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Barbara Antkowiak, 1933–2004

1933 Berlin (Deutsches Reich) - 2004 Berlin (Bundesrepublik Deutschland)

Im Frühherbst 2004 verstarb Barbara Antkowiak, eine der verdienstvollsten Über­setzerinnen aus den südslawischen Sprachen, unerwartet an einer Lungenembolie. Damit hat der deutschsprachige Kulturkontext eine Vermittlerin verloren, für die die Präsentation von Werken und Autoren aus den slawischen Sprachen Südosteuropas Herzenssache war.1Dieses UeLEX-Porträt ist eine leicht modifizierte Fassung meines 2006 erschienenen Nachrufs auf Barbara Antkowiak.

Die gebürtige Berlinerin studierte in der ersten Hälfte der 1950er Jahre an der Leipziger Karl-Marx-Universität Slawistik, und zwar mit dem Hauptfach Bohemistik. Dazu kam eine Aus­bildung in Bulgarisch, Russisch und Polnisch. Das Serbokroatische, das sie in den 90er Jahren einfach scherzhaft „naški“ nannte, um vielseitigen Attacken zu entgehen, eignete sie sich mit großem Enthusiasmus später an. Und wie das Schicksal mitunter so spielt: Gerade Übersetzungen aus dem Serbokroatischen und Bulgarischen sollten zu ihrem hauptsächlichen Wirkungsfeld werden.

Ab 1956, gleich nach dem Staatsexamen, lebte sie wieder in Berlin. Aus heutiger Sicht ist es aus mehreren Gründen ein Glücksumstand, dass ihr die Möglichkeit eingeräumt wurde, bereits ab September 1956 in dem für die Übersetzung ausländischer Literatur zweifelsfrei renommiertesten Verlag Volk und Welt als Lektorin tätig zu werden, und zwar im Lektorat mit der Bezeichnung „Volksdemokratien“, in dem sie, wie sie einmal sagte, mit ihren Jugoslawen das Schlusslicht bildete, abgesehen von den Mongolen (vgl. Antkowiak 2005). Mit diesem Tätigkeitsbeginn war eine – trotz aller Schwierigkeiten unter differenzierten Bedingungen von Zensur – beachtliche Option aufgetan, in einem Verlag zu wirken, in dem es viel Spezialisierung gab, der teils wie ein Literaturinstitut arbeiten konnte, wie ihre jüngere Lektoratskollegin Christina Links sein Funktionieren erinnerte (vgl. Links 2005). Durch 34 Jahre blieb Antkowiak als Lektorin bei Volk und Welt.

Eine der frühen Übersetzungen aus dem Serbokroatischen ist Vlak u snijegu (dt. 1959, Der Zug im Schnee) des kroatischen Autors Mato Lovrak für den Kinderbuchverlag Berlin, seinerzeit noch als Barbara Sparing. Eine detaillierte Bibliographie ihres Lebenswerkes steht freilich aus; sie selbst führte denkbar schlecht Buch über diese ihre Aktivitäten. Rückblickend erlaube ich mir jedoch die – wenn auch vorläufige Wertung – dass Barbara Antkowiak, die im wahrsten Sinne des Wortes als ein Arbeitstier galt (womit sie sicherlich zunehmend auch gegen eine nicht zu übersehende Vereinsamung ankämpfte), ihre Arbeit als Lektorin und ihre Tätigkeit als Übersetzerin nahtlos zu verbinden vermochte. Sie bediente dabei durchaus auch die in der DDR kulturpolitisch wichtigen Rezeptionslinien der antifaschistischen Literatur bzw. des antifaschistischen Volksbefreiungskampfes, etwa mit Übersetzungen von Mihajlo Lalićs Romanen Lelejska gora (dt.1967, Der Berg der Klagen) sowie Svadba (dt. 1972, Die Hochzeit). Ihr besonderes Interesse galt der aktuellen Literaturentwicklung besonders in der SFRJ, der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, und in Bulgarien. Hier bewies sie kontinuierlich ein besonderes Gespür für Talente und auch für das, was Chancen hatte, sich auf dem Markt zu behaupten. Das wirkte sich besonders nach ihrem Ausscheiden aus dem Verlag Volk und Welt und dem erzwungenen Vorruhestand in der sog. Wendezeit für so manchen Autor trotz aller Widrigkeiten positiv aus. Ich erinnere hier nur etwa an Nenad Veličkovićs beeindruckenden, noch für Volk und Welt übersetzten Roman Konačari (dt. 1997, Logiergäste), an diverse Bücher von Dubravka Ugrešić und Bora Ćosić. Mit Veličković, Vladimir Arsenijević, Julijana Matanović, Biljana Srbljanović erhielten dank ihres Engagments jüngere Autorinnen und Autoren Gewicht und Stimme auf dem deutschsprachigen Büchermarkt.

Nachhaltiges Engagement im Interesse der Propagierung der südslawischen Literaturen zeigte Barbara Antkowiak im Rahmen der Durchsetzung wichtiger Editionen, zu denen seit den 70er Jahren vor allem Anthologien gehörten. Schon 1969 gab sie den Band Moderne jugoslawische Prosa heraus; in der bekannten und beliebten Volk und Welt-Reihe Erkundungen zeichnete sie für die Bände Erkundungen. 18 bulgarische Erzähler (1974), Erkundungen. 28 jugoslawische Erzähler (1979) verantwortlich, an denen sie auch als Übersetzerin und Autorin des Nachworts beteiligt war. In dem Band Die Straße zwischen Berg und Tal. Jugoslawische Stücke (1988, Hg. Ingeborg Knauth) der Reihe Dialog des Henschelverlages übersetzte sie nicht nur das politisch brisante Stück Balkanski špijun des inzwischen sehr populären Autors Dušan Kovačević, sondern versuchte in ihrem Nachwort eine knappe Skizze der diachronen Entwicklung vielfältiger südslavischer Bühnenkunst. Im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar veröffentlichte sie die Auswahl Elegie. Junge bulgarische Prosa (1986).

Barbara Antkowiak zählte auch den schwierig zu übersetzenden kroatischen Scriftsteller Miroslav Krleža zu ihren Lieblingsautoren. Sie nahm sich u.a. wichtiger Essays (1974) an, übersetzte Glembajevi (dt. 1972 Die Glembays. Prosa und Dramen), las immer wieder mit Hingabe das von ihr  übersetzte und 1981 publizierte Buch Kindheit. Erinnerungen (Djetinstvo u Agramu 1902–03).

Nach dem Verkauf des Verlages Volk und Welt stürzte sich Barbara Antkowiak mit innerer Wut in vielfältige Übersetzungsaufgaben, die sich von da an stark auf den ex-jugoslawischen Kontext bezogen. Aus jener Zeit rühren auch Gemeinschaftsprojekte, so u.a. die Übersetzung des Manuskripts für das Buch Der Zerfall Jugoslawiens, (1992, Autoren: Rajko Đurić und Bertolt Bengsch), gemeinsam mit Angela Richter sowie das sehr beachtete Suhrkamp-Büchlein Briefe von Frauen über Krieg und Nationalismus (1993, Autorinnen: Rada Iveković, Biljana Jovanović, Maruša Krese, Radmila Lazić), mit Angela Richter, Mechthild Schäfer und Marina Einspieler als Übersetzerinnen.

Zu einer Art neuer Heimstatt für die im allgemeinen sehr einsilbige, zurückgezogen lebende Frau wurde vorübergehend der Verein Süd Ost Europa Kultur e.V. in Berlin-Kreuzberg. Hier erwarb sie neue soziale Kontakte, wurde durch die hereinbrechenden Flüchtlingsströme besonders aus Bosnien auch mit sehr elementaren Problemen des Alltags konfrontiert. Das ließ sie, die die Nähe anderer Menschen mitunter nur schwer ertrug, wärmere Züge gewinnen und uneigennützig helfen.

In den 90er Jahren tat sich Barbara Antkowiak noch einmal in besonderer Weise als Kulturmittlerin hervor, indem sie im Kontext der in Deutschland erneut aufbrechenden Diskussionen um die brisanten Problemfelder von Erinnern und Gedächtnis, von Zeugnis und Zeugenschaft und damit auch um die Verortung des Holocaust in der Geschichte, zur exklusiven Übersetzerin der Prosa von Aleksandar Tišma (1924–2003), des serbischen Autors aus der Vojvodina wurde. Dieser erkannte ausschließlich ihr übersetzerisches Können an, sah sie als „seine Übersetzerin“. Tišmas fürderhin nicht wegzudenkende Präsenz im deutschsprachigen kulturellen Kontext begann 1991 mit der Veröffentlichung der deutschen Übersetzung des Romans Upotreba čoveka (dt. Der Gebrauch des Menschen) im Hanser-Verlag. Erwähnenswert ist allerdings, dass Barbara Antkowiak schon Jahre zuvor auf Tišma aufmerksam gemacht hatte: Die Titelerzählung seiner 1965 veröffentlichten Sammlung Nasilje (Gewalt) lag bereits 1969 in einer von ihr verantworteten deutschsprachigen Fassung vor.2Die Erzählung wurde damals in den schon erwähnten Band des Verlages Volk und Welt Moderne jugoslawische Prosa aufgenommen.

Im Kontext dieser umfangreichen Übersetzungsleistung und in Würdigung ihres Lebenswerkes als hervorragende Kennerin der südslawischen Literaturen und Übersetzerin besonders aus dem Bulgarischen, Serbischen, Kroatischen, Slowenischen und Bosnischen erfuhr Barbara Antkowiak dann 2003 mit dem Leipziger Buchpreis für europäische Verständigung endlich die wohlverdiente öffentliche Anerkennung.

Ihre Gesundheit hat sie nie sonderlich geschont. Als sie wegging, ahnten wir, die wir mit ihr befreundet waren, dennoch keineswegs, dass sie nie mehr zurückkehren würde. Ihr Wohn- und Arbeitszimmer im neunten Stock mit dem von ihr besonders geliebten Ausblick auf die Berliner Dächer ließ sie so zurück, wie ich es anders gar nicht kannte: auf dem Tisch die elektrische Schreibmaschine und ein aufgeschlagenes Manuskript: sie hatte gerade die Übersetzung von Dubravka Ugrešićs Ministarstvo boli (Ministerium des Schmerzes) in Angriff genommen.

Als bekannt wurde, dass sie eigentlich gar nicht Barbara hieß, sondern Monika, was im übrigen niemand wusste, sah ich ihr spitzbübisches Lächeln vor mir, erinnerte mich an ihren hintergründigen Humor und ihre Vorliebe für Skuriles. Wir Jüngeren, die von Barbara Antkowiak so Manches lernen konnten, sollten sie auch persönlich in guter Erinnerung behalten; in einer noch zu konzipierenden Geschichte der literarischen Übersetzung wird sie auf jeden Fall vertreten sein.

Anmerkungen

  • 1
    Dieses UeLEX-Porträt ist eine leicht modifizierte Fassung meines 2006 erschienenen Nachrufs auf Barbara Antkowiak.
  • 2
    Die Erzählung wurde damals in den schon erwähnten Band des Verlages Volk und Welt Moderne jugoslawische Prosa aufgenommen.

Quellen

Antkowiak, Barbara (2005): Ein Zensor in Ulan Bator. In: Simone Barck und Siegfried Lokatis (Hg.): Fenster zur Welt. Eine Geschichte des DDR-Verlages Volk und Welt. 2. Aufl. Berlin: Ch. Links, S. 92–94.
Links, Christina (2005): Als noch Milch und Honig flossen – Ein Verlag als Literaturinstitut. In: Simone Barck und Siegfried Lokatis (Hg.): Fenster zur Welt. Eine Geschichte des DDR-Verlages Volk und Welt. Berlin: 2. Aufl. Ch. Links, S. 62–64.
Richter, Angela (2006): In memoriam Barbara Antkowiak. In: Zeitschrift für Balkanologie Jg. 42 (2006), H. 1/2, S. 287–290.

Zitierweise

Richter, Angela: Barbara Antkowiak, 1933–2004. In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 26. Juli 2023.