Carl Brinitzer, 1907–1974
Der aus deutsch-jüdischer Familie stammende Jurist Carl Brinitzer lebte ab 1933 im Exil. In London erlernte er als Mitarbeiter der BBC u. a. das Handwerk des Übersetzens.
Brinitzer wurde am 30. Januar 1907 in Riga geboren und wuchs in Altona auf. Dort besuchte er das Reform-Realgymnasium (Abitur 1925) und erhielt u. a. Englischunterricht. Die Eltern, ein Ärzte-Ehepaar, wünschten sich für ihn eine medizinische Laufbahn, seine Interessen galten indes der Literatur, dem Theater und dem Journalismus. Auf Drängen der Eltern studierte er dann Jura in Genf, Hamburg, München, Berlin und Kiel. 1930 legte er die Erste Juristische Staatsprüfung am Oberlandesgericht Kiel ab und wurde im August 1933 mit der Arbeit Strafrechtliche Massnahmen zur Bekämpfung der Prostitution promoviert. Auf der Grundlage des nationalsozialistischen Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde ihm jedoch die Fortsetzung seiner Karriere als Jurist verwehrt.
Brinitzer ging 1933 zunächst nach Rom ins Exil, wo er seine spätere Frau, die Rundfunksprecherin Berthe Grossbard, kennenlernte. 1936 emigrierten sie gemeinsam nach England, wo sie sich niederließen. In den ersten Jahren schlug sich Brinitzer mit kleineren schriftstellerischen Arbeiten durch, bevor er 1938 für den Deutschen Dienst der BBC engagiert wurde. Über seine bis zur Pensionierung 1967 währende Mitarbeit dort berichtet Brinitzer ausführlich in seinem stellenweise stark autohagiographischen Erinnerungsbuch Hier spricht London. Von einem der dabei war (1969).1Der Schriftsteller Robert Lucas, der wie Brinitzer beim Deutschen Dienst der BBC tätig war, merkt in einer 1969 in der Zeit erschienenen Rezension an: „Das ganze Buch ist in einem Ton narzißtischer Selbstglorifizierung geschrieben, und der nicht informierte Leser könnte leicht zu dem Schluß kommen, daß der Verfasser – neben Hugh Carleton Greene […] – die wichtigste Persönlichkeit im deutschen Dienst der BBC war“ (Lucas 1969: URL). Allmählich stieg er vom einfachen Übersetzer zum Leiter der deutschen „Ansager- und Übersetzer-Abteilung“ auf und entwickelte gegen anfängliche Widerstände von Kollegen bzw. „besseren Emigrantenkreisen“ einen unkonventionellen, funktional zu nennenden Ansatz bei der Übersetzung von Nachrichtentexten aus dem Englischen ins Deutsche. Es galt
die Nachrichten nicht mehr zu übersetzen. Sie mußten jetzt in der deutschen Fassung so formuliert sein, daß sie fast schon „visuell“ auf den Hörer wirkten. Jede Nachricht mußte eine feste und sichtbare architektonische Struktur besitzen.
Ich bestand darauf, daß eine neue Rundfunksprache entwickelt wurde, die trotz aller Bemühungen der deutschen Störsender verständlich war. Sie mußte auch verständlich bleiben, wenn das Empfangsgerät [bei den deutschen „Schwarzhörern“] so leise wie möglich eingestellt war. (Brinitzer 1969: 145)
Um diese Verständlichkeit zu erreichen, sollten die Nachrichtentexte, so Brinitzer, „knapp und klar“, ohne „alles schmückende Beiwerk“ (ebd.) formuliert sein. Den „schön gewundenen Bandwurmsätzen und völlig stubenreinen, also ‚entnazifizierten‘ Worten“ (ebd.: 146) habe man Formulierungen möglichst ohne Nebensätze vorgezogen und „keinerlei Bedenken“ gehabt, „das neudeutsche Vokabular“ (ebd.: 147), zum Teil dem Völkischen Beobachter entnommen, einzusetzen. Dies betraf insbesondere auch die Lexik aus dem militärischen Bereich. „Schließlich sprachen wir zu einer Hörerschaft, die an diese Formulierungen gewöhnt war und sich zum großen Teil nicht mehr an die termini technici der alten Landsknechte erinnern konnte“ (ebd.: 146).
Nach dem Krieg wurde Brinitzer von der BBC als Berichterstatter zu den Nürnberger Prozessen entsandt: „[Der Prozess] faszinierte […] in mir auch den Juristen, der ich einmal gewesen war, bevor ich Deutschland verlassen musste“ (ebd.: 292f.).2In seinen Erinnerungen beschreibt Brinitzer auch das beim Prozess verwendete „System der Simultan-Übersetzung“ (ebd.: 294).
Neben seiner übersetzerischen, administrativen und journalistischen Arbeit bei der BBC hat Brinitzer auch Bücher veröffentlicht. Er verfasste Biographien (Chodowiecki, Lichtenberg, Heine, Julius Campe) und übersetzte mehrere Prosatexte, einige auch in Zusammenarbeit mit seiner Frau Berthe Grossbard. Zwischen 1954 und 1957 erschienen die Übersetzungen von vier Kriminalromanen des US-amerikanischen Autors Rex Stout aus der seinerzeit populären Nero-Wolfe-Reihe. Zwei dieser Übersetzungen (Vor Mitternacht und Das zweite Geständnis) wurden bis in die Gegenwart hinein neu aufgelegt. Daneben veröffentlichte Brinitzer sechs weitere Übersetzungen, darunter eine Shakespeare- und eine Rommel-Biographie.
Bis zu seinem Tod war er als freischaffender Journalist tätig und schrieb größtenteils für deutsche Blätter. Am 24. Oktober 1974 starb er im Alter von 67 Jahren an einem Herzinfarkt in Kingston Lewes, Sussex. Er und seine Frau blieben kinderlos.
Anmerkungen
- 1Der Schriftsteller Robert Lucas, der wie Brinitzer beim Deutschen Dienst der BBC tätig war, merkt in einer 1969 in der Zeit erschienenen Rezension an: „Das ganze Buch ist in einem Ton narzißtischer Selbstglorifizierung geschrieben, und der nicht informierte Leser könnte leicht zu dem Schluß kommen, daß der Verfasser – neben Hugh Carleton Greene […] – die wichtigste Persönlichkeit im deutschen Dienst der BBC war“ (Lucas 1969: URL).
- 2In seinen Erinnerungen beschreibt Brinitzer auch das beim Prozess verwendete „System der Simultan-Übersetzung“ (ebd.: 294).