Gotthold Ephraim Lessing, 1729–1781
Als „Übersetzer“ hätte Gotthold Ephraim Lessing sich selber wohl nicht bezeichnet, obwohl Übersetzungen dem Umfang nach einen nicht unerheblichen Teil seiner frühen Schriften ausmachen.
Gotthold Ephraim Lessing wurde am 22. Januar 1729 als Sohn eines protestantischen Pfarrers in Kamenz (Oberlausitz) geboren. Sein Lebenslauf war von einer Abfolge unterschiedlicher beruflicher Tätigkeiten und entsprechend häufigen Ortswechseln geprägt. Fremdsprachen spielten früh eine Rolle. Bereits an der Fürstenschule St. Afra, die er von 1741 bis 1746 besuchte, wurde er nicht nur mit dem Griechischen, Lateinischen und Französischen vertraut gemacht, sondern auch bereits mit der englischen Sprache und Literatur (vgl. Nilges 2008: 86). Nach dem Schulabschluss immatrikulierte sich Lessing in Leipzig als Student der Theologie, zwei Jahre später wechselte er kurzzeitig zur Medizin. Noch während des Studiums entstanden seine ersten eigenen Theaterstücke sowie Übersetzungen aus dem Französischen. Nachdem er sich 1748 entschlossen hatte, die Existenz eines freien Schriftstellers zu führen, lebte er zunächst in Berlin, wo er Kontakte zu Schriftstellern und Verlegern knüpfte und für verschiedene Zeitungen arbeitete. Bereits mit 24 Jahren veröffentlicht er eine mehrbändige Ausgabe seiner Gedichte und Theaterstücke. 1756 kehrte er aus Geldnöten nach Leipzig zurück, wo er seinen Lebensunterhalt u. a. mit Übersetzungen verdiente. In Berlin erschienen 1759 die Briefe, die neueste Litteratur betreffend, die Lessings Ruf als maßstabsetzender Literatur- und Übersetzungskritiker begründeten. Immer noch in finanzieller Bedrängnis, nahm er in Breslau die Stelle eines Gouvernementssekretärs beim Generalleutnant Tauentzien (1760–1764/65) an. Nach 1760 legte Lessing keine umfangreicheren Übersetzungen mehr vor. Zusammenfassend urteilt eine Berliner Dissertation aus den späten 1920er Jahren:
Mit der Uebersiedlung nach Breslau ist Lessings Uebersetzertätigkeit im wesentlichen abgeschlossen. Verbesserung seines Stils, Vermehrung und Verfeinerung seiner Kenntnisse verdankt er dieser Lehrzeit. Jetzt beginnt er ein Kritiker und Denker von europäischer Bedeutung zu werden und die vorbereitende Aufgabe des Uebersetzungswerkes ist erfüllt. (Pǎtrǎscanu 1928: 18)
Nach einem erneuten Intermezzo in Berlin ging Lessing 1767 nach Hamburg. Dort war er am Projekt des Hamburger Nationaltheaters beteiligt und betrieb gemeinsam mit Johann Joachim Christoph Bode eine Druckerei und einen Selbstverlag. Ausgehend von den in Hamburg verfassten Theaterkritiken veröffentlicht Lessing seine dramentheoretischen Überlegungen unter dem Titel Hamburgische Dramaturgie (zwei Bände, 1767, 1769). 1769 wechselte er nach Wolfenbüttel, wo er im Dienste des Braunschweiger Herrscherhauses als Bibliothekar tätig war. 1775 führten ihn Reisen nach Wien und Italien. Am 15. Februar 1781 starb Lessing in Braunschweig. Vor allem drei seiner Theaterstücke haben bis heute ihren kanonischen Rang bewahren können, das Lustspiel Minna von Barnhelm (1767), das bürgerliche Trauerspiel Emilia Galotti (1772) sowie das dramatische Gedicht Nathan der Weise (1779).
Sein Gesamtwerk ist seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in mehreren Gesamtausgaben ediert worden, in denen das übersetzerische Œuvre jedoch kaum Berücksichtigung fand. So sind Lessings Übersetzungen in der bis heute maßgeblichen kritischen Edition von Lachmann/Muncker (1886–1924) weitgehend ausgespart. Neuere Ausgaben erfassen die Übersetzungen zwar in größerem Umfang, aber nicht vollständig, so wie sie es verdienten. Erst 2011 hat die Lessing-Akademie Wolfenbüttel, gefördert durch die DFG, nahezu sämtliche Übersetzungen Lessings nebst Originaltexten online zugänglich gemacht (LÜ).
Lessings im Wesentlichen zwischen 1750 und 1760 entstandenes übersetzerisches Œuvre umfasst ca. 7000 Druckseiten bzw. über 75 Titel, darunter 14 Monographien. Die kürzeren, z. T. fragmentarischen Übersetzungen erschienen meist in Zeitschriften, die Lessing selber herausgab. Obwohl er den Großteil seiner Übersetzungen in seinen jungen Jahren verfasst hat, in denen er häufig unter Geldsorgen litt, dürfte ihm sein Übersetzen nicht als reiner Broterwerb gegolten haben. Jutta Golawski-Braungart (2008: 115) hat weitaus weniger prosaische Gründe namhaft gemacht. Sie nennt nicht nur Lessings Bemühen um die eigene Ausdrucksfähigkeit und, damit einhergehend, um die Bereicherung der deutschen Sprache, sondern auch das aufklärerische Anliegen, anderswo gewonnene Erkenntnisse einem deutschsprachigen Publikum zur Kenntnis zu bringen.
Lessing übersetzte vor allem aus dem Französischen und Englischen, daneben auch aus dem Spanischen, Italienischen und Lateinischen. Wie bei einem Dichter-Übersetzer nicht anders zu erwarten, haben die literarischen Übertragungen ungleich größere Beachtung gefunden als die Übersetzungen von Sachtexten. Wegen der Fülle des Materials können hier nur einige wenige exemplarisch vorgestellt werden.
Um mit den Übersetzungen aus dem Französischen und hier mit den historischen Schriften zu beginnen: Bereits 1751 erschien in der von seinem späteren Intimfeind Gottsched herausgegebenen Zeitschrift Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit Lessings erste Übersetzung Des Herrn von Voltäre Abhandlung von den Verschönerungen der Stadt Paris. Diesen und 14 weitere kleinere Aufsätze, die „unter uns weniger bekannt worden, und hätten es vielleicht mehr verdienet“, versammelte Lessing 1752 unter dem Titel Des Herrn von Voltaire Kleinere Historische Schriften – in dem ausdrücklichen Wunsch, sie „in einer Übersetzung beisammen zu finden“ (Vorrede des Uebersetzers, LÜ Voltaire: Schriften). In der Vorrede charakterisiert Lessing Voltaires mit „theatralischer Verschönerung“ arbeitende Geschichtsschreibung und äußert sich zu einem bestimmten Verzicht:
An verschiedenen Orten hätte der Uebersetzer Anmerkungen machen können; und wer weiß, ob man es ihm nicht übel nimmt, sie nicht gemacht zu haben? Er würde es wenigstens manchem geschwornen Anmerkungsschmierer nicht übel nehmen, wenn er seinem Exempel folgete. (ebd.)
In den Jahren 1753 bis 1754 erschien Des Abts von Marigny Geschichte der Araber unter der Regierung der Califen in drei Bänden, von denen Lessing die Übersetzung des ersten und eines großen Teils des zweiten Bandes besorgt hatte. Als Beweggrund für die Übersetzung nennt Lessing in der Vorrede des Uebersetzers seine eigene Sympathie für die arabische Welt, auf die bisher noch kaum Licht gefallen sei:
Die Ursachen, welche der Abt von Marigny gehabt hat, diese Geschichte der Araber zu schreiben, sind eben die Ursachen, welche mich bewogen haben, seine Arbeit zu übersetzen. Er fand in seiner Sprache sehr wenig Nachrichten von einem Volke, dessen Thaten unsrer Neugierde nicht unwürdiger sind, als die Thathen der Griechen und Römer: ich fand in der meinigen fast gar keine teutsch. Was er in andern, besonders in den gelehrten, Sprachen davon fand, waren zerstreuete Glieder. Er gerieth auf den Einfall, ein ganzes daraus zu machen; und vielleicht würde ich selbst darauf gerathen seyn, wann er mir nicht zuvor gekommen wäre. (LÜ Marigny: Geschichte der Araber I)
Es gelte daher, die in ihrer populärwissenschaftlichen Art erste Geschichte Arabiens einem Lesepublikum zugänglich zu machen, ungeachtet dessen, dass Siegmund Jakob Baumgarten, seinerzeit einflussreicher Theologe und Historiker, dem des Arabischen unkundigen Marigny mangelnde Kenntnis von Primärquellen vorgeworfen habe (vgl. Nisbet 2013: 154).
Deutlich mehr Aufmerksamkeit als die nichtliterarischen Übersetzungen haben Lessings Übertragungen von (zumeist französischen) Dramen (Denis Diderot) und theatertheoretischen Schriften (Francesco Riccoboni, Pierre Corneille, Jean Baptiste Dubos) erlangt, insofern diesen eine besondere Bedeutung für die Theorie und Praxis seines eigenen Theaters beigemessen wird.1Neben Roland Mortiers klassischer Studie Diderot in Deutschland (Mortier 1972), den Beiträgen von Lamport 2000 oder Immer/Müller 2008 sowie der kommentierten zweisprachigen Ausgabe von Das Theater des Herrn Diderot (Diderot/Lessing 2014) ist vor allem die Dissertation Die Schule der Franzosen. Zur Bedeutung von Lessings Übersetzungen aus dem Französischen für die Theorie und Praxis seines Theaters von Jutta Golawski-Braungart (2005) zu nennen, die neben den Diderot-Übersetzungen auch die Übersetzungen von Texten Riccobonis, Corneilles und Dubos in den Blick nimmt.
Was Francesco Riccoboni in L’Art du Théâtre zur gestischen Darstellung von Gefühlen auf der Bühne theoretisch abhandelte, hat sich Lessing, der Die Schauspielkunst 1750 vorlegte, in seinem ersten Trauerspiel Miss Sarah Sampson (1755) praktisch zunutze gemacht (vgl. Golawski-Braungart 2005: 40–44). Ebenfalls 1750 erschien Lessings Übersetzung von Corneilles Trois discours, drei dramentheoretischen Schriften, die seine eigene Aristoteles-Exegese dahingehend beeinflussten, dass er abweichend von der traditionellen Auffassung „phobos“ als „Furcht“ (bei Corneille: „crainte“) und nicht als „Schrecken“ interpretierte. 1755 übersetzte Lessing die Dissertation sur les représentations théâtrales des Anciens des Abbé Dubos (Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten) in der es wiederum um die Rolle von Gesten im Theater ging, dieses Mal auch in Kombination mit sprachlichen Gesten. An der Übersetzung fällt auf, dass Lessing Dubosʾ Typologie der Gesten an mehreren Stellen durch erklärende Hinzufügungen oder durch eine anschaulichere Terminologie präzisiert, so, wenn aus „gestes significatifs“ („bedeutungshaltige Gesten“) „redende Geberden“ werden (vgl. Golawski-Braungart 2005: 122).
Von Diderot hat Lessing die Dramen Le fils naturel und Le père de famille sowie die theoretischen Schriften Entretiens sur Le fils naturel und De la poésie dramatique übersetzt und 1760 unter dem Titel Das Theater des Herrn Diderot versammelt. Schon zu Beginn der Vorrede des Uebersetzers wird deutlich, dass Lessing Diderot für seine eigene Polemik gegen das Gottschedsche Theater nutzt:
Ich möchte wohl sagen, daß sich, nach dem Aristoteles, kein philosophischerer Geist mit dem Theater abgegeben hat, als Er [Diderot]. Daher sieht er auch die Bühne seiner Nation bey weitem auf der Stufe der Vollkommenheit nicht, auf welcher sie unter uns die schaalen Köpfe erblicken, an deren Spitze der Prof. Gottsched ist. (LÜ Diderot: Sohn)
Lessing wendet sich hier „im Grunde weniger gegen das klassische französische Theater an sich als gegen dessen übertriebenes Ansehen in Deutschland“ (Mortier 1972: 48).
Weniger bekannt als die Übersetzungen aus dem Französischen sind diejenigen aus dem Englischen, die Lessing in kaum geringerer Anzahl vorgelegt hat.2Eine Ausnahme ist der Sammelband von Berthold (2008) mit mehreren Beiträgen zu Übersetzungen aus dem Englischen. Mit dem heute wenig bekannten britischen Dramatiker James Thomson hat sich Lessing schon früh befasst. Bereits 1751 übersetzte er ein Fragment aus dessen Stück Trancred and Sigismunda sowie das Trauerspiel Agamemnon, dessen Übersetzung ebenfalls unvollendet geblieben ist. Hatte Johann David Michaelis Agamemnon (1750) noch in reimlosen Alexandrinern übersetzt, so entschied sich Lessing dazu, Thomsons Blankverse in Prosa zu übertragen. Aber auch auf der lexikalischen Ebene und insbesondere bei der Wiedergabe der Tropen setzt sich Lessing von dem Vorgänger ab, indem er sich um größere Ausdruckskraft bemüht und beispielsweise Klytemnestras Halluzinose „vision of the brain“ mit „Hirngespinst“ statt „Traum“ übersetzt (vgl. Nilges 2008: 89). Um eine Lessingsche Wortfindung handelt es sich in diesem Fall übrigens nicht, wie auch generell nur relativ wenige Wortneuschöpfungen auf Lessing zurückgehen (vgl. Schuppener 2008).
Von den nichtliterarischen Arbeiten aus dem Englischen verdient die 1756 erschienene Übersetzung von Francis Hutcheson A System of Moral Philosophy besonderes Interesse. Die Sittenlehre der Vernunft wird zwar Lessing zugeschrieben (aufgrund eines Hinweises in der Lessing-Biographie des Bruders Karl Gotthelf; vgl. Martinec 2008: 96), doch hat es auch Zweifel an seiner „Übersetzerschaft“ gegeben. Martinec schreibt dazu:
Wenngleich Lessing keineswegs der einzige deutsche Hutcheson-Übersetzer in der Mitte des 18. Jahrhunderts war, so gehörte er aufgrund seiner fundierten anglistischen Bildung zu den wenigen deutschen Philologen, die zu dieser Zeit überhaupt in der Lage waren, den hohen sprachlichen Anforderungen einer solchen Übersetzung gerecht zu werden. (Martinec 2008: 112)
In geringerem Umfang als aus dem Französischen und dem Englischen hat Lessing aus dem Spanischen übersetzt. Wichtigste Übersetzung ist eine Abhandlung des Arztes Juan Huarte aus dem 16. Jahrhundert, Examen de ingenios para las ciencias (1575), die Lessing unter dem Titel Johann Huarts Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften (1752) vorgelegt hat. Der vollständige Titel der Übersetzung enthält eine Ergänzung Lessings (kursiv), die dazu angetan war, die Erwartung des Lesers zu steuern:
Examen de ingenios para las ciencias. Donde se muestra la diferencia de habilidades, que ay en los hombres; y el genero de letras, que a cada uno responde en particular
Johann Huarts Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften worinne er die verschiedenen Fähigkeiten die in den Menschen liegen zeigt, einer jeden den Theil der Gelehrsamkeit bestimmt der für sie eigentlich gehöret, und endlich den Aeltern Anschläge ertheilt wie sie fähige und zu den Wissenschaften aufgelegte Söhne erhalten können
Dass Lessings Titelgebung die pädagogische Absicht der Abhandlung deutlich werden ließ, hat Martin Franzbach erläutert:
Der Zusatz ist aber keine erfundene Umschreibung Lessings, sondern der Inhalt des 15. Kapitels, §4: Que diligencias se han de hazer para que los hijos salgen ingeniosos y sabios. In sicherer Erkenntnis, daß der theoretische Teil zu philosophisch klänge, preist Lessing den praktischen Nutzen zugkräftig an. Durch die Wendung an die Eltern ist die pädagogische Zielsetzung des Werkes festgelegt. Der Erfolg und das Aufsehen dieses 15. Kapitels sollten Übersetzer und Verleger recht geben. (Franzbach 1965: 80)
Wohl kaum eine andere Übersetzung Lessing ist so kontrovers diskutiert worden wie diese. Während der Franzose Camille Pitollet (1909) Lessings Spanischkenntnisse für ein eigenständiges Übersetzen unzureichend fand und neben zahlreichen Übersetzungsfehlern eine Abhängigkeit von französischen Vorübersetzungen nachzuweisen versuchte, heben spätere Untersuchungen Lessings philologische Akribie (Franzbach 1965: 112ff.) oder gar seine „vorzügliche Kenntnis der spanischen Sprache“ (Rheinfelder 1968: 267) hervor. Catani (2008: 36) wiederum bemängelt, dass Lessing durchaus auch „Zahlenänderungen, Wortvertauschungen und -verwechslungen“ unterlaufen seien. In der Tat gibt Lessing, um nur ein Beispiel zu nennen, „artifices“ mit „Künstler“ wieder, obwohl der Bedeutungsumfang des Wortes im Spanischen des 16. Jahrhunderts sehr viel weiter ist und auch handwerkliche Berufe einbegreift, was im Übrigen durch den Kontext gestützt wird (vgl. Pitollet 1909: 6).
In der Vorrede zu einer weiteren Übersetzung aus dem Spanischen, dem Auszug aus dem Trauerspiele Virginia des Don Augustino de Montiano y Luyando (1754), hat Lessing selbst darauf hingewiesen, dass er auf eine französische Vorübersetzung zurückgegriffen habe. Allerdings begründet er dies nicht mit mangelnden Sprachkenntnissen, sondern damit, dass der spanische Originaltext nicht verfügbar gewesen sei:
Vor allen Dingen muss ich noch eine kleine Erklärung vorweg schicken. Ich habe nicht so glücklich seyn können das Spanische Original der Virginia zu bekommen, und bin also genöthigt gewesen mich der Französischen Uebersetzung des Herrn Hermilly zu bedienen, die in diesem Jahr in zwey kleinen Oktavbänden in Paris an das Licht getreten ist. (LÜ Luyando: Virginia)
Als Übersetzer aus dem Italienischen ist Lessing weniger bekannt, obwohl er in der Theatralischen Bibliothek (1758) immerhin Auszüge aus Ludovico Riccobonis Dramen La moglie gelosa und Il marito vitiosov publiziert hat. Während diese Fragmente in die Online-Ausgabe seiner Übersetzungen aufgenommen wurden (LÜ), gilt dies für das Dramenfragment Die Glückliche Erbin nicht. Ist dieses auch unübersehbar Goldonis L’Erede fortunata verpflichtet, so wird man schwerlich von einer Übersetzung sprechen wollen. Lessing selbst sah in dem geplanten Stück offenbar eine freie Bearbeitung, hatte er doch allein im ersten Akt den ersten und zweiten Auftritt hinzuerfunden, den dritten Auftritt dagegen radikal gekürzt (vgl. Polledri 2008: 72).
Von den wenigen Übersetzungen aus dem Lateinischen ist die Übersetzung von Plautus Lustspiel Die Gefangnen (1750) die umfangreichste, der zudem eine gegen Gottscheds Literaturkritik gerichtete Analyse des Stückes beigegeben ist (vgl. Golawski-Braungart 2005: 15). Einen explizit autopoetologischen Kommentar enthält dann die 1753 veröffentlichte 34. Ode des Horaz. In einem kurzen Vorwort erläutert Lessing seine Entscheidung für eine Prosaübersetzung, so wie man sie auch schon von der Thomson-Übersetzung kennt:
Hier ist die Ode, und zugleich eine Uebersetzung in einer so viel als möglich poetischen Prose. Ich glaube dieses wird besser seyn, als wenn die Poesie so viel als möglich prosaisch wäre. (LÜ Horaz: Ode 34. Lib. I)
Nicht unerwähnt bleiben soll Lessings Version von Christian Fürchtegott Gellerts Abhandlung Pro comoedia commovente (Für das rührende Lustspiel), die 1754 in der Theatralischen Bibliothek erschien.
Obwohl Lessing mehr als ein Jahrzehnt intensiv mit Übersetzungen befasst war, hat er keine umfassende Übersetzungstheorie vorgelegt. Methodische Überlegungen zum Übersetzen finden sich jedoch in zahlreichen Rezensionen übersetzter Werke, die in Zeitschriften erschienen. Während sich nicht wenige Rezensionen auf eine Paraphrase der jeweiligen Vorrede beschränken (kritisch hierzu Guthke 1993), finden sich in anderen detaillierte Bemerkungen zur Qualität der betreffenden Übersetzung. Mit dem Vade mecum für den Hrn. Sam. Gotth. Lange, Pastor in Laubingen (Berlin 1754) hat Lessing schließlich eine Übersetzungskritik in monographischer Form vorgelegt.
Die meisten Übersetzungskritiken wie auch Lessings Literaturkritiken im Allgemeinen konzentrieren sich auf eine kritische, oft polemische Auseinandersetzung mit so genannten „Fehlern“:
Generell fällt ja auch auf, mit welcher Vorliebe er [Lessing] sich entweder mit Übersetzungen beschäftigt – denen er Fehler ankreiden kann – oder mit theoretischen Abhandlungen – denen er ebenfalls logische oder historisch-faktische Fehler nachzuweisen versucht. […] Fehler haften daher ihrem Wesen nach an Einzelnem. […] So macht sich Lessing gleich zu Anfang der Literaturbriefe über drei Übersetzungen aus dem Englischen her, um die in der Tat darin enthaltenen haarsträubenden Fehler genüßlich aufzuspießen. (Michelsen 1990: 90)
Wie detailliert Lessing lexikalische Fragen bespricht, zeigt beispielhaft folgendes Zitat aus seinem gegen Samuel Gotthold Lange gerichteten Vade mecum:
Ich weiß es, Herr Pastor, daß bei liquefacere in dem Wörterbuche zerlassen steht. Es ist aber hier von liquare und nicht von liquefacere die Rede. Doch, wenn Sie es auch bei jenem gefunden haben, so merken Sie sich, daß nur unverständige Anfänger ohne Unterschied nach dem Wörterbuche übersetzen. (Werke und Briefe, Bd. 3, S. 111)
Erkennbar wird hier zugleich Lessings polemischer Stil. Neben diversen „Fehlern“ prangert er zuweilen sprachliche Mängel im Deutschen an, oft ironisch bis sarkastisch, wie im folgenden Beispiel:
Sein [des Übersetzers] Deutsch würden wir nicht tadeln, wenn er es nicht ausdrücklich auf dem Titel gemeldet, daß er diese Rede ins Deutsche übersetzt. […] Welcher ehrliche Deutsche sagt: Ausübungen des Körpers? Körperliche Übungen sagt er wohl, und das versteht man auch, ohne darüber nachzudenken. (Werke und Briefe, Bd. 1, S. 881f.)
Heftige Kritik übt er an Übersetzern, die nicht auf der Basis des Originaltextes übersetzten, sondern „aus zweiter Hand“ (vgl. Stackelberg 1984), z. B. unter Verwendung einer französischen Vorübersetzung, wie dies im 18. Jahrhundert noch häufig vorkam (vgl. z. B. Werke und Briefe, Bd. 2: 13f., 223, 231). Dass Lessing selbst nicht immer diesem Ideal gerecht wurde, sollte deutlich geworden sein. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Lessings scharfe Urteile die Vorstellungen des 18. Jahrhunderts über den Umgang mit Übersetzungen und Übersetzern nachhaltig geprägt haben. Berühmt-berüchtigt ist sein vor dem Hintergrund der seit den 1740er Jahren um sich greifenden Übersetzungswut (Stichwort „Übersetzerfabriken“) zu verstehendes Verdikt aus dem vierten Literaturbrief:
Unsere Uebersetzer verstehen selten die Sprache; sie wollen sie erst verstehen lernen; sie übersetzen sich zu üben, und sind klug genug, sich ihre Uebungen bezahlen zu lassen. Am wenigsten aber sind sie vermögend, ihrem Originale nachzudenken.
Anmerkungen
- 1Neben Roland Mortiers klassischer Studie Diderot in Deutschland (Mortier 1972), den Beiträgen von Lamport 2000 oder Immer/Müller 2008 sowie der kommentierten zweisprachigen Ausgabe von Das Theater des Herrn Diderot (Diderot/Lessing 2014) ist vor allem die Dissertation Die Schule der Franzosen. Zur Bedeutung von Lessings Übersetzungen aus dem Französischen für die Theorie und Praxis seines Theaters von Jutta Golawski-Braungart (2005) zu nennen, die neben den Diderot-Übersetzungen auch die Übersetzungen von Texten Riccobonis, Corneilles und Dubos in den Blick nimmt.
- 2Eine Ausnahme ist der Sammelband von Berthold (2008) mit mehreren Beiträgen zu Übersetzungen aus dem Englischen.