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Hermann Sternbach, 1880–1942

20. Mai 1880 Drogobytsch (Österreich-Ungarn) - 16. August 1942 Lemberg (Galizien) (Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete)
Berufe/Tätigkeiten
Schriftsteller, Übersetzer, Lehrer
Original- und Ausgangssprache(n)
Latein, Polnisch
Schlagworte
Übersetzerisches ProfilDichterübersetzer, Philologe als Übersetzer Übersetzte GattungenAnthologien, Epigramme, Lyrik, Oden Sonstige SchlagworteNS-Opfer

Lebensstationen

Hermann (Hersch) Sternbach wurde als Sohn des jüdischen Viehhändlers Mordecai Sternbach am 20. Mai 1880 im galizischen Drohobycz geboren. Dort besuchte er eine sog. Judenschule (Winninger 1935), anschließend das Gymnasium, auf dem er u.a. Latein und Altgriechisch lernte. Er studierte 1900–1904 Germanistik, Philosophie und Klassische Philologie an den Universitäten Lemberg und Wien und arbeitete dann als Gymnasialprofessor in Galizien, am Elisabeth-Gymnasium in Sambor, später in Lwów/Lemberg. Ferienreisen führten ihn ins Ausland, „so 1906 nach Deutschland, Dänemark, Schweden, 1909 Niederlande und Rheingegend“ (Maday 1910: 88). Die Besetzung seiner Heimatstadt und auch Lembergs durch russische Truppen im Herbst 1914 scheint er in Wien erlebt zu haben.1In der Wiener Neuen Freien Presse erschien am 18. November 1914 in der Rubrik Gesucht werden folgende Anzeige: „Chaim Sternbach und Frau aus Rudniki, Osias Sternbach samt Familie, Fortbeamter des Reichsratsabgeordneten Doktor Kolischer, aus Bilcze-Wolica, zuletzt in Stryj, Aron Gottlieb samt Familie aus Drohobycz, Eugenia Gerstmann aus Klodnica bei Stryj und Chiam Benjamin Sußmann, Kaufmann aus Drohobycz, von Hermann Sternbach, Wien, 9. Bezirk, Roßauergasse Nr. 3, 4. Stock, Tür 11. 1917 hat er über diese Zeit die Erzählungen Wenn die Schakale feiern. Skizzen aus der Russenzeit in Galizien veröffentlicht, in denen er „das Schicksal der jüdischen Bevölkerung unter der russischen Okkupation in Galizien, insbesondere ihre Verfolgung durch die ukrainischen Nachbarn und ihre Hoffnung auf die Deutschen als ‚humane Erlöser‘ thematisiert“ (Kłańska 2008).

Vom Gymnasium wechselte Sternbach als Dozent für Germanistik 1931 an die Universität im mittlerweile zu Polen gehörenden Lemberg/Lwów. Im Herbst 1939 wurde im Vollzug des Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts Galizien mit der Hauptstadt Lwów/Lwiw von der Roten Armee besetzt und in die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik eingegliedert. Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion im Sommer 1941 wurde in Lemberg ein Ghetto errichtet. Dort kamen Sternbach und seine Frau Anna (Neche) im August 1942 ums Leben.2Martin Pollack (2004) verweist auf einen 1945 von Filip Friedman in Lodz veröffentlichten Bericht Zagłada żydów Iwowskich, wonach Sternbach wie auch der Germanist und Übersetzer Izydor Berman im Zwangsarbeitslager Lemberg-Janowska umgekommen ist. Ihr Sohn Ludwig Sternbach (Jahrgang 1905), der sich als Physiker und Mathematiker der Universität Lwów einen Namen gemacht hatte, wurde mit seiner Frau 1942 im Vernichtungslager Belzec ermordet (Schatzker 2016).

Literarisches

Schon während der Gymnasialzeit veröffentlichte Hermann Sternbach erste Dichtungen in der Drohobyczer Zeitung (Lopuschanskyj 2021: 226), zwischen 1904 und 1918 folgten drei Sammlungen „neuromantisch-impressionstischer, oft wehmutsvoller Gedichte, Weltanschauungs-, Liebes- und Naturlyrik“ (Kłańska 2008). Diese Charakterisierung lässt sich nachvollziehen, wenn man z.B. ein 1911 veröffentlichtes Gedicht liest:

Trauer

Ich kenne dich, du graue Pein,
Gefährtin meiner stillen Runden;
Floh ich vor dir auch noch so weit,
Du hast mich wieder stets gefunden.

Ging ich hinaus ins lichte Land,
Mich an der Sonne Gold zu freuen:
Kamst du geschlichen hintennach –
Wir gingen alsodann zu Zweien.

Da ward mir alles Lichte grau
Bei deiner sinnenden Geberde –
Bedächtig senkte deine Hand
Mein stolzes Haupt zur grauen Erde.

In den Zwischenkriegsjahren war Sternbach ständiger Mitarbeiter der Monatsschrift Die Literatur, in der seine Polnischen Briefe über aktuelle literarische Entwicklungen berichteten. Für mehrere polnische und deutschsprachige Literaturzeitschriften schrieb er literaturwissenschaftliche Aufsätze und Literaturkritiken, ferner historische und pazifistische Beiträge für Periodika wie Die Friedens-Warte, Die Weltkultur oder Die neue Erziehung (Wininger 1935). Seine Mitarbeit am Konversationslexikon des Berliner Ullstein-Verlages wurde 1933 beendet, auch sein „jüdischer Roman Tau in der Nacht, der knapp vor dem Umsturz in Deutschland zur Ausgabe gelangen sollte“ (ebd.), blieb unveröffentlicht und muss als verschollen gelten.

Aus übersetzungspoetologischer Sicht könnten seine Einleitung zu der polnischen Übersetzung von Novalis‘ Geistlichen Liedern in der Sammlung Parnassos (1933) von Interesse sein sowie der Aufsatz Goethes Faust in polnischem Gewande (1937).

Übersetzen

Hermann Sternbach hat Werke von vier römischen Autoren des klassischen Zeitalters bzw. des Jahrhunderts nach Augustus ins Deutsche gebracht: Catull (ca. 84 – ca. 54), Tibull (ca. 54 – 19), Properz (ca. 47 – ca. 15 oder später) und Martial (ca. 40 – 103/104). Wann er mit der Arbeit an den Übersetzungen bzw. Nachdichtungen – es geht ausschließlich um in Versen geschriebene Texte – begonnen hat, lässt sich nicht sagen. In einem Brief an den „hochverehrten Herrn Konrektor“ und Schriftsteller-Biographen Franz Brümmer vom 15. September 1917 aus Sambor erwähnt Sternbach „manches vor dem Kriege Fertige,“ das „– wenn auch schon beim Verleger – des geeigneten Augenblicks ans Licht zu kommen [harrt]: eine Nachdichtung des Propertius u. Tibullus bei G. Müller München.“3Online verfügbares Digitalisat des handschriftlichen Briefes aus dem in der Staatsbibliothek zu Berlin verwahrten Nachlass Franz Brümmers (http://bruemmer.staatsbibliothek-berlin.de/nlbruemmer/autorenregister/transkription.php?id=395; Aufruf: 5. Oktober 2022)

Den Kontakt zum Münchener Georg Müller-Verlag scheint Sternbach über den Kunsthistoriker und Übersetzer Hanns Floerke (1875–1944) gehalten zu haben, der seit 1911 in diesem Verlag (und später im Berliner Propyläen-Verlag) an der gut 50 Bände umfassenden Reihe Klassiker des Altertums als Übersetzer und Reihenherausgeber mitgewirkt hat.4U.a. sind Max Brod, Hans Bogner, Ludwig Gurlitt, Paul Lewinsohn, Adolf Mittler, August Oehler und Thassilo von Scheffer als Übersetzer lateinischer und griechischer Werke in Floerkes Buchreihe vertreten. Unter welch bedrückenden, durch die nationalistische Zerstörung des kosmopolitisch geprägten Alteuropas seine Nachdichtungen im „weltfernen Winkel“ von Sambor entstanden sind, schildert Sternbach ausführlicher im letzten Abschnitt der auf „September 1922“ datierten Einleitung zu seinem – laut DNB-Katalog erst 1926 erschienenen5In anderen Quellen werden auch 1922 und 1924 als Publikationsdatum genannt. – Band mit Epigrammen Martials:

Meine Arbeit nahm einen Zeitraum von vier Jahren in Anspruch. Ihre Anfänge fallen in die letzten Zeiten des alten Europa (September 1918); ihre Fortsetzung und Abschließung gehören schon der neuen Zeit, der Zeit des – „Friedens“. Der November 1918 sah Dutzende von Vaterländern, Staaten und Staatchen neu erstehen, die eifrig darauf bedacht waren, hohe und wie für die Ewigkeit feste Mauern um sich zu ziehen und ihren Insassen den Atem zu beklemmen. Die Welt, die bis dahin offengestanden hatte und weit gewesen war, wurde zerstückt und zerfleischt, und jedes Stück eiterte, geiferte und raste für sich. (Sternbach 1922: XIX)

Wie mag es Sternbach und seinen Leuten im galizischen Sambor in den Jahren zwischen 1914 und 1922 ergangen sein? Am Anfang kam die Eroberung durch die russische Armee des Zaren und die Besatzungszeit, dann 1915 die Rückeroberung durch die „in Treue vereinten“ Mittelmächte Österreich-Ungarn und Deutsches Reich. Mehrmals ging es hin und her. Die 1917/18 erfolgte Auflösung der „Völkergefängnisse“ Österreich-Ungarn und Russisches Imperium brachte Sternbachs Heimatregion neuerliche schwere Konflikte und Kämpfe: Da gab es die national-ukrainischen und galizisch-provinziellen Bestrebungen, die Gründung der Zweiten Polnischen Republik und einer Westukrainischen Volksrepublik, den Krieg von 1919 zwischen diesen beiden Republiken um Lemberg und Ostgalizien, sodann den polnisch-sowjetischen Krieg von 1919 bis 1921, die Konflikte um einen gemeinsamen Staat zwischen West- und Ostukrainern, die Aufteilung der Westukrainischen Volksrepublik zwischen Polen, Rumänien und der Tschechoslowakei 1921, die Gründung der Ukrainischen Sozialistischen Volksrepublik, die 1922 Unionsrepublik der UdSSR wurde usw. Unter den nicht enden wollenden Kämpfen, Staatsgründungen und Staatsauflösungen und Grenzverschiebungen hatte die Bevölkerung schwer zu leiden, besonders die jüdische, auch weil sie immer wieder zwischen Hammer und Amboss geriet (vgl. Wehrhahn 2004: 157–161).

Sternbach war als Gymnasiallehrer Beamter der k. u. k. Monarchie, nach der vorerst endgültigen Eingliederung Ostgaliziens in die wiedererstandene polnische Republik musste er in den polnischen Staatsdienst überführt werden. Welche existentiellen Unsicherheiten für ihn (auch als Juden) in den Jahren 1918 bis 1922 damit verbunden gewesen sein mögen, lässt sich nur schwach erahnen. Aber glaubwürdig erscheint mir, dass er in diesen Jahren größter Wirren Zuflucht gesucht und gefunden hat im Übersetzen aus dem klassischen Latein. Für die Jahre vor dem ersten Weltkrieg und nach 1922 sind bei Sternbach keine im engeren Sinne übersetzerischen Aktivitäten zu erkennen. Über das Eitern, Geifern und Rasen des von nationalistischem Furor angesteckten „neuen“ Europa schrieb er sarkastisch: „Diesen Segen hatte auch ich in meinem weltfernen Winkel erfahren“ (Sternbach 1922: XIX). Und er fährt fort:

Ich war eine Zeitlang von der Welt abgeschnitten, und daheim erging es mir nicht anders als dem Martial in seinem [fern der Weltstadt Rom gelegenen Heimatort] Bilbilis. Seine Worte: „Ich komme mir zuweilen wie ein Anwalt vor, der auf fremdem Forum seine Sache führt“ – wie oft durfte ich sie mit gutem Recht auf mich und meine Arbeit beziehen! In meiner nächsten Umgebung gab es keine Seele, die, sei es durch Zureden oder Ermuntern, ein Interesse für meine Arbeit verraten hätte, eine Anregung bieten könnte. […] Die wenn auch seltenen Grüße und Zurufe aus der Ferne ersetzten mir zum Teil das, was ich in nächster Nähe so schmerzlich vermißte. Herr Dr. Hanns Floerke in München nahm vom ersten Augenblick an den lebhaftesten Anteil an meiner Arbeit, verfolgte ihr Werden und Wachsen mit stets gleich warmem Interesse und kargte nicht mit Winken und Weisungen, die der Arbeit zugute kamen. Aus tiefstem Herzen sei ihm dafür gedankt! Auch Herrn Professor Dr. Ludwig Gurlitt in München bin ich zu herzlichem Dank verpflichtet. Er hat mir einige seiner trefflichen Erläuterungen zu Martial (im Manuskript) zur Verfügung gestellt und mir manche textliche Klippe glücklich umsegeln geholfen. (Sternbach 1922: XIXf.)

Bereits 1920 waren in Floerkes Reihe Klassiker des Altertums im Berliner Propyläen-Verlag zwei Bände mit Sternbachs Nachdichtungen erschienen: Die Elegien des Tibull (101 S.) und Die Elegien des Properz (239 S.). Zu jedem dieser drei Bände, in denen Sternbachs Name übrigens jeweils auf dem Titelblatt in der Autorzeile steht, hat der Übersetzer eine ausführliche „Einführung“ geschrieben, die in essayistischer Diktion Leben und Werk der Dichter sowie den zeitgeschichtlich-römischen Kontext darstellen. Auch die Verbreitung der Werke von der Antike über die Renaissance bis zur Gegenwart wird jeweils knapp nachgezeichnet.

Zum Thema Übersetzen gibt es im Band mit Martials Epigrammen einen längeren Passus:

Die Übersetzung, die hier geboten wird, folgt in Text, Anordnung und Anhang der Martialausgabe von Ludwig Friedländer [1886]. Von ihr vorangegangenen Übersetzungen lag mir nur diejenige von Alexander Berg (1862) vor; die Ramlersche [1787–1793] dagegen mir zu verschaffen, konnte weder dem Verlag noch mir gelingen. Wie in meinen Nachdichtungen des Properz und Tibull […] bin ich auch hier dem Prinzip treu geblieben: das Fernere tunlichst durch Näheres zu ersetzen. Daher manche Lizenzen in der Nachdichtung: inhaltlich sowohl wie formell. Ich behielt stets den Zeitgenossen im Auge, und zwar nicht den Fachphilologen, sondern den gebildeten Laien […] – und ihm gerecht zu werden, war mein Bestreben, jedoch ohne mich an Wesen und Eigenart des Originals zu vergreifen, ohne es zu entstellen, ohne den Sinn zu verdunkeln, den es aufgehellt zu haben wünschte. Dem modernen Leser und seiner Zeit wurde Rechnung getragen. In einer vollständigen Ausgabe war es aber nicht zu vermeiden, neben Interessantem auch minder Interessantes zu bieten, an zwei, drei Stellen auch Dunkles, das so sehr in der Art, Lebens- und Ausdrucksweise jener Zeit verwurzelt ist, daß es allen Kommentaren zum Trotz nicht deutlich und verständlich genug gemacht werden konnte. Wo aber viel gegeben wird, wird jeder etwas finden. (Sternbach 1922: XIX)

Viel geboten wird in der Tat: 1205 auf 420 eng bedruckten Seiten ins Deutsche gebrachte Gedichte, aus mal zwei und manchmal auch aus über zwanzig Versen gebaut. Als „größten Sittenmaler aller Zeiten“ rühmt ihn Sternbach, aber das ist kein sehr originelles Urteil. Originell jedoch ist die Art, wie der Nachdichter Umfang und Vielfalt der Martialschen Sittengemälde charakterisiert:

Indem wir ihn auf seinen täglichen Gängen durch Rom begleiten, lernen wir dieses Rom kennen: vom vornehmsten Villenviertel aus bis in die dunkelsten Winkel und Winkelchen hinein, in deren Spelunken Dirnen und Jammergesindel zu Hause sind. Kaleidoskopartig ziehen an unseren Augen die verschiedensten Typen vorüber mit ihren Tugenden, Schwächen, Lastern, Posen, lächerlichen Kleinlichkeiten, nichtigen Groß- und Geheimtuereien. Das armselige Tier Mensch wird in seiner Wirklichkeit und Winzigkeit unbarmherzig-hell durchleuchtet. Eine unerschöpfliche Galerie von mit sicherer Hand gezeichneten Gestalten tut sich vor unserem Blick auf. Es ist keine Seite der damaligen römischen Gesellschaft unbeachtet geblieben: Geizhälse und Verschwender; eingebildete Kranke und Pfuscherärzte; Erbschleicher und Emporkömmlinge; Gecken und Huren; Bettler und parfümierte Stinker; geile Vetteln und keusche Matronen; Schützenjäger und Tartüffs; Biedermänner und Scharlatane; Dichter und Dichterlinge; Kritiker und Kritikaster; Eunuchen, Lustknaben, Hochstapler; Advokaten, die mehr Glück als Verstand oder keines von beiden haben; Schulmeister, Mimen, Barbierer, Jongleure, Kupplerinnen, Zuhälter usf. – eine schier endlose Zahl. (Ebd.: XIV)

Wie er als Übersetzer mit Form und Inhalt seiner römischen Vorlagen verfahren ist, müsste in einer größeren Studie untersucht werden. Beginnen könnte man mit dem unter Literaten bekanntesten Epigramm Martials, dem dritten aus dem siebten Buch:

Cur non mitto meos tibi, Pontiliane, libellos?
Ne mihi tu mittas, Pontiliane, tuos.

Daraus wurde bei Sternbach:

Warum ich meine Bücher niemals dir will schicken?
Mir bangts, du könntest mal mit deinen mich beglücken.

Als „Triumvirn der Liebe“, als „Künder des gewaltigen, zeitlosen Eros“ (Sternbach 1920: 13) gelten Properz, Tibull und Catull. Catulls Gedichte wurden in Sternbachs Version erst 1927 in einer zweisprachigen Ausgabe im Georg Müller-Verlag veröffentlicht. Dass diese Nachdichtungen nicht in Floerkes Klassiker des Altertums-Reihe aufgenommen wurden, dürfte daran liegen, dass dort 1914 bereits Max Brods Version vorlag, die „mit teilweiser Benützung der Übertragung von K.W. Ramler“ (Titelblatt Catull/Brod 1914) entstanden war.6Die Editionspolitik für die gut 50 aus dem Griechischen und Lateinischen übersetzten Bände der Reihe Klassiker des Altertums verdienten eine eigene Studie; oft scheinen die Herausgeber Heinrich Conrad und Hanns Floerke auf ältere Übersetzungen (von Goldhagen, Kaltwasser, Ramler, Schleiermacher, Wieland usw.) zurückgegriffen zu haben, die sie dann überarbeiten ließen In Sternbachs auf „Dezember 1926“ datierter Nachbemerkung heißt es u.a.:

Meine Übersetzung ist eine freie und trachtet, ohne sich an dem Original zu vergreifen, dem modernen Leser gerecht zu werden. Sie will – was v. Willamowitz von einer Übersetzung verlangt – nicht Wörter noch Sätze übersetzen, sondern Gedanken und Gefühle aufnehmen und wiedergeben. Sie will dem Uneingeweihten, dem Nichtkenner das Fremde lieb machen und nahebringen, daß er es ohne Kommentar lesen, verstehen und vor allem als Kunstwerk genießen kann. Ich habe darum den antiken Vers des Originals in den meisten Fällen in deutsche Strophen und (heute vielfach verschmähte) Reime gebracht. Nur dem Hexameter (also auch dem Distichon) habe ich – weniges ausgenommen – das ihm längst zuerkannte Bürgerrecht gelassen. (Catull/Sternbach 1927: 186)

Als souverän kann neben seiner Entscheidung, für die deutschen Verse den Reim zu benutzen, auch Sternbachs Auswahl der zu übersetzenden Gedichte charakterisiert werden. Seine Ausgabe ist nicht auf Vollständigkeit aus (wie es Max Brod 1914 war), er verzichtet auf Catulls „weitschweifige“ Gedichte aus dessen „gelehrter“ Periode (ebd.: 185) und sieben Gedichte werden nur im lateinischen Wortlaut abgedruckt, der „allzu freie Inhalt […] nötigte auf die Wiedergabe derselben in deutscher Sprache zu verzichten“ (ebd.: 178). Keine schlechte Methode mag das gewesen sein, den einen oder anderen Leser doch noch zu gründlicherem Erlernen der Originalsprache zu bringen.

Anmerkungen

  • 1
    In der Wiener Neuen Freien Presse erschien am 18. November 1914 in der Rubrik Gesucht werden folgende Anzeige: „Chaim Sternbach und Frau aus Rudniki, Osias Sternbach samt Familie, Fortbeamter des Reichsratsabgeordneten Doktor Kolischer, aus Bilcze-Wolica, zuletzt in Stryj, Aron Gottlieb samt Familie aus Drohobycz, Eugenia Gerstmann aus Klodnica bei Stryj und Chiam Benjamin Sußmann, Kaufmann aus Drohobycz, von Hermann Sternbach, Wien, 9. Bezirk, Roßauergasse Nr. 3, 4. Stock, Tür 11.
  • 2
    Martin Pollack (2004) verweist auf einen 1945 von Filip Friedman in Lodz veröffentlichten Bericht Zagłada żydów Iwowskich, wonach Sternbach wie auch der Germanist und Übersetzer Izydor Berman im Zwangsarbeitslager Lemberg-Janowska umgekommen ist.
  • 3
    Online verfügbares Digitalisat des handschriftlichen Briefes aus dem in der Staatsbibliothek zu Berlin verwahrten Nachlass Franz Brümmers (http://bruemmer.staatsbibliothek-berlin.de/nlbruemmer/autorenregister/transkription.php?id=395; Aufruf: 5. Oktober 2022)
  • 4
    U.a. sind Max Brod, Hans Bogner, Ludwig Gurlitt, Paul Lewinsohn, Adolf Mittler, August Oehler und Thassilo von Scheffer als Übersetzer lateinischer und griechischer Werke in Floerkes Buchreihe vertreten.
  • 5
    In anderen Quellen werden auch 1922 und 1924 als Publikationsdatum genannt.
  • 6
    Die Editionspolitik für die gut 50 aus dem Griechischen und Lateinischen übersetzten Bände der Reihe Klassiker des Altertums verdienten eine eigene Studie; oft scheinen die Herausgeber Heinrich Conrad und Hanns Floerke auf ältere Übersetzungen (von Goldhagen, Kaltwasser, Ramler, Schleiermacher, Wieland usw.) zurückgegriffen zu haben, die sie dann überarbeiten ließen

Quellen

Catull / Brod (1914) = C. Valerius Catullus: Gedichte. Vollständige Ausgabe. Deutsch von Max Brod, mit teilweiser Benützung der Übertragung von K. W. Ramler. München, Leipzig: Georg Müller.
Catull / Sternbach (1927) = Catulls Gedichte. Lateinisch und deutsch. Deutsche Nachdichtung von Hermann Sternbach. München: Georg Müller.
Kłańska, M[aria] (2008): Sternbach, Hermann (Hersch) (1880–1942). In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL) Bd. 13, Lfg. 60, S. 231.
Lopuschanskyj, Jaroslaw (2021): Deutschsprachige jüdische Autoren Galiziens: Eine bio-bibliographische Auswahlübersicht. In: Hannes Philipp, Theresa Stangl, Johann Wellner (Hg.): Deutsch in der Ukraine. Geschichte, Gegenwart und zukünftige Potentiale. Regensburg: Universitätsbibliothek Regensburg, S. 220-235.
Maday, Emmerich (Hg.) (1910): Österreichische Künstler- und Schriftsteller-Biographien Wien: Verlag Autos. Jahrbuch des Autosverlages.
Pollack, Martin (2004): Jüdische Übersetzer, Autoren und Kritiker als Mittler zwischen der deutschen und polnischen Literatur. In: TRANS - Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften Nr. 15, April 2004.
Schatzker, Valerie (2016): A Distinguished Drohobycz Family – The Sternbachs. www.kehilalinks.jewishgen.org/drohobycz/families/sternbach-family.html (Aufruf 4. Oktober 2022).
Sternbach, Hermann (1911): Trauer [Gedicht]. In: Wir leben Jg. 2 (1911), H. 6, S. 11.
Sternbach, Hermann (1922): Einleitung. In: Hermann Sternbach: Die Epigramme Martials in zwölf Büchern nebst dem Buch von den Schauspielen. Deutsche Nachdichtung. Berlin: Propyläen-Verlag [1926], S. VII-XX.
Wehrhahn, Torsten (2004): Die Westukrainische Volksrepublik. Zu den polnisch-ukrainischen Beziehungen und dem Problem der ukrainischen Staatlichkeit in den Jahren 1918 bis 1923 (Diss. FU Berlin 2001). Berlin: Weißensee Verlag.
Winninger, Salomon (1935): Große jüdische National-Biographie. I. Nachtrag in Bd. 7, S. 494.

Zitierweise

Kelletat, Andreas F.: Hermann Sternbach, 1880–1942. In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 4. Oktober 2022.
BeschreibungHermann Sternbach (Quelle: Maday, Emmerich (Hg.): Österreichische Künstler- und Schriftsteller-Biographien. Wien: Autosverlag 1910).
Datum7. Oktober 2022
Hermann Sternbach (Quelle: Maday, Emmerich (Hg.): Österreichische Künstler- und Schriftsteller-Biographien. Wien: Autosverlag 1910).

Bibliographie

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Detaillierte Bibliographie