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Georg Philipp Harsdörffer, 1607–1658

1. November 1607 Fischbach (Nürnberg) (Reichsstadt Nürnberg) - 17. September 1658 Nürnberg (Reichsstadt Nürnberg)
Original- und Ausgangssprache(n)
Englisch, Französisch, Italienisch, Latein, Spanisch

Georg Philipp Harsdörffer wurde am 1. November 1607 in Nürnberg geboren. Vater und Mutter stammten aus einem alten Nürnberger Patriziergeschlecht, der Sohn erhielt eine standesgemäße, lateinisch basierte Erziehung. Mit 15 Jahren begann er in Altdorf Jura zu studieren und wechselte 1626 nach Straßburg. Das war der Beginn seiner fünf Jahre dauernden Bildungsreise („peregrinatio academica“) nach der Schweiz, nach Frankreich, den Niederlanden, England und vor allem nach Italien (Padua, Bologna, Siena). Wie bereits sein Vater, dessen west- und südeuropäische „peregrinatio“ sogar acht Jahre umfasst hatte, gehörte Georg Philipp Harsdörffer „sprachlich-kulturell und gesellschaftlich der Gelehrtenschicht als europäischer ‚Standeskultur‘“ an (Verweyen 2003).

Harsdörffer gilt als „Polyhistor“. Zu unterschiedlichsten Wissensgebieten einschließlich Mathematik und Astronomie hat er mehr als fünfzig Bücher publiziert. Nach dem Vorbild der italienischen Accademia della Crusca (gegründet 1583 in Florenz), der Accademia degli Intronati (gegründet um 1525 in Siena) sowie der Fruchtbringenden Gesellschaft (gegründet 1617 in Weimar) rief Harsdörffer gemeinsam mit Johan Claj 1644 in Nürnberg den Pegnesischen Blumenorden zur Verbesserung der deutschen Sprache und Dichtung ins Leben. Mittel zu dieser „Verbesserung“ waren u.a. translatorische Handlungen wie die Eindeutschung von Fremdwörtern (z.B. „Briefwechsel“ statt „Korrespondenz“, „Zweikampf“ statt „Duell“) und die Übersetzung fremder vorbildlicher Texte.

Wie umfassend Harsdörffers Gesamtwerk durch übersetzerisches Handeln, genauer: durch die Aneignung französischer, italienischer und auch spanischer Texte geprägt ist, hat Theodor Verweyen 2003 in einem Vortrag anhand der Harsdörfferʼschen Buchtitel demonstriert:

Frauenzimmer Gesprechspiele / so bey Ehr- und Tugendliebenden Gesellschaften / mit nutzlicher Ergetzlichkeit / beliebet und geübet werden mögen / Erster Theil. Aus Jtaliänischen / Frantzösischen und Spanischen Scribenten angewiesen / […] Durch Einen Mitgenossen […] Jm Jahre 1644.

Hat die ältere germanistische Forschung Harsdörffers Angaben zur Herkunft der „Gesprächsspiele“ für eine „buchmarktschreierische Anpreisung im wörtlichsten Sinne“ (ebd.) gehalten, so neigt Verweyen dazu, die in den Autoren- und Werkverzeichnissen der Gesprächsspiele gelisteten mehr als 500 Titel durchaus für bare Münze zu nehmen. Ein weiteres Beispiel ist der Titel einer der zahlreichen Erzählsammlungen Harsdörffers:

Heraclitus und Democritus Das ist C. Fröliche und Traurige Geschichte: gedolmetscht Aus den lehrreichen Schrifften H. P. Camus Bischoffs zu Belley. benebens angefügten X. Geschichtreden aus Den Griechischen und Römischen Historien zu übung der Wolredenheit gesamlet […] Nürnberg […] 1652.

In diesem Titel geben das Signalwort „gedolmetscht“ und der Name des ‚gedolmetschten‘ Autors, Jean-Pierre Camus, konkrete Hinweise darauf, daß es sich bei der Erzählsammlung Harsdörffers um die übersetzende Aneignung einer fremden Vorlage handelt – mehr noch: im Titel sind zudem zweckgebundene, der rhetorischen Ausbildung, der „Wolredenheit“ dienende Anleihen aus der griechischen und lateinischen Historiographie angekündigt. (Verweyen)

Neben der „übersetzenden Aneignung“ gibt es bei Harsdörffer die „verarbeitende Aneignung“ von „Vorbilderzählungen“. Verweyen belegt das an dem 1651 erschienenen Band Der Grosse Schau-Platz / Lust- vnd Lehrreicher Geschichte. Das erste hundert. […] Franckfurt […] 1651:

In diesem Schauplatz ist, obwohl dessen Titel nicht einmal einen Herkunftsbeleg anführt, eine Schicht erzählender Prosa nachgewiesen worden, die aus dem Spanischen stammt. Und zwar hat Harsdörffer schon in dieser einen der vielen Werkschichten sieben Erzählungen aus den zwölf Novelas ejemplares entlehnt, die der große spanische Autor Miguel de Cervantes Saavedra 1613 publiziert hatte: Erzählungen wie die vom „betrogenen Betrüger“, von der „Regung des Geblüts“ oder auch von der „edlen Dienstmagd“. Dabei geht der Nürnberger nicht den Weg der mehr oder weniger wörtlichen Übersetzung – wozu er imstande gewesen wäre –, sondern den Weg der verarbeitenden Aneignung der Vorbilderzählungen und zugleich der Profilierung des Exemplarischen der Mustertexte. (Verweyen)

Das um 1750 mit Macht einsetzende Originalitätsprimat und eine verengend national ausgerichtete Literaturforschung haben bewirkt, dass die weitgehend auf Translationen beruhenden literarischen Leistungen Harsdörffers und seiner Zeitgenossen als des Tradierens nicht werte Nachahmungen (oder gar Plagiate) aus dem Kanon des heute noch Lesenswerten ausgesondert wurden.

Von der Komparatistik lernend könnte sich die historisch ausgerichtete Translationsforschung intensiver auch mit einer Epoche befassen, in der nahezu europaweit das Übersetzen und die Nachahmung im Sinne eines „literarischen Wettkampf[s] mit vorbildlichen Autoren, Musterwerken und Werkmustern“ (ebd.) vorherrschende Schreibpraxis der Höhenkamm-Autoren war. Literaturtheoretisch bzw. didaktisch hat Harsdörffer – einem Schlusspassus aus Opitzens Buch von der Deutschen Poeterey (1624: 71) aufgreifend – den Nutzen der Nachahmung in seinem Poetischen Trichter (1647–1653) mit Verweis auf den Umgang der besten römischen Dichter mit ihren griechischen „Vorläufern“ begründet:

Hierher gehöret was Cicero aus Demosthene / Virgilius aus Homero, Horatius aus Pindaro abgesehen und sehr glückselig nachgekünstelt / daß auch jener recht gesagt; die Römischen Redner und Poeten haben aus der Griechen alten Mänteln neue Kleider gemachet / und sie mit guldnen und silbernen Borten verbremet / daß sie nicht mehr erkantlich gewesen. Oder / wie ein ander hiervon ein solches Gleichnis gegeben: der jüngern grosse Kertze ist von der ältern kleinen Lampen angezündet worden / und leuchtet viel heller als jene. Zu solchem Ende lesen wir vortrefflicher Leute Bücher / daß wir von ihnen lernen und ihrer Wolredenheit nachahmen wollen. (Zit. n. Verweyen 2003.)

Quellen

Battafarano, Italo Michele (Hg.) (1991): Georg Philipp Harsdörffer: ein deutscher Dichter und europäischer Gelehrter. Bern u.a.: Lang.
Hess, Peter (1986): Poetik ohne Trichter. Harsdörffers "Dicht- und Reimkunst". Stuttgart: Hans-Dieter Heinz, Akademischer Verlag Stuttagrt. (Dissertation 1984 University of Michigan, Ann Arbor).
Hess, Peter (1992): Imitatio-Begriff und Übersetzungstheorie bei Georg Philipp Harsdörffer. In: Daphnis Jg. 21 (1992), S. 9–26.
Keppler-Tasaki, Stefan / Kocher, Ursula (Hg.) (2011): Georg Philipp Harsdörffers Universalität. Beiträge zu einem uomo universale des Barock. Berlin: de Gruyter.
Lorenzen, Käthe (1966): Harsdörffer, Georg Philipp. In: Neue deutsche Biographie Bd. 7. Berlin: Duncker & Humblot, S. 704f.
Opitz (1624) = Martin Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Studienausgabe. Mit dem 'Aristarch' (1617) und den Opitzschen Vorreden zu seinen 'Teutschen Poemata' (1624 und 1625) sowie der Vorrede zu seiner Übersetzung der 'Trojanerinnen' (1625). Hg. von Herbert Jaumann. Stuttgart: Reclam 2017. (RUB 18214).
Trunz, Erich (1931): Der deutsche Späthumanismus um 1600 als Standeskultur. In: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts. Jg. 21 (1931), S. 17–53.
Verweyen, Theodor (2003): Georg Philipp Harsdörffer – ein Nürnberger Barockautor im Spannungsfeld heimischer Dichtungstraditionen und europäischer Literaturkultur. In: Erlanger digitale Edition. Beiträge zur Literatur- und Sprachwissenschaft, 20. Mai 2003. (Online-Edition).

Zitierweise

Kelletat, Andreas F.: Georg Philipp Harsdörffer, 1607–1658. In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 17. Februar 2024.