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Stefania Goldenring, 1874–1920

28. April 1874 Łódź (Kongresspolen) - 17. Februar 1920 Berlin (Deutsches Reich)
Original- und Ausgangssprache(n)
Französisch, Italienisch, Jiddisch, Polnisch, Russisch

Für die Jahre 1900 bis 1920 lassen sich in Bibliotheks- und Antiquariatskatalogen an die fünfzig Bücher ermitteln, die eine Stefania Goldenring aus dem Russischen, Polnischen, Jiddischen, Französischen und Italienischen übersetzt haben soll. Sucht man jedoch nach genaueren Informationen über Goldenrings Lebensstationen, ihre Sprach- und Topobiographie sowie ihre Position im deutschen Übersetzungsbetrieb, fällt das Resultat dürftig aus. Wikipedia kennt sie bisher (Stand 4. August 2023) gar nicht, im 21 Bände umfassenden Lexikon deutsch-jüdischer Autoren (1992–2012) wird sie ebenfalls nicht erwähnt.

In zeitgenössischen Quellen wie Kürschners Deutschem Literaturkalender wurde sie erstmals 1902 als in Charlottenburg, Uhlandstr. 194 wohnende Übersetzerin für die Sprachen Polnisch und Russisch genannt (Kürschner 1902: Sp. 449). 1903 wurden zwei von ihr übersetzte und im Vorjahr erschienene Bücher mit ihren Kurztiteln hinzugefügt: „Gorki, E. wildes Mädchen (Warenka Olessow), R. 02; ders. Der rote Washa u.a. Nov. 02“ (Kürschner 1903: Sp. 437). 1904 (Sp. 437) und 1905 (Sp. 437) gab es keine Buchtitel und Namen übersetzter Autoren, die beiden Einträge waren identisch mit dem ersten von 1902. 1906 erschien u.a. ein Hinweis auf ein Pseudonym:

Goldenring, Frl. Stefania (Ps. Dr. Stephan Roskoschny), ASV., Ue: PR. Charlottenburg, Uhlandstr. 194. V: Polnisch (Neufelds Sprachführer) 05. (Kürschner 1906: Sp. 460)

Aus den knappen Einträgen den Jahre 1902 bis 1906 geht hervor, dass Stefania Goldenring ein „Fräulein“ (also unverheiratet) war, dass sie den männlichen Namen „Dr. Stephan Roskoschny“ als Pseudonym benutzte,1Das Pseudonym – Roskoschny – zeugt wohl von einem ausgeprägten Sinn für Humor, „rozkoszny“ heißt auf Polnisch so viel wie „reizend“, „entzückend“ oder „wonnig“ (Hinweis von Rafał Żytyniec; Email 8. August 2023). dass sie Mitglied im ASV, dem 1900 gegründeten Allgemeinen Schriftsteller-Verein war,2Ziel lt. Kürschner 1906: „Förderung der Standesinteressen, Vertretung in Rechtsfällen, Unterstützung von Schriftstellern, Nachdruckskontrolle, Stellenvermittlung, Kritik, Veranstaltung von Vortragsabenden, Geselligkeit […] Organ Die Feder […] Jahresbeitrag 7 Mark.“ Vgl. zum ASV und seinem Scheitern als „übergreifende Gesamtvertretung“ der schreibenden Zunft im Deutschen Kaiserreich Amlinger (2021: 122–125).dass sie aus zwei Sprachen übersetzte, aus dem Polnischen und Russischen, dass sie in der Uhlandstraße 194 in (Berlin-)Charlottenburg wohnte, dass sie zwei Bücher mit übersetzten Gorki-Texten veröffentlicht hat und dass im Jahr 1905 ein von ihr verfasstes (= „V“) Buch mit dem Titel Polnisch in der Reihe Neufelds Sprachführer erschienen war.3Der Titel lautet vollständig: Polnisch: Eine reiche Sammlung nützlicher Gespräche mit Aussprachebezeichnung nebst systematischem Vokabular und kurzgefasster Grammatik. VIII, 234 S. Berlin: Neufeld & Henius 1905. (Neufelds Sprachführer für Haus und Reise, Bd. 4). Die Wahl eines männlichen Pseudonyms plus Doktortitel sollte vermutlich potentielle Käufer von der Seriosität des Sprachlehrwerks überzeugen. Die Deutsche Nationalbibliothek hat an ihren Standorten Leipzig und Frankfurt/M. kein Exemplar des Buches, wohl aber die Polnische Nationalbibliothek in Warschau, dort die 3. Auflage von 1911.

Die Einträge im Kürschner erfuhren bis 1917 (Jg. 39) Veränderungen bei der Berliner Adresse (ab 1911 Knesebeckstr. 17, ab 1916 Pariserstr. 50); die Angaben zum Personenstand (unverheiratet), zum Pseudonym und zur Verfasserschaft blieben sich gleich. Außer dem Polnisch-Sprachbuch scheint Goldenring keine weiteren „eigenen“ Werke veröffentlicht zu haben, nur dieser eine Titel wurde Jahr für Jahr genannt.4Goldenring könnte tatsächlich eine „Nur-Übersetzerin“ gewesen sein, außer dem Polnisch-Lehrbuch von 1905 ist mir lediglich ein Originalbeitrag von ihr begegnet, der Aufsatz Musik im Hause Tolstois von 1908. Eine Veränderung gab es bei der Angabe zu Verbänden, ab 1913 wurde zusätzlich zum „ASV“ ein „DSch“ vermerkt, womit die Mitgliedschaft im 1896 gegründeten Deutschen Schriftstellerinnenbund, E.V. gemeint war,5Ziel lt. Kürschner: „Gemeinsame Interessen zu fördern, persönliche Bekanntschaft und Kenntnis der Werke der Mitglieder zu vermitteln […] Sitzungen 14tägig […] Vereinsblatt Geistiges Eigentum. Mitglied des Bundes Deutscher Frauenvereine“ (Kürschner 1913: Sp. 28, S. 2177). zwei Jahre später war dafür die Mitgliedschaft im ASV getilgt. Zur Sprachenpalette wurde 1914 das Französische als dritte Sprache hinzugefügt, außerdem gab es ab 1909 eine stetig wachsende Liste mit Namen jener Autoren, deren Werke Goldenring übersetzt hatte. 1917 waren im 39. Jahrgang des Kürschner verzeichnet: „Gorki, Sienkiewicz, Zeromski, Zapolska, Sieroszewski, Danilowski, Fréd. Lolliée.“ Der 40. Jahrgang erschien kriegs- und nachkriegsbedingt erst 1922, in ihm steht der Name Stefania Goldenring in der Rubrik Die Toten der letzten Jahre (Kürschner 1922: Sp. 9).

Neuere biographische Sammellexika übernehmen die Angaben der Kürschner-Bände, aus anderen Quellen (Heuer 1981) stammen Informationen zu ihrem Geburts- und Sterbedatum (28. April 18746Man begegnet auch 1873 als Geburtsjahr, vgl. Fußnote 7.bzw. 17. Februar 1920) sowie zum Geburtsort (Lodsch/Łódź).7Laut der am 18. Februar 1920 ausgestellten Berliner Sterbeurkunde wurde „die ledige Schriftstellerin Stefania Goldenring, 46 Jahre alt, mosaischer Religion […] zu Warschau, Russland“ geboren, als „Tochter des Kaufmanns Isidor Goldenring und seiner Ehefrau Flora geborenen Ungar, beide verstorben, zuletzt wohnhaft in Charlottenburg“; aus der Angabe „46 Jahre alt“ ergibt sich als Geburtsjahr 1874 (Landesarchiv Berlin, P Rep. 809, Standesamt – Berlin XI, Nr. 222, Sterberegister 1920, Nr. 302).. Einmal findet sich der Hinweis auf ein weiteres Pseudonym (Lena bzw. Leona Wallenrod)8Vgl. International Encyclopedia of Pseudonyms, Eintrag zu Goldenring, Stefania, www.degruyter.com/database/IEP/entry/pseudo_03_266368/html (Aufruf 5. August 2023); vgl auch Jankowski (1996: 192); Veröffentlichungen unter diesem Namen konnte ich bisher nicht finden. und mitunter werden die Angaben zum Pseudonym so interpretiert, dass Stefania Goldenring das Pseudonym eines Dr. Stephan Roskoschny gewesen sei und somit für sie bzw. ihn als „gender“ „male“ angesetzt werden muss.9Vgl. den WBIS-Eintrag unter www.wbis.degruyter.com/biographic-document/J019-301-7, der als Quellen den Semi-Kürschner von 1913 sowie Heuer (1981) nennt (Aufruf 5. August 2023). Alle biographischen Sammelwerke haben die Gemeinsamkeit, dass zu Goldenrings Lebensweg (jüdische Herkunft?10Auf sie verweist außer dem explitzit rassistisch-antisemitischen Semi-Kürschner von 1913 und der Sterbeurkunde (vgl. Fußnote 7) auch Drewniak (1999: 403)., wann kam sie aus Kongresspolen nach Deutschland?), zu ihrer Sprachbiographie sowie zu ihrem übersetzerischen Werk keine über die schlichte Nennung von drei Sprachen (Russisch, Polnisch, Französisch) und einigen Autorennamen hinausgehende Informationen geboten werden.

Für eine Charakterisierung ihres übersetzerischen Tuns bzw. translatorischen Œuvres ist man auf die eingangs erwähnten Titelverzeichnisse angewiesen. Am gründlichsten erfasst sind bisher ihre als Bücher oder auch in Zeitschriften zwischen 1900 und 1965 veröffentlichten Gorki-Übersetzungen. Die Bibliographie Maxim Gorki in Deutschland nennt für das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts sechs unterschiedliche Buchübersetzungen, dazu zahlreiche unselbständig erschienene Übersetzungen, beginnend 1901 mit „autorisierten Übersetzungen“ der Erzählungen Der Chan und sein Sohn und Sechsundzwanzig und eine in der renommierten Vossischen Zeitung (vgl. Czikowski u.a. 1968). Insgesamt 37 Einträge der Gorki-Bibliographie entfallen auf Goldenring, bei ihren zeitgenössischen Übersetzer-Hauptkonkurrenten Arthur Luther und August Scholz sind es 93 bzw. 130. Nach 1909 scheint sie keine Gorki-Texte mehr übersetzt zu haben, ihre Versionen wurden jedoch in den 1920er Jahren häufig nachgedruckt, ein Titel in 20.000 Exemplaren auch noch 1946 im Aufbau-Verlag (Berlin, SBZ). In dem Band mit Gorkis Märchen und Erzählungen Die Kinder aus Parma (Berlin/DDR: Kinderbuchverlag) ist sie 1976 unter den beteiligten Übersetzern aufgeführt.

An weiteren Übersetzungen aus dem Russischen finden sich unter dem Titel Im Glücksrausch ein in Reutlingen 1903 verlegter Band mit Erzählungen von Anton Tschechow, 1908 mit dem Hinweis „vollständige Ausgabe“ der seinerzeit skandalumwitterte, in vielen Ländern (auch im Deutschen Reich) zeitweise verbotene Roman Ssanin von Michail Arzybaschew11„Liebesraserei in Russland“, „erotische Bewegung“, „sexuelle Revolution“ – mit diesen Schlagworten wurde der Roman vermarktet. Die erste deutsche Version erschien 1907/08 bei Georg Müller in München, übersetzt von André Baillard und S. Bugow; sie wurde beschlagnahmt, der Prozess um das Verbot des Buches samt zahlreicher, auch translationshistorisch interessanter Zensur-Gutachten, wurde vom Verlag 1909 dokumentiert (jetzt nachlesbar unter www.projekt-gutenberg.org/arcybase/ssanin/chap001.html). Eine dritte Übersetzung des Ssanin-Romans (von Lully Wiebeck) erschien 1919 mit dem Untertitel Sittenroman aus den Tagen der russischen Revolution. Solche Doppelt- und Dreifachübersetzungen resultierten aus der urheberrechtlich ungeschützten Lage russischer Autoren. sowie 1913 der Kaukasus-Roman Die Kosaken von Leo Tolstoi.

Neben das Russische traten ab 1907 Übersetzungen aus dem Jiddischen. Den Anfang machten 1907 die in zwei Auflagen erschienenen Erzählungen Bilder aus dem Ghetto (252 S.) von Schalom Asch, den August Scholz auf einer Reise nach Russland für Samuel Fischers Verlag entdeckt haben soll (Mendelssohn 1970: 426) und dessen Werke in den 1920er und 30er Jahren dann meist von Siegfried Schmitz für Löwit bzw. Zsolnay in Wien übersetzt wurden. Bei Asch beließ es Goldenring (oder ihr Verleger?) bei einer einzigen Übersetzung,12Vielleicht hat sie auch das Theaterstück Der Gott der Rache von Asch übersetzt, das ebenfalls 1907 bei Fischer herauskam; die Bibliographien nennen für das Werk keinen Übersetzer, Mendelssohn (1970: 426) erweckt den Eindruck, dass Scholz die Übersetzung angefertigt hat. bei Scholem Alejchem waren es zwei: 1914 ihre 435 Seiten starke Übersetzung der Erzählungen Aus dem nahen Osten bei Georg Müller in München, 1919 bei Oesterheld in Berlin der Band Die erste jüdische Republik (3. Aufl. 1925). Die in Aus dem nahen Osten enthaltenen Texte wurden in Goldenrings Version nach jahrzehntelanger Pause neu aufgelegt. Ausgelöst durch den Erfolg des Anatevka-Films (Fiddler on the Roof, 1971) erschienen sie ab 1972 bei Langen-Müller unter dem Titel Geschichten aus Anatevka, dann auch als Lizenzausgaben 1973 im Bertelsmann-Lesering, 1977 als Fischer-Taschenbuch, 1986 als dtv-Taschenbuch, 1992 als Ullstein-Großdruck.

Ab etwa 1910 ergab sich eine langfristige regelmäßige Zusammenarbeit mit dem Baudelaire-Übersetzer Erich Oesterheld (1884–1920), der zusammen mit Siegbert Cohn 1906 in Berlin den Verlag Oesterheld & Co gegründet hatte. Dort erschienen von Goldenring zwei aus dem Polnischen übersetzte Theaterstücke sowie zahlreiche Prosatexte der seinerzeit populären Schriftstellerin Gabriela Zapolska.13Bei den beiden Theaterstücken, einer „Erotischen Komödie“ und einer „Tragikomödie“ vermerkt die Bibliographie: „Bearbeitet von E. Oesterhelt“ bzw. „Deutsche Bühnenbearbeitung von E. Oesterhelt“ (Kuczyński 1987: 218f.). Neun Titel insgesamt weist die Bibliographie für die Jahre 1910 bis 1914 nach, sie erlebten vier (Aristokraten), sechs (Die Hölle der Jungfrauen), acht (Der Polizeimeister. Ein russischer Polizeiroman) oder – der Roman Wovon man nicht spricht – sogar zehn Auflagen. Nach dem Tod des Verlegers (1920) und seiner Übersetzerin (1920) erschienen im Oesterheld-Verlag 1924 Zapolskas Ausgewählte Romane in 9 Bänden mit einem Gesamtumfang von 6.370 Seiten (vgl. Kuczyński 1987: 218–220). Rein quantitativ – gemessen an Umfang wie Erfolg – wird man das als Goldenrings übersetzerische Hauptleistung charakterisieren können.

In welchem Umfang die polnische Autorin Kontakte zu Goldenring hatte, könnten Recherchen im Zapolska-Nachlass erkennen lassen. In der Warschauer Ausgabe der Zapolska-Briefe wird Goldenring zweimal erwähnt: Am 25. Januar 1917 bedankte sie sich bei ihrem Ehemann, dem Maler Stanisław Janowski, für „die Hilfe bei der Übersendung von Büchern an Fräulein Goldenring“ (Zapolska 1970: 611). Und am 25. Juni 1917 schrieb sie an Janowski, dass

ich Goldenring vorerst nicht mehr als Übersetzerin haben will. Der Grund dafür ist, dass sie über keinerlei Beziehungen zur Theaterwelt verfügt, während der Übersetzer der Warschauer Zitadelle [poln. Tamten; Übersetzer: Bernard Szarlitt] selbst Schauspieler ist und die Rolle in dem neuen Stück gerne spielen würde und sie auch spielen kann. (Ebd.: 630)14Die übersetzungsorientierte Auswertung der Zapolska-Briefbände und die deutsche Übersetzung einschlägiger Passagen verdanke ich Rafał Żytyniec, Ełk. Außer Stefania Goldenring wird in einem Brief von 1910 eine weitere Übersetzerin erwähnt: Julie Goldbaum, in deren Übersetzung 1908 an einem Theater in Berlin Zapolskas Stück Die Moral der Frau Dulski aufgeführt worden ist (vgl. Zapolska 1970: 467, 469 und 479).

Auch weitere von Goldenring aus dem Polnischen übersetzte Werke weisen einen erheblichen Umfang auf. 1906 (weitere Auflagen 1921 und 1932) erschien ihre Version des historischen Romans Quo vadis von Henryk Sienkiewicz, dem Nobelpreisträger des Jahres 1905. 1912 folgten Die Kreuzritter, die in gekürzter Fassung 1978 und 1981 nochmals in Westdeutschland und der DDR herausgegeben wurden. Auch die beiden Sienkiewicz-Bücher brachten es auf über 1000 Seiten, hinzukamen 1920 im Berliner Schreiter-Verlag von ihr übersetzte Gesammelte Werke des Nobelpreisträgers: zehn Bände mit jeweils ca. 100 Seiten (vgl. Kuczyński 1987: 169–185).

Zur polnischen Höhenkammliteratur wird man auch die beiden Romane von Stefan Żeromski zählen müssen, deren Übersetzungen 1910 bei Rütten & Loening (Die Geschichte einer Sünde, 725 S.) und 1916 bei Ullstein (Der Rächer. Ein Roman aus Polens schwerer Zeit, 420 S.) herauskamen. In die Zeit des Ersten Weltkriegs und ihrer Arbeit an Der Rächer fiel ein Vortrag, über den am 30. April 1915 die in Wien erscheinende Zeitschrift Polen – Wochenschrift für polnische Interessen in ihrer Rubrik „Die polnische Sache im Auslande / Deutschland“ berichtete:

Stefania Goldenring sprach kürzlich vor einem zahlreichen Publikum im „Berliner Frauenklub von 1900“ über Polens Land und Leute. Sie ging von Krakau, dem Herzen des alten und dem geistigen Zentrum des neuen Polen, aus und schilderte die Landbevölkerung des Krakauer und Tatra-Gebietes, ferner die Stämme der Ukraine und Litauens. Sehr unterhaltend wußte sie ihre Ausführungen zu gestalten, indem sie kleine Züge aus den uralten Volkssitten einstreute. Sie führte alsdann ihre Hörer durch die drei wichtigsten Städte Polens: Lemberg, Krakau und Warschau, überall das Charakteristische klug hervorhebend und oft in das Gebiet der Kunst und Geisteskultur, soweit es sich mit den einzelnen Städten verknüpft, abschweifend. Kluge und warme Worte widmete sie der polnischen Frau, deren starken Geist und männliche Energie sie rühmte und von der sie mit sichtlichem Stolze sagen konnte, daß sie in der Geschichte Polens eine größere Rolle spielt, als sonst die Frau zu tun pflegt. Ein paar geistreiche und temperamentvolle Erläuterungen über das Verhältnis zwischen Polen und Russen schlossen den interessanten Vortrag, für den Stefania Goldenring lebhafter Beifall gezollt wurde.

1913, also noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs, hatte Goldenring in der Buchserie Historische Romane großer Männer und Frauen des Berliner Beckmann-Verlags ihre einzige Übersetzung aus dem Französischen veröffentlicht, ein 422 S. umfassendes Werk von Frédéric Loliée: Der Herzog von Morny und die Gesellschaft des Zweiten Kaiserreiches: Nach den Familiendokumenten und geheimen Archiven des Ministeriums des Innern. Im Kürschner von 1914 ließ sie das Französische als ihre dritte Arbeitssprache eintragen.

Mit dem Italienischen hatte sie es zuvor anders gehandhabt, die Sprache ließ sie nicht in ihren Kürschner-Eintrag aufnehmen. Das dürfte auf jenen Verriss zurückzuführen sein, den ihre 1908 bei Continent in Berlin herausgekommene „einzigberechtigte [sic] Übertragung“ des Zeitromans La Terza Roma. Romanzo sociale contemporaneo bekommen hatte. Über den von dem italienischen Sozialisten, Gorki-Übersetzer und Berliner Korrespondenten Cesare Castelli geschriebenen Roman berichtete eher abschätzig („oberflächlich“, „taucht in die Niederungen des Kolportageromans“) der Historiker, Publizist und Italienisch-Übersetzer Maximilian Claar in der Wiener Zeit vom 13. Dezember 1908. Seine Rezension schloss er mit einer Beurteilung der deutschen Version:

Die deutsche Uebersetzung ist einfach ein Skandal. Allem Anschein nach ist die Muttersprache dieser deutschen Uebersetzerin aus dem Italienischen polnisch oder russisch, wenigstens kann sie weder genügend deutsch noch genügend italienisch, um einen Roman zu übertragen. Von italienischen Verhältnissen hat sie keine Ahnung, die gröbsten Mißverständnisse laufen ihr unter. Sie spricht sogar von einem Minister mit den Worten „es war Guardasigilli“, als ob das der Name wäre, während Guardasigilli (Großsiegelbewahrer) der Titel des Justizministers ist. Solcher Scherze habe ich beim ersten Durchlesen an sechzig notiert. Man muß hoffen, dieser „Vermittlerin“ der italienischen Literatur nicht wieder zu begegnen. Rom, Prof. Dr. Maximilian Claar15Kaum weniger freundlich äußerte sich 1910 Oda Olberg in der SPD-Zeitung Feuilleton der Neuen Zeit: „Was die Übersetzung betrifft, so trägt sie durchaus den Charakter des durch Grammatik und Wörterbuch, nicht durch den lebendigen Gebrauch erlernten Italienisch. So ist Giovane mit Jüngling übersetzt. Der Agro Romano gar, für den dies Wort beibehalten werden mußte, mit Romanischer Acker. Das Wort Firma, gleich Unterschrift, mit Firma; das Wort Palast finden wir immer wieder falsch angewendet und ähnliches mehr. Die Sprache ist korrekt und im ganzen frei von Unarten, aber auch frei von Eigenart.“

Claars vernichtende Kritik hat indes nicht verhindert, dass Goldenrings Das dritte Rom 1925 erneut aufgelegt wurde. Ob es sich dabei um eine korrigierte Version handelt, müsste noch geklärt werden. Interessant wäre schließlich auch, ob und wie Goldenring mit ihren anderen Veröffentlichungen als Übersetzerin von der zeitgenössischen Kritik wahrgenommen wurde. Hierfür wären die zwischen 1900 und 1925 erschienenen deutschen Zeitungen und Zeitschriften zu durchforsten, was beim gegenwärtigen Stand ihrer digitalen (Nicht-)Erschließung unmöglich zu leisten ist.

Deutlich weiter ist in puncto Digitalisierung und Volltextsuche die Österreichische Nationalbibliothek in Wien, in deren virtuellem Lesesaal man in zahlreichen historischen österreichischen Periodika recherchieren kann (www.anno.onb.ac.at). Mit dem Suchwort „Stefania Goldenring“ werden einem (Stand: 7. August 2023) von ANNO (=AustriaN Newspaper Online) Treffer in 38 Zeitungen bzw. Zeitschriften angezeigt. Der erste Treffer führt zur Gmundner Curliste vom 3. August 1901, in der auf Seite 5 aufgelistet ist, welche Kurgäste im Gasthof zum goldenen Brunnen untergekommen sind, u.a. ein „Frl. Stefania Goldenring, Berlin“ und vier weitere „Fräuleins“, alle Lehrerinnen aus Berlin und Breslau. Außerdem ein Fabrikant, ein Juwelier, ein Pfarrer, ein Gymnasialprofessor, eine Obertierarztwitwe usw. – insgesamt keine steinreichen Kurgäste (die residierten im Hotel Austria oder Hotel Bellevue), aber auch keine armen Schlucker. Darf man daraus schließen, dass Stefania Goldenring schon zu Beginn ihrer Übersetzer-Laufbahn über solide Einnahmen verfügte? Das wäre zu spekulativ, aber erkennbar ist zumindest, welcher sozialen Schicht sie zuzurechnen sein dürfte.

Der letzte Treffer auf ANNO führt zum Wiener Armeeblatt – Militärwissenschaftliche Wochenschrift für die Interessen unserer Land- und Seemacht. Im Heft 48/49 des 36. Jahrgangs erschien am 1./8. Dezember 1917 eine Kurzbesprechung der Sammlung Aus dem nahen Osten:

Erzählungen von Scholem Alechem, deutsch von Stefania Goldenring. Georg Müller, München, 436 S., M. 5.-. Vorzüglich erzählte Geschichten aus dem jüdischen Ghetto in Russisch-Polen und Galizien, überraschend durch die beißende Selbstironie („Jeder Jude ist ein Drehkopf!“ „Haben Sie schon einmal einen Kaufmann gekannt, der nicht Pleite gemacht hätte?“), mitunter aber auch ergreifend durch warme Gefühlsausbrüche, jedenfalls sehr interessant.

Ähnlich nichtssagend positiv urteilte die Wiener Jüdische Korrespondenz – Wochenblatt für jüdische Interessen am 15. November 1917 unter der Überschrift Aus dem Osten: „Einige der besten Skizzen Scholem-Alechems werden hier in vorzüglicher Uebersetzung dem deutschlesenden Publikum dargebracht […].“ Noch weniger aussagekräftig fiel die Schlussbemerkung zur Besprechung von Żeromskis Der Rächer aus, die am 25. April 1915 in der „Österr. Ungar. Zeitschrift“ Das Blatt der Hausfrau erschien: „In Stefania Goldenring hat der Verfasser eine feinfühlige Uebersetzerin gefunden.“ Genauso knapp, aber ausnahmsweise negativ urteilte in der Allgemeinen Zeitung des Judenthums am 18. Februar 1916 Ludwig Geiger über Goldenrings im Jahr zuvor erschienene Übersetzung der Skizzen Aus engen Gassen des damals noch auf Jiddisch (aber bereits in lateinischer Schrift) schreibenden Salamon Dembitzer: „Man liest sie gern, obgleich die Uebersetzung nicht einwandfrei ist.“

Wichtiger als solche Rezeptionssplitter sind die via ANNO zu findenden weiteren, in Bibliothekskatalogen nicht unter ihrem Namen erfassten Übersetzungen Goldenrings. So berichtete die Neue Freie Presse am 26. Januar 1906 über ihre im Berliner Verlag Continent veröffentlichte „einzig autorisierte Uebersetzung“ des Sachbuchs Korea – Land und Leute, nach eigener Anschauung gemeinverständlich geschildert von W[acław] Sieroszewski. Die positiven Erfahrungen mit dieser aus dem Polnischen erstellten Übersetzung könnten den Verlag veranlasst haben, Goldenring anschließend auch den italienischen Castelli-Roman ins Deutsche bringen zu lassen.

Ebenfalls via ANNO findet sich ein Hinweis auf die Österreichische Morgenzeitung, die am 16. Juni 1916 eine kurze Notiz über Goldenrings Mitwirkung bei der Verdeutschung eines Opernlibrettos veröffentlichte:

Ludomir von Rozyckis neue Oper Eros und Psyche ist vom Breslauer Stadttheater angenommen worden und wird im Jänner ihre Uraufführung erleben. Den Text von Zulanski haben Stefania Goldenring und Felicitas Leo für die deutsche Bühne bearbeitet.

Als besonders ergiebig erweist sich die ANNO-Datenbank bei der Suche nach Goldenrings unselbständig erschienenen Übersetzungen. Man ist erstaunt, in wie vielen Zeitungen sie einzelne Übersetzungen zunächst aus dem Russischen und Polnischen, vereinzelt dann auch aus dem Französischen und Jiddischen unterbringen konnte: Agramer Zeitung (1903, 1909), Prager Tagblatt (1903, 1904), Innsbrucker Nachrichten (1904, 1912), Czernowitzer Tagblatt (1904, 1911, 1912), Salzburger Wacht (1906, 1916), Egerer Anzeiger (1907), Mährisches Tagblatt (1912, 1915, 1916), Montags-Revue aus Böhmen (1912, 1915), Österreichische Morgenzeitung (1915, 1916, 1917), Die Zeit (1915). Man wird davon ausgehen können, dass sie in noch deutlich größerem Umfang auch reichsdeutschen Zeitungen ihre Übersetzungen einzelner Erzählungen erfolgreich angeboten hat, so dass ihr translatorisches Œuvre deutlich vielfältiger als bisher erkennbar gewesen sein dürfte.

Der Nachlass von Stefania Goldenring scheint sich nicht erhalten zu haben. Bei intensiver Suche im Netz stößt man auf kleinere Hinweise, etwa in einem digital einsehbaren Tagebucheintrag Erich Mühsams vom 21. Februar 1916, in dem er sich an Begegnungen im Kreis der Berliner Künstlervereinigung Die Kommenden in den Jahren 1902/03 erinnert und dabei neben den Schriftstellern Gustav Manz, Petko Todorow und Donald Wedekind auch Goldenring erwähnt. Aufschlussreich ist sodann der im Archivportal Kalliope verzeichnete Briefwechsel Goldenrings mit dem Leipziger Insel-Verlag. Vier Briefe haben sich erhalten, die sie 1902 und 1904, also in der Zeit ihres Kontakts zu Mühsam und den Kommenden an den kurz zuvor, im Oktober 1901, gegründeten Verlag gesandt hat. Sie gewähren Einblick in ihre Bemühungen, für von ihr selbst ausgewählte russische und polnische Autoren bzw. Texte Interesse bei einem jungen Verlag zu wecken, der noch nach Neuem Ausschau halten musste. In ihrem ersten Brief vom 16. August 1902 schrieb sie:

Ich habe erfahren, daß Sie eine Bibliothek russischer Autoren vorhaben und erlaube mir, Sie erg[ebenst] anzufragen, ob Sie geneigt wären ausgewählte Erzählungen von Anton Tschechow in Ihren Verlag aufzunehmen. Es ist soeben ein neuer Band mit sibirischen Erzählungen von Tschechow erschienen, die noch nicht übersetzt sind.

Ferner beabsichtige ich einen Band Novellen des erst seit wenigen Monaten viel genannten russischen Schriftstellers Leonid Andrejew herauszugeben, dessen Name Ihnen jedenfalls nicht unbekannt sein wird. Ich habe mehrere Novellen dieses Autors in Zeitungen veröffentlicht und könnte Ihnen eine Auswahl zur Prüfung sogleich einsenden. Andrejew wird als der begabteste unter den jungen Schriftstellern betrachtet, die sich um Gorki gruppieren, – und ich glaube bestimmt, daß er das deutsche Publicum interessieren wird. Ich besitze eine Photographie des Autors, die ich Ihnen gern zur Verfügung stellen würde. Auch bemühe ich mich, von Andrejew die Manuskripte seiner später zu veröffentlichenden Arbeiten zu erlangen, – so daß ich sie Ihnen als erste Übersetzungen anbieten könnte.

Ich hoffe, daß Sie für mein Projekt Interesse haben [und] erwarte Ihre ges[chätzte] baldige Rückäußerung, Hochachtungsvoll Stefania Goldenring. (GSA 50/28,1 ,1902-1904)

Der Verlagsleiter Rudolf von Poellnitz (1865–1905) antwortete postwendend, dass er für Tschechow bereits Vereinbarungen getroffen habe, aber von Andrejew gerne etwas kennen lernen würde, Goldenring möge ihm doch eine der bereits publizierten Geschichten zusenden. Das tat sie am 19. August 1902 – so zügig wurde damals zwischen Verlag und Übersetzer kommuniziert – am 20. hatte Poellnitz den Text gelesen und war zu der Einschätzung gelangt, dass Andrejew neben Autoren wie Garschin, Korolenko oder Tschechow zu sehr abfalle. Vielleicht werde sich später bei „anderen Sachen“ eine Zusammenarbeit ergeben. Wiederum postwendend, bereits am 21. August 1902, reagierte Goldenring auf die Absage mit weiteren Vorschlägen bzw. der Frage,

ob ich nicht irgend einen anderen Autor für Sie übersetzen könnte. Haben Sie über einen Gorki-Band schon eine Entscheidung getroffen? Ich habe diesen Schriftsteller im vorigen Winter viel übersetzt. Auch Potapenko dürfte für Sie in Betracht kommen. Ich hoffe, daß Sie mir eine Mitarbeit an Ihrer Bibliothek gestatten und mich gelegentlich mit dem Rahmen und dem Charakter derselben bekannt machen. Ich habe viele Beziehungen und würde mich auch gern für die Verbreitung Ihres Unternehmens interessieren. […] Ich übersetze ebenfalls aus dem Polnischen: vielleicht kämen Sienkiewicz, Orzeszko, Tetmajer u. a. für Sie in Betracht […]. (Ebd.)

Auf das Schreiben hat sich keine Antwort des Verlags erhalten. Am 24. Mai 1904 unternahm Goldenring noch einmal einen Versuch, eine Übersetzung bei Insel unterzubringen. Ausführlich stellte sie das Projekt einer polnischen Prosa-Anthologie vor, die „für den deutschen Leser als Charakteristik der neueren, interessanten polnischen Litteratur dienen soll“ (ebd.). Die Reaktion des Verlagsleiters Poellnitz fiel nun etwas schroffer aus. Zwar bedankte er sich für das in Goldenrings Brief enthaltene Angebot, dem er jedoch nicht

näher treten [könne], da ich für das laufende Jahr soviele Manuskripte angenommen habe, dass ich weitere nicht einschieben kann. Zudem hat sich für den Insel-Verlag die Notwendigkeit herausgestellt, nicht in diesem Masse weitere Uebersetzungen zu bringen, sondern erst einmal lieber deutsche Autoren zu Worte kommen zu lassen. (Ebd.)

Ob sich hinter den Absagen des Insel-Verlags auch Zweifel an Goldenrings übersetzerischem Können bzw. ihren Deutsch-Kenntnissen verbargen, wird sich nicht mehr klären lassen. Das Deutsch ihrer Briefe ist freilich so, dass sich Bedenken gemeldet haben dürften.

Festzuhalten ist, dass Goldenring zumindest in ihren ersten Übersetzerjahren mit eigenen Vorschlägen auf Verlage und gewiss auch Zeitschriften zugegangen ist. Wie die von ihr erwähnten „Beziehungen“ – und damit werden Kontakte zu russischen und polnischen Autoren gemeint gewesen sein – genauer aussahen, wird sich vielleicht noch durch Funde in polnischen und russischen Schriftstellernachlässen erkennen lassen.16Zum Beispiel finden sich im Archiv der Nationalbibliothek in Warschau Goldenring-Briefe an Ferdynand Hoesick, Wacław Nałkowski und Stefan Żeromski.

Goldenrings letzte Arbeit galt noch einmal einer Übersetzung „aus dem Jüdischen“ (so die Formulierung im Peritext), dem Band Jüdische Köpfe von Schemarja Gorelik, erschienen 1920 in Fritz Gurlitts Berliner Verlag für Jüdische Kunst und Kultur. Auf gut 100 Seiten enthält der Band 14 Porträts herausragender jüdischer Gestalten wie Spinoza, Georg Brandes, Theodor Herzl oder Heinrich Graetz, dann aber auch Beiträge zu den von Goldenring aus dem Jiddischen übersetzten Schriftstellern Scholem Alejchem und Schalom Asch. Als zweite Übersetzerin wird in dem Gorelik-Band die „radikalfeministische“ (Schmidt 70–2006: 229) Autorin Nadja Strasser (1870–1955) genannt, ohne dass erkennbar würde, wer von den beiden welches Porträt übersetzt hat. Ob von vornherein an eine kollaborative Übersetzung gedacht war oder ob Nadja Strasser die Arbeit fortgeführt hat, nachdem Goldenring erkrankt bzw. gestorben war, kann ich nicht sagen.

Anmerkungen

  • 1
    Das Pseudonym – Roskoschny – zeugt wohl von einem ausgeprägten Sinn für Humor, „rozkoszny“ heißt auf Polnisch so viel wie „reizend“, „entzückend“ oder „wonnig“ (Hinweis von Rafał Żytyniec; Email 8. August 2023).
  • 2
    Ziel lt. Kürschner 1906: „Förderung der Standesinteressen, Vertretung in Rechtsfällen, Unterstützung von Schriftstellern, Nachdruckskontrolle, Stellenvermittlung, Kritik, Veranstaltung von Vortragsabenden, Geselligkeit […] Organ Die Feder […] Jahresbeitrag 7 Mark.“ Vgl. zum ASV und seinem Scheitern als „übergreifende Gesamtvertretung“ der schreibenden Zunft im Deutschen Kaiserreich Amlinger (2021: 122–125).
  • 3
    Der Titel lautet vollständig: Polnisch: Eine reiche Sammlung nützlicher Gespräche mit Aussprachebezeichnung nebst systematischem Vokabular und kurzgefasster Grammatik. VIII, 234 S. Berlin: Neufeld & Henius 1905. (Neufelds Sprachführer für Haus und Reise, Bd. 4). Die Wahl eines männlichen Pseudonyms plus Doktortitel sollte vermutlich potentielle Käufer von der Seriosität des Sprachlehrwerks überzeugen. Die Deutsche Nationalbibliothek hat an ihren Standorten Leipzig und Frankfurt/M. kein Exemplar des Buches, wohl aber die Polnische Nationalbibliothek in Warschau, dort die 3. Auflage von 1911.
  • 4
    Goldenring könnte tatsächlich eine „Nur-Übersetzerin“ gewesen sein, außer dem Polnisch-Lehrbuch von 1905 ist mir lediglich ein Originalbeitrag von ihr begegnet, der Aufsatz Musik im Hause Tolstois von 1908.
  • 5
    Ziel lt. Kürschner: „Gemeinsame Interessen zu fördern, persönliche Bekanntschaft und Kenntnis der Werke der Mitglieder zu vermitteln […] Sitzungen 14tägig […] Vereinsblatt Geistiges Eigentum. Mitglied des Bundes Deutscher Frauenvereine“ (Kürschner 1913: Sp. 28, S. 2177).
  • 6
    Man begegnet auch 1873 als Geburtsjahr, vgl. Fußnote 7.
  • 7
    Laut der am 18. Februar 1920 ausgestellten Berliner Sterbeurkunde wurde „die ledige Schriftstellerin Stefania Goldenring, 46 Jahre alt, mosaischer Religion […] zu Warschau, Russland“ geboren, als „Tochter des Kaufmanns Isidor Goldenring und seiner Ehefrau Flora geborenen Ungar, beide verstorben, zuletzt wohnhaft in Charlottenburg“; aus der Angabe „46 Jahre alt“ ergibt sich als Geburtsjahr 1874 (Landesarchiv Berlin, P Rep. 809, Standesamt – Berlin XI, Nr. 222, Sterberegister 1920, Nr. 302).
  • 8
    Vgl. International Encyclopedia of Pseudonyms, Eintrag zu Goldenring, Stefania, www.degruyter.com/database/IEP/entry/pseudo_03_266368/html (Aufruf 5. August 2023); vgl auch Jankowski (1996: 192); Veröffentlichungen unter diesem Namen konnte ich bisher nicht finden.
  • 9
    Vgl. den WBIS-Eintrag unter www.wbis.degruyter.com/biographic-document/J019-301-7, der als Quellen den Semi-Kürschner von 1913 sowie Heuer (1981) nennt (Aufruf 5. August 2023).
  • 10
    Auf sie verweist außer dem explitzit rassistisch-antisemitischen Semi-Kürschner von 1913 und der Sterbeurkunde (vgl. Fußnote 7) auch Drewniak (1999: 403).
  • 11
    „Liebesraserei in Russland“, „erotische Bewegung“, „sexuelle Revolution“ – mit diesen Schlagworten wurde der Roman vermarktet. Die erste deutsche Version erschien 1907/08 bei Georg Müller in München, übersetzt von André Baillard und S. Bugow; sie wurde beschlagnahmt, der Prozess um das Verbot des Buches samt zahlreicher, auch translationshistorisch interessanter Zensur-Gutachten, wurde vom Verlag 1909 dokumentiert (jetzt nachlesbar unter www.projekt-gutenberg.org/arcybase/ssanin/chap001.html). Eine dritte Übersetzung des Ssanin-Romans (von Lully Wiebeck) erschien 1919 mit dem Untertitel Sittenroman aus den Tagen der russischen Revolution. Solche Doppelt- und Dreifachübersetzungen resultierten aus der urheberrechtlich ungeschützten Lage russischer Autoren.
  • 12
    Vielleicht hat sie auch das Theaterstück Der Gott der Rache von Asch übersetzt, das ebenfalls 1907 bei Fischer herauskam; die Bibliographien nennen für das Werk keinen Übersetzer, Mendelssohn (1970: 426) erweckt den Eindruck, dass Scholz die Übersetzung angefertigt hat.
  • 13
    Bei den beiden Theaterstücken, einer „Erotischen Komödie“ und einer „Tragikomödie“ vermerkt die Bibliographie: „Bearbeitet von E. Oesterhelt“ bzw. „Deutsche Bühnenbearbeitung von E. Oesterhelt“ (Kuczyński 1987: 218f.).
  • 14
    Die übersetzungsorientierte Auswertung der Zapolska-Briefbände und die deutsche Übersetzung einschlägiger Passagen verdanke ich Rafał Żytyniec, Ełk. Außer Stefania Goldenring wird in einem Brief von 1910 eine weitere Übersetzerin erwähnt: Julie Goldbaum, in deren Übersetzung 1908 an einem Theater in Berlin Zapolskas Stück Die Moral der Frau Dulski aufgeführt worden ist (vgl. Zapolska 1970: 467, 469 und 479).
  • 15
    Kaum weniger freundlich äußerte sich 1910 Oda Olberg in der SPD-Zeitung Feuilleton der Neuen Zeit: „Was die Übersetzung betrifft, so trägt sie durchaus den Charakter des durch Grammatik und Wörterbuch, nicht durch den lebendigen Gebrauch erlernten Italienisch. So ist Giovane mit Jüngling übersetzt. Der Agro Romano gar, für den dies Wort beibehalten werden mußte, mit Romanischer Acker. Das Wort Firma, gleich Unterschrift, mit Firma; das Wort Palast finden wir immer wieder falsch angewendet und ähnliches mehr. Die Sprache ist korrekt und im ganzen frei von Unarten, aber auch frei von Eigenart.“
  • 16
    Zum Beispiel finden sich im Archiv der Nationalbibliothek in Warschau Goldenring-Briefe an Ferdynand Hoesick, Wacław Nałkowski und Stefan Żeromski.

Quellen

Amlinger, Carolin (2021): Schreiben. Eine Soziologie literarischer Arbeit. Berlin: Suhrkamp. (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2363).
Claar, Maximilian (1908): Das dritte Rom [Rezension einer Goldenring-Übersetzung]. In: Die Zeit (Wien), Jg. 7 (1908), Nr. 2236 vom 13. Dezember 1908, S. 33.
Czikowsky, Erwin / Idzikowski, Ilse / Schwarz, Gerhard (1968): Maxim Gorki in Deutschland. Bibliographie 1899–1965. Veröffentlichungen des Instituts für Slawistik. Berlin (DDR): Akademie-Verlag.
Drewniak, Bogusław (1999): Polen und Deutschland 1919–1939. Wege und Irrwege kultureller Zusammenarbeit. Düsseldorf: Droste Verlag.
Goldenring, Stefania (1908): Musik im Hause Tolstois. In: Der Weltspiegel. Illustrierte Halbwochen-Chronik des Berliner Tageblatts, Nr. 20 vom 8. März 1908.
Heuer, Renate (1981): Bibliographia Judaica. Verzeichnis jüdischer Autoren deutscher Sprache. Bd.1. München: Kraus.
Jankowski, Edmund (1996): Słownik pseudonimów pisarzy polskich XV w. - 1970 r. T. 4, A-Ż. Wrocław: Zakład Narodowy im. Ossolińskich Wydawnictwo.
Kuczyński, Krzysztof A. (1987): Polnische Literatur in deutscher Übersetzung von den Anfängen bis 1985. Eine Bibliographie. Darmstadt: Deutsches Polen-Institut.
Kürschner 1902 = Kürschners deutscher Litteratur Kalender auf das Jahr 1902. Hg. von Joseph Kürschner. 24. Jg. Leipzig: Göschen.
Kürschner 1903 = Kürschners deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1903. Hg. von Hermann Hillger. 25. Jg. Leipzig: Göschen.
Kürschner 1904 = Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1904. Hg. von Dr. Heinrich Klenz. 26. Jg. Leipzig: Göschen.
Kürschner 1905 = Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1905. Hg. von Dr. Heinrich Klenz. 27. Jg. Leipzig: Göschen.
Kürschner 1906 = Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1906. Hg. von Dr. Heinrich Klenz. 28. Jg. Leipzig: Göschen.
Kürschner 1909 = Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1909. Hg. von Dr. Heinrich Klenz. 31. Jg. Leipzig: Göschen.
Kürschner 1913 = Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1913. Hg. von Dr. Heinrich Klenz. 35. Jg. Berlin, Leipzig: Göschen.
Kürschner 1914 = Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1914. Hg. von Dr. Heinrich Klenz. 36. Jg. Leipzig: Göschen.
Kürschner 1917 = Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1917. Hg. von Dr. Heinrich Klenz. 39. Jg. Berlin, Leipzig: Göschen.
Kürschner 1922 = Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1922. Hg. von Dr. G. Lüdtke und Dr. E. Neuner. 40. Jg. Leipzig: Göschen.
Mendelssohn, Peter de (1970): S. Fischer und sein Verlag. Frankfurt/M.: Fischer.
Olberg, Oda (1910): Das dritte Rom [Rezension einer Goldenring-Übersetzung]. In: Feuilleton der Neuen Zeit (Stuttgart), Nr. 28 (17. Juni 1910), S. 401f.
Schmidt, Birgit (2006): Die "Frauenpflichtlerin" – Zur Erinnerung an Nadja Strasser. In: Aschkenas – Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden Jg. 16 (2006), H.1, S. 229–259.
Semi-Kürschner 1913 = Semi-Kürschner, oder, Literarisches Lexikon der Schriftsteller, Dichter, Bankiers, Geldleute, Ärzte, Schauspieler, Künstler, Musiker, Offiziere, Rechtsanwälte, Revolutionäre, Frauenrechtlerinnen, Sozialdemokraten usw. jüdischer Rasse und Versippung, die von 1813 - 1913 in Deutschland tätig oder bekannt waren. Hg. von Philipp Stauff. Berlin: Selbstverlag.
Zapolska 1970 = Listy Gabrieli Zapolskiej, zebrała Stefanią Linowska, Bd. 2. Warszawa: Państwowy Instytut Wydawniczy.

Archiv

Goethe- und Schiller-Archiv, Klassik Stiftung Weimar: Bestand Leipzig / Insel-Verlag / Geschäftliche Unterlagen / Lektorat / Abgelehnte Verlagsangebote / Angebote von Verschiedenen zur Herausgabe ausländischer Literatur (A - H). GSA 50/28,1 (1902) und GSA 50/28,1 (1902-1904).
Landesarchiv Berlin: Auszug aus dem Sterberegister 1920.

Zitierweise

Kelletat, Andreas F.: Stefania Goldenring, 1874–1920. In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 19. November 2023.
CaptionStefania Goldenring an den Insel-Verlag, 18. August 1902 (mit freundlicher Genehmigung des Goethe- und Schiller-Archivs Weimar, Foto: Klassik Stiftung Weimar, Signatur: GSA 50/28,1 (1902)).
Publication Date21. August 2023
Stefania Goldenring an den Insel-Verlag, 18. August 1902 (mit freundlicher Genehmigung des Goethe- und Schiller-Archivs Weimar, Foto: Klassik Stiftung Weimar, Signatur: GSA 50/28,1 (1902)).

Bibliographie (Auszug)

Übersetzungen (Buchform)

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