Johann Christoph Gottsched, 1700–1766
„Es wäre zu wünschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte […]. Er verstand ein wenig Französisch und fing an zu übersetzen; er ermunterte alles, was reimen und Oui Monsieur verstehen konnte, gleichfalls zu übersetzen.“ Diese vernichtende Kritik Lessings von 1759 beeinflusst bis heute das Urteil über den einstigen „Literaturpapst“ Gottsched in deutschen Literaturgeschichten. Das kann aber kein Hindernis sein, um für eine Geschichte des Übersetzens Gottscheds Verdienste als Verfasser, Herausgeber und Förderer von Übersetzungen (insbesondere aus der französischen Literatur der Aufklärung) genauer in den Blick zu nehmen.
Soll das übersetzerische Schaffen von Johann Christoph Gottsched – und nur das – im Rahmen eines UeLEX-Artikels gewürdigt werden, sind aus methodischen Gründen und aus Gründen der Umfangsbeschränkung zwei Reduktionen vorzunehmen:
1. Man muss die Übersetzungstätigkeit gleichsam aus Gottscheds Reformprogramm als aufklärerischer „Kulturpolitiker“ (Ball 2000: 15) herausschälen, obwohl die Übersetzungstätigkeit, die Vermittlung der (insbesondere französischen) Aufklärung und die damit einhergehende, (geplante) Reform von deutscher Sprache und Literatur und deutschem Theater nicht streng getrennt werden können.
2. Man muss Johann Christoph Gottscheds Wirken ins Zentrum der Betrachtung stellen, obwohl eine Reihe von Übersetzungen in enger Zusammenarbeit mit seiner Ehefrau Luise Adelgunde Victorie Gottsched (1713–1762) entstanden, die auch über diese Gemeinschaftsprojekte hinaus eine sehr produktive Übersetzerin war. Auch die Mitwirkung anderer Mitglieder des „Gottsched-Kreises“ (Fuchs 1935), meist seine Schüler und Freunde, kann hier nicht ausführlich gewürdigt werden.
Johann Christoph Gottsched wurde am 2. Februar 1700 in Juditten bei Königsberg als Sohn einer Pastorenfamilie geboren. Bereits im Alter von 14 Jahren immatrikulierte er sich an der Königsberger Universität. 1724 verließ der hochgewachsene Gottsched fluchtartig das Land, um nicht zu den „Langen Kerls“ der preußischen Armee gepresst zu werden. Er ließ sich in der Handels- und Verlagsmetropole Leipzig nieder, wo er eine Universitätslaufbahn begann, die ihn von einer außerordentlichen (unbesoldeten) Professur der Poesie (1729) über eine ordentliche Professur für Logik und Metaphysik (1734) bis ins Amt des Rektors der Kurfürstlich Sächsischen Universität (erstmals 1738) führte. Im Rahmen seines aufklärerischen Reformprogramms verfasste er Referenzwerke für Poetik, Philosophie, Rhetorik und Grammatik, leitete eine Sprachgesellschaft und konzipierte ein Standardrepertoire für das deutsche Theater (mit Übersetzungen und Originalproduktionen, vor allem nach französischen Vorbildern). Er gab mehrere Zeitschriften für ein breites Lesepublikum heraus, die Originalbeiträge, Übersetzungen und Rezensionen enthielten. Auf dem Höhepunkt seines Schaffens galt er als „Literaturpapst“ (Mitchell, in: AW, Bd. 12: 434). Sein Ansehen litt jedoch durch einen langjährigen Literaturstreit mit den Schweizer Gelehrten Breitinger und Bodmer, die sich für englische Dichter wie Milton und Shakespeare stark machten. Endgültig vom Podest gestürzt wurde Gottsched Ende der 1750er Jahre von dem jungen Lessing, der u. a. gegen Gottscheds „Französisieren“ (Krauss 1973: 73) polemisierte, was in Deutschland, wo Gottsched mittlerweile als „Geschmacksdiktator“ galt, auf fruchtbaren Boden fiel. Im Ausland, insbesondere in Frankreich, genoss Gottsched indes weiterhin hohes Ansehen (vgl. Waniek 1897, 669ff). Mit wichtigen Vertretern der französischen Aufklärung stand er im Briefkontakt, wenngleich er Frankreich nie bereiste.
Das übersetzerische Werk Gottscheds umfasst ca. 30 Titel (nicht mitgezählt sind Kurztexte, z. B. einzelne Gedichte), davon mehr als die Hälfte aus dem Französischen (vor allem Theaterstücke und philosophische Schriften aus dem 17. und frühen 18. Jahrhundert). Weitere Originalsprachen sind Altgriechisch, Latein, Italienisch, Englisch, Dänisch, Niederdeutsch und Russisch (vgl. Bibliographie). Auch das als Originalwerk geltende Trauerspiel Der sterbende Cato ist in großen Teilen übersetzerischen Ursprungs. Darüber hinaus fungierte Gottsched bei einer Reihe von Übersetzungen aus seinem Umfeld als Herausgeber oder Vorwortautor und somit als Förderer der Übersetzungstätigkeit (vgl. Rieck 1972: 114f.). Schließlich finden sich in einer Reihe von Gottscheds theoretischen Schriften auch übersetzungstheoretische Äußerungen.
Übersetzungen naturwissenschaftlicher und philosophischer Werke
1726 erschien die erste von Gottsched übersetzte Monographie, die deutsche Version von Bernard de Fontenelles Entretiens sur la pluralité des mondes. Ihr folgten weitere Übersetzungen von Werken Fontenelles, die 1751 in einem Sammelband zusammengefasst wurden. Seine Fontenelle-Übersetzung war für Gottsched in mehrerlei Hinsicht wegweisend:
1. Sie leitete einen (auf Korrespondenz beruhenden) persönlichen und intellektuellen Austausch mit dem Autor ein: „A l’évidence, Fontenelle est de loin l’écrivain avec qui Gottsched a entretenu les relations personnelles et intellectuelles les plus étroites“ (Krebs 1993: 216). Gottsched wurde aufgrund dieser Wahlverwandtschaft sogar als „Fontenelle der Deutschen“ bezeichnet, eine Titulierung, die nach Mitchell (1995: 17) auf den Jenenser Professor Gottlob Stolle zurückgeht.
2. Sie begründete die enge Zusammenarbeit und lebenslange Freundschaft mit dem Leipziger Verleger Bernhard Christoph Breitkopf. Gottsched und Breitkopf wohnten sogar mehrere Jahre in demselben Haus.
3. Sie war der Grundstein für Gottscheds Vermittlung der französischen Aufklärung. Schatzberg beschreibt Gottscheds Rolle als Popularisierer und die Relevanz seiner Übersetzungstätigkeit in diesem Kontext:
Gottsched’s translation of Fontenelle’s Entretiens sur la pluralité des mondes is a typical example of popular literature. Occasionally one encounters the opinion that translations of works of this sort were unnecessary in Germany at that time, because anyone interested in science could surely read either Latin or French. However, in addition to the academicians, fluent in Latin, and the aristocrats, fluent in French, there was, by the beginning of the eighteenth century, if not already before, an ever growing segment of the population belonging to neither group but eager for enlightenment. (Schatzberg 1968: 770)
4. Auch in übersetzungsmethodischer Hinsicht begründet Gottsched mit den Fontenelle-Übersetzungen eine Tradition, die er insbesondere bei seinen weiteren nichtliterarischen Übersetzungen fortführte: Er kommentierte seine Übersetzungen ausführlich in Vorworten und Anmerkungen, wobei sich die Kommentare meist weniger auf Übersetzungsprobleme als auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Original beziehen, die durchaus kritisch sein kann. Bei Fontenelle sah sich Gottsched nur in einem Fall genötigt, in seinen Anmerkungen eine dezidiert kritische Position zu beziehen: In seiner Digression sur les Anciens et des Modernes ergreift Fontenelle nach Gottscheds Ansicht zu deutlich Partei für die „modernen“ Autoren. Gegen Perrault, einen prominenten Vertreter der „Modernes“, polemisiert Gottsched in seinem Fontenelle-Kommentar:
Warum lobet Perrault die Franzosen? Weil es der große Ludewig gern höret; weil es die Mitglieder der französischen Akademie kützelt; weil er selbst ein Franzose ist und an dem Ruhme seiner Zeiten teil zu haben hofft. Vortreffliche Beweise! (zit. nach Krebs 1993: 216)
Der zweite große Autor der französischen Aufklärung, der an dieser Stelle erwähnt werden muss, ist Pierre Bayle (1647–1706). Unter tatkräftiger Mitwirkung seiner Ehefrau und weiterer Mitglieder des Gottsched-Kreises erschien in den Jahren 1741 bis 1744 Bayles Historisches und Critisches Woerterbuch in vier Bänden. Gottsched leitete das Projekt, außerdem verfasste er Vorworte zu allen vier Bänden sowie den umfangreichen Anmerkungsapparat. Die Arbeit an diesem Werk war über lange Zeit die Hauptbeschäftigung des Ehepaars Gottsched. Sogar während eines Aufenthaltes in Dresden im Sommer 1742 ruhte die Redaktionsarbeit nicht. In einem Brief schrieb Gottsched: „Bayle beschäftigt uns beyde, in allen Stunden, da wir uns der Arbeit widmen, und der Gesellschaft entziehen können“ (Briefwechsel, Bd. 8: XVIII). Dabei lasen sie sich den französischen und den deutschen Text gegenseitig vor, um die Versionen zu vergleichen.
Zur Zielgruppe des Werkes schreibt Gottsched in der Vorrede des vierten Bandes: „Indessen ist dieß Buch nicht nur fuer Gelehrte vom ersten Range, sondern auch fuer mittelmaeßige Leser bestimmet, die nicht allemal alles wissen“ (AW, Bd. 10/1: 144f). In sprachlicher Hinsicht bemühten sich die Gottscheds daher, Gräzismen, Latinismen und Gallizismen so weit wie möglich zu vermeiden. So finden sich eine Reihe von heute z. T. puristisch anmutenden deutschen Ersatzwörtern, wie etwa „Gnadengeld“ (für „pension“), „Liebeshändelchen“ (für „galanterie“) oder „Stäubchen“ (für „atome“). Die sprachliche kann dabei auch mit einer kulturellen Anpassung einhergehen, wenn z. B. aus dem „consul de Rome“ der „Bürgermeister von Rom“ wird (vgl. Lichtenstein 1915: 38f).
Von besonderem Interesse sind Gottscheds Anmerkungen, die von Marie-Hélène Quéval (2006) in einer instruktiven Studie analysiert wurden. Gottsched, der sich im Zusammenhang mit eigenen, kirchenkritischen Äußerungen heftiger Angriffe von Theologen erwehren musste, die er als „fürchterliche […] Inquisition“ (Briefwechsel, Bd. 4: XII) empfand, wendet bei seinem Bayle-Kommentar – wie auch in anderen Publikationen – einen rhetorischen Kniff an: Er distanziert sich zum Schein von Bayles Standpunkt und zitiert dabei – mit gespielter Empörung – mehrfach religionskritische Schriften, und dies mit expliziten Quellenangaben (z. T. mit Verweis auf deutsche Übersetzungen): „Im Wörterbuch spart er nicht mit Querverweisen auf unorthodoxe, schockierende oder gar atheistische Streitschriften und bestätigt sogar im Gegensatz zu Bayle deren Vorhandensein“ (Quéval 2006: 154f).
1754 erschien mit den Schoenen Kuensten, aus dem einzigen Grundsatze der Nachahmung hergeleitet eine weitere Übersetzung eines bekannten französischen Autors, ein Auszug aus Les beaux-arts réduits à un même principe (1747) von Charles Batteux. Dieser schmale Band war als Lehrbuch für Gottscheds Hörer gedacht. Daher nahm Gottsched verschiedene Anpassungen vor, insbesondere zahlreiche Kürzungen, wie er in seiner Vorrede erläutert:
Ferner hatte Herr Batteux sich in vielen Stellen ganz auf seine Nation eingerichtet, und viel besondere Anmerkungen einfließen lassen, die sich bloß fuer die franzoesische Poesie schicken. So wenig man ihm das uebel nehmen kann; so unnuetz wuerde es gewesen seyn, solche Dinge deutschen Zuhoerern akademischer Lectionen vorzutragen, die insgemein wenig, oder nichts von der franzoesischen Poesie wissen. Solche Stellen nun habe ich entweder sehr ins Kurze gezogen, oder gar ausgelassen. (AW, Bd. 10/2: 392)
Bei einer Reihe von Übersetzungen naturwissenschaftlicher und philosophischer Texte fungierte Gottsched als Herausgeber. Von herausragender Bedeutung ist dabei die 1744 erschienene Leibnitz-Übersetzung Theodicee, das ist Versuch von der Güte Gottes, Freiheit des Menschen und vom Ursprung des Bösen. Gottsched, der vom sächsischen Oberkonsistorium die Auflage erhalten hatte, die bestehende deutsche Übersetzung zu überarbeiten und anstößige Passagen mit kritischen Anmerkungen zu versehen, sah das Werk „gewissermaßen als ‚Begleitbuch‘ und ‚Gegengift‘ zur deutschen Ausgabe des Bayleschen ‚Dictionnaire‘ und brachte sie gleichzeitig mit dessen viertem und letztem Band heraus“ (Horstmann 1996: 553). Zur rezeptionsgeschichtlichen Bedeutung von Gottscheds Ausgabe schreibt Horstmann:
Gottscheds Ausgabe, die 1763 in einer neuen Auflage erschien, ist die bis dahin umfangreichste und übersetzerisch gediegenste. Sie wurde für ein Jahrhundert zur bestimmenden und meinungsbildenden deutschen Ausgabe, sie hat das Leibnitz-Bild des 18. und 19. Jahrhunderts wesentlich mit geprägt (Horstmann 1996: 554).
Bei manchen Übersetzungen sollte der Name des berühmten Professors offenbar auflagensteigernd wirken. So steuerte Gottsched eine Vorrede zu der unter seiner Leitung überarbeiteten deutschen Fassung der Grundlehren der Naturwissenschaft (Elementa Physica) des niederländischen Naturwissenschaftlers Petrus van Musschenbroek bei, die 1747 bei dem deutsch-schwedischen Verleger Kiesewetter erschien: „Es spricht für Gottscheds Ansehen als Vertreter der Philosophie und Naturwissenschaft, daß ein so bedeutender Verleger wie Kiesewetter ein Vorwort vom Leipziger Professor für eine seiner Verlagspublikationen haben wollte“ (Marshall in: AW, Bd. 10/2: 656).
Eine besonders heikle Rolle übernahm Gottsched bei der Herausgabe des Discurs über den Geist des Menschen (1760) des französischen Philosophen C.A. Helvétius. Da das als atheistisch angesehene Original aus dem Jahre 1758 beschlagnahmt und verbrannt worden war, übernahm Gottsched als Kenner der französischen Aufklärung die Aufgabe des Zensors der deutschen, von Johann Gabriel Forkert verfassten Übersetzung. Er entschied sich dazu, die Übersetzung mit einer „warnenden Vorrede“ (AW, Bd. 10/2: 427) passieren zu lassen. In ihr distanziert sich Gottsched von einigen Inhalten des Skandalbuchs und argumentiert, dass die deutsche Übersetzung bei einem Verbot wahrscheinlich als Raubdruck erschienen wäre. Werner Krauss entlarvt dies als Schutzbehauptung, da, wie man aus Andeutungen des Übersetzers schließen kann, Gottsched „in Wahrheit die treibende Kraft der Übersetzung war“ (Krauss 1973: 71).
Übersetzungen literarischer Werke
Hier spielen die Übersetzungen, Bearbeitungen, Ausgaben und Rezensionen von Theaterstücken die zentrale Rolle. In der sechsbändigen Deutsche[n] Schaubühne (1741–1745) erschienen unter Gottscheds Ägide neben einigen Originalwerken insgesamt zwölf Dramenübersetzungen, wobei nach klassischen Normen verfasste französische Tragödien von Corneille, Racine und Voltaire sowie Komödien von Molière, Saint-Evremond und Destouches eine dominierende Stellung einnahmen. Allein sieben Übersetzungen stammten von Luise Gottsched. Gottsched selbst hatte bereits um 1728 mit Racines Iphigenia eine klassische Tragödie übersetzt. Die Druckfassung erschien 1741 im zweiten Teil der Deutsche[n] Schaubühne. Aus der Vorrede zu Racines Tragödie wird deutlich, dass es Gottsched mit seiner Versübertragung keineswegs um eine Leseübersetzung ging, sondern dass er eine Aufführung auf einer deutschen Bühne deutlich im Blick hatte:
Ich habe einige Aenderung in den Personen des Trauerspiels gemacht; da ich ein Frauenzimmer, nemlich das Kammerfraeulein Clytemnestra, weggelassen, und das wenige, so sie zu sagen hatte, dem Hauptmanne von des [sic] Wache, der eben da um die Koenigin ist, in den Mund geleget. Die Ursache, so mich dazu bewogen, ist der Mangel des Frauenzimmers auf unseren Schaubuehnen. (AW, Bd. 3: 106)
Tatsächlich wurde Gottscheds Racine ein „großer Bühnenerfolg“ (Kofler 2007: 1726).
Auf Gelegenheitsarbeiten wie die frühe Übersetzung von Fontenelles Schäferstück Endimion (1728) sowie zwei späte Übertragungen von Werken der Kurfürstin von Sachsen (Der Triumph der Treue und Thalestris) gehe ich nicht näher ein. Besondere Beachtung verdient dagegen das Trauerspiel Sterbender Cato (1732), das in vielen germanistischen Standardwerken traditionell als Originalwerk Gottscheds verzeichnet wird, aber fast vollständig auf anderssprachigen Texten beruht, auf Addisons Cato (1713) und Deschamps‘ Caton d’Utique (1715). Nach Darstellung von Kofler (2007: 1725) gehen nur 174 von insgesamt 1648 Versen nicht auf diese beiden Vorlagen zurück. Auf inhaltlicher Ebene kombinierte Gottsched Elemente beider Stücke. Im Versmaß setzte sich das französische Modell durch: In dem auf Addison beruhendem fünften Akt ersetzt Gottsched die Blankverse durch Alexandriner in Paarreimen. In einem zuvor veröffentlichten Fragment einer Übersetzung von Addisons Stück hatte sich Gottsched noch für reimlose Verse entschieden (vgl. Van Gemert 1983: 181).
So sehr Gottsched französische Theaterstücke schätzte und deren Übersetzungen förderte, so sehr bekämpfte er die Übersetzungen der Dramen Shakespeares, denn
in Shakespeares Dramen fanden sich alle Merkmale, gegen die seine Theaterreform ankämpfte: die Übertretung der aristotelischen Einheiten von Handlung, Ort und Zeit, die Nichtbeachtung der Ständeklausel, die Missachtung der Wahrscheinlichkeit, die Mischung von Komischem und Tragischem und ein Sprachstil, der […] den klassizistischen Decorum-Begriff geradezu auf den Kopf stellte (Kofler 2007: 1732).
An Wilhelm von Borcks 1741 veröffentlichter Übersetzung von Julius Cäsar ließ Gottsched in den Critische[n] Beytraegen kein gutes Haar, obwohl der Übersetzer sich im Versmaß (gereimte Alexandriner) an die von Gottsched propagierten Forderungen angepasst hatte und obwohl sich mit Johann Elias Schlegel ein wichtiger junger Literat aus seinem Umfeld deutlich positiver zu der Borckschen Übersetzung geäußert hatte (vgl. Müller 1977: 7). Bemerkenswert ist dabei, dass Gottsched in seiner Übersetzungskritik methodisch nicht sauber zu argumentieren scheint, da er in Bezug auf den Gegenstand seiner Kritik nicht immer zwischen Original und Übersetzung unterscheidet.
Im Vergleich zu den Dramen spielen Übersetzungen anderer literarischer Gattungen bei Gottsched eine untergeordnete Rolle. In einigen Übersetzungen widmet sich Gottsched antiken Dichtern. So erschien im neunten Band der Critische[n] Beytraege (1734) der „Versuch einer Übersetzung Anacreons in reimlose Verse“. Für diese Arbeit hat Gottsched, der kein ausgewiesener Gräzist war, vermutlich die zweisprachige Ausgabe von Madame Dacier zu Hilfe genommen (vgl. AW, Bd. 11: 46f).
Französische Vorübersetzungen spielten wohl auch bei gelegentlichen Übersetzungen aus dem Russischen eine Rolle. Nach Graßhoffs Darstellung war Gottsched der Verfasser „der ersten deutschen Übersetzung einer Satire Antioch Kantemirs“ (Graßhoff 1970: 191), die 1751 im Rahmen eines Artikels der Zeitschrift Das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit veröffentlicht wurde. Da zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits eine französische Gesamtausgabe von Kantemirs Satiren vorlag (zweite Auflage 1750), liegt die Vermutung nahe, dass Gottsched diese für seine Übersetzung herangezogen hat.
Besondere Erwähnung verdient eine umfangreiche Übersetzung aus dem Niederdeutschen: Heinrichs von Alkmar Reineke der Fuchs (1752). Gottsched, der nicht, wie er in der Titelei angab, aus der Originalausgabe von 1498 übersetzte, sondern aus einer Ausgabe von 1711 (vgl. AW, Bd. 4: 474), geht in seiner Einleitung u. a. auf die sprachlichen Probleme der Übersetzung ein: Als für die Übersetzung relevant erwähnt er seine Kenntnisse im (preußischen) Plattdeutschen und im Niederländischen. „Etliche veraltete Wörter“ habe er aber nur mit Hilfe von Wörterbüchern verstehen können (AW, Bd. 4: 65f.). Vor den gestrengen Augen einer Kennerin des Niederdeutschen hat Gottscheds Übersetzung jedoch keinen Bestand: Gisela Östlund weist Gottsched in einer detaillierten Analyse zahlreiche, vor allem lexikalische Fehlleistungen nach und äußert den Eindruck, dass die Übersetzung in großer Eile erstellt worden sei (vgl. Östlund 1960/62: 184). Joachim Birke wirft Gottsched vor, den pessimistischen Grundton der Fabel nicht wahrgenommen zu haben:
Sowohl er als auch die von ihm geschätzten Kommentatoren übersahen freilich den pessimistischen, stellenweise geradezu zynischen Unterton der Fabel, in der die geniale Niederträchtigkeit des Fuchses Triumphe feiert. Gottscheds Fortschrittsgläubigkeit ließ es jedoch nicht zu, die Niederlage des Guten endgültig zu akzeptieren. Unbekümmert reiht er deshalb in seiner Critischen Dichtkunst das ‚lustige Buch‘ unter die ‚scherzhaften Heldengedichte‘ ein. (AW, Bd. 4: 476)
Übersetzungstheorie und -methode
Obwohl Übersetzungen eine wichtige Funktion in seinem Reformprogramm einnahmen, hat Gottsched keine eigenständige Abhandlung zur übersetzungstheoretischen Fragen hinterlassen.1Eine Abhandlung aus dem Umfeld Gottscheds ist Georg Venzkys Aufsatz „Das Bild eines geschickten Übersetzers“, der 1734 in Gottscheds Critische[n] Beyträge[n] erschien (vgl. Fränzel 1913: 34ff). Quellen für die Beschreibung seiner Übersetzungstheorie und -methodik sind Vorreden zu eigenen oder von ihm herausgegebenen Übersetzungen, Beiträge in Zeitschriften (insbesondere Rezensionen), sowie Passagen in umfangreicheren Abhandlungen, vor allem in seiner Critische[n] Dichtkunst und seiner Ausführliche[n] Redekunst. Die Stoßrichtung ist immer ähnlich und sie passt zum Einbürgerungsideal der Aufklärung (vgl. Poltermann 1987). Koller fasst Gottscheds Standpunkt treffend zusammen:
Für Gottsched sind Übersetzungen dann gute Übersetzungen, wenn sie mit den Regeln der Dichtkunst, mit den Grundsätzen der aufklärerischen normativen Poetik übereinstimmen. Wo ein Original den Regeln nicht entspricht, hat der Übersetzer die Aufgabe zu ‚bessern‘, zu erweitern, zu straffen, zu kürzen. Die Übersetzung soll sich nahtlos in die Originalliteratur einfügen. Dazu gehört auch, daß sie den Regeln der Sprachkunst genügt; das bedeutet für Gottsched, daß die Übersetzung ganz deutsch zu sein hat (Koller 1984: 124).
Hinzufügen muss man allerdings, dass nicht irgendeine Form des Deutschen gemeint ist, sondern jene Varietät des Hochdeutschen, die Gottsched als vorbildlich ansah. Deutlich wird dies z. B. im Vorwort der von ihm herausgegebenen Neuausgabe einer Cicero-Übersetzung von Johann Adolf Hofmann. Für die Neubearbeitung habe er die
hofmannische Schreibart von unzaehlichen falschen Wortfuegungen und niedersaechischen Redensarten gesaeubert, die reingewoehnten hochdeutschen Ohren anstoeßig und widrig klingen. Herr Hofmann hat niemals lange genug in Oberdeutschland gelebet, und hat also den Uebelstand derselben nicht einsehen lernen. (AW, Bd. 10/1: 170)
Übersetzungen, die sich im Stil stärker am Ausgangstext als an den Konventionen der Zielsprache orientierten und damit Vorboten eines neuen, sprachlich verfremdenden Übersetzungsstils waren, verurteilte Gottsched scharf (vgl. Senger 1971: 73f). Damit stand er im Widerspruch zu seinen Schweizer Kontrahenten Bodmer und Breitinger. Die Übersetzung von Miltons Paradise Lost bezeichnete er z.B. als „rauh und wild“ (zit. nach Huber 1968: 12).
Was die inhaltliche Anpassung angeht, so vertritt Gottsched kein einheitliches Vorgehen: Die Anpassung von Eigennamen wird z. B. in der Regel abgelehnt, in einigen Fällen jedoch befürwortet (vgl. Fuchs 1935: 52). Zu den Ausnahmen gehören insbesondere Lustspiele, für die er im Dienste der Bühnenwirksamkeit eine weitgehende Adaptation mit Verlegung des Schauplatzes nach Deutschland empfiehlt (vgl. Beam 1906: 5).
Ein Fazit zu Gottscheds Verdiensten als Übersetzer und Vermittler fällt aufgrund des Schattens, der durch die vernichtende Kritik Lessings (vgl. Birke 1968) auf sein Lebenswerk fällt, nicht ganz leicht. Die Besonderheit von Gottscheds Übersetzungstätigkeit liegt sicherlich darin, dass seine Übersetzungen Teil eines übergreifenden Programms waren. Man könnte daher mit Fug und Recht von einer Übersetzungspolitik sprechen. Die Tatsache, dass Gottsched sein Programm nicht nachhaltig durchsetzen konnte, mindert zwar seinen Ruhm, tut aber seiner Leistung als Verfasser, Herausgeber und Förderer von Übersetzungen im Kontext der europäischen Aufklärung keinen Abbruch.
Interessante Einblicke in Gottscheds Schaffen, auch im Hinblick auf die Übersetzungstätigkeit, erlaubt die seit 2007 im Erscheinen begriffene, kommentierte Ausgabe seines – leider nur lückenhaft überlieferten – Briefwechsels. Ein Desideratum für die Übersetzungsforschung wäre eine vollständige Werkausgabe, die (ggf. in digitalisierter Form) auch die nichtliterarischen Übersetzungen erfasst. Die Ausgewählte[n] Werke enthalten Gottscheds Dramen- und Gedichtübersetzungen, von den wichtigsten nichtliterarischen Übersetzungen sind lediglich die Vorworte abgedruckt.
Anmerkungen
- 1Eine Abhandlung aus dem Umfeld Gottscheds ist Georg Venzkys Aufsatz „Das Bild eines geschickten Übersetzers“, der 1734 in Gottscheds Critische[n] Beyträge[n] erschien (vgl. Fränzel 1913: 34ff).