kann, fragt Reblitz auch nach der politischen Haltung des französischen Autors und lässt dabei ihre eigene ästhetische Grundhaltung erkennen. Simon gehöre nämlich nicht zu jenen Schriftstellern, die

Sprache nur als Mittel für Mitteilung zu politischen oder sozialen Zwecken einsetzt, gebraucht, und wie oft verbraucht, mißbraucht. Dermaßen die Welt zu bestimmen und mit Bedeutung auszustopfen, sei Aufgabe von Essayisten, Pamphletisten und Ideologen. […] Romane, die sich damit begnügen, Helden des Sozialismus oder auch Existentialismus lehrreich zu erfinden oder nachzuzeichnen und in immer gleichen Schemata den Weg zum Positiven zu entfalten, laufen in den Augen Simons Gefahr, nicht nur schnell von der Zeit eingeholt und überholt, sondern genauso konsumiert zu werden wie die als „Rechtfertigungsideologie“ gerade verworfenen, zu Herzen gehenden Schnulzen vom armen Mädchen und guten Mann. Diese Art „revolutionären“ Schrifttums ändert die gesellschaftlichen Verhältnisse ebenso wenig wie die vorangegangene gutbürgerliche Heide-, Wald- und Wiesenidylle; vielmehr beruhigt und lähmt sie den Leser vollends. Das Klischeedenken verschüttet die Chance zu echtem Erleben, zu Intuition und Selbsterkenntnis. Das Bewußtsein bleibt ewig ein Nachtrag zum Sein. „Dichtung“ aber „eilt voraus“ (Celan). Simon hat sich […] damit gegen die Rolle des schreibenden Agitators im Namen und an die Adresse der hungernden Massen [entschlossen], zu der Sartre in geradezu romantischer Verkennung der Realität aufrief. (Ebd.)

Im Sommer 1968 nahm sie an der legendären Philolosophie-Sommerschule auf der jugoslawischen Adriainsel Korčula teil. Thema war 1968 „Marx und die Revolution“. Die marxistischen und sozialistischen Philosophieexperten aus Ost und West wurden während des Seminars vom Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei überrascht. Sie setzten ein „an die Weltöffentlichkeit“ gerichtetes Protestschreiben auf, das neben zahlreichen Prominenten wie Ernst Bloch, Herbert Marcuse, Iring Fetscher, Lucien Goldmann, Agnes Heller auch von Irma Reblitz unterzeichnet wurde.

Dieser „unrechtmäßige Akt“ der sowjetischen Staats- und Parteiführung „führ[e] dem Sozialismus […] weltweit einen schrecklichen Schlag zu“, heißt es darin, weshalb es „die Zukunft der weltweiten sozialistischen Bewegung“ dringend erfordere, „den antisozialistischen und undemokratischen Charakter dieser militärischen Okkupation aufs energischste offenzulegen.“ Auch drückten die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner ihre ausdrückliche Solidarität „mit den progressiven und sozialistischen Kräften dieses Landes sowie mit der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei“ aus, „die einen glänzenden Kampf für die Verwirklichung des authentischen Sozialismus“ begonnen hätten. (Stojaković 2023)

Das politische Engagement von Irma Reblitz ist auch an den von ihr aus dem Französischen und Spanischen übersetzten Büchern erkennbar: Texte von Sartre (Der Intellektuelle und die Revolution), Che Guevara, Fidel Castro, Régis Debray.

Ab 1970 lebte sie in Köln, war als freischaffende Übersetzerin tätig, wurde 1971 Mitglied im Bundesverband der Übersetzer und Dolmetscher, BDÜ, und arbeitete intensiv mit dem Westdeutschen Rundfunk zusammen. Für ihn führte sie Interviews und übersetzte und begutachtete Hörspiele. 1974 erschien im Luchterhand Verlag als ihre letzte Übersetzung die deutsche Version von Claude Simons Roman Les corps conducteurs (1971) unter dem Titel Der Leitkörper. Für die Taschenbuchausgabe von 1985 wurde der Buchtitel in Die Leitkörper korrigiert. Teile ihres Sartre-Bandes Der Intellektuelle und die Revolution von 1971 wurde Mitte der 1990er Jahre in die bei Rowohlt erschienene Sartre-Werkausgabe übernommen.

Bereits 1973 war Reblitz aus persönlichen Gründen in die USA ausgewandert. Sie heiratete Jes Richardson und bekam zwei Kinder. Das Leben in den Vereinigten Staaten war geprägt von mehrfachem Ortswechsel: Kalifornien (Monte Rio: Restaurantbesitz in Duncans Mills), Oregon, Arizona, Hawaii (2005–2010) und unterschiedlichen Tätigkeiten. Sie arbeitete als Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache, als Köchin (acht Jahre lang Restaurantbesitzerin bis 1983), Sozialarbeiterin und Kinderpsychologin. Sie malt seit ihrer Jugend und ist weiterhin künstlerisch tätig. Stark beeinflusst ist sie inzwischen durch Kulturen der indigenen Völker Amerikas und spirituelle Gemeinschaften, was sich auch am Wechsel ihres Vornamens von „Irma“ zu „Gaia“ zeigt. Derzeit (Herbst 2024) lebt sie im kalifornischen Berkeley.

Ihre Zeit als politisch engagierte Übersetzerin und Journalistin muss man mit ihrer Übersiedlung nach Amerika als abgeschlossen betrachten. In Germanistik-Kreisen wird im Rahmen der Bobrowski-Forschung regelmäßig aus ihren beiden 1965 geführten Interviews mit dem 1965 verstorbenen Dichter zitiert, konnte ihm Irma Reblitz doch starke Formulierungen zu seiner zentralen Thematik sowie der Poetik seiner Lyrik und Prosa entlocken.

Anmerkungen

  • 1
    Die für dieses Biogramm zusammengetragenen Informationen beruhen vor allem auf einem von mir mit Gaia (Irma) Reblitz am 7. Oktober 2024 in Heidelberg geführten Gespräch (S.K.-L.), einen Wikipedia-Eintrag zu ihr gibt es bisher (Oktober 2024) nicht.
  • 2
    Vgl. die im März 1965 auf einer Schmuckkarte („800 Jahre Messestadt Leipzig / 20 Jahre Volkssolidarität für Einheit und Frieden“) von dem Ehepaar Reblitz/Nussbaum gemeinsam mit Bobrowski geschriebenen Grüße an Klaus Völker (West-Berlin): „tot ist halb so gut wie schön / von Deinem lieben Johannes // Völker – höret die Signale …! Irma R[eblitz] // In Ihren Kreisen be/verfangen, H. v. Nussbaum“. (Abbildung aus dem Privatarchiv Klaus Völker; Text auch in Bobrowski 2017: IV, 573).

Quellen

Bobrowski, Johannes (2017): Briefe 1937–1965. Bd. I–IV. Hg. von Jochen Meyer. Göttingen: Wallstein Verlag.
Reblitz, Irma (1968): Von der Wirklichkeit der Kunst. [Essay zu Claude Simon]. In: Diskus – Frankfurter Studentenzeitung, Jg. 18 (1968), Nr. 1/2, Januar/Februar, S. 20.
Stojaković, Krunoslav (2023): Ja zu Dubček, nein zur Intervention. Jugoslawische Positionen zum Prager Frühling. In: Rosa-Luxemburg-Stiftung. Nachricht. 16.08.2023. (www.rosalux.de/news/id/50893/ja-zu-dubcek-nein-zur-intervention; Aufruf 10. Oktober 2024).

Zitierweise

Kupsch-Losereit, Sigrid: Irma Reblitz, Jg. 1939. In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 12. Oktober 2024.
BeschreibungGaia (Irma) Reblitz, Heidelberg, 7. Oktober 2024 (Aufnahme: Sigrid Kupsch-Losereit)
Datum8. Oktober 2024
Gaia (Irma) Reblitz, Heidelberg, 7. Oktober 2024 (Aufnahme: Sigrid Kupsch-Losereit)

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