Maik Hamburger, 1931–2020
Maik Hamburger gehörte zu den bedeutendsten Shakespeare-Kennern Deutschlands. Er übersetzte (oft in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Adolf Dresen) 15 Shakespeare-Dramen, außerdem Stücke von Sean O’Casey, Arthur Miller und Tennesee Williams. Gemeinsam mit Christa Schuenke erarbeitete er für den Leipziger Reclam-Verlag einen Band form- und tonbewahrender Nachdichtungen der Satiren, Elegien, Lieder, Sonette und Versbriefe John Donnes (1572–1631): Zwar ist auch Dichtung Sünde.1Im Vorwort zu der Ausgabe schreibt Hamburger: „Eine Übersetzung läßt sich nach Friedrich Dieckmann annährend definieren als ‚eine Annäherung an den an seiner Form haftenden Sinn des Originals mit den Mitteln einer anderen Sprache‘. Die beiden Übersetzer dieses Bandes haben, sich ständig gegenseitig beratschlagend, aber unter Erhaltung des notwendig subjektiven Herangehens, eine solche Annäherung versucht.“ (Hamburger 1982: 18) 30 Jahre lang war er Dramaturg des Deutschen Theaters in Berlin, wo er an der Produktion deutscher, englischer, amerikanischer und spanischer klassischer und zeitgenössischer Stücke beteiligt war.
Als Theaterwissenschaftler unterrichtete er in Berlin (Humboldt-Universität, Schauspielschule Ernst Busch, Universität der Künste), Leipzig und Graz, Gastdozenturen führten ihn nach England, in die USA und nach Kanada. Für Wilhelm Hortmanns Shakespeare on the German Stage. The twentieth century (Cambridge University Press 1998) steuerte er das Kapitel Shakespeare on stage in the German Democratic Republic bei. Gemeinsam mit dem Theaterwissenschaftler Simon Williams (University of California) gab er 2008 den Sammelband A History of German Theatre heraus. Neben seinen Arbeiten für und über das Theater gab er 2010 Aufzeichnungen seines langjährigen Freundes Dresen heraus sowie 2012 den in den 1970er Jahren entstandenen Bericht seines Vaters, des Architekten Rudolf Hamburger, über dessen Lagerhaft in der Sowjetunion (vgl. Hamburger 2012).2Die Zeitschrift Sinn und Form brachte 2012 einen Auszug aus dem Bericht, als Buch erschien 2013 bei Siedler in München: Rudolf Hamburger: Zehn Jahre Lager. Als deutscher Kommunist im sowjetischen Gulag. Ein Bericht. Hg. von Maik Hamburger. 240 S.
Michael Pitt „Maik“ Hamburger wurde 1931 in Shanghai geboren und verbrachte seine Kindheit als Sohn des für die Sowjetunion als „Kundschafter“ bzw. Geheimdienstagenten arbeitenden Ehepaars Rudolf Hamburger (1903–1980) und Ursula Maria Hamburger (1907–2000)3Geb. Kuczynski, Deckname „Sonja“, Pseudonym als Schriftstellerin: Ruth Werner (vgl. Hamburger 2019). in China, der Tschechoslowakei, Danzig, Polen, der Schweiz und – von 1940 bis 1951 – in England. Dort ging Maik Hamburger in Oxford zur Schule und begann in Aberdeen ein Physikstudium. 1951 folgte er seiner Mutter in die DDR. Wie der mehrfache Ortswechel den „Vorzug der Vielsprachigkeit“ mit sich brachte, hat er 2006 in einem Gespräch geschildert:
In China lernte ich zu Hause Deutsch, bei meiner Ammah und beim Spielen mit Straßenkindern Chinesisch. […] In Polen hatte ich bei Jugendbanden einen schweren Stand, weil ich fremd und bürgerlich war. Während ich zu Hause deutsch lesen und schreiben lernte, schnappte ich deren polnischen Gassenjargon auf; als ich gerade begann zur Bande zu zählen, siedelten wir in die Schweiz über. Zum Glück wurde ich dort nicht mit Schwyzerdütsch konfrontiert – was dann passiert wäre, möchte ich mir lieber nicht ausmalen. So besuchte ich in Caux eine francophone Schule, die Deutsch als Zweitsprache lehrte, später eine englische Internatsschule in Glion mit Französisch als Zweitfach. Mit zehn kam ich nach England. […] Bis ich schließlich mit zwanzig in die DDR kam. Da ich mich in England geweigert hatte Deutsch zu sprechen, Deutsch war ja der Feind, brachte ich das Vokabular eines Zehnjährigen mit. Aber auch ein sehr scharfes Gehör für falsche Töne; ich hatte ja die Sprachverhunzung der Nazis nicht mitgemacht. (Hamburger 2006: 356)
Das in England begonnene Physik-Studium setzte Hamburger in Leipzig fort. Dort engagierte er sich auch für die Studentenbühne und lernte dabei den späteren Regisseur Adolf Dresen kennen. Nach Tätigkeiten als Journalist und Übersetzer (1956–1966) wurde er bis 1996 Mitarbeiter am Deutschen Theater Berlin. In den beiden kommenden Jahrzehnten entstanden seine theaterhistorischen Veröffentlichungen. Als Freund und Mentor begleitete er von 2015 bis 2019 die Aufführungen des Potsdamer Neuen Globe Theaters (vgl. Schrickel / Erfurth 2020). Maik Hamburger starb 2020 im Alter von 88 Jahren in Berlin.
Anmerkungen
- 1Im Vorwort zu der Ausgabe schreibt Hamburger: „Eine Übersetzung läßt sich nach Friedrich Dieckmann annährend definieren als ‚eine Annäherung an den an seiner Form haftenden Sinn des Originals mit den Mitteln einer anderen Sprache‘. Die beiden Übersetzer dieses Bandes haben, sich ständig gegenseitig beratschlagend, aber unter Erhaltung des notwendig subjektiven Herangehens, eine solche Annäherung versucht.“ (Hamburger 1982: 18)
- 2Die Zeitschrift Sinn und Form brachte 2012 einen Auszug aus dem Bericht, als Buch erschien 2013 bei Siedler in München: Rudolf Hamburger: Zehn Jahre Lager. Als deutscher Kommunist im sowjetischen Gulag. Ein Bericht. Hg. von Maik Hamburger. 240 S.
- 3Geb. Kuczynski, Deckname „Sonja“, Pseudonym als Schriftstellerin: Ruth Werner (vgl. Hamburger 2019).