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Alexandra Ramm-Pfemfert, 1883–1963

31. Dezember 1883 Starodub (Russisches Kaiserreich) - 17. Januar 1963 Berlin (Berlin (West))
Original- und Ausgangssprache(n)
Russisch

Vorbemerkung der Redaktion

Dieses Porträt entstand im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts Exil:Trans zum Leben und Arbeiten von Übersetzern und Übersetzerinnen im Exil (1933-1945) (FWF Internationales Projekt: I 4135 (D-A-CH) 2019-2022. Es wurde zuerst im September 2021 auf der Projekt-Internetseite der Universität Wien veröffentlicht.

Mit Julijana Rancs Biografie Alexandra Ramm-Pfemfert. Ein Gegenleben (2004) liegt eine ausführliche Biografie vor, die die verschiedenen Facetten ihrer Identität und Tätigkeiten nachzeichnet. Im Dokumentationsteil sind Texte und Briefe Ramm-Pfemferts enthalten, auch viele Fotos und der Briefwechsel mit Trotzki. Auf Grundlage von Rancs Biografie sollen die übersetzerische, politische Tätigkeit von Ramm-Pfemfert sowie ihr Weg ins Exil und welche Folgen dieser für ihr übersetzerisches Engagement hatte, beleuchtet werden.

Mit nur 18 Jahren verließ Alexandra Ramm, eines von neun Kindern einer jüdisch-orthodoxen Familie, ihren Geburtsort Starodub im Russischen Kaiserreich und ließ sich in Berlin nieder, wo sie um 1901 bereits einige philosophische Kurse an der Humboldt-Universität belegte. Sie knüpfte rasch Kontakte zu anarchistischen Gruppen und lernte auch Franz Pfemfert kennen, den sie 1912 heiratete. Pfemfert hatte die Zeitschrift Die Aktion 1911 gegründet und Ramm-Pfemfert beteiligte sich intensiv daran. Die Aktion war eine literarische und politische Wochenzeitschrift, die expressionistische Kunst förderte und sich dezidiert links verortete, ohne jedoch einer Partei zugehörig zu sein. Nach 1918 änderte sich das Profil und die Zeitschrift brachte hauptsächlich politische Texte, u.a. auch von Lenin, Trotzki und anderen russischen Revolutionären. Während des Ersten Weltkriegs waren die Pfemferts illegal im Widerstand aktiv, stellten sich politisch auf die Seite von Rühle und Liebknecht, die 1915/16 im Berliner Reichstag gegen die Kriegskredite gestimmt hatten. Sie erlebten für ihr politischen Engagement, nach dem Ersten Weltkrieg u.a. für den Spartakusbund, immer wieder Repressalien.

Alexandra Ramm-Pfemfert schrieb für Die Aktion Artikel, Rezensionen und regelmäßig auch Übersetzungen, über ein Dutzend sind für den Zeitraum 1911–1931 erfasst. Sie war jedoch kein Redaktionsmitglied. Ihre ersten Übersetzungen waren zwei Romane von Elena Nagrodskaja, die im Verlag Borngräber erschienen. Spätere Übersetzungen historischer und politischer Texte kommentierte Ramm-Pfemfert auch inhaltlich in Artikeln und Rezensionen, dies ist bei diesen ersten beiden Romanen nicht der Fall. Ab 1917 führte sie außerdem die „Aktions-Buch- und Kunsthandlung“ in Berlin. Zusätzlich zu ihren Einnahmen aus Übersetzungen trug sie zur finanziellen Absicherung der Aktion und des dazugehörigen Verlags bei.

Ihre Übersetzung Schokolade führte zu Protesten des Autors Tarassow-Rodionow. Zu dieser Zeit war Ramm-Pfemfert als Trotzki-Übersetzerin bekannt. Die politische Dimension der Kontroverse um diese Übersetzung ist deshalb hervorzuheben. Wie die Biografin Ranc zeigt, folgte Ramm-Pfemferts deutsche Übersetzung von 1924 der Originalausgabe von 1922, ohne Auslassungen. Der Autor Tarassow-Rodionow kritisierte in der (parteikonformen) Linkskurve 1929, dass Alexandra Ramm seine Novelle zu einer kontrarevolutionären Waffe verfälscht habe. Franz Pfemfert verteidigte in der Aktion die Übersetzung seiner Frau, die „text- und sinngemäß“ vollständig sei und warf Tarassow-Rodionow vor, dass er log. Der Autor hatte seine Novelle nach der Ersterscheinung jedoch abgeändert. Die Aktion empfahl die Übersetzung Ramm-Pfemferts daraufhin mit dem Zusatz „Nach der ersten, durch kein Apparat-Diktat verfälschten Fassung wortgetreu und völlig ungekürzt von Alexandra Ramm“ (zit. n. Ranc 2004: 54). Tarassow-Rodionow wurde trotz seiner Bemühungen und Nachbesserungen des Romans 1938 als „Volksfeind“ verhaftet, wegen Spionage verurteilt und in Moskau erschossen.

In den Jahren 1929 bis 1933 war Ramm-Pfemfert Trotzkis wichtigste Mitarbeiterin und Unterstützerin in Berlin und fungierte nicht nur als Übersetzerin, sondern auch als eine Art Agentin und Beraterin (Ranc 2004: 71ff.). Der S. Fischer-Verlag hatte 1929 Verhandlungen mit Trotzki über seine Autobiografie begonnen, woraufhin sich über den Verlag der Kontakt zwischen Ramm-Pfemfert und Trotzki ergab und sie ihm anbot, seine Schriften zu übersetzen. Über die Jahre korrespondierten die beiden häufig, arbeiteten intensiv zusammen und waren schließlich auch freundschaftlich verbunden. Trotzkis Autobiografie erschien 1930 in deutscher Sprache bei S. Fischer. Im Vorwort bedankt sich Trotzki bei der Übersetzerin:

Indem ich dieses Buch dem deutschen Leser übergebe, möchte ich feststellen, daß Alexandra Ramm nicht nur die Übersetzerin des russischen Originals gewesen ist, sondern darüber hinaus auch dauernd um das Schicksal des Buches Sorge getragen hat. Ich spreche ihr an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank aus. (Zit. n. Ranc 2004: 72).

Ranc zeichnet das Bild einer äußerst selbstbewussten und detailorientierten Übersetzerin, die den Autor Trotzki beriet und ihm auch widersprach. Er fragte sie schon nach kurzer Zeit auch nach inhaltlichen Rückmeldungen, etwa zur Struktur seiner Autobiografie. Das Ehepaar Pfemfert war antistalinistisch, aber hatte sich selbst nie als trotzkistisch eingestuft. Ramm-Pfemfert wurde zu einer loyalen und bemühten Mitarbeiterin Trotzkis, doch waren die beiden sich keineswegs in allen (politischen) Angelegenheiten einig. Neben der Autobiografie und Trotzkis zweibändiger Geschichte der Revolution übersetzte sie auch Zeitungsartikel und Broschüren Trotzkis sowie seine Korrespondenz mit Anwälten. Außer ihren zwei ebenfalls in Westeuropa lebenden Schwestern Nadja Ramm (= Nadja Strasser) und Maria Ramm (= Maria Einstein), die beide ebenfalls Übersetzerinnen waren, wusste kaum jemand aus der Familie in Russland von der Tätigkeit als Trotzkis Übersetzerin beziehungsweise wurde dies lange Zeit verschwiegen, auch aus Furcht vor Repressalien für die Familie.

1933 kam es nach dem Reichstagsbrand zu Hausdurchsuchungen bei den Pfemferts. Beide, vor allem Fritz Pfemfert, waren für ihr kommunistisches Engagement bekannt, weswegen sie Verfolgung befürchten mussten. Zudem kam Ramm-Pfemfert aus einer jüdischen Familie. Die beiden verließen daher so rasch wie möglich, ohne Gepäck, Berlin und reisten mit dem Zug nach Dresden, wo sie untertauchten. Am 12. März 1933 gingen sie zu Fuß von Dresden aus zur tschechoslowakischen Grenze und erreichten so Karlsbad, wo sie vorerst in einem Hotel unterkamen, dem Hotel Paradies. Die Pfemferts finanzierten ihr Leben über ein Fotoatelier, denn Franz Pfemfert hatte schon zuvor Erfahrung als Porträtfotograf gesammelt.

Im Karlsbader Exil arbeitete Ramm-Pfemfert ab 1934 an der Übersetzung Zussima, die ein Jahr später in Zürich bei der Büchergilde Gutenberg erschien. Zudem erschienen zwei übersetzte Beiträge Trotzkis in Prager Blättern. 1936 verließen die Pfemferts Karlsbad und reisten nach Paris, wo sie von Oktober 1936 bis September 1940 blieben. In Paris veröffentlichte Ramm-Pfemfert nur eine Übersetzung: Trotzkis Stalins Verbrechen erschien 1937 bei Jean-Christophe in Zürich. In den Pariser Jahren war das Ehepaar weniger isoliert als in Karlsbad, sie beteiligten sich jedoch nicht am politischen Leben (der Exilierten). Auch hier verdienten sie ihr Geld mit der Fotografie, lebten aber sehr ärmlich.

Für gewöhnlich zeichnete Ramm-Pfemfert ihre Übersetzungen mit „Alexandra Ramm“. Der Name Pfemfert war durch das politische Engagement ihres Mannes zumindest in KP-Kreisen verrufen. Doch die Übersetzung Stalins Verbrechen signierte sie als Alexandra Pfemfert. Ranc sieht dies als Zeichen ihrer „Jetzt erst recht“-Haltung. Nach Kriegsbeginn wurden auch die Pfemferts in Frankreich zeitweise interniert. Ramm-Pfemfert wurde siebenundfünfzigjährig im Juni 1940 in Gurs interniert. Nach etwa zwei Wochen konnte sie mit vielen weiteren Frauen mit gefälschten Entlassungsscheinen das Lager verlassen. Die Pfemferts gelangten noch im September 1940 nach Portugal. Ende November bestiegen sie einen Dampfer Richtung Nordamerika. Sie hatten im Oktober ein mexikanisches Visum erhalten, konnten die Schiffskarten vorweisen und bekamen so ein Transitvisum für die USA. Insgesamt mussten sie über 800 US-Dollar dafür aufbringen. In New York angekommen, wollten die Pfemferts eigentlich lieber ein dauerhaftes Visum für die USA bekommen, reisten schlussendlich aber doch im März 1941 nach Mexiko-Stadt. Die Witwe Trotzkis, Natalija Sedowa unterstützte die Pfemferts in Mexiko sehr, u.a. durch die Bereitstellung eines Dolmetschers, da die Pfemferts weder Spanisch noch Englisch sprachen. Das Ehepaar bemühte sich weiterhin erfolglos um eine legale Möglichkeit des Aufenthalts in den USA. Sie blieben schlussendlich über zehn Jahre im mexikanischen Exil und eröffneten erneut ein Fotoatelier. Es waren trostlose Jahre, ereignislos und mit wenig Zugang zu Büchern, einsam und ohne Anschlussmöglichkeiten an andere politische Flüchtlinge, denn die waren mehrheitlich stalinistisch eingestellt. In Mexiko übersetzte Ramm-Pfemfert nicht mehr.

1954 verstarb Franz Pfemfert an Leberkrebs. Seine Witwe war gesundheitlich in schlechter Verfassung und remigrierte 1955 nach Europa. Über Paris und das Tessin gelangte sie im Mai desselben Jahres nach Westberlin. Zweiundzwanzig Jahre hatte sie im Exil gelebt und kehrte nun mit 72 Jahren zurück nach Berlin. Sie bemühte sich um eine Neuauflage von Trotzkis Autobiografie und erreichte nach einigen Mühen, dass S. Fischer 1961 eine Neuauflage druckte, sowie die Geschichte der russischen Revolution zumindest in einer gekürzten Fassung neu auflegte. 1963 verstarb Alexandra Ramm-Pfemfert mit achtzig Jahren an einer Lungenentzündung in einem Berliner Krankenhaus.

Quellen

Ranc, Julijana (2004): Alexandra Ramm-Pfemfert: ein Gegenleben. Hamburg: Edition Nautilus.

Zitierweise

Kremmel, Stefanie: Alexandra Ramm-Pfemfert, 1883–1963. In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 30. Mai 2024.