Erich Arendt, 1903–1984
Erich Arendt zählt zu den bedeutendsten Übersetzern spanischsprachiger Lyrik ins Deutsche. Seine Übersetzungen von Pablo Neruda und anderen ebneten den Weg für die Rezeption der lateinamerikanischen Dichtung zunächst in der DDR, später dann in der BRD. Auch zentrale Persönlichkeiten der spanischen Dichtung des 20. Jahrhunderts wie Vicente Aleixandre, Rafael Alberti und Miguel Hernández wurden von Arendt ins Deutsche übertragen. Erich Arendt steht exemplarisch für die Figur des „Dichter-Übersetzers“.
Erich Arendt wurde am 15. April 1903 in Neuruppin geboren und starb am 25. September 1984 in Wilhelmshorst. Er stammte aus ärmlichen Verhältnissen und bewegte sich schon früh in einem marxistisch geprägten Umfeld von Kunst und Kultur. In den 1920er Jahren arbeitete er als Lehrer, Journalist und Schriftsteller in Berlin. Zusammen mit seiner Frau Katja Hayek-Arendt ging er 1933 ins Exil in die Schweiz und 1934 nach Mallorca. Im spanischen Bürgerkrieg schloss er sich dem Widerstand der Internationalen Brigaden auf dem Festland an und engagierte sich im Kulturbereich. In dieser Zeit lernte Arendt wichtige Vertreter der spanischsprachigen Literatur kennen, die ebenfalls auf Seiten der Republik kämpften. Auf die Niederlage der Republik 1939 folgte die Flucht nach Frankreich, wo Erich Arendt interniert wurde. 1941 gelang es dem Ehepaar Arendt, Visa für Kolumbien zu erhalten.
In Kolumbien entstanden im Umfeld des deutschsprachigen Exils in Lateinamerika und im Austausch mit literarischen Kontakten aus dem spanischen Bürgerkrieg zahlreiche Ideen, die spätere Veröffentlichungen vorbereiteten. Bei seiner Rückkehr nach Deutschland in die DDR 1950 hatte Erich Arendt eine Reihe von Übersetzungen und Manuskripten im Gepäck. Diese brachte er in die regen Aktivitäten im literarischen Feld der jungen DDR ein und wirkte fortan in der Doppelrolle des Dichters und Übersetzers.
Mit seinen Übertragungen leistete Erich Arendt entscheidende Beiträge für die Rezeption der lateinamerikanischen Lyrik und der politischen Dichtung Spaniens im deutschen Sprachraum. Er pflegte enge Kooperationen mit den einschlägigen Organen des literarischen Felds wie den Zeitschriften Aufbau und Sinn und Form, wo zahlreiche Nachdichtungen als Vorabdrucke späterer Buchveröffentlichungen erschienen, oder mit Verlagen wie Volk und Welt, Neues Leben und Reclam Leipzig.
Das übersetzerische Werk Erich Arendts erstreckt sich von den 1950er Jahren bis in die 1980er Jahre. Dabei waren die ersten beiden Jahrzehnte außerordentlich produktiv. In dieser Zeit erscheinen wichtige Übertragungen von Nicolás Guillén, Rafael Alberti, Miguel Hernández, Vicente Aleixandre und vor allem Pablo Neruda. Ab den 1970er Jahren wurden die Werke der bereits zuvor ins deutsche literarische Feld eingeführten Autoren vervollständigt. Hier ist auch eine starke Zunahme von Lizenzausgaben und Neuauflagen früherer Übertragungen Erich Arendts in der DDR und der BRD zu verzeichnen.
Erich Arendt übersetzte ausschließlich Lyrik. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass er den Begriff der „Übersetzung“ vermied und stattdessen immer von „Übertragungen“ oder „Nachdichtungen“ sprach. Die Auswahl der Autoren und Werke ist deutlich von Arendts politischer Ausrichtung geprägt und kann im DDR-Kontext dem gerade in den Anfangsjahren starken Geist eines undogmatischen Marxismus zugeordnet werden. Übertragen wurden von Arendt fast ausschließlich politische Dichter des 20. Jahrhunderts, die mit dem Antifaschismus der 20er Jahre, dem spanischen Bürgerkrieg und dem Exil in Lateinamerika in Verbindung stehen. Ausnahmen sind die Übertragung der Soledades von Luis de Góngora, der Grashalme und weiterer Werke Walt Whitmans aus dem Englischen und die Übertragung von 18 Gedichten von Jean Cassou aus dem Französischen.
In der Literaturkritik zu den übersetzten Werken sind wenig substanzielle Aussagen zum übersetzerischen Handeln Erich Arendts zu finden. Ganz im Sinne der bis heute vorherrschenden Perspektive werden dort die Qualitäten der Autoren und Werke unter Ausblendung des übersetzten Charakters der besprochenen Texte thematisiert. Ähnlich kritisch sind allgemeine Aussagen zur Qualität der Übersetzungen zu sehen, die sich vor allem im pauschalen Verweis auf die Verdienste des bereits etablierten Nachdichters erschöpfen.1Die von Jürgen von Stackelberg unternommenen ausführlichen Kritiken an Arendts Neruda-Übersetzungen sind in diesem Zusammenhang gesondert zu erwähnen. Sie sind gekennzeichnet von dem Gestus einer „Übersetzungskritik“ im traditionellen Sinne, die vor dem Hintergrund nicht immer explizit dargelegter Kriterien wie „Treue“, Autorintention, „Sinngehalt“ oder „Richtigkeit“ vorhandene Übersetzungen vor allem als fehlerhaft darstellen. Darüber hinaus drängt sich der Eindruck auf, dass nicht die Qualität der Übersetzungen an sich zur Diskussion gestellt werden, sondern die Deutungshoheit über Nerudas Werk in der deutschen Rezeption bzw. das langjährige „Monopol“ Erich Arendts als deutscher Übersetzer Pablo Nerudas. Jürgen von Stackelberg: Neruda deutsch: Pablo Neruda: Dichtungen 1919 – 1965. In: Romanistisches Jahrbuch Bd. 19 (1968), S. 286–293; Neruda – Gedichte, übersetzt von St. Hermlin, E. Arendt, R. Hagelstange, J.v. Stackelberg. In: Weltliteratur in deutscher Übersetzung. Vergleichende Analysen. München 1978, S. 218–235; Neruda in neuer Übersetzung. In: Romanistisches Jahrbuch Bd. 33 (1982), S. 367–375.
Auch wissenschaftlich ist das übersetzerische Handeln Arendts bisher kaum untersucht worden. Es überwiegen allgemeine Aussagen zu seiner Bedeutung als Vermittler und Übersetzer oder eine „Übersetzungskritik“ (im unspezifischen Sinn) im Zuge von literaturwissenschaftlichen Untersuchungen der jeweiligen Autoren und Werke.
Die Leistungen Erich Arendts als Übersetzer sind vielschichtig. Unbestritten ist sein Verdienst, mit der Gesamtheit seiner Übertragungen entscheidend zur Neustrukturierung des deutschen literarischen Felds nach 1945 beigetragen und wichtige Vertreter der spanischsprachigen Lyrik wie Alberti, Aleixandre und Neruda dauerhaft im Deutschen präsent gemacht zu haben. Die Figur des „Dichter-Übersetzers“ hat sicher dazu beitragen können, die übersetzten Werke zu etablieren.
Bezieht man das paratextuelle Beiwerk des Übersetzers Erich Arendt in die Betrachtung ein, so erweist sich diese Leistung als ein bewusstes und langfristig angelegtes Projekt der literarischen Vermittlung durch Übersetzung. Seine Vor- und Nachworte, die insbesondere die frühen Übersetzungen begleiten, erfüllen die Funktion der Annäherung des deutschen Publikums an fremde und unbekannte Autoren, Werke und kulturelle Wirklichkeiten. Dieser aufklärerische Gestus in den Paratexten äußert sich in umfassender historischer, politischer wie kultureller Kontextualisierung von Autoren und Werken, liefert Verständnishilfen für Zusammenhänge und versucht, über die „universelle“ Konstante des politischen und sozialen Kampfes einen gemeinsamen Erfahrungs- und Erwartungshorizont zwischen Werk und Leserschaft zu umreißen. Literatur dient in diesem Verständnis einer politisch erfüllten und ausgerichteten Erkenntnis, dem Blick in die Welt mit dem Ziel, die großen Zusammenhänge der sozialen Ungerechtigkeit und des sozialen Kampfes zu erkennen, ohne sich deswegen jedoch auf „engagierte Literatur“ reduzieren zu lassen.
Sein eigenes übersetzerischer Handeln thematisiert Erich Arendt in seinen Begleittexten nicht, auch nicht bei eingehender Besprechung von Textbeispielen, für die er seine eigenen Übertragungen heranzieht. Seine Übertragungen selbst verweigern sich der aufklärerischen Geste der Paratexte und beharren bewusst auf der Uneindeutigkeit und teilweise Unverständlichkeit von Dichtung. Die deutschen Übertragungen sollen keine Erklärungen und Interpretationshilfen liefern oder gar vom Übersetzer geleistetes Verstehen eindeutig formulieren. Dies wird in einem seltenen Moment deutlich, in dem Erich Arendt in seinem außerordentlich umfassenden Nachwort zu Pablo Nerudas Der Große Gesang (deutsche Erstausgabe 1953) sein Verständnis von Lyrik-Übersetzung formuliert:
Es ist in seinem Grunde ein verständliches Werk – auch wenn etwas Geheimnisvolles, das jeder großen Dichtung eigen ist, bleibt und ein gewisses Kunstverständnis verlangt, um den letzten Reichtum dichterischer Schönheit ausschöpfen zu können. Das ästhetische Reich der Gesänge „Der Große Ozean“, „Machu Picchu“, „Chiles großer Gesang“ und „Amerika, ich rufe deinen Namen nicht vergeblich an“ verschließt sich jedoch keinem, der der Dichtung offenen Sinn und wahrhaft Liebe entgegenbringt.2Erich Arendt: Nachwort. In: Pablo Neruda: Der große Gesang – Canto General. Übertragen von Erich Arendt. Berlin 1953, S. 649–650.
Dieser nur scheinbare Widerspruch bringt eine translationswissenschaftlich interessante Grundhaltung zum Ausdruck, die sich auf allen Ebenen des Übersetzungsprozesses darum bemüht, das Fremde einerseits als fremd anzuerkennen und anzunehmen, es jedoch nicht in dieser Fremdheit oder Alterität zu verabsolutieren. Eine Gratwanderung, die insbesondere in der Übersetzung von Lyrik sichtbar wird.
Eine detaillierte Analyse des konkreten übersetzerischen Tuns von Erich Arendt gestaltet sich schwierig, da die Genese seiner Übertragungen noch nicht hinreichend rekonstruiert wurde. Allgemein geht die Forschung davon aus, dass neben den gemeinsam von Erich Arendt und Katja Hayek-Arendt gezeichneten Übertragungen auch diejenigen Übersetzungen stark von Katja Hayek-Arendt mitgetragen wurden, die öffentlich nur den Namen Erich Arendts tragen. Man kann davon ausgehen, dass in der grundsätzlichen Arbeitsteilung des Ehepaars Katja Hayek-Arendt interlineare Übersetzungen als „Rohfassungen“ erstellte, auf deren Grundlage Erich Arendt seine „Nachdichtungen“ anfertigte und dieses Modell für alle von Erich Arendt angefertigten Übertragungen gültig ist.
Unabhängig davon wären ebenfalls noch eingehend die Wechselwirkungen zwischen Erich Arendts dichterischem und „nachdichterischem“ Werk zu untersuchen, um unter anderem die interessante Spannung zwischen der bewussten sprachlichen Innovation als Übersetzer und den möglicherweise unbewussten konservativen Tendenzen seiner Formsprache als Dichter zu ergründen. Ein weiterer Aspekt wäre die bisher nur angerissene Frage, ob und inwieweit das übersetzerische Werk Erich Arendts die ihm durch das Exil aufgezwungene Welterfahrung aufnahm und seinerseits das dichterische Werk erst zur vollen Entfaltung brachte.
Die wichtigste Quelle für die hier angedeuteten und weitere Forschungsdesiderate ist das Erich Arendt-Archiv in der Akademie der Künste in Berlin.3Archiv, Sammlung und Bibliothek, 7 lfm., 240 Bde., ‹www.adk.de/de/archiv/archivbestand/literatur/?hg=literatur&we_objectID=245› (20. Juni 2015).
Anmerkungen
- 1Die von Jürgen von Stackelberg unternommenen ausführlichen Kritiken an Arendts Neruda-Übersetzungen sind in diesem Zusammenhang gesondert zu erwähnen. Sie sind gekennzeichnet von dem Gestus einer „Übersetzungskritik“ im traditionellen Sinne, die vor dem Hintergrund nicht immer explizit dargelegter Kriterien wie „Treue“, Autorintention, „Sinngehalt“ oder „Richtigkeit“ vorhandene Übersetzungen vor allem als fehlerhaft darstellen. Darüber hinaus drängt sich der Eindruck auf, dass nicht die Qualität der Übersetzungen an sich zur Diskussion gestellt werden, sondern die Deutungshoheit über Nerudas Werk in der deutschen Rezeption bzw. das langjährige „Monopol“ Erich Arendts als deutscher Übersetzer Pablo Nerudas. Jürgen von Stackelberg: Neruda deutsch: Pablo Neruda: Dichtungen 1919 – 1965. In: Romanistisches Jahrbuch Bd. 19 (1968), S. 286–293; Neruda – Gedichte, übersetzt von St. Hermlin, E. Arendt, R. Hagelstange, J.v. Stackelberg. In: Weltliteratur in deutscher Übersetzung. Vergleichende Analysen. München 1978, S. 218–235; Neruda in neuer Übersetzung. In: Romanistisches Jahrbuch Bd. 33 (1982), S. 367–375.
- 2Erich Arendt: Nachwort. In: Pablo Neruda: Der große Gesang – Canto General. Übertragen von Erich Arendt. Berlin 1953, S. 649–650.
- 3Archiv, Sammlung und Bibliothek, 7 lfm., 240 Bde., ‹www.adk.de/de/archiv/archivbestand/literatur/?hg=literatur&we_objectID=245› (20. Juni 2015).