Walter Fischer, 1901–1978
Vorbemerkung der Redaktion
Dieses Biogramm entstand im Rahmen des DFG-geförderten D-A-CH-Projekts Exil:Trans (2019–2022) und erschien zuerst in: Tashinskiy, Aleksey / Boguna, Julija / Rozmysłowicz, Tomasz: Translation und Exil (1933–1945) I: Namen und Orte. Recherchen zur Geschichte des Übersetzens. Berlin: Frank & Timme 2022, S. 412–413.
Walter Fischer studierte in Graz Medizin und arbeitete in Österreich bis 1934 als Arzt. Schon als Student engagierte er sich in der Sozialdemokratischen Partei, schloss sich aber 1934 nach der Niederschlagung des Februaraufstands der KPÖ an. Nach viermonatiger Haft im Lager Wöllersdorf flüchtete er über die ČSR und Polen nach Moskau, die „Hauptstadt der kommenden Weltrevolution“ (Fischer 1986: 65). In der Sowjetunion erlernte er das Russische und war zunächst als Arzt tätig, u. a. in der Wolgadeutschen Republik. Im November 1936 ging er auf eigenen Wunsch und mit Billigung der Komintern nach Spanien, wo er (unter dem Namen Dr. Alexander Langer) u.a. als Chefarzt in der 15. (internationalen) Brigade eingesetzt wurde. Nach der Niederlage der republikanischen Truppen kehrte er über Frankreich zurück in die Sowjetunion. „Es ist nicht unwahrscheinlich“, heißt es in seiner Autobiographie (ebd.: 88), „daß mein Aufenthalt in Spanien von 1936 bis 1939 – also in den gefährlichsten Jahren – mir das Leben gerettet hat.“ In Moskau und während der Evakuierung nach Swerdlowsk zu Beginn des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion wurde er als Redakteur, Nachrichten-Übersetzer und Sprecher für die Österreich-Sendungen von Radio Moskau eingesetzt.
Vorbereitet durch literarische Neigungen seiner Jugendzeit, übersetzte er im Moskauer Exil einen (unveröffentlicht gebliebenen) Abschnitt aus Gorkis Meine Universitäten sowie Lermontows Poem Der Klosterschüler, das im vorletzten Heft der Internationalen Literatur (August/September 1945) veröffentlicht wurde. Dasselbe Heft enthielt Fischers Übersetzung eines Berichts über die Rolle der sowjetischen Wissenschaft im zweiten Weltkrieg.
Im Herbst 1945 konnte Fischer auf Beschluss des Zentralkomitees der KPdSU nach Wien zurückkehren. In Österreich arbeitete er bis 1972 in unterschiedlichen Funktionen, u. a. als Mitglied des Zentralkomitees, für die KPÖ. Ab Anfang der 60er Jahre verwandte er viel Zeit auf die Übersetzung (Stalinismus-kritischer) russischer Lyrik: Jewtuschenko, Wosnessenski, Twardowski, Roschdestwenski, Jessenin. Manche dieser Übersetzungen erschienen im Wiener Tagebuch und der Volksstimme, dem Zentralorgan der KPÖ. Nach Kontaktaufnahme mit Stephan Hermlin wurden 1964 auch Übersetzungen in der Zeitschrift Sinn und Form veröffentlicht.
1968 wandte sich Walter Fischer wie auch sein älterer Bruder, der Schriftsteller und „undogmatische Marxist“ Ernst Fischer (1899–1972), gegen den sowjetischen „Panzerkommunismus“. Als die KPÖ 1971/72 ihre Verurteilung des sowjetischen Einmarsches in die ČSSR widerrief und (im Gegensatz zu den meisten anderen westlichen kommunistischen Parteien) erneut auf die Moskauer Linie einschwenkte, trat Fischer aus der KPÖ aus.
In seinen postum 1986 erschienenen Kurzen Geschichten aus einem langen Leben geht Walter Fischer knapp auf seine übersetzerischen Aktivitäten im Moskauer Exil (ebd.: 150f.) sowie auf seine Lyrik-Übersetzungen der 60er Jahre ein (ebd.: 195–199).