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Gerhard Blümlein, 1942–2022

4. Mai 1942 Bad Homburg (Deutsches Reich) - 5. Oktober 2022 Athen (Griechenland)
Original- und Ausgangssprache(n)
Griechisch

Der 1942 im Hessischen geborene Gerhard Blümlein hat den größten Teil seines Lebens in Griechenland verbracht. Sein Griechisch war so gut wie muttersprachlich. In Frankfurt und in Thessaloniki studierte er Klassische Philologie und Politische Wissenschaften. 1970 wurde er in Frankfurt mit der Arbeit Die Trugreden des Odysseus promoviert. Anschließend war er in unterschiedlichen Funktionen in Deutschland, Griechenland und auf Zypern für das Goethe-Institut tätig, von 1994 bis 2005 ständig in Athen.

Erstmals 1965, noch während des Studiums in Thessaloniki, übersetzte er einen Essay über moderne griechische Kunst des Architekturhistorikers und späteren PASOK-Ministers Dimitrios Fatouros. Es folgten in den 70er Jahren hauptsächlich Übertragungen von Sachtexten für die Staatliche Touristenorganisation EOT sowie  in Griechenland und auf Zypern veröffentlichte Museumseditionen, ab den 90er Jahren dann Sachtexte für die Griechische Kulturstiftung, das Nationale Buchzentrum und die Hellenische Parlamentsstiftung. Die Wende zu anspruchsvollen literarischen Texten fand ihren Ausdruck in der  2001 unter dem Titel Die Kiste publizierten deutschen Version des 1975 in Athen erschienenen dystopischen Bürgerkriegsromans Το Κιβώτιο von Aris Alexandrou, längst ein Klassiker. Zuvor hatte er sich im Auftrag des Suhrkamp/Insel-Verlags mit der Übertragung des dritten Bandes Fledermaus der Trilogie Steuerlose Städte befasst. Dessen Veröffentlichung scheiterte jedoch an lizenzrechtlichen Komplikationen.1Bereits in den 80er Jahren hatte Gisela von der Trenck an einer Übersetzung der ersten beiden Bände gearbeitet. Die Publikation scheiterte jedoch an Unstimmigkeiten mit dem Verleger, so zu entnehmen der Korrespondenz mit Albrecht Knaus. Auch misslang der Versuch des Insel/Suhrkamp-Verlags, die Rechte an Trencks Übersetzung einzuholen.

Ab 2001 lehrte er am Athener  Europäischen Zentrum für Literaturübersetzen (EKEMEL). Für die Manesse-Bibliothek der Weltliteratur machte er in Zusammenarbeit mit seiner EKEMEL-Studentin Sigrid Willer 2008 einen weiteren griechischen Klassiker auf Deutsch zugänglich: die satirischen Erzählungen Der Ehemann erfährtʼs zuletzt von Emmanouil Roidis.

Wieder im Kunstmann-Verlag erschien 2012 seine Übertragung der melancholischen Spötteleien von Nikos Dimou unter dem Titel Über das Unglück, ein Grieche zu sein von 1975 – unabweisbar ein Buchprojekt, das am Griechenland-Bashing der damaligen Finanzkrise andockte. Der in Athen wöchentlich erscheinenden deutschsprachigen Griechenland Zeitung war Blümlein seit deren Gründung 2005 als Verfasser sprachgeschichtlicher Glossen („Sprachrohr“) verbunden. Im Verlagsprogramm der Zeitung erschien 2016 seine Übersetzung eines im Original 1933 veröffentlichten Romans von M. Karagatsis: Oberst Ljapkin – ein russischer Flüchtling in Griechenland.

Ab 2015 kooperierte Blümlein mit dem neu  gegründeten Berliner Centrum Modernes Griechenland und dessen edition romiosini. In kostenfreiem Onlinezugang sowie  Book-on-Demand-Ausgaben wurde dort in Blümleins neuer Übersetzung der drei Bände umfassende Roman Steuerlose Städte (Ακυβέρνητες Πολιτείες) von Stratis Tsirkas veröffentlicht. Die Initiative  der Berliner Neogräzisten wurde in einer Besprechung der Neuen Zürcher Zeitung 2017 ausdrücklich  gelobt:

Gleich mit der ersten Veröffentlichung ist den Wissenschaftern vom Centrum Modernes Griechenland ein Coup gelungen. Die Trilogie «Steuerlose Städte» (auch: Unregierbare Städte), 1961 bis 1965 erschienen, wurde in Frankreich 1971 als bestes ausländisches Buch ausgezeichnet, 1974 publizierte der angesehene Verlag Alfred A. Knopf eine Ausgabe in den USA. Ein deutscher Verlag scheute die Publikation jahrelang, blockierte aber die Rechte. […] Die Trilogie ist spannend und leicht zu lesen für den, der nicht sofort alles verstehen will und sich ihr anvertraut. Tsirkas hat, so sagt es der Literaturwissenschafter Milton Pechlivanos vom Centrum Modernes Griechenland, auf eigene Faust die literarische Moderne, die erzähltechnischen Errungenschaften von Joyce, Virginia Woolf und Marcel Proust, in Griechenland eingeführt. […] Im Vorwort stellt Joachim Sartorius die Steuerlosen Städte zu Recht in eine Reihe mit Jean-Paul Sartres Die Wege der Freiheit und André Malraux‘ Die Hoffnung. […] Die Übersetzung von Gerhard Blümlein wirkt gelungen, Lektorat und Korrektorat der Bände schwanken allerdings. (Plath 2016).

Unter den historischen Darstellungen stechen zwei Übertragungen Blümleins hervor: Das Werk von Hannibal Velliadis über das deutsch-griechische Verhältnis in den Jahren des Nationalsozialismus (Metaxas – Hitler), erschienen 2006 bei Duncker & Humblot, sowie die Geschichte Griechenlands zwischen 1974 und 2010 von Yannis Voulgaris (edition romiosini, 2012) in Kooperation mit Ulf-Dieter Klemm.

Harsche Kritik übte Blümlein an der Handke-Übersetzung des Ödipus in Kolonos von Sophokles aus dem Altgriechischen (Suhrkamp 2003), mündlich erläutert im „Athener Literarischen Quartett“, einem Format für Buchpräsentationen des 1837 gegründeten Vereins „Philadelphia“. Dabei monierte er u.a. missverständliche Wörtlichkeit, danebengreifende Verwendung umgangssprachlicher Ausdrücke, aber auch einfach Gestelztes und Falsches. Sein Fazit:

Handke hat durch seine Sucht nach Originalität einen Text geschaffen, der oft nicht nur verstört (das ginge noch), sondern immer wieder falsch übersetzt ist und (das ist das Schlimmste) häufig einfach nicht lesbar ist.

Gerhard Blümlein verstarb Anfang Oktober 2022 in Athen. Sein Nachlass wartet auf die Durchsicht und Aufarbeitung.

Anmerkungen

  • 1
    Bereits in den 80er Jahren hatte Gisela von der Trenck an einer Übersetzung der ersten beiden Bände gearbeitet. Die Publikation scheiterte jedoch an Unstimmigkeiten mit dem Verleger, so zu entnehmen der Korrespondenz mit Albrecht Knaus. Auch misslang der Versuch des Insel/Suhrkamp-Verlags, die Rechte an Trencks Übersetzung einzuholen.

Quellen

Plath, Jörg (2016): Der Krieg der Exilgriechen. Ein neugegründeter Berliner Book-on-Demand-Verlag hat sich der im deutschen Sprachraum darbenden griechischen Literatur angenommen – und liefert gleich zu Beginn einen sensationellen Fund [Rezension zur Trilogie "Steuerlose Städte" von Stratis Tsirkas]. In: Neue Zürcher Zeitung, 24. Februar 2016. (www.nzz.ch/feuilleton/buecher/der-krieg-der-exilgriechen-ld.100811; Aufruf 14. Januar 2024).
Schellinger, Andrea (2022). Abschied von einem feinsinnigen Freund Griechenlands. Dr. Gerhard Blümlein (1942–2022) zum Gedenken. In: Griechenland Zeitung, Nr. 846, 29. Oktober 2022.

Zitierweise

Schellinger, Andrea: Gerhard Blümlein, 1942–2022. In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 17. März 2024.
BeschreibungGerhard Blümlein (© Jan Hübel / Griechenland-Zeitung).
Datum17. März 2024
Gerhard Blümlein (© Jan Hübel / Griechenland-Zeitung).

Bibliographie (Auszug)

Übersetzungen (Buchform)

Detaillierte Bibliographie