August Brücher, 1888–1967
August Brücher ist in den Jahren des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik als Übersetzer aus dem Französischen hervorgetreten. Da seine Texte überwiegend in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht wurden, erlangte er nicht die Bekanntheit anderer zeitgenössischer Übersetzer. Gerade diese – wohl nicht untypische – Nebenrolle im Literaturbetrieb macht die Beschäftigung mit seinem Leben und Werk zu einer interessanten Aufgabe.
August Brücher wurde am 15. Juli 1888 im hessischen Groß-Umstadt als Sohn des Barbiers Johann Peter Brücher und von Katharina Brücher, geb. Schraut, geboren. 1905/06 studierte er in Heidelberg Theologie und Philologie. Über seinen weiteren Studienverlauf ist nichts bekannt, nur dass er in späteren Dokumenten als promovierter Kunsthistoriker bezeichnet wird. Für die Jahre nach 1910 lassen sich erste Publikationen nachweisen, 1914 erschienen zwei von ihm aus dem Französischen übersetzte Bücher. Auch während des Ersten Weltkriegs, in dem er als sogenannter Militärdolmetscher eingesetzt wurde, veröffentlichte er kontinuierlich Übersetzungen aus der Literatur des „Erbfeindes“ Frankreich,1Zum „Abbruch des Imports französischer Literatur nach Deutschland in den Kriegsjahren von 1914 bis 1918“ vgl. die Dissertation von Nathalie Mälzer-Semlinger Die Vermittlung französischer Literatur nach Deutschland zwischen 1871 und 1933 (2009: 159–175). vor allem für die von Franz Pfemfert herausgegebene expressionistische Zeitschrift Die Aktion. In den Jahren der Weimarer Republik publizierte Brücher primär Übersetzungen für Zeitungen und Zeitschriften, neben Der Aktion auch für die Vossische Zeitung, die Berliner Zeitung am Mittag, das Kulturmagazin Der Querschnitt sowie die von Joseph Bloch herausgegebenen Sozialistischen Monatshefte.
Während des Dritten Reiches hat Brücher fast keine Texte mehr veröffentlicht. Als Mitglied des Reichsverbands Deutscher Schriftsteller wurde er 1933 vermutlich automatisch Mitglied der Reichsschrifttums- bzw. Reichskulturkammer. In einem für die Kammer 1938 ausgefüllten Fragebogen gab er als Beruf „Schriftsteller und Hausverwalter“ an. Zu diesem Zeitpunkt lag seine letzte Publikation zwei Jahre zurück.2Selbstauskunft August Brüchers gegenüber der Reichskulturkammer beim Bundesarchiv Berlin, RKK 2101, Box 0155, File 07. Nach derzeitigem Stand war das Gedicht Konzert-Cafe in der BZ am Mittag vom 18. September 1935 seine letzte Veröffentlichung. 1940 wurde er „mangels schriftstellerischer Tätigkeit“ aus der Kammer „entlassen“.3Entlassungsschreiben der Reichskulturkammer vom 12. März 1940, enthalten in der Reichskulturkammerakte beim Bundesarchiv Berlin.
Auch für die Jahre nach 1945 – Brücher starb am 8. Mai 1967 in Berlin – sind keine Publikationen mehr nachweisbar. 1949 fragte er jedoch noch Peter Suhrkamp nach den Vermarktungsrechten seiner 1928 im Fischer-Verlag erschienenen Mauriac-Übersetzung, die er für eine Mauriac-Ausgabe des Wiener Amandus-Verlages anbieten wollte.
Brücher übersetzte, neben einigen kurzen Prosatexten klassischer Autoren wie Honoré des Balzac und Gustave Flaubert, vor allem Dichter der Moderne wie Paul Verlaine und Stéphane Mallarmé, aber auch weniger bekannte Lyriker, Texte über bildende Künstler und Schriftsteller wie z. B. 1929 George Moores Erinnerungen an Mallarmé. Vereinzelt finden sich politische Texte, etwa die Eröffnungsrede Victor Hugos zum Pariser Friedenskongress 1849. Begleittexte zu seinen Übersetzungen gibt es nur wenige, z. B. das Vorwort zu seiner 1914 erschienenen Choderlos de Laclos-Übersetzung Gefährliche Liebschaften.
Obwohl sein übersetzerischer Schwerpunkt auf Texten französischsprachiger Autoren lag, finden sich beim Thema Kunst und Literatur auch einzelne Übersetzungen aus dem Englischen. Charakteristisch ist für ihn die Übertragung von kurzen, für Zeitungen und Zeitschriften geeigneten literarischen Beiträgen. Dies macht es schwer, sich eine genaue Vorstellung über die von ihm publizierten Texte zu verschaffen. Da es weder einen Nachlass noch vollständige Bibliographien für jene Zeitungen und Zeitschriften gibt, für die er gearbeitet hat, ist der Umfang seines Gesamtwerks kaum abzuschätzen. Auch fehlt es an Stimmen von Zeitgenossen zur Bewertung der Bedeutung seines übersetzerischen Werks, was wiederum daran liegen dürfte, dass er ganz überwiegend in Periodika veröffentlicht hat.
Als Beispiel für eine Übersetzung Brüchers sei hier die Übertragung des Gedichts Renouveau von Stephane Mallarmé4Französische Originalfassung: „Le printemps maladif a chassé tristement / L’hiver, saison de l’art serein, l’hiver lucide,/ Et, dans mon être à qui le sang morne préside / L’impuissance s’étire en un long bâillement. // Des crépuscules blancs tiédissent sous mon crâne / Qu’un cercle de fer serre ainsi qu’un vieux tombeau / Et triste, j’erre après un rêve vague et beau, / Par les champs où la sève immense se pavane // Puis je tombe énervé de parfums d’arbres, las, / Et creusant de ma face une fosse à mon rêve, / Mordant la terre chaude où poussent les lilas, // J’attends, en m’abîmant que mon ennui s’élève… / – Cependant l’Azur rit sur la haie et l’éveil / De tant d’oiseaux en fleur gazouillant au soleil.“ (Mallarmé, Poésies 1866). angeführt, erschienen am 12. Mai 1930 in den Sozialistischen Monatsheften:
Frühling Kränklicher Lenz verjagt den Winter bang, Den lichten Winter, heitrer Künste Zeit. In mir regiert des Blutes Düsterkeit, Und gähnend reckt sich meiner Ohnmacht Drang. Im Schädel weißer Dämmerungen Glut, Den wie ein Grab umspannt ein Eisenreifen, Zieht mich ein schöner Traum, nicht zu begreifen, Traurig durchs Feld voll Saft und Übermut. Berauscht vom Duft der Bäume sink ich nieder Und wühle mit der Stirn dem Traum ein Grab, ln warme Erde beiße ich, wo Flieder Treibt, und warte meine Qualen ab: Bis Sonne und Azur auf Blütenhecken lachen Und in der vielen Vögel zwitscherndes Erwachen.
Zum Vergleich die Übersetzung von Richard von Schaukal (1948):
Lenz Winter, du Zeit der heitern Kunst, hellsichtige Zeit, der Kränkler Frühling hat dich leider ausgetrieben, und mir, der ich mich trübem Blute fühl' verschrieben, dehnt sich die langhingähnende Unfähigkeit. Im Schädel, den, gleich einem alten Grab, ein Reifen aus Eisen zwängt, schmilzt weiße Abenddämmerung, und in der Felder unermeßnem Trieb und Prunk muß hinter eines Traumes Hauch ich traurig schweifen. Dann fall ich hin, erschöpft vom Duft der Bäume, müd, wühl' eine Grube meinem Traum mit dem Gesicht, beiß' in die warme Erde, wo schon Flieder blüht, und wart' vernichtet, bis mein Jammer sich erhebt... Inzwischen auf die Hecke lacht vom Blau das Licht, in dem erwachend junger Vögel Zwitschern schwebt.
August Brücher hat auch selbst Gedichte geschrieben, die ebenfalls vorwiegend in Zeitschriften erschienen. Sie sind dem Expressionismus bzw. der Neuen Sachlichkeit zuzuordnen oder zumindest von deren Stilmitteln geprägt. Aber auch Anklänge an französische Vorbilder sind bemerkbar. Das Gedicht Blick vom Fernsehturm (Vossische Zeitung, Morgenausgabe, 8. November 1930) kann als Beispiel dienen:
Blick vom Fernsehturm Hier steigt man auf und überblickt Berlin: Ein Spielzeug und die Menschen Miniaturen, Die Straßen, die wir eben breit durchfuhren, Sieht man wie offene Kanäle ziehn. Sind sie von Kindern aus Papier gefaltet? Ein Haus bemalt, das andere grau veraltet, Und Bahnen kriechen klein wie Raupen hin. […] Nun gießt die Sonne Blut und Feuerschwall In alle Fenster, funkelnd rot geküsst. Langsamer Mond steigt ins Metallgerüst, Der Fahrstuhl fällt am Faden wie ein Ball Im schwarzen Turm, von Lichtern eingerandet, Ein Sternengitter, von Musik umbrandet – Und oben kreist sein Schein im Weltenall.
In seinen Feuilleton-Beiträgen spielt Frankreich eine prominente Rolle. Texte über den Zeichner der Revolution Honoré Daumier sowie über Paris veröffentlichte Brücher 1926/27 in den Sozialistischen Monatsheften. Neben Aufsätzen zur aktuellen bildenden Kunst (Der Maler Moriz Melzer in den Schlesischen Monatsheften 1929) gibt es kleine Prosatexte zum Alltag, die insbesondere in der Vossischen Zeitung in den 20er Jahren erschienen sind. Bei der Durchsicht weiterer Zeitungen und Zeitschriften aus den Jahren 1910 bis 1933 könnten noch weitere Übersetzungen, Gedichte und Feuilleton-Beiträge von August Brücher entdeckt werden. Zusätzliche Recherchen sind erforderlich, um die Auswirkungen der politischen Zäsuren von 1933 und 1945 auf sein Leben und Werk genauer abschätzen zu können.
Anmerkungen
- 1Zum „Abbruch des Imports französischer Literatur nach Deutschland in den Kriegsjahren von 1914 bis 1918“ vgl. die Dissertation von Nathalie Mälzer-Semlinger Die Vermittlung französischer Literatur nach Deutschland zwischen 1871 und 1933 (2009: 159–175).
- 2Selbstauskunft August Brüchers gegenüber der Reichskulturkammer beim Bundesarchiv Berlin, RKK 2101, Box 0155, File 07. Nach derzeitigem Stand war das Gedicht Konzert-Cafe in der BZ am Mittag vom 18. September 1935 seine letzte Veröffentlichung.
- 3Entlassungsschreiben der Reichskulturkammer vom 12. März 1940, enthalten in der Reichskulturkammerakte beim Bundesarchiv Berlin.
- 4Französische Originalfassung: „Le printemps maladif a chassé tristement / L’hiver, saison de l’art serein, l’hiver lucide,/ Et, dans mon être à qui le sang morne préside / L’impuissance s’étire en un long bâillement. // Des crépuscules blancs tiédissent sous mon crâne / Qu’un cercle de fer serre ainsi qu’un vieux tombeau / Et triste, j’erre après un rêve vague et beau, / Par les champs où la sève immense se pavane // Puis je tombe énervé de parfums d’arbres, las, / Et creusant de ma face une fosse à mon rêve, / Mordant la terre chaude où poussent les lilas, // J’attends, en m’abîmant que mon ennui s’élève… / – Cependant l’Azur rit sur la haie et l’éveil / De tant d’oiseaux en fleur gazouillant au soleil.“ (Mallarmé, Poésies 1866).