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Una Pfau, Jg. 1942

23. Mai 1942 Stuttgart (Deutsches Reich)
Original- und Ausgangssprache(n)
Französisch

Una Pfau stammt aus Stuttgart. 1961 machte sie dort ihr Abitur am altsprachlichen Hölderlin-Gymnasium, wo sie u.a. Latein, Englisch und Französisch gelernt hat. Anschließend ging sie als Au-pair-Mädchen für ein Jahr nach Paris. Dort begann sie auch mit dem Studium, das dann in Tübingen und Berlin (Freie Universität) fortgesetzt wurde. In wechselnder Kombination studierte sie Romanistik, Geschichte, Politologie und Vergleichende Religionswissenschaft, hörte nebenbei (in Tübingen) auch Vorlesungen von Ernst Bloch und Walter Jens.

Schon während des ersten Frankreich-Aufenthaltes begeisterte sie sich für die Lyrik des bretonisch-jüdischen Dichters Max Jacob (1876 –1944). 1965 beschloss sie, über ihn eine Doktorarbeit zu schreiben. Während eines Forschungsaufenthaltes in Paris entstanden Kontakte zur Literatur- und Kunstszene: zu Manès Sperber, D.H. Kahnweiler, Michel Leiris, Jean Cassou, Armand Salacrou und Nino Frank. 1972 wurde sie bei Walter Pabst an der FU Berlin mit der Dissertation Zur Antinomie der bürgerlichen Satire: Untersuchungen über Leben und Werk Max Jacobs promoviert.

1973 ging Una Pfau erneut nach Frankreich, jetzt als DAAD-Lektorin an Hochschulen in Paris, Valenciennes und Jouy-en-Josas. Im ersten Jahr erteilte sie französisch-deutschen Übersetzungsunterricht für die Studentinnen der École normale supérieure de jeunes filles Boulevard Jourdan.1„Das dauerte nur ein Jahr, denn die Direktorin der Elite-Universität, Mme [Marie-Jeanne] Durry, war mit mir nicht zufrieden, weil ich heimlich aus dem klösterlichen Bereich, in dem ich wohnen sollte, ausgezogen war.“ (E-Mail an AFK, 8. April 2024) In dieser Zeit lernte sie den Beckett-Übersetzer Elmar Tophoven als Kollegen an der Ecole Normale Supérieure in der Rue d’Ulm kennen, nahm an dessen Unterricht teil, auch an den von ihm mitinitiierten Übersetzertagungen in Bergneustadt (Pfau 2022: 92). Zudem ließ Tophoven

mich an manchen Problemen teilnehmen, die ihn im Zusammenhang mit der Gründung des Übersetzerkollegiums in seinem Geburtsort Straelen nahe der holländischen Grenze beschäftigten. (Ebd.: 98)

Anschließend war sie Lektorin am Centre Littéraire der Université in Valenciennes und dann für ein halbes Jahr an der Ecole der Haute Commerce in Jouy-en-Josas. 1976 kehrte sie nach Deutschland zurück.

1977 bis 1980 arbeitete sie mit an einem Lexikon für den Kröner-Verlag in Stuttgart. Damals entstanden auch ihre ersten Rundfunkarbeiten für die von Helmut Heißenbüttel geleitete Essay-Redaktion des Süddeutschen Rundfunks siwue Feuilleton-Artikel für die Stuttgarter Zeitung. Ab den 1980er Jahren lebte sie als freischaffende Autorin, Kritikerin und Übersetzerin literarischer und (kultur)historischer Werke.

1980 erschien bei Hanser in München ihre erste – in Zusammenarbeit mit Hans-Horst Henschen entstandene – Buchübersetzung: Philippe Arièsʼ Geschichte des Todes (11. Auflage der Taschenbuchausgabe 2005). In ihrem Erinnerungsbuch Mein Leben hat Una Pfau anschaulich geschildert, wie unbedarft sie diesen ersten Übersetzungsauftrag angegangen hatte (Pfau 2022: 109–112). Sie ließ sich mit Michael Krüger, der großzügig auf eine Probeübersetzung verzichtete, auf einen viel zu knapp bemessenen Abgabetermin ein. Dann unterschätzte sie den Rechercheaufwand, arbeitete neben ihren beruflichen Verpflichtungen für den Kröner-Verlag die Nächte hindurch, versuchte die ungenaue Zitierweise des Originals zu korrigieren und ließ sich zu allem Überfluss von der finsteren Materie des 822 Druckseiten umfassenden Todes-Buches regelrecht gefangen nehmen. Am Ende war ihr „so elend, als ob etwas zerrissen in mir sei“ (Pfau 2022: 112).

Es folgten Übersetzungen von deutlich weniger umfangreichen Werken der sie besonders interessierenden surrealistischen bzw. die frühe Moderne repräsentierenden Autoren, an der Spitze Max Jacob (u.a. mit seinen 1985 bei Suhrkamp verlegten Prosagedichten). Mehrfach aufgelegt wurde das von ihr zusammengestellte und übersetzte Surrealistische Lesebuch (1981 und 1997). Ab 2008 arbeitete sie fortlaufend für die in Dresden erscheinende Literatur- und Kunstzeitschrift Ostragehege.

Übersetzungspoetologische Äußerungen gibt es von ihr nicht. In ihrer Autobiografie hat sie jedoch über die konkrete Arbeit an einzelnen Texten und über ihren Kontakt zur Übersetzerszene berichtet, etwa über die Teilnahme an den Übersetzertagungen in Bergneustadt – („Im Jahr 1973 war ich die jüngste Teilnehmerin“, Pfau 2022: 93) – und später in Wolfenbüttel. Sie hält fest, wie sie Schritt für Schritt im Lauf der Jahre „Sicherheit im Übersetzen“ gewann und für „renommierte Verlage“ übersetzen konnte (ebd.: 119). 1985 erschien in der vornehmen Bibliothek Suhrkamp der von ihr ins Deutsche gebrachte Band Die Höllenvisionen von Max Jacob:

Das war einer der schönsten Tage in meinem Leben. Die Zusammenarbeit mit dem Lektor Jürgen Dormagen war sehr erfreulich […] Ich hatte nun durchweg Glück mit meinen Übersetzungen“ (ebd.).

Über das EÜK, das Europäische Übersetzer-Kollegium, heißt es u.a.:

Ich war oft on Straelen, namentlich nach dem Tode meiner Eltern [für die sie hatte sorgen müssen; AFK], und habe dort gearbeitet. Da immer jemand in der Küche saß, oft Türken, Japaner, Südamerikaner, Russen, die bedeutende deutsche Autoren übersetzten, auch Franzosen, Engländer, ein Däne, die gut Deutsch sprachen, fand man immer interessante Unterhaltung. Jeder hatte aber Verständnis, wenn man sich zurückzog, da man ja zum Arbeiten da war. So konnte man sich ganz frei fühlen.Um Straelen geht es erneut auf den S. 162f. von Mein Leben. […] Auf den Übersetzertagungen habe ich im Laufe der Zeit viele Leute, die bedeutende Autoren aus den verschiedensten Sprachen übersetzten, kennengelernt, aber keinen getroffen, der mich nicht als Kollegin anerkannte […] Ich habe mich vierzig Jahre bei den Übersetzern wohlgefühlt und ging in Stuttgart regelmäßig zum Stammtisch, bis der sich altershalber auflöste. (Ebd.: 93f.)

Ihre letzte Buchveröffentlichung war 2020 die Übersetzung von Max Jacobs surrealistischem Kurzroman Saint Matorel, der zuerst 1911 mit für diesen Text geschaffenen kubistischen Picasso-Radierungen bei Kahnweiler in Paris erschienen war. Von einer „bravourösen“ Übersetzung sprach Lerke von Saalfeld in ihrer Rezension des Bandes in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (20. Mai 2020). In ihrem Nachwort hat Pfau begründet, warum sie von Jacobs zahlreichen Publikationen ausgerechnet Saint Matorel übersetzt hat:

Weil der kleine Roman mit seinen esoterischen, kabbalistischen Zügen, seiner heterogenen Handlung besonders das burleske Talent Max Jacobs, seine Phantasie und Erzählkunst zeigt und Surrealistisches vorwegnimmt. Die jüdische Mystik, die griechische und ägyptische Mythologie sind ebenso wie der Aufbau ders Werkes surrealistisch. Man kann Saint Matorel somit zu den wichtigsten Texten der frühen französischen Moderne zählen. (Pfau in Jacob 2020: 147)

Zum Druck vorbereitet hat Una Pfau eine bisher unveröffentlichte Anthologie mit Gedichten von Max Jacob, Jules Supervielle, Pierre Jean Jouve, Pierre Reverdy, Francis Ponge, Robert Desnos, Michel Leiris, Jean Follain, René Char, Aimé Césaire, Raoul Bécousse, Yves Bonnefoy2Ihre Begegnung mit dem hoch betagten Bonnefoy 2012 in Paris schildert Pfau (2022: 164f.).,Philipp Jaccottet, Joyce Mansour und Hédi Bouraoui.

Una Pfau war bis zu deren Auflösung Mitglied der Association Internationale de la Critique Littéraire und ist Mitglied der Association des amis de Max Jacob.

Anmerkungen

  • 1
    „Das dauerte nur ein Jahr, denn die Direktorin der Elite-Universität, Mme [Marie-Jeanne] Durry, war mit mir nicht zufrieden, weil ich heimlich aus dem klösterlichen Bereich, in dem ich wohnen sollte, ausgezogen war.“ (E-Mail an AFK, 8. April 2024)
  • 2
    Ihre Begegnung mit dem hoch betagten Bonnefoy 2012 in Paris schildert Pfau (2022: 164f.).

Quellen

Jacob, Max (2020): Saint Matorel. Roman. Mit vier Radierungen von Pablo PÖicasso. Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort [S. 143–155] versehen von Una Pfau. Hamburg: Osburg Verlag.
Pfau, Una (2022): Mein Leben. Berlin - Paris - Stuttgart. (Privatdruck, 193 S.; Exemplar im Archiv der UeLEX-Redaktion).
Pfau, Una (2024): Biobibliographie. Typoskript. (Kopie im Archiv der UeLEX-Redaktion).

Zitierweise

Kelletat, Andreas F.: Una Pfau, Jg. 1942. In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 6. Mai 2024.
BeschreibungDr. Una Pfau, Mai 1992 (© privat)
Datum15. April 2024
Dr. Una Pfau, Mai 1992 (© privat)