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Ruprecht Willnow, 1926–2020

24. Dezember 1926 Leipzig (Deutsches Reich) - 25. März 2020 Leipzig (Bundesrepublik Deutschland)
Original- und Ausgangssprache(n)
Englisch, Polnisch, Russisch

Ruprecht Willnow, geb. am 24. Dezember 1926 in Leipzig, hat – abgesehen von kürzeren Unterbrechungen während des Krieges und der Studienzeit – stets in Leipzig gelebt.1Für detaillierte Auskünfte zur Vita ihres Vaters bin ich seiner seit knapp dreißig Jahren in den USA lebenden Tochter Franziska Willnow (Seattle, Washington) zu großem Dank verpflichtet. Seine Mutter Gertrud Willnow (geb. Oertel) war Hausfrau, sein Vater Wilhelm Willnow Lehrer an der Helmholtz-Schule. Das Ehepaar hatte zwei Kinder, die Tochter Ricarda und den Sohn Ruprecht. An der Helmholtz-Schule machte auch Ruprecht Willnow das Abitur. Unterbrochen wurde seine Gymnasialzeit durch Einsätze zunächst als Flakhelfer, dann noch als Soldat. Gegen Kriegsende lag er mehrere Monate im Lazarett in Böhmen, Ende Juni 1945 wude er aus kurzer amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen, so dass er wieder zur Schule gehen konnte.

Nach dem Abitur (März 1946) schlug Willnow die Laufbahn des Lehrers ein. Die erste Lehrerprüfung bestand er im Juni 1948 an der Max-Klinger-Schule, die zweite 1950 an der Karl-Marx-Oberschule. Parallel zur Lehrerausbildung absolvierte er an der Leipziger Fremdsprachenschule den Sprachkundigenkurs in Russisch. Für das Russische hatte er sich – nach eigenen Worten – nicht aus „Gesinnungstreue“ entschieden, sondern um seinem bis etwa 1953 in russischer Gefangenschaft festgehaltenen Vater Briefe schreiben, ihm vielleicht sogar das Leben retten zu können. Auch wurde durch die Entscheidung für das Russische Distanz der Familie zum einstigen Nazi-Regime signalisiert.

Ab Januar 1951 arbeitete Ruprecht Willnow als (Neu)Lehrer für Russisch. Zum Herbstsemester 1953 konnte er in Leipzig das Philologie-Studium mit den Hauptfächern Russisch und Englisch sowie dem Nebenfach Polnisch aufnehmen. 1957 heiratete er Renate Skoskiewicz, die als Lehrerin im Hochschuldienst am Herder-Institut der Universität Leipzig arbeitete.

Im September 1957 wurde Willnow zu einem einjährigen Auslandsstudium bei Professor Eichenbaum an der Universität Leningrad delegiert. Wegen unbotmäßigen Verhaltens (vermutlich Spötteleien über Walter Ulbricht) musste Willnow Leningrad vorzeitig verlassen. Als er sich zudem weigerte, über die politische Entwicklung seines Vaters Auskünfte zu geben, wurde er im Juni 1958 für ein Jahr „in die Produktion“ im Leipziger VEB Bogenanlegerwerk geschickt.

Seit 1959 arbeitete er durch drei Jahrzehnte als Englischlehrer in der Erwachsenenbildung, zunächst an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK), später an der Handelshochschule Leipzig (HHL). Sein Beruf ließ sich gut mit der Tätigkeit als Übersetzer oder auch als Beurteiler von Probeübersetzungen verbinden.

1968 konnte er noch einmal zum Studium der Fächer Slawistik und Anglistik an die Karl-Marx-Universität zurückkehren. Mit seiner an der Sektion Theoretische und Angewandte Sprachwissenschaft unter Betreuung des Slawisten und Onomastikers Ernst Eichler geschriebenen Dissertation Die Ortsnamen des Kreises Wittenberg wurde er 1971 promoviert.

Nach seinem Auscheiden aus dem Hochschuldienst (1991) arbeitete Willnow für noch ca. fünf Jahre als freischaffender Übersetzer. Er starb am 25. März 2020 in Leipzig. Kontakte gab es zu anderen Übersetzern, etwa zu Thomas Reschke (Jg. 1932) und Reinhild Böhnke (Jg. 1944).

Bibliographien verzeichnen seinen Namen ab Anfang der 1960er Jahre. Er übersetzte Erzählungen, Romane und Sachbücher aus dem Russischen und Polnischen für den Deutschen Militärverlag bzw. Militärverlag der DDR (Berlin), für die Verlage Kultur und Fortschritt (Berlin), Neues Leben (Berlin) sowie Volk und Welt (Berlin), ferner englischsprachige Klassiker für Dieterich (Leipzig) und Jugendbücher für den Kinderbuchverlag (Berlin). Von zum Kanon gehörenden Werken der sowjetischen Literatur (z.B. Furmanows Tschapajew) erstellte er Neuübersetzungen.

Einzelne Titel wurden in den 1980er Jahren von westdeutschen Verlagen (Luchterhand, Pahl Rugenstein, Rowohlt) in Lizenz übernommen. Nach dem Ende der DDR erschien 1992 bei Insel (Frankfurt/M., Leipzig) Willnows Neuübersetzung von Poes The narrative of Arthur Gordon Pym. Außerdem konnte er in den Jahren 1994 bis 1996 seine auf den ungekürzten US-amerikanischen Ausgaben beruhenden Übersetzungen von neun Tarzan-Romanen des Edgar Rice Burroughs veröffentlichen, jeder davon ca. 220 Seiten umfassend und drei mit dem Hinweis im Impressum: „Deutsche Erstveröffentlichung, einzig berechtigte Ausgabe in deutscher Sprache.“

Eine Neuauflage erlebten nach der Jahrtausendwende seine seit Ende der 1960er Jahre entstandenen Übersetzungen der – auch dank der Fernsehserie unvergessenen – mehrbändigen Romanfolge Vier Panzersoldaten und ein Hund des polnischen Autors Janusz Przymanowski, jetzt (2005) mit dem Zusatz für die knapp 800 Seiten: „Vollständige Ausgabe“.

2018 schließlich wurde Willnow neben Helmut Ettinger als Mitübersetzer genannt für die deutsche Version des von Ales Adamowitsch und Daniil Granin in den 1970er Jahren zusammengetragenen und 2014 in Russland erstmals ungekürzt erschienenen dokumentarischen Blockadebuchs über die Schrecken im Leningrad der Jahre 1941 bis 1944 (Berlin: Aufbau-Verlag; Vorwort von Ingo Schulze).

Anmerkungen

  • 1
    Für detaillierte Auskünfte zur Vita ihres Vaters bin ich seiner seit knapp dreißig Jahren in den USA lebenden Tochter Franziska Willnow (Seattle, Washington) zu großem Dank verpflichtet.

Sonstige Quellen

Auskünfte von Franziska Willnow (Seattle, USA), E-Mails Frühjahr 2024.

Zitierweise

Kelletat, Andreas F.: Ruprecht Willnow, 1926–2020. In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 13. März 2024.
CaptionRuprecht Willnow, um 1982/83 bei der Übersetzung eines russischen Textes (© Franziska Willnow).
Publication Date26. März 2024
Ruprecht Willnow, um 1982/83 bei der Übersetzung eines russischen Textes (© Franziska Willnow).