Maria Bamberg, 1915–2016
Die am 10. Dezember 1915 in Berlin geborene und dort am 4. Juni 2016 verstorbene Maria Bamberg kam mit ihrer Mutter Ella Brunswig und ihren beiden jüngeren Schwestern 1923 (auf dem Höhepunkt der politischen und ökonomischen Nachkriegswirren: Rheinlandbesetzung, Bürgerkrieg, Inflation usw.) aus der Weimarer Republik nach Argentinien. Der Vater Hermann Brunswig, ein ehemaliger Seeoffizier der kaiserlichen Marine, war schon 1919 ausgewandert und verwaltete inzwischen im Auftrag eines britischen Unternehmens die Schaffarm Lago Ghío in einer einsamen Gegend Patagoniens (Bamberg 2004: 10 u. 22). Es wurde strikt darauf geachtet, dass die Töchter auch in der Fremde „deutsch“ aufwuchsen:
Unsere Eltern waren bewusste Deutsche und blieben es bis zu ihrem Tode. Und sie erzogen ihre Kinder, einschließlich unserer in Chile und Argentinien geborenen Brüder, „deutsch“, verlangten von uns, nur deutsche Ehepartner zu heiraten, und pflegten nur deutsche Bekanntschaften. Wir durften als Kinder kein Spanisch sprechen, und was es in Argentinien an Kultur gab – z. B. Schule, Literatur – wurde einfach übergangen. (Ebd.: 15)
1929 schickten die Eltern ihre drei Töchter zu Verwandten nach Berlin, wo Maria an der Dahlemer Gertrauden-Schule 1935 ihr Abitur machte (ebd.: 8 u. 51) und dann gleich nach Argentinien zurückkehrte. Erst jetzt erlernte sie das Spanische. In ihren 2004 erschienenen Erinnerungen heißt es zum Thema Spracherwerb:
1935 wußte ich aus mancherlei Anzeichen, daß die Nationalsozialisten den Krieg vorbereiteten und nahm mir schon vor, nie wieder nach Deutschland zurückzukehren. Also beschloss ich als allererstes, mir ganz methodisch [mit den Langenscheidt-Lehrbiefen] Spanisch beizubringen. (Ebd.: 39)
Sie absolvierte an der Universität Córdoba eine Ausbildung als Lehrerin sowie als Übersetzerin für Deutsch und Englisch, verdiente sich wohl auch „einige Brötchen mit medizinischen Übersetzungen, meist aus dem Englischen“ (ebd.: 123). 1945 heiratete sie gegen den Willen ihrer antisemitisch eingestellten Eltern den 1938 nach Südamerika geflüchteten Mediziner Dr. Paul Hans Bamberg. „Wir haben unsere Tochter aus unserem Leben gestrichen“, soll Marias Vater an ihren Schwiegervater geschrieben haben (ebd.: 91). Vier Kinder bekam das Paar und Vater Brunswig hat sich später für seine Vorbehalte entschuldigt, wobei er hinzugefügt haben soll: „Etwas wurmt mich natürlich: dass eure Ehe so gut geworden ist“ (ebd.).
1963 kehrten die Bambergs von San Rafael, wo sie 16 Jahre lang gelebt und der Ehemann eine Privatklinik mitaufgebaut hatte, nach Berlin zurück. Sie hatten, so schrieb es in ihren Erinnerungen Maria Bamberg, „die unheilvollen Zeichen der argentinischen Zukunft, die mit Péron begonnen hatten und mit der Militärdiktatur nicht endeten,“ erkannt (ebd.: 114). Dr. Bamberg eröffnete in Berlin eine Frauenarztpraxis, seine Frau wurde Sprechstundenhilfe. Aber sie begann damals, Bücher aus den lateinamerikanischen Literaturen zu lesen (ebd.: 122), und wagte sich ab 1966 auch ans Literaturübersetzen, als – wie sie 1986 in einem Beitrag für die Zeitschrift für Kulturaustausch scheinbar selbstironisch sagte – „übersetzende Hausfrau“ (ebd.: 123). Dass sie das immer geblieben sei, hat sie
manch gelehrter Meinung zum Trotz, gern verteidigt, denn auf dem Humus des täglichen Familienlebens gedeiht das Pflänzchen Übersetzung nicht schlecht: Erfahrungen gelebten Lebens, der Kontakt mit den verschiedensten Sprachebenen, eine gewisse Beweglichkeit, fast möchte ich sagen, ein gewisses Draufgängertum befruchten das Übersetzen durchaus. Ein Sprachstudium kann mit seinen theoretisch vermittelten Kenntnissen zu einem Korsett werden, in dem man sich nicht traut, sprachlich kreativ zu sein. Denn Übersetzer sind ja nicht, wie man uns immer noch weismachen möchte, „Kärrner der Sprache“, sondern „Kuriere des Geistes“, wie Alexander Puschkin gesagt haben soll, und nicht erst seit heute unverzichtbare Mittler internationaler Verständigung. (Ebd.: 123f.)
Maria Bamberg profitierte bei ihrem Start ins Übersetzen von dem 1962/64 mit zwei hochkarätig besetzten, von der Bonner auswärtigen Kulturpolitik geförderten Tagungen am Westberliner LCB mitausgelösten Interesse nun auch westdeutscher Verlage an den Literaturen Lateinamerikas (vgl. Zajas 2019, Klengel/Pompeu 2021). Die Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart habe sie, die noch nicht sehr erfahrene Literaturübersetzerin, seinerzeit gefragt, ob sie sich
wohl an einen Roman des mexikanischen Autors Carlos Fuentes wagen würde! Natürlich wagte ich, obwohl ich von dem Herrn noch nie etwas gehört hatte! Es wuchs eine dreizehnjährige Zusammenarbeit und Freundschaft, während der ich an Literatur und Kultur sicherlich mehr gelernt habe als mancher Leser! Als Übersetzer sollte man, wegen der zeitlichen Veränderung jeder Sprache, alle fünf Jahre das Land besuchen, dessen Sprache man übersetzt. (Bamberg 2004: 124)
Es dürfte sich um den knapp 500 Seiten starken Roman La región más transparente gehandelt haben, dessen deutsche Version Landschaft in klarem Licht 1974 bei der Stuttgarter DVA veröffentlicht wurde, gleichzeitig auch als Lizenzausgabe im DDR-Verlag Volk und Welt. 1979 folgte nach einem übersetzerischen Kraftakt Fuentes‘ Opus Magnum, der knapp 1150 Seiten umfassende Band Terra nostra, ein „Roman, dessen sprachliche und inhaltliche Komplexität immer wieder mit James Joyce‘ Ulysses verglichen wird“ (Klengel 2016).
Der Katalog der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet ein gutes Dutzend von Maria Bamberg ins Deutsche gebrachte Werke: Romane und Erzählungen aus der argentinischen, mexikanischen und venezolanischen Gegenwartsliteratur.1Leider werden im DNB-Katalog nicht alle von ihr übersetzten Bücher durch Eingabe ihres Namens „Maria Bamberg“ in das Suchformular angezeigt, vgl. z. B. die Einträge zu Octavio Paz: Sor Juana Inés de la Cruz oder die Fallstricke des Glaubens oder zu Vlady Kociancich: Das Drehbuch (Aufruf am 7. Dezember 2022). Eine umfassendere Studie zu ihrem übersetzerischen Œuvre, zu ihrer Übersetzungspoetik und zur Zusammenarbeit mit den von ihr übersetzten Autoren liegt bisher nicht vor.
Engere Bindungen entwickelten sich in West-Berlin zum Lateinamerika-Institut (LAI) der Freien Universität, an dem Maria Bamberg als Honorarkraft tätig wurde und dessen Übersetzerwerkstatt sie von 1983 bis 1989 geleitet hat: „rein praktische Übersetzungsübungen mit interessierten Studenten“ (Bamberg 2004: 127). In einem am LAI veröffentlichten Nachruf wurde sie von der Iberoamerikanistin Susanne Klengel 2016 als „herausragende Brückenbauerin zwischen den kulturellen Welten Lateinamerikas und der deutschsprachigen Länder“ bzw. als eine der „bedeutendsten ÜbersetzerInnen aus dem Spanischen, vor allem dem lateinamerikanischen Spanisch“ erinnert (Klengel 2016).
Anmerkungen
- 1Leider werden im DNB-Katalog nicht alle von ihr übersetzten Bücher durch Eingabe ihres Namens „Maria Bamberg“ in das Suchformular angezeigt, vgl. z. B. die Einträge zu Octavio Paz: Sor Juana Inés de la Cruz oder die Fallstricke des Glaubens oder zu Vlady Kociancich: Das Drehbuch (Aufruf am 7. Dezember 2022).