Stefan I. Klein, 1889–1960
Die übersetzerische Tätigkeit Stefan I. Kleins erstreckte sich über mehr als vier Jahrzehnte. Seine Arbeit als Vermittler ungarischer Prosa begann Klein 1913 mit dem Band Die magische Laterne, einer Novellensammlung Dezső Kosztolányis; 1957 erschien als seine letzte selbständige Publikation die Anthologie Ungarische Meistererzähler. Insgesamt legte er in seiner Übersetzerlaufbahn acht Prosaanthologien zeitgenössischer ungarischer Autoren vor. Daneben veröffentlichte er eine Reihe von Romanen und Erzählungen namhafter Autoren der Moderne wie Mihály Babits, Dezső Kosztolányi und Ernő Szép.
Stefan Isidor Klein wurde am 10. Mai 1889 als „Sohn eines mährischen Juden und einer slowakischen Mutter“ (Klein 1956, zit. nach Altner 1997: 56) in Wien geboren. Mit acht Jahren siedelte er mit seinen Eltern nach Holics (Holíč, Slowakei, früher auch Weißkirchen) über. Hier, in dem von Ungarn, Deutschen und Slowaken bewohnten Teil der Österreichisch-Ungarischen Monarchie erlernte er die ungarische und wohl auch die slowakische Sprache. In Szakolca (Skalica, Slowakei) besuchte er das katholische Gymnasium, in Pressburg (Bratislava) das protestantische Lyzeum. Ebenfalls in Pressburg absolvierte er ein Jurastudium ab. An der Universität Wien studierte er von 1910 bis 1913 Geschichte, Germanistik, Philosophie, Pädagogik und Psychologie. Ab 1913 war er in Budapest für zwei Jahre in der Redaktion der deutschsprachigen Tageszeitung Pester Lloyd tätig, arbeitete aber auch für ungarischsprachige Blätter wie Újság und Világ. Aus dieser Zeit rührten seine vielfältigen Kontakte zu ungarischen Literaten, hauptsächlich aus dem Kreis um die Zeitschrift Nyugat (Westen), die in Ungarn die Tradition der literarischen Moderne begründet hat und sich durch eine „ästhetizistisch-moderne Ausrichtung und weltliterarische Orientierung“ (Kulcsár Szabó 2013: 299) auszeichnete – auch abzulesen an den dort veröffentlichten Übersetzungen und übersetzungspoetologischen Beiträgen.
Wegen eines Lungenleidens begab sich Klein im Frühjahr 1916 zur Kur nach Davos, von dort aus unterhielt er eine rege Korrespondenz nach Budapest und setzte auch seine übersetzerische Tätigkeit fort.1Die intensive und erfolgreiche Vermittlungstätigkeit belegt etwa die Korrespondenz, die Klein mit Mihály Babits von Oktober 1916 bis August 1923 führte (Babits Mihály Levelezése 2008–2014). In Davos, auf dem „Zauberberg“, lernte er 1918 seine Lebensgefährtin und spätere Frau kennen, die österreichische Schriftstellerin und sehr produktive Übersetzerin Hermynia Zur Mühlen. Mit ihr lebte Klein ab 1919 bis zum Machtantritt Hitlers in Frankfurt am Main. Wegen seiner jüdischen Herkunft und der dezidiert regimekritischen Haltung Zur Mühlens sahen sie sich gezwungen, 1933 Deutschland zu verlassen. Bis 1938 hielten sie sich in Wien auf. Die vierzehn Jahre in Frankfurt am Main waren – gemessen an der Zahl seiner Veröffentlichungen – die produktivste Zeit als Übersetzer. Als Stefan I. Klein und Hermynia Zur Mühlen nach einer Odyssee durch Europa 1939 in London eintrafen, konnte der Fünfzigjährige auf ein recht umfangreiches übersetzerisches Œuvre zurückblicken. Kleins Briefwechsel zeugt von engen, seine Budapester Zeit überdauernden Verbindungen zu „seinen“ Autoren.
Einen intensiven Kontakt pflegte Klein zu Mihály Babits, einem der Vertreter der ungarischen Moderne aus dem Kreis um die Zeitschrift Nyugat. Insgesamt sind mehr als 260 Briefe aus fast dreißig Jahren überliefert (Cséve/Papp 1993: 226-255). Die Übersetzung seiner Prosa ins Deutsche war in der Zwischenkriegszeit das ausschließliche Verdienst Kleins. Nicht weniger eng gestaltete sich sein Verhältnis zu Dezső Kosztolányi, dem zweiten durch Nyugat prominent präsentierten Literaten der Moderne. Seine Novellen waren in den 1910er Jahren in den expressionistischen Zeitschriften Der Sturm, Der Brenner und Der Friede zu lesen. Sein Roman A véres költő (dt. Der blutige Dichter), der das heikle Verhältnis von Sprache und Macht beleuchtet, erschien 1924 in der Übertragung von Klein erstmals auf Deutsch, zunächst im Konstanzer Verlag Oskar Wöhrle und im Abstand von wenigen Jahren in zwei weiteren Verlagen, jeweils mit einem Vorwort von Thomas Mann.2Die deutsche Übersetzung des Romans fand in Nyugat positive Resonanz: In Kleins Blutigem Dichter ginge kaum etwas verloren vom lyrischen Reichtum der Kosztolányischen Evokationen, der Schönheit seiner Bilder und der symbolischen Atmosphäre, lobt József Turóczi-Trostler (1924: 475). Der 1913 herausgegebene Novellenband Die magische Laterne, dessen Übersetzung ebenfalls Klein besorgte, hatte Manns Interesse für Kosztolányi als Literaten wecken können – als Übersetzer seiner Novelle Tristan (1903; ung. 1908) kannte er ihn bereits. Dass Kosztolányi seinem Übersetzer auch die Auswahl der zu übersetzenden Texte anvertraute, belegt der Brief vom 22. Juni 1933:
Ich schicke Dir die Esti-Erzählungen, die in meinem Band nicht enthalten sind […] Diese kannst Du in den deutschen Band aufnehmen. Ich bitte Dich nur, verwahre das Manuskript sorgfältig und schicke es nach der Verwendung zurück, denn ich vertraue Dir mein einziges Exemplar an. (Kosztolányi 1996: 690, Übersetzung C.S.)
Kleins Vermittlertätigkeit wurde im Nyugat-Kreis wohlwollend aufgenommen. Seine bis 1924 veröffentlichten fünf Prosaanthologien trugen der in der Zeitschrift proklamierten Erneuerung der ungarischen Literatur durchaus Rechnung: Die Literaten waren hier wie dort vertreten. In Nyugat würdigte der Schriftsteller, Kritiker und Übersetzer Jenő Mohácsi den Übersetzer überschwänglich als „deutschen Apostel der ungarischen Literatur“ (Mohácsi 1927: 641, Übers. C. S.).
Nach 1919, seinem endgültigen Weggang aus Ungarn, blieb Klein, wie erwähnt, in engem Kontakt mit den dortigen Literaten. Ob er wegen einer eventuellen Beteiligung an den revolutionären Ereignissen von 1918 emigrieren musste, konnte nicht eindeutig geklärt werden. In Davos begann er mit der Übersetzung des Romanwerks von Mihály Babits; 1920 erschien der Roman Der Storchkalif im Leipziger Kurt Wolff Verlag (Nachdruck bei Suhrkamp 1984); es folgten weitere Prosabände: 1923 die Novelle Der Sohn des Vergilius Timár und 1926 der Roman Das Kartenhaus.
Der Umzug nach Frankfurt erleichterte den Zugang zu den hier ansässigen Verlagen, großen Zeitungen und Bibliotheken. Márai, der wie Klein in den 1920er Jahren für das Feuilleton der Frankfurter Zeitung arbeitete, zeichnete in seiner Autobiographie Egy polgár vallomásai (dt. Bekenntnisse eines Bürgers) ein kaum verschleiertes Porträt von Stefan I. Klein und Hermynia zur Mühlen:
Aus dem Schwarzwald kommend, traf eines Morgens mit zwei Hunden der Übersetzer K. ein, ein dicker, junger ungarischer Schriftsteller, der emigriert war und ständig in Weltschmerz und Gekränktheit um sich blickte; bei ihm war seine Freundin, eine österreichische Gräfin, die die Werke amerikanischer Schriftsteller ins Deutsche übersetzte und später in der linken deutschen Literatur aktiv wurde. Ich erwartete sie am Bahnhof. Ihr Einzug in Frankfurt erregte Aufsehen. […] K. war von Natur aus mißtrauisch, in allem und jedem witterte er Beleidigungen, und seinem Mißtrauen machte er in zornigen Briefen Luft, die er per Einschreiben, Expreß und Luftpost verschickte. […] Die Gräfin hatte er in Davos kennengelernt, während des Krieges; beide waren krank, und im Sanatorium hatten sie eine Zuneigung zueinander gefaßt, die unzerstörbar, reiner und stärker war als jede offizielle Verbindung und die beiden kranken Menschen für ihr ganzes Leben aneinander band. […] Die Hundepflege und das Bücherübersetzen füllten ihr Leben voll aus. Sie übersetzten sehr viel und waren Künstler in ihrem Handwerk. (Márai 2000: 251f.)
Von der Verbindung profitierten augenscheinlich beide, denn Verlage wie Malik oder der Drei-Masken-Verlag, aber auch Die rote Fahne veröffentlichten Werke, Übersetzungen und Artikel des jeweils anderen.
In der Frankfurter Zeit unterhielten Zur Mühlen und Klein enge Kontakte zu linken Gruppierungen – Hermynia trat sogar der Kommunistischen Partei bei, von der sie sich allerdings in den frühen 1930er Jahren wieder abwandte –, und sie stellten sich in den Dienst einer politisch engagierten Literatur. Kleins Augenmerk galt zwar vor allem den Nyugat-Autoren, neben Babits und Kosztolányi auch Gyula Szini, Ernő Szép und Gyula Krúdy, die als Vertreter der klassischen ungarischen Moderne den Geschmack der damaligen deutschen Leserschaft trafen, er ebnete aber auch den Weg für János Mácza und Sándor Barta, beide Literaten der avantgardistischen Zeitschrift Ma, und platzierte Autoren, die einer proletarischen Literatur verpflichtet waren, in politisch links ausgerichteten Zeitungen und Zeitschriften. Angeregt von Zur Mühlens erfolgreichem Märchenbuch Was Peterchens Freunde erzählen (1921), brachte er 1923 den Märchenband Silavus von Maria Szucsich beim Dresdner Proletarischen Freidenker-Verlag unter. Überhaupt waren die Frankfurter Jahre äußerst produktiv: Neben einer Vielzahl von Übersetzungen in Zeitungen und Zeitschriften – Miklós Salyámosy (1973: 69) erwähnt mehr als 50 Blätter, in denen Klein publizierte – legte Klein mehr als 40 Übersetzungen in Buchform vor, die durchaus positiv von der deutschen Kritik aufgenommen wurden. So schrieb Joseph Roth (1926) über Babits’ Roman Das Kartenhaus: „Wer Ungarn kennen will, lese dieses Buch, das allerdings auch eine ungleich sympathischere Bekanntschaft vermittelt: die mit dem Dichter Babits. – Die Übersetzung Stefan J. Kleins ist klar, flüssig und präzise.“
Wenige Monate nach dem Machtantritt Hitlers beschloss das Literatenpaar, nach Wien überzusiedeln. Bereits Anfang der 1920er Jahre hatten beide wegen ihrer Verbindungen zur kommunistischen Bewegung unter Polizeibeobachtung gestanden (vgl. Altner 1997: 64). Als Hitler 1938 in die österreichische Hauptstadt einmarschierte, flohen Klein und Zur Mühlen nach Bratislava. Dabei mussten sie ihre Bibliothek und alles weitere dinglich vorhandene Vermögen zurücklassen. Es folgte eine aufreibende Flucht über Budapest, Jugoslawien, Italien, die Schweiz und Frankreich, bis sie mit Hilfe des Czech Refugee Trust Funds im Juni 1939 London erreichten – entkräftet, krank, mittellos.
Mein Mann kann sich nicht einleben, es fehlen ihm die vielen Zeitungen, die deutschen und ungarischen Bücher, Frankreich war ja auch wirklich viel schöner, schon die Luft in Paris, die wirkliche und die, wie soll ich sagen, moralische, seelische. Alles so leicht, so anmutig und dabei so anständig. (Zur Mühlen: 1939)
Klein konnte im englischen Exil seine Kontakte zur ungarischen Literaturszene zwar aufrechterhalten, aber es gestaltete sich äußerst schwierig, weiterhin deutsche Übersetzungen unterzubringen. Der niederländische Verlag Allert de Lange, der u. a. Bertolt Brecht, Sigmund Freud, Irmgard Keun und Stefan Zweig herausgab, hatte 1937 Jolán Földes’ Roman Die Straße der fischenden Katze veröffentlicht. Da sich das Buch mit fast 8.500 verkauften Exemplaren als kommerzieller Erfolg erwies, konnte Klein 1938 und 1939 zwei weitere Romane der Autorin bei Allert de Lange veröffentlichen. Während Zur Mühlen, zum Zeitpunkt ihrer Flucht aus Österreich eine bekannte Schriftstellerin, trotz schwerer Krankheit weiterhin ihrer literarischen Tätigkeit nachging, gelang es Klein – wohl auch wegen der fehlenden Englischkenntnisse – nur noch gelegentlich, etwas zu veröffentlichen, etwa bei Schweizer Zeitungen wie der Basler Nationalzeitung (Illés 1969-70: 85). Ob er bei Londoner Exilblättern mitarbeitete, ist ungeklärt.
In den unmittelbaren Nachkriegsjahren dachten beide zunächst an eine Rückkehr nach Wien, die sich aber aus wirtschaftlichen Gründen nicht realisieren ließ. 1951 starb Hermynia Zur Mühlen, Klein blieb in großer Armut zurück. Er versuchte über das United Restitution Office in London, seine Ansprüche bei den deutschen Entschädigungsbehörden geltend zu machen – doch erfolglos. 1956 und 1957 konnte er, indem er wohl ehemalige Verlagskontakte seiner Frau nutzte, zwei Romanübersetzungen des englischen Autors Nevil Shute Norway im Zürcher Steinberg-Verlag publizieren. Die Korrespondenz mit dem ebenfalls im englischen Exil lebenden Schriftsteller und Kritiker Lajos Hatvany aus dem Jahr 1946 lässt darauf schließen, dass Klein beabsichtigte, einen Band mit Texten von ungarischen Opfern des Naziterrors herauszugeben. Dazu bat er Hatvany um Rat bei der Auswahl der Autoren und um ein Vorwort; das Projekt wurde allerdings nie verwirklicht (Hatvany 1967: 389). Ebenso wenig gelang es Klein, Übersetzungen der Novellen des 1936 verstorbenen Dezső Kosztolányi zu veröffentlichen (Klein 1958 und 1959). Kosztolányi hatte Klein noch in den 1930er Jahren seine Manuskripte überlassen (vgl. Illés 1969-70: 82). „[…] damals hatte ich aus den Manuskripten eine Reihe von Novellen und Skizzen übersetzt. Einige Manuskripte habe ich noch“, schrieb Klein 1950 an die Witwe (zit. nach Illés 1962: 193, Übersetzung C.S.).3Leider ist der Brief Kleins an Kosztolányis Witwe, auf den sich Illés bezieht, im Archiv des Petőfi Literatur Museums nicht auffindbar. Siehe dazu Józan 2011: 415.
Mit der 1957 im Zürcher Classen-Verlag erschienenen Anthologie Ungarische Meistererzähler, einer Auswahl humoristisch-satirischer Kurzgeschichten, konnte Klein noch einmal an frühere Erfolge als Herausgeber von Anthologien anknüpfen. György bzw. George Mikes, ein bereits seit Ende der 1930er Jahre in England lebender Journalist und Autor, schrieb das Vorwort zu diesem „Kaleidoskop ungarischer schriftstellerischer Talente“, welches fast alle Autoren versammelt, die in der ungarischen Prosa Rang und Namen haben, angefangen mit Jókai und Mikszáth, den kanonischen ungarischen Romanciers der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, über Heltai, Herczeg, Móricz, Szép bis zu Kosztolányi und Frigyes Karinthy.
Dies sollte die letzte Buchveröffentlichung Kleins sein. Verbittert über den Verlust seiner Frau, über die ausbleibende Anerkennung ihrer schriftstellerischen Leistung sowie über die wiederholten Fehlschläge seiner Projekte, beabsichtigte er noch 1955 nach Ungarn überzusiedeln. Wilhelm Sternfeld klagt er in einem Brief vom 18.Juni 1955:
Ich bin nicht gesund genug, um dieses Bettlerleben auf die Dauer auszuhalten. (Der Feuilletondienst im Rowohlt-Verlag hat im vorigen Monat eine einzige Arbeit placiert, da es sich um eine Übersetzung aus dem Ungarischen handelte und ich von dem Honorar 50 % abgeben muß, sind das für mich nicht einmal 10 Schillinge!) (zit. nach Altner 1997: 204.)
Am 6. Oktober 1960 starb Stefan I. Klein völlig verarmt in St. Alban bei London. Sein Nachlass wie auch der Hermynia Zur Mühlens ist verschollen.
Anmerkungen
- 1Die intensive und erfolgreiche Vermittlungstätigkeit belegt etwa die Korrespondenz, die Klein mit Mihály Babits von Oktober 1916 bis August 1923 führte (Babits Mihály Levelezése 2008–2014).
- 2Die deutsche Übersetzung des Romans fand in Nyugat positive Resonanz: In Kleins Blutigem Dichter ginge kaum etwas verloren vom lyrischen Reichtum der Kosztolányischen Evokationen, der Schönheit seiner Bilder und der symbolischen Atmosphäre, lobt József Turóczi-Trostler (1924: 475).
- 3Leider ist der Brief Kleins an Kosztolányis Witwe, auf den sich Illés bezieht, im Archiv des Petőfi Literatur Museums nicht auffindbar. Siehe dazu Józan 2011: 415.