Carmen Sylva, 1843–1916
Unter dem Dichternamen Carmen Sylva erschienen zwischen 1881 und 1917 Übersetzungen aus dem Rumänischen, Französischen und Englischen, die von Elisabeth, Königin von Rumänien, angefertigt wurden. Elisabeth, 1843 als Prinzessin zu Wied im rheinischen Neuwied geboren, wurde durch Heirat mit Karl von Hohenzollern-Sigmaringen 1869 zur Fürstin von Rumänien, nach der Unabhängigkeit des Landes vom Osmanischen Reich (1878) zur Königin. Sie erlernte zügig das Rumänische, war hochgebildet und künstlerisch vielseitig interessiert. Sie förderte die Werke von Musikern (George Enescu), Schriftstellern (Vasile Alecsandri) und Malern (Nicolae Grigorescu). Als Autorin war sie bestrebt, für ihr Königreich Rumänien Sympathien zu wecken, etwa durch das 1883/85 veröffentlichte Werk Aus Carmen Sylvas Königreich mit den Teilbänden Pelesch-Märchen bzw. Durch die Jahrhunderte. Bereits 1881 war die von ihr gemeinsam mit Mite Kremnitz (vgl. Grebing 1996: 66-83) herausgegebene Lyrik-Anthologie Rumänische Dichtungen erschienen, in dem zeitgenössische Autoren vorgestellt wurden, darunter Vasile Alecsandri, Mihai Eminescu, Dimitrie Bolintineanu und Iacob Negruzzi. Quasi als Gegenstück zur Gegenwartsdichtung kann die 1889 veröffentlichte Volkslieder-Übersetzung Lieder aus dem Dimbovitzathal gelesen werden. Über die Entstehung der Anthologie und die Sammlerin der Texte (Elena Văcărescu) schreibt Carmen Sylva:
Diese wunderbaren Lieder sind ein kostbarer Fund, ein Ereigniß der dichtenden und denkenden Welt. Vier Jahre lang hat die junge Dichterin diese Lieder auf den väterlichen Gütern gesammelt, aus dem Munde der Bäuerinnen, der Lautenschläger, „Cobzar“ genannt (von „Cobza“, Laute), in Spinnstuben, bei der Erndte, bei den Todten, an den Wiegen, von Zigeunern und Wahrsagerinnen, beim Tanze und beim Trunke, mit unermüdlicher Geduld. Sie stellen sich wohl dem Besten an die Seite, was Indien, Arabien, der hohe Norden geliefert haben, und sind in ihrer kindlichen Reinheit wahrhaft erhaben, ein Trostbüchlein in allem Erdenleide. Sie sind fast durchweg reimlos und wurden eintönig wie Melopöen gesungen, meistens improvisiert. (Lieder 1889: 5)
Drei weitere Übersetzungen aus dem Französischen und Englischen lassen sich dann allerdings nicht mehr in den Kontext ihres kulturpolitischen Rumänien-Engagements einordnen:
1. Die Erstübersetzung des Romans Pêcheur d’Islande von Pierre Loti,
2. die aus dem Englischen ins Deutsche gebrachte Erzählung Feindliche Brüder, deren Original von ihrer Nachfolgerin, der Königin Maria von Rumänien, stammt,
3. die sehr umfangreiche theatergeschichtliche Monographie Die beiden Masken Tragödie – Komödie von Paul de Saint-Victor, die in drei Bänden mit insgesamt über 1.600 Seiten bei Alexander Duncker in Berlin verlegt wurde.
Ihrer Saint-Victor-Übersetzung („übertragen von Carmen Sylva“ heißt es auf dem Titelblatt) hat sie ihrem „Jugendfreunde Professor Dr. Heinrich Gelzer gewidmet“ (Saint-Victor 1899: III) und ein Vorwort vorangestellt:
An einer Stelle seiner ausserordentlichen Schriften erwähnt Balzac ein tiefes Wort von Lord Byron, der sagt: „Die Arbeit ist ein ermüdender Kampf. Ich begebe mich mit Verzweiflung an dieselben und verlasse sie mit Trauer.“
Hätten die beiden großen Dichter einen Dritten, Grösseren übersetzt, so hätten sie erfahren, dass solche Arbeit reine Freude ist!
Man verlässt dieselbe vielleicht mit umso grösserer Trauer, weil man dabei nicht die Leiden des Menschen erduldet hat, der schaffen will; aber weil man unverantwortlich ist, und nur von Bewunderung zu Bewunderung schreitet, giebt es keinen Zweifel, keine Verzweiflung und keinen Widerwillen der vollendeten Arbeit gegenüber, sondern Frieden und Erbauung. (Ebd.: XI)
Ihr Vorwort enthät ferner den Hinweis, dass sie für Zitate aus den einzelnen „Dichterwerken“ in der Regel bereits vorliegende „Uebersetzungen zu Hilfe genommen“ hat. In einer Fußnote werden die Namen der Übersetzer genannt:
[…] für Aeschylos: Die Uebersetzungen von Droysen und, soweit dieselbe vorliegt, von U. von Wilamowitz-Moellendorf; für Sophokles: Wilhelm Jordan; für Euripides: Fritze-Kock; für Aristophanes: Droysen; für Kalidasa: Rückert; für Shakespeare: Schlegel-Tieck und Bodenstedt; für Corneille: die Uebersetzungen der Universal-Bibliothek; für Racine: H. Welte; für Molière: L. Fulda. (Ebd.: XII)
Zu Sylvas bewegtem Leben sind seit den 1880er Jahren eine Fülle oft farbenfroher biographischer Darstellungen erschienen (vgl. Zimmermann 2019: 422–430). An ihrem Heimatort Neuwied besteht seit 2012 eine Forschungsstelle Carmen Sylva Fürstlich Wiedisches Archiv, die eine eigene Schriftenreihe herausgibt. In umfangreichen dokumentarischen Publikationen werden Leben und Werk der „dichtenden Königin“ und der historisch-kulturpolitische Kontext dargestellt. Auch in Rumänien sind seit dem Ende der kommunistischen Ära und dem Zugang zu Bukarester Archiven (Fonds „Casa Regală“) mehrere Forschungsbeiträge zur „reine Elisabeth de Roumanie“ entstanden. Eine gründlichere translationswissenschaftliche Studie zu ihrem vielsprachigen übersetzerischen Tun liegt bisher nicht vor.
Dass Carmen Sylva als Nachdichterin über ein durchaus reich klingendes, das Süßlichsentimentale nicht scheuendes Ausdrucksrepertoire verfügte, lässt sich z.B. an ihrer deutschen Version eines von Mihail Eminescu geschriebenen Sonetts abhorchen:
Wenn Schlaf und Schweigen sich auf alles breiten, Erklingt ein frommer Sang, süß angefacht, Dann ruf' ich dich! Hat meine Stimme Macht? Wirst du hervor aus kalten Nebeln schreiten? Wirst mild erhellen du das Schwarz der Nacht? Mit deinen Augen, den gebenedeiten? Entsteig dem Schatten längst vergangner Zeiten, Komm wie der Traum, der einstmals dich gebracht. Tritt leise auf, komm näher, näh'r an mich! Neig' lächelnd auf mein Antlitz dich hernieder, Im stillen Seufzer zeig' die Liebe sich. Berühre mit der Wimper meine Lider, Im Schauer deiner Näh' laß fühlen dich, Ewig verlorne Liebe! Kehre wieder! (Perlen 1929)