Roswitha Matwin-Buschmann, Jg. 1939
Vorbemerkung der Redaktion
Die Arbeit an diesem Porträt wurde vom Deutschen Übersetzerfonds im Rahmen des Projekts UeLEX-Neustart gefördert.
Biografie
Roswitha Matwin-Buschmann wurde am 20. Juni 1939 als drittes von fünf Kindern und einzige Tochter der Stenotypistin Margarete Dietrich und des Musikers Felix Dietrich in Trier geboren. Wegen der vielen britischen Bombenangriffe auf die Städte im Westen des Deutschen Reiches wurde die Mutter mit den Kindern 1943 nach Zittau in Ostsachsen evakuiert. Dort blieb die Familie auch nach dem Ende des Krieges.
In der Zittauer Oberschule, begann Matwin-Buschmann Polnisch zu lernen (Matwin-Buschmann 1995, S. 191). Darüber hinaus lernte sie im deutsch-polnisch-tschechischen Dreiländereck den Oberlausitzer Dialekt, der ihr noch Jahrzehnte später von Nutzen sein sollte, etwa bei ihrer Arbeit an der Übersetzung von Wiesław Myśliwskis Romans Der helle Horizont (2003):
Ich habe den Text noch einmal, sozusagen als „Gesamtkunstwerk“, genauestens durchgesehen und noch ganz schön Hand angelegt. Besonders bei der Personensprache. Hoffentlich erschrecken Sie nicht – ich habe mich beim Großvater und Onkel Władek doch entschlossen, ziemlich viel, wenn auch nicht alles, denn es handelt sich ja um eine Stilisierung, in dem mir vertrauten Idiom der Lausitz, auch phonetisch, zu schreiben. Ich glaube, dieses Idiom ist treffend, weil es erstens viele Übernahmen aus dem Slawischen – wie die doppelte Verneinung, das Vorziehen der Hilfsverben in der gesprochenen Sprache u.ä.m. – aufweist und, zweitens, auch diese „rauhe Kernigkeit“ besitzt. Ich bin mir bewusst, dass die Entscheidung gewagt ist, gemeinhin wird so was ja nicht gehandhabt. (RMB: E-Mail an Susann Rehlein vom 19. Februar 2003) 1Alle Zitate aus unveröffentlichten Quellen (darunter Briefe, Berichte, Notizen usw.) stammen aus Roswitha Matwin-Buschmanns Vorlass, der im Dedecius-Archiv der Viadrina in Słubice (Polen) aufbewahrt wird.
Die Kindheit von Matwin-Buschmann war auch durch künstlerische Vorlieben ihrer Familie geprägt; ihr Vater und mehrere Verwandte hatten musikalische oder dichterische Neigungen:
Meine Mutter hatte einen Bruder, der Rezitator war. Bei uns daheim gab es ein Foto: er, blutjung, elegant, gestikulierend, im schwarzen Frack, an dem eine große weiße Blüte steckte. Ich bewunderte ihn maßlos und beneidete ihn um seinen Beruf. Meine Mutter hatte einen Cousin, der Schauspieler und Sänger an der Dresdener Oper gewesen war. Er beeindruckte mich stark noch als älterer Herr. (Goethe-Institut Warschau)
Zunächst wollte Roswitha Matwin-Buschmann Sängerin werden, sie bestand die Prüfung am Dresdener Konservatorium, wurde jedoch aus Platzmangel nicht aufgenommen (Topczewska 2017, S. 17). Da sie kein Jahr lang warten wollte, begann sie, „wohl der List eines weitgeplanten Schicksals erliegend, Polnisch und Russisch zu studieren“ (Matwin-Buschmann 1995, S. 191). Das Studium an der Karl-Marx-Universität in Leipzig schloss sie 1961 als Diplom-Dolmetscherin und –Übersetzerin ab.
Im Anschluss arbeitete sie zunächst als Sprachmittlerin im Außenministerium der DDR in Berlin, ab April 1962 im Konsulat der DDR in Breslau, ab Juni 1963 in der DDR-Botschaft in Warschau. Dort dolmetschte sie einmal auch für den kommunistischen Politiker und späteren Mathematiker Władysław Matwin, den sie über zwanzig Jahre später heiraten sollte (Buschmann, Nora: persönliche Korrespondenz vom 25. August 2022). Als befriedigend empfand sie diese Arbeit nicht:
Wieso studierte ich […] nicht Gesang oder Schauspiel oder etwas in der Art, sondern verschrieb mich, aus purer Neugier, diesem aufreibenden und wenig befriedigenden Hochleistungssport, dem Dolmetschen von – wie sich bald herausstellte – Konferenzen und Politikerreden? […] Die drei Pflichtjahre, uns vom Staat als Tribut für das kostenlose Studium abverlangt, brachte ich im diplomatischen Dienst in Breslau und Warschau zu, wo ich bald insgeheim Texte für ein paar polnische Kulturmagazine übersetzte. Dort auch bündelten sich sehr rasch alle meine Wünsche, klärten sich alle meine Vorstellungen, meldeten sich alle meine Gaben zu Wort, fasste ich endlich den ausschlaggebenden Entschluss. (Goethe-Institut Warschau)
Nach ihrer Pflichtzeit im Außenministerium arbeitete sie als Verlagslektorin für slawische Literaturen und bald auch als Übersetzerin. Im Aufbau-Verlag war sie für die Herausgabe polnischer Werke zuständig. 1967 erschien bei Volk und Welt ihre erste literarische Übersetzung: der Science-Fiction-Roman Niezwyciężony / Der Unbesiegbare von Stanisław Lem. 2Der Unbesiegbare erschien bei Volk und Welt in mehreren Auflagen und Ausgaben, ab 1971 auch als Lizenzausgabe im Frankfurter Fischer-Taschenbuch-Verlag (Verkauf bis 1992: 152.ooo Exemplare), ab 1995 im Suhrkamp-Verlag (Frankfurt/M. bzw. Berlin), mittlerweile auch als E-Book und Hörbuch. Er ist damit eine der meistverkauften Übersetzungen Matwin-Buschmanns. Mit dieser ersten Übersetzungsarbeit begann ihre Leidenschaft für das Science-Fiction-Genre, das einen großen Teil ihres translatorischen Œuvres ausmacht.
Während ihrer Tätigkeit als Lektorin und Übersetzerin nahm Roswitha Matwin-Buschmann zusammen mit anderen Literaturübersetzern an Fortbildungsreisen nach Polen teil.3Die Übersetzer besuchten Seminare zur polnischen „Phraseologie“, modernen polnischen Literatur sowie zu aktuellen Programmen polnischer Verlage (RMB: Bericht vom April 1967). Während der ersten »Übersetzerdelegation der DDR« im Frühjahr 1967 lernte sie u. a. die Übersetzer Henryk Bereska und Kurt Helm kennen, mit denen sie in den folgenden Jahrzehnten oft zusammenarbeitete. Die Reisen boten Matwin-Buschmann vor allem Gelegenheit, die polnische Literaturszene genauer kennen zu lernen, was dann ihren Empfehlungen und Gutachten für die DDR-Verlage zugutekam. Viele von ihr als Gutachterin vorgeschlagene Texte hat sie anschließend selbst übersetzt oder sie empfahl ihre Kollegen und Kolleginnen als für den jeweiligen Text geeignete Übersetzer.
1967 heiratete sie den Ungarisch-Übersetzer Jörg Buschmann, der ebenfalls Lektor im Aufbau-Verlag war. 1969, nach der Geburt ihrer Tochter Nora, begann Matwin-Buschmann als freiberufliche Übersetzerin, Gutachterin und Redakteurin zu arbeiten. Wie sie sich später erinnerte, war es seinerzeit in der DDR ein „Leichtes, Lektorin zu werden, und es war ein Leichtes, interessante und anspruchsvolle Literatur übersetzen zu dürfen, sofern man das nur ernsthaft wollte und bewies, dass man etwas konnte“ (Goethe-Institut Warschau). Auch für Fortbildung war gesorgt. So nahm sie von Oktober 1983 bis Juni 1984 an einem »Sonderkurs für Schriftsteller« teil, der an einem Wochenende pro Monat am Institut für Literatur an der Universität Leipzig stattfand.
Ein Jahr nach der Scheidung ihrer ersten Ehe heiratete sie 1984 ihre große Liebe Władysław Matwin. Mit dieser Heirat begann Roswithas Pendler-Dasein zwischen Berlin und Warschau, das bis zum Tod ihres zweiten Ehemannes im Jahr 2013 dauerte.
Nach der Wende verschlechterte sich Matwin-Buschmanns berufliche Situation drastisch, obwohl sie seit den 1970er Jahre auch in Westdeutschland als Lem-Übersetzerin bekannt war. Aufgrund ihrer schwierigen Situation bewarb sich Roswitha Matwin-Buschmann um Stipendien, darunter die auf drei Monate befristete Position als Grenzschreiberin in Bad Hersfeld an der hessisch-thüringischen Grenze. Die Bewerbung war erfolglos, aber erbrachte ihr immerhin eine „neue Berufsbezeichnung“:
Ich pendele ständig zwischen zwei Sprachen, zwei Kulturen, zwei Völkern mit ihrer unterschiedlichen und doch auch gemeinsamen Geschichte. Eine Grenzgängerin (auch ganz konkret: ich lebe in Berlin und in Warschau), für die das Wandern von hier nach dort und dort nach hier zum Lebenselement und zum Beruf geworden, deren Zuhause eben der Grenzbereich ist: Vermitteln, etwas herüberholen vom anderen, fremden Ufer und es zum Eigenen machen – durch Schreiben: Grenzschreiberin. Bisher sah ich mich mehr als Fährfrau, jetzt danke ich Ihnen für meine neue Berufsbezeichnung! (RMB: Brief an den Kreisausschuss Hersfeld-Rotenburg vom 6. April 1990)
Nach vergeblichen Bemühungen um eine ihrer Qualifikation entsprechenden Tätigkeit nahm sie 1991 eine (nach deutschen Maßstäben äußerst bescheiden bezahlte) Teilzeitstelle als sog. Ortskraft am neugegründeten Goethe-Institut in Warschau an. Auch wenn sie vom Literaturübersetzen – anders als zu DDR-Zeiten – nicht mehr leben konnte, hat sie am Übersetzen festgehalten und mit den Jahren auch in der neuen Bundesrepublik Anerkennung gefunden. So wurde sie 1995 als Vollmitglied in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen. Bei ihrer Vorstellung während der Herbsttagung der Akademie sagte sie u.a.:
In den drei »Pflichtjahren« nach dem Studium lernte ich unter halsbrecherischen Umständen in Polen, was mir dazu noch fehlte, und mehr – die Beugung des zungenbrecherischen Wortes szczęście/Glück. Aus dem Verlag war es ein leichter letzter Schritt zu dem, was ich, betroffen muß ich es gestehen, nunmehr die größere Hälfte meines Lebens treibe. Wortklauberin mit Liebe zum Verwandlungsspiel, habe ich die Stimmen polnischer Autoren unterschiedlichster Zeiten und Strömungen im Deutschen »nachgemacht«, oder, hochtrabender, dem Deutschen an-verwandelt? Dieses Übersetzen ist seit ein paar Jahren nicht mehr meine Existenzgrundlage. Untergekommen, lerne ich die Wörter der neuen Wirklichkeit: Zentralverwaltung, Ortskraft, überqualifiziert. Doch dieses Übersetzen bleibt meine Existenzberechtigung. (Matwin-Buschmann 1995, S. 192; Herv. im Orig.)
Kurz vor dem Beginn ihrer Tätigkeit am Warschauer Goethe-Institut wurde Matwin-Buschmann mit einem zweimonatigen Stipendium am Europäischen Übersetzerkollegium in Straelen gefördert, dank dessen sie neue Kraft sammeln konnte:
Alles in allem habe ich mich hier wohl in erster Linie gut erholt, denn meine künftige Situation sehe ich nach wie vor nicht sonderlich optimistisch, aus allen Gesprächen mit „Leidensgefährten“ hier geht ziemlich deutlich hervor, daß man von diesem Beruf nicht wird leben können, ich muß also noch einen Zweit- oder Drittjob finden. (RMB: Brief an Monique [Nachname nicht genannt] vom 5. Dezember 1990)
Im Sommer 1992 bekam Matwin-Buschmann ein einmonatiges Stipendium von der Landeshauptstadt München, so dass sie zusammen mit ihrem Ehemann einen Monat in der Villa Waldberta in Feldafing am Starnberger See verbringen konnte. Sie nutzte das Stipendium, um an ihrer Übersetzung vom Randland der Welt (Anderman 1992) zu arbeiten. Im Frühjahr 1996 trat Matwin-Buschmann das Calwer Hermann-Hesse-Stipendium an, nach dessen Ende sie das Gedicht Calwer Impressionen verfasste (Matwin-Buschmann 2000):
ich kam aus der eiszeit hatte die hälfte meiner habe verschleudert davon waren mir die hände geschwollen das herz hatte ich mir blutig gerissen ich hasste den blick zurück und nach vorn gute menschen versprachen mir schonzeit sie brachten mich unter die leute ich sollte nur auftauen und war zum freundlichen schauen bestellt in einem land das ich nicht kannte […] tags trieb mich chana durch die warschauer kanäle in wilnas gassen stillte ich bedeutende tränen mich tröstete vis-a-vis der hausbeschaffer wie er fröhlich auf aktien baute dabei liefen die immobilien doch schlechter […] [...] manchmal trank ich wein ich war guter dinge und ehrte die dichter der litauer und die jüdin bewachten mich neidisch sie liebten es nicht wenn ich mich zu lange vergnügte ich solIte ja wieder fort in die kälte rasch noch den rest meiner habe verschleudern was mir weiter geschehen konnte das herz ein klumpen die hände geschwollen ich fragte nicht nach dem blick zurück und nach vorn
Das Gedicht benennt die Realien ihrer Existenz in den 1990er Jahren: Der Blick zurück (in die DDR) wie der Blick nach vorn (in die Welt der Aktien- und Immobilienbesitzer) sind ihr gleichermaßen verhasst. Ihre Berliner Wohnung hatte sie nicht behalten können, weil das Geld für die Miete nicht mehr reichte. Das Calwer Stipendium gab ihr drei Monate „Schonzeit“ von der „Eiszeit“, um sich der Übersetzung von Chana Gorodeckas Tagebuch einer polnischen Jüdin (1996) und Czesław Miłosz‘ Straßen von Wilna (1997) zu widmen.
Übersetzerisches Œuvre
Matwin-Buschmann übersetzte während ihrer translatorischen Laufbahn insgesamt über achtzig Bücher, überwiegend aus dem Polnischen und zu einem geringen Teil aus dem Russischen. In ihrer Übersetzung liegen darüber hinaus einige Dramentexte sowie einzelne Erzählungen vor. Ihre Hauptschaffensphase liegt in den 1970er und 1980er Jahren, wobei im Jahr 1975 gleich sieben ihrer Übersetzungen veröffentlicht wurden. In den anderen Jahren erschienen zwischen zwei und vier Übersetzungen, mit Ausnahme der Jahre 1988 und 1989, in denen von ihr keine Übersetzungen veröffentlicht wurden. In den 1990er Jahren war sie weiterhin als freischaffende Übersetzerin tätig, bekam aber deutlich weniger Übersetzungsaufträge. Die von ihr übersetzten Bühnentexte wurden im Theaterverlag Henschel (Berlin/DDR) veröffentlicht. Dazu gehörten gekürzte Fassungen von Die Festschrift (Pasternak [1966]), Der unterbrochene Akt (Różewicz 1974), Wenn er nicht da ist (Peiper 1975) und Gespräche mit dem Henker (Moczarski 1978).
Einige ihrer Übersetzungen erschienen parallel in Ost- und Westdeutschland; dies betraf insbesondere Lems Werke. Diese Parallelveröffentlichungen sind auf deutsch-deutsche Lizenzverträge zurückzuführen, die jeweils für beide Verlage günstig waren: Der DDR-Verlag bekam Lizenzgebühren in begehrten Devisen (oft druckte er auch die westdeutsche Parallelausgabe, was weitere Einnahmen generierte), der BRD-Verlag sparte an Honoraren sowie Kosten für Lektorat und Herstellung. Lediglich die DDR-Übersetzer haben von diesem Lizenzgeschäft laut Matwin-Buschmann nicht profitiert:
Die Situation einer Freiberuflerin wie ich war geradezu fatal. Meine Vorstöße bei den Verlagen vergeblich. Die westlichen waren nur interessiert, wenn sie die Übersetzungen „für umsonst“ bekamen oder bekommen hätten. Die DDR-Verlage verscherbelten ohne mein Wissen meine Übersetzungen an westliche Verlage für „einen Appel & 1 Ei“, ohne mich an den Urheberrechten zu beteiligen. Es roch nach Arbeitslosigkeit. Kein Wunder, daß ich mich als Grenz- oder Staatsschreiberin & bei sonstwem [sic] bewarb. U. a. auch beim frisch aufgemachten Goethe-Institut in Warschau, von wo ich fast ein Jahr später Antwort erhielt. (RMB: handschriftliche Notiz vom 14. November 2014)
Roswitha Matwin-Buschmann war eine vielseitige Übersetzerin, die Texte unterschiedlicher Genres ins Deutsche gebracht hat. Neben Stanisław Lem gehören zu den von ihr übersetzten bedeutenden Autoren der polnische Nobelpreisträger Czesław Miłosz, die beliebte Jugendbuchautorin Małgorzata Musierowicz sowie einer der wichtigsten Vertreter der polnischen Romantik, Juliusz Słowacki.
Roswitha Matwin-Buschmann hat seit den 1970er Jahren auch zahlreiche Bücher aus dem Bereich der Holocaust-Erinnerungsliteratur ins Deutsche übertragen, u. a. von Hanna Krall, Janusz Korczak und Tadeusz Różewicz. Darüber hinaus arbeitete sie als Dolmetscherin von Krall bei Lesungen und Veranstaltungen in Deutschland, darunter auch während der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2000, als Polen offizielles Gastland war. Vor der Wende erschienen ihre Übersetzungen der Shoah-Literatur in den Verlagen Volk und Welt, Reclam sowie Aufbau; nach der Wiedervereinigung arbeitete sie weiterhin mit dem Leipziger Reclam-Verlag zusammen, in dem ihre Übersetzungen von Werken Chana Gorodeckas und Ireneusz Iredyńskis veröffentlicht wurden. Ihre Übersetzungen von Hanna Kralls und Marek Hłaskos Werken erschienen im Frankfurter Neue Kritik-Verlag.
Einen translationshistorisch interessanten Fall stellen die unterschiedlichen Ausgaben des Prosabandes In der schönsten Stadt der Welt von Tadeusz Różewicz dar. Dieser Band wurde bereits 1962 in der Münchener Nymphenburger Verlagshandlung in der Übersetzung von Arnim Droß vorgelegt und mit einem Nachwort versehen. Der in der DDR 1971 erschienenen Übersetzung von Matwin-Buschmann wurde auf der ersten Seite des Buches eine kurze Vorstellung des Autors vorangestellt, die vermutlich von der Übersetzerin verfasst wurde. In Heinrich Olschowskys Nachwort zu Matwin-Buschmanns Übersetzung wird der Autor ausführlicher als bei Droß vorgestellt; sein Werk wird darüber hinaus ausführlich in den kulturell-geschichtlichen Entstehungshintergrund eingebettet. 2006 schließlich erschien der Różewicz-Band erneut in Matwin-Buschmanns Übersetzung unter dem Titel In der schönsten Stadt der Welt bei Hanser in München. Die drei Ausgaben unterscheiden sich allerdings nicht nur mit Blick auf die Peritexte, sondern auch durch die Auswahl der in die jeweiligen Bände aufgenommenen Erzählungen.4Nur drei Erzählungen sind in den Bänden von 1962 und 1971 deckungsgleich sind: Die Beichte, Die Frucht des Leibes und In der schönsten Stadt der Welt. In Droß‘ Übersetzung sind darüber hinaus drei, in Matwin-Buschmanns fünf weitere Erzählungen enthalten. Es gibt keine Informationen darüber, ob Matwin-Buschmann Kenntnis von der früheren, westdeutschen Übersetzung von Droß hatte. In der Neuausgabe der Matwin-Buschmann-Übersetzung (2006) wurde die Auswahl der Erzählungen erneut verändert. Drei Erzählungen (Gerettet, In der diplomatischen Vertretung und Toleranz) aus der 1971er-Ausgabe wurden gestrichen; dafür wurden zwei Erzählungen, die bereits in der Übersetzung von Droß enthalten waren (Die unterbrochene Prüfung und Das Gift), sowie fünf weitere Erzählungen hinzugenommen. In den Peritexten zu beiden Übersetzungen von Matwin-Buschmann wird die Übersetzung von Droß nicht erwähnt. Die Ausgabe von 2006 enthält zudem keine peritextuellen Informationen über den Autor oder sein Werk.
Besonders erwähnenswert ist ferner Matwin-Buschmanns Übersetzung von Chana Gorodeckas Tagebuch einer polnischen Jüdin (1996). Dieses Werk wurde auf Jiddisch verfasst und von ihrer Tochter, Krystyna »Cypa« Drozdowicz, zunächst ins Polnische übertragen. Matwin-Buschmanns deutsche Version entstand folglich als Relaisübersetzung auf Grundlage des polnischen Textes. Die Übersetzung des Werks wurde von einem Briefwechsel zwischen Drozdowicz und Matwin-Buschmann begleitet, in deren Rahmen die hoch betagte Tochter Chana Gorodeckas zahlreiche Fragen und sprachlich-kulturelle Unsicherheiten der Übersetzerin klären konnte.
Dank der Zusammenarbeit mit Drozdowicz konnten auch Mängel der polnischen Version behoben werden. Dort wurde u. a. der Familienname der Autorin nicht erwähnt; in einem nachträglich verfassten Nachwort des Herausgebers fand sich lediglich ein Vermerk über die eigentliche Urheberin des Tagebuchs, wobei der Vorname der Autorin auch noch falsch geschrieben wurde (Hana statt Chana). Dieses Zusatzmaterial zur polnischen Ausgabe enthält ferner ergänzende, von Drozdowicz verfasste Informationen, in denen sie die eigene Sichtweise auf die geschilderten Geschehnisse vermittelt. Der zweiten polnischen sowie der ersten deutschen Ausgabe des Buches wurden Fotografien der Autorin und ihres Ehemannes, Załman Gorodecki, beigefügt.
Wie eingangs erwähnt, begann Matwin-Buschmanns übersetzerische Laufbahn mit dem berühmtesten polnischen Science-Fiction-Autor Stanisław Lem. Insgesamt übersetzte sie acht seiner Werke (Romane und Erzählungen). In ihrem Vorlass gibt es umfangreiche Korrespondenz der Übersetzerin und dem Autor. Lem drückte wiederholt seine Bewunderung für Matwin-Buschmanns übersetzerisches Können aus und wünschte sich häufig, sie würde mehr seiner Werke übertragen. Lem konnte aufgrund seiner ausgezeichneten Deutschkenntnisse die Qualität der Übersetzungen beurteilen; gelegentlich nahm er auch geringfügige Korrekturen an den deutschen Manuskripten vor.
Seit den 1990er Jahren gab Matwin-Buschmann mehrere Interviews und nahm an Autorenlesungen und Übersetzergesprächen teil, oft gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen wie Rosemarie Tietze oder Andreas Tretner. Da zu Beginn des 21. Jahrhunderts Veranstaltungen, bei denen literarische Übersetzer und Übersetzerinnen samt ihres translatorischen Œuvres vorgestellt wurden, noch sehr selten waren, verdient die 2002 von Tietze organisierte Veranstaltungsreihe »Übersetzerprofile« an der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München eine besondere Hervorhebung. Matwin-Buschmann wählte für ihren Abend den Titel Seiltanz zwischen den Zeilen, der ihre Auffassung vom Literaturübersetzen sowie ihre Begabung für das Musikalische unterstreicht. Sie beteiligte sich auch in Polen an der literatur-translatorischen Szene und nahm z.B. 2013 am 3. Weltkongress der Übersetzer polnischer Literatur (III Światowy Kongres Tłumaczy Literatury Polskiej) in Krakau teil.
Während ihrer Karriere als Literaturübersetzerin wurde Roswitha Matwin-Buschmann vielfach ausgezeichnet. Bereits 1971 wurde sie in den Schriftstellerverband der DDR aufgenommen. 1979 wurde ihre übersetzerische Arbeit mit der Medaille für Verdienste um die polnische Kultur des polnischen Kulturministers gewürdigt; in den folgenden Jahren wurde sie gleich zwei Mal mit der Übersetzerprämie des Volk und Welt-Verlags ausgezeichnet. 1981 erhielt sie die Prämie für ihre Übersetzungen der als »schwierig« geltenden polnischen Literatur, wobei ihr Fleiß und ihre Akribie beim Übertragen als »unübersetzbar« geltender Prosa hervorgehoben wurden. 1983, zum Anlass der Verleihung der zweiten Übersetzerprämie, wurde Matwin-Buschmanns Fähigkeit, die verschiedenen Autorenstile ins Deutsche zu übertragen hervorgehoben:
Es ist Ihnen stets gelungen, den unterschiedlichen Handschriften dieser Autoren gerecht zu werden, das nationale und historische Kolorit der Werke einzufangen und das mitunter eigenwillige sprachlich-ästhetische Material schöpferisch zu verarbeiten, so daß Ihre Übersetzungen, die geprägt sind von Sachkenntnis und Engagement, die hohen Ansprüche an eine exakte wie einfühlsame deutschsprachige Fassung erfüllen. (Faber, Elmar: Brief an RMB vom 8. Dezember 1983)
1993 wurde Roswitha Matwin-Buschmann mit dem Johann-Heinrich-Voß-Preis ausgezeichnet, die Laudatio hielt Karl Dedecius (1993). In der Verleihungsurkunde heißt es:
Ihre [d. i. Roswitha Matwin-Buschmanns – IK] Übersetzungen aus slawischen Sprachen, vor allem aus dem Polnischen, zeichnen Genauigkeit und Leidenschaft aus. Dem Anspruch der schwierigen Autoren und Texte, die sie wählt, wird sie mit hohem Kunstverstand gerecht. (Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung 1993)
Im Jahr 1995 wurde Matwin-Buschmann zum Vollmitglied der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung ernannt; fünf Jahre später wurde sie Jury-Mitglied der Akademie. Darüber hinaus war sie als Jurymitglied bei der Verleihung des Übersetzerpreises der Kunststiftung Nordrhein-Westfalens in den Jahren 2007 und 2009 tätig. Die kunstvolle Sprache der Übersetzerin sowie ihr stilistischen Können wurden vielfach in Fachkreisen wie auch in polnischen und deutschsprachigen Zeitungskritiken gelobt.
Der Vorlass von Roswitha Matwin-Buschmann wird seit 2019 im Karl-Dedecius-Archiv der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) aufbewahrt.
Der Bestand umfasst ca. 2 laufende Meter Akten, darunter Manuskripte zahlreicher Übersetzungen mit Korrekturen und Notizen, Rezensionen literarischer Werke für Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Gutachten der Übersetzungsprojekte im Rahmen des Literarischen Colloquiums Berlin sowie Gutachten zur polnischen Literatur (1974-1995), Artikel für das Goethe-Institut, Korrespondenz mit polnischen Autoren und über 30 Verlagen, sowie eine Materialiensammlung zur literarischen Übersetzung, die aus wissenschaftlicher Sicht als besonders relevant erscheint. (Vorlass Roswitha Matwin-Buschmann)
Anmerkungen
- 1Alle Zitate aus unveröffentlichten Quellen (darunter Briefe, Berichte, Notizen usw.) stammen aus Roswitha Matwin-Buschmanns Vorlass, der im Dedecius-Archiv der Viadrina in Słubice (Polen) aufbewahrt wird.
- 2Der Unbesiegbare erschien bei Volk und Welt in mehreren Auflagen und Ausgaben, ab 1971 auch als Lizenzausgabe im Frankfurter Fischer-Taschenbuch-Verlag (Verkauf bis 1992: 152.ooo Exemplare), ab 1995 im Suhrkamp-Verlag (Frankfurt/M. bzw. Berlin), mittlerweile auch als E-Book und Hörbuch. Er ist damit eine der meistverkauften Übersetzungen Matwin-Buschmanns.
- 3Die Übersetzer besuchten Seminare zur polnischen „Phraseologie“, modernen polnischen Literatur sowie zu aktuellen Programmen polnischer Verlage (RMB: Bericht vom April 1967).
- 4Nur drei Erzählungen sind in den Bänden von 1962 und 1971 deckungsgleich sind: Die Beichte, Die Frucht des Leibes und In der schönsten Stadt der Welt. In Droß‘ Übersetzung sind darüber hinaus drei, in Matwin-Buschmanns fünf weitere Erzählungen enthalten. Es gibt keine Informationen darüber, ob Matwin-Buschmann Kenntnis von der früheren, westdeutschen Übersetzung von Droß hatte. In der Neuausgabe der Matwin-Buschmann-Übersetzung (2006) wurde die Auswahl der Erzählungen erneut verändert. Drei Erzählungen (Gerettet, In der diplomatischen Vertretung und Toleranz) aus der 1971er-Ausgabe wurden gestrichen; dafür wurden zwei Erzählungen, die bereits in der Übersetzung von Droß enthalten waren (Die unterbrochene Prüfung und Das Gift), sowie fünf weitere Erzählungen hinzugenommen. In den Peritexten zu beiden Übersetzungen von Matwin-Buschmann wird die Übersetzung von Droß nicht erwähnt. Die Ausgabe von 2006 enthält zudem keine peritextuellen Informationen über den Autor oder sein Werk.