Arthur Ernst Rutra, 1892–1942
Arthur Ernst Rutra – geboren am 18. September 1892 als Arthur Ernst Samuely 1„Rutra“, anagrammatisch aus „Artur“ gebildet, benutzte Samuely zunächst als Pseudonym, vermutlich mit seiner Konversion zum Katholizismus ließ er „Rutra“ als seinen Familiennamen legalisieren (Blaeulich 2015: 94) – verlebte seine Kindheit im galizisch-vielsprachigen Drohobycz in der Nähe von Lemberg (Lwów).2Ältere Nachschlagewerke (z.B. Lüdtke 1930:1041) geben als Geburtsort Wien an, Schuder (1973: 567) als Sterbedatum irrtümlich „Dachau 1939“. 1903 kam er mit seiner aus einer jüdischen Gelehrtenfamilie stammenden Mutter nach Wien (die Eltern hatten sich scheiden lassen), wo er am Mariahilfer Gymnasium die Matura ablegte. Von 1911 bis 1913 studierte er in Wien Jura, ab 1913 Germanistik und Slawistik. 1915 meldete er sich freiwillig zur Armee. Noch im selben Jahr erschien im Kamönenverlag (Leipzig, Wien) sein den gefallenen Kameraden seines Regiments gewidmetes Gedicht Russensturm. Eine Episode aus den Kämpfen in den Karpaten. 1917 erwarb er während der Regiments-Dienstzeit mit einer Dissertation über Ludwig Börne den Doktorgrad.3„Absolutorium und Rigorosen 1915“ (Rutra im Schreiben an Franz Brümmer, 15. Juli 1922). Die noch unter dem Namen Samuely eingereichte Börne-Arbeit hat sich nicht erhalten.
Von 1918 bis 1933 lebte er als Publizist, Bühnenschriftsteller und Verlagslektor in München (Georg Müller Verlag, Kurt Wolff Verlag, Roland-Verlag), ab 1920 war er Vorstandsmitglied des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller und Mitglied des Verbandes Deutscher Bühnenschriftsteller. Größere Erfolge hatte er mit seinen Theaterstücken, insbesondere mit der Tragödie Der Kronprinz von 1928. Max Reinhardt erwarb das Stück für das Deutsche Theater in Berlin, Aufführungen folgten in Hamburg, Nürnberg, Frankfurt, Bochum, Duisburg und in Wien am Burgtheater. „Rutra nimmt in seiner Tragödie eindeutig Stellung für die Demokratie und gegen monarchische Restaurationsversuche“ (Blaeulich 2015: 98).
1933 ging er ins Exil nach Wien, wo er 1935/36 publizistisch einen Schwenk zur Vaterländischen Front bzw. zum Austrofaschismus vollzog.4Sehr differenziert dargestellt ist Rutras Agieren gegen Hitlers Politik im Aufsatz von Blaeulich (2015: 98-102). Er wurde Mitarbeiter der Zeitschrift Der Christliche Ständestaat und trat 1937 zum Katholizismus über. Sein Engagement in der Auseinandersetzung mit deutschen bzw. nationalsozialistischen Presseangriffen gegen Österreichs Selbständigkeit und vor allem seine Zusammenarbeit mit Hitlers Intimfeind Otto Strasser dürften Ursache gewesen sein für seine Verhaftung unmittelbar nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitlers Deutsches Reich. Rutra wurde Anfang April 1938 mit anderen Repräsentanten des Ständestaates in das Konzentrationslager Dachau und später nach Buchenwald deportiert. 1941 verurteilte ihn der Volksgerichtshof in einem Hochverratsprozess zu 15 Jahren Zuchthaus. Am 5. Oktober 1942 wurde er mit 548 weiteren als „Juden“ deklarierten Menschen vom Wiener Aspangbahnhof in die Nähe von Minsk nach Maly Trostinez deportiert, wo er laut der Central Database of Shoa Victims‘ Names (Yad Vashem) am 9. Oktober 1942 ermordet wurde.
Rutras Übersetzungen aus dem Polnischen5Blaeulich (2015: 96) behauptet, dass Rutras „Herkommen und Muttersprache das Polnische“ gewesen sei. und Französischen (Mitarbeit an der Zola-Gesamtausgabe des Kurt Wolff Verlags) erschienen zwischen 1919 und 1930. Im in der Staatsbibliothek zu Berlin verwahrten Nachlass des Schriftsteller-Lexikographen Franz Brümmer hat sich ein drei Blatt umfassendes Schreiben Rutras vom 15. Juli 1922 erhalten, das u.a. knappe biographische Daten und ein Schriftverzeichnis enthält. Rutra hat dafür Briefbögen des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller (SDS) / Gewerkschaft Deutscher Schriftsteller / Gau Bayern benutzt. Unter „Schriftstellerische Arbeiten“ nennt er außer acht Lyrik- und Schauspiel-Veröffentlichungen zwei 1919 erschienene Bände mit Mickiewicz-„Nachdichtungen“: Sonette aus der Krim, Gedichte, Grażyna und Konrad Wallenrod. Unter „Übersetzungen“ listet er drei Titel auf
Brzozowski: „Flammen“ Roman (mit Richter) Bong-Verlag, Berlin 1920
Chledowski: „Die letzten Valois“ Georg Müller Verlag 1922
Zola: „Der Bauch von Paris“ Kurt Wolff Verlag München (im Erscheinen 1922 oder23)
Zu den bereits 1922 genannten Übersetzungen scheinen später noch drei hinzugekommen zu sein: Novellen von Maupassant 1924, der Roman Die Schnapsbude von Emil Zola 1927, und der biographische Lenin-Roman von Ferdynand Antoni Ossendowski, gedruckt 1930 in Berlin in immerhin 20.000 Exemplaren. Die Übersetzungen scheinen von der zeitgenössischen Kritik kaum wahrgenommen worden zu sein. In der von Blaeulich erstellten Bibliographie findet sich lediglich ein Hinweis auf die Zola-Besprechung von Wolfgang Schumann im Kunstwart. Deutscher Dienst am Geiste von 1926. Dort heißt es u.a.:
Nun aber ist [Zola] wieder da! Artur Ernst Rutra – der im vorigen Jahr im Kunstwart über Zola schrieb – hat mit Hilfe zahlreicher Übersetzer eine vielbändige, sehr schön ausgestattete Ausgabe der Werke Zolas bei Kurt Wolff in München herausgebracht, und wenn man nur daran nippt, spürt man, daß das längst nicht jene Wassersuppe ist, die vermeintlich vom Realismus verschenkt wurde, eher schon Feuerwein […]. Möge die neue Ausgabe – beschämenderweise die erste, die besseres Deutsch bringt! – der Erfolg haben, den sie nach alledem verdient. (Schumann 1926: 384f.)
„Besseres Deutsch“ – das ist alles, was sich in der Besprechung der zwischen 1922 und 1924 im Kurt Wolff-Verkag erschienenen 20 Zola-Bände mit ihren über 10.000 Druckseiten findet. Dem von Schumann erwähnten Rutra-Essay hatte die Redaktion eine Notiz angefügt, in der auch bereits von der „ersten genügenden und Zola wirklich erschließenden Ausgabe“ die Rede ist, für die Rutra „mehrere Übersetzer“ gewonnen hatte (Rutra 1925b: 219). Laut Katalog der Deutschen Nationalbibliothek handelte es sich um Franz Arens, Franz Blei, Else Brod, Max Brod, Franz Franzius (zwei Bände), Lucy von Jacobi (2 Bände), Hans Kauders, Gertrud Quckama Knoop, Hermine Mache, Wilhelm Printz, Max Pulder, Arthur Ernst Rutra, Rosa Schapire (2 Bände), Thassilo von Scheffer, Johannes Schlaf (3 Bände) und Hanns Henning Voigt. Wie Rutra als Herausgeber und Verlagslektor diese Übersetzerriege zusammengestellt und die Arbeit an den 20 Bänden verteilt hat, wäre eine eigene Studie wert. Und natürlich verdienten auch seine eigenen Übersetzungen und Nachdichtungen eine gründliche Analyse.
Dass sich der Übersetzer und Verlagsmensch Rutra ebenfalls für das interessierte, was anderswo als in München, Leipzig oder Wien an Übersetzungen angeboten wurde, zeigt ein Passus in seinem auch hundert Jahre nach der Erstverölffentlichung noch lesenswerten Bericht über eine Fahrt durch die Balkanländer Bosnien, Herzegowina und Dalmatien mit dem Titel B H D – Eine Reise durchs europäische Morgenland:
Von Agram bis Bosnisch-Brod trägt die Reise noch internationalen Charakter. Die rege Handelsstadt Agram, Durchgangsstation nach dem Balkan und von deutschem Geschäftsleben stark belebt, bleibt gerne und treu im Gedächtnis. Die Buchhandlungen der Stadt zeugen von gutem geistigen Leben und das deutsche Buch ist neben dem serbo-kroatischen gleich stark vertreten. Ein betriebsamer kroatischer Verlag sorgt durch Nicola Andric für Übertragungen der Weltliteratur, in der Franzosen und Russen freilich das Übergerwicht haben, während die Deutschen eine seltsam anmutende Zusammenstellung von etwas Goethe (Faust und Clavigo) und Schiller (Räuber), E. T. A. Hoffmann, Fouqué und mit einem kühnen Satz Nietzsche, Schopenhauer, Sudermann, Ompteda, Kellermann, Ewers, Schnitzler, Heinrich Mann und Courts-Mahler ergeben… (Rutra 1925a: 175)
Anmerkungen
- 1„Rutra“, anagrammatisch aus „Artur“ gebildet, benutzte Samuely zunächst als Pseudonym, vermutlich mit seiner Konversion zum Katholizismus ließ er „Rutra“ als seinen Familiennamen legalisieren (Blaeulich 2015: 94)
- 2Ältere Nachschlagewerke (z.B. Lüdtke 1930:1041) geben als Geburtsort Wien an, Schuder (1973: 567) als Sterbedatum irrtümlich „Dachau 1939“.
- 3„Absolutorium und Rigorosen 1915“ (Rutra im Schreiben an Franz Brümmer, 15. Juli 1922). Die noch unter dem Namen Samuely eingereichte Börne-Arbeit hat sich nicht erhalten.
- 4Sehr differenziert dargestellt ist Rutras Agieren gegen Hitlers Politik im Aufsatz von Blaeulich (2015: 98-102).
- 5Blaeulich (2015: 96) behauptet, dass Rutras „Herkommen und Muttersprache das Polnische“ gewesen sei.