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Martin Opitz, 1597–1639

23. Dezember 1597 Bunzlau in Niederschlesien (Böhmische Krone) - 20. August 1639 Danzig (Königliches Preußen)
Auszeichnungen
Poeta laureatus (1625 Wien durch Kaiser Ferdinand II.), Aufnahme in die Fruchtbringende Gesellschaft (1629)

Der aus Schlesien stammende Martin Opitz (1597–1639) galt durch das ganze 17. Jahrhundert als der bedeutendste deutsche Dichter überhaupt. In seinem wirkmächtigen Opitz-Essay von 1923 zitiert Friedrich Gundolf die Lobeshymnen der zeitgenössischen Dichterzunft auf Opitz als „Erretter deutscher Sprache“, „Wunder der Deutschen“, als „Ausbund und Begriff aller hohen Kunst und Gaben“ (Gundolf 1923: 50).1Ein weiteres Beispiel ist Caspar Barths 1631 unter einem Opitz-Porträt angebrachtes lateinisches Distichon „Talis, lector, erat […]“. Altmeister Erich Trunz hat den Zweizeiler formbewahrend (Hexameter und Pentameter) ins Deutsche gebracht: „So war, Leser, das Antlitz des apollinischen Sängers / Opitz, welcher der Fürst ist für das deutsche Gedicht.“ (Trunz 1990: 529). Erstaunlich das Präteritum „erat“ / „war“ im Jahr 1631, acht Jahre vor dem Tod des Gerühmten. Den für UeLEX benutzten Nachstich von Johann-Baptist Paravicini erwähnt Trunz nicht. Spätere Zeiten haben anders gewertet und die Gedichte von Autoren wie Simon Dach (1605–1659), Paul Fleming (1609–1640), Andreas Gryphius (1616–1664) oder Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1617–1679) deutlich über Opitz’ lyrische Werke gestellt. „Wie unendlich hob ihn seine Mitwelt empor, aber er stand nicht wahrhaft hoch“ (Gervinus 1853: 214f.).2Vernichtend urteilte Wilhelm Scherer 1883 in seiner Geschichte der Deutschen Litteratur: „[…] nie hat ein unbedeutender Dichter mit so geringem Recht eine bedeutende Stellung in der Litteraturgeschichte errungen, wie Opitz.“ (Scherer 1902: 320) Weithin unbestritten blieb allerdings, dass erst mit Opitz jene Aufwertung der Volkssprache zur Literatursprache nachgeholt wurde, die seit Dantes De vulgari eloquentia (1303/1305) in Italien (Petrarca, Sannazaro, Tasso), Frankreich (Ronsard, die Pléiade) und Spanien (Lope de Vega), aber auch in England (Sidney), den Niederlanden (Heinsius, Hooft) und in Polen (Kochanowski) das Lateinische Schritt für Schritt als Sprache der Poesie zurückgedrängt hatte.

Dass sich nur das Lateinische und keineswegs das Deutsche für eine anspruchsvollere Versdichtung eigne, war vor Opitz’ Auftreten allgemeine Auffassung. Seine Kritik an der Alleinherrschaft des Lateinischen als Sprache der Poesie sowie an der Überschwemmung des von den Gebildeten gesprochenen Deutschen durch lateinische und französische Wörter und Wendungen kritisierte Opitz3Diese Kritik führte – natürlich nicht nur bei Opitz, auch in den damals entstehenden Sprachgesellschaften – zur Suche nach jeweils passenden deutschen Ausdrücken für bisher nur in fremden Sprachen Ausdrückbares. Sogar das Wort „übersetzen“ soll laut Gundolf von Opitz stammen. Bei Gundolf heißt es: „Fast alle zusammengesetzten Hauptworte, die nicht unmittelbar dem Leben entstammen, sondern dem gelehrten Nachdenken, fast alle Übertragungen aus dem Französischen, Holländischen und dem Humanistenlatein gehen auf Opitz und seine Schüler zurück, auf sein Bemühen durch und wider das Fremde deutsche Sprache zu bilden (z. B. übersetzen, Trauerspiel, Oberfläche, umarmen, Staatsmann, Sprachkunst, Schweinerei, Schwerpunkt, lustwandeln, umschreiben).“ (Gundolf 1923: 43). als noch nicht 20-Jähriger „voll kompromisslosen Jugendeifers“ (Szyrocki 1974: 22). Er tat dies in einer 1617 auf Lateinisch (!)4„Opitz ist […] während seiner ganzen Schaffenszeit zugleich neulateinischer Schriftsteller geblieben. Er lebte immer zweisprachig, lateinisch und deutsch. Als er in Leipzig Olearius sprach […], in Leiden Heinsius und in Paris Grotius, war die Sprache, in der sie sich unterhielten, selbstverständlich Latein, das war ihrer aller gemeinsame Sprache“ (Trunz 1975: 22*) Vgl. ferner das Kapitel Der Übergang der Neulateiner zur deutschen Dichtung aus Trunz’ Dissertation von 1931, erstmals veröffentlicht in Trunz (1995: 207–227). veröffentlichten Rede mit dem Titel Aristarchus sive de contemptu Linguae Teutonicae (Aristarch oder Wider die Verachtung der deutschen Sprache).5Eine deutsche Übersetzung samt Stellenkommentar findet sich in Opitz (1624: 77–94 und 169–173). Diesem frühen sprach- und dichtungsreformerischen Programmtext ließ Opitz 1624 sein ungeheuer erfolgreiches Buch von der Deutschen Poeterey folgen.6Nur zwei Jahre zuvor hatte Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen seinen Kurtzen Bericht der [von ihm 1617 gegründeten; AFK] Fruchtbringenden Gesellschaft veröffentlicht. Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Reformschriften behandelt Campe (2007).Den kulturpolitischen und literarhistorischen Kontext und Rang des Opitzschen Reformvorhabens hat deutlich bereits Gervinus im Opitz-Kapitel seiner Geschichte der Deutschen Dichtung (1853: 202–239) dargestellt; erneut haben ihn Friedrich Gundolf 1923 in einem 52 Druckseiten umfassenden biografischen Essay sowie Richard Alewyn 1926 in seiner 63 Seiten umfassenden Heidelberger germanistisch-übersetzungswissenschaftlichen Dissertation Vorbarocker Klassizismus und griechische Tragödie präzise umrissen. Für Gundolf hat Opitz

der deutschen Sprache […] eine neue Kraft verliehen, ihr wieder den Geist europäischer Bildung, höfischer Sitte vermittelt, soweit sie in ihrem [seit Luther herrschenden] einsamen Seelenstammeln, Pfaffengezänk oder bürgerlichen Grobianismus damals dessen noch fähig war. Was war seit Luther lebbar [sic!] und sagbar auf deutsch? (Gundolf 1923: 41)

Den Bereich des in deutscher Sprache und Dichtung Sagbaren und erst dadurch auch „Lebbaren“ erheblich erweitert zu haben, betont Gundolf und rühmt an Opitz, dass er zudem „die Flucht des deutschen Geistes aus der europäischen Bildung“ verhütet habe (ebd.: 52). Alewyn spricht in seiner „bei Max von Waldberg in Heidelberg eingereichte[n], von Gundolf inspirierte[n] Dissertation über die Antigone-Übersetzung des Martin Opitz“ (Garber 2005: 100f.) von dessen „Erfindung der deutschen Kunstdichtung“:

[Der] Gegensatz zwischen einer lateinischen Kunstdichtung und einer deutschen Volksdichtung beherrscht die unentschlossen gespannte Atmosphäre um die Wende des 16. Jahrhunderts. Alles wartete auf einen, der entschlossen war, diese Spannung aufzulösen. Das war Opitz. Er hatte nur eine einzige simple Idee, die noch nicht einmal ganz originell war: die Nationalisierung der humanistischen Poesie durch Erfindung einer deutschen Kunstdichtung. Das Vorbild gab das stammverwandte Holland. […] Und dieses Programm hat der kleine, lebhafte Mann durchgeführt unter Einsatz all seiner persönlichen Gaben, gewinnender Liebenswürdigkeit, unbeirrbarer Zähigkeit und patriotischen Eifers.7Das fast ein halbes Jahrhundert lang gemiedene Thema „Die deutschen Dichter und ihre Nation“ kam nach dem Beitritt der DDR zur BRD erneut auf die germanistische Publikationsliste. Über Die Dichtungsreform des Martin Opitz zwischen nationalem Anspruch und territorialer Ausrichtung schrieb Rudolf Drux (1993).Einige solcher Begabungen mehr, und der literarische Betrieb wäre in Deutschland so zentralisiert worden, wie es in Frankreich geschah. Wenn man sich einmal daran gewöhnen wollte, Opitz nicht lediglich als Dichter, sondern als Literaturorganisator, als Impresario allergrößten Stils zu betrachten, dann müßte man bekennen, daß hier tatsächlich eine große Aufgabe den richtigen Mann gefunden hatte. Sein Verdienst allein ist es zu nennen, daß bei seinem Tode tatsächlich eine ganze Generation von jungen Dichtern auf dem Plan stand. Daß kein Genie unter ihnen war, ist nicht seine Schuld. (Alewyn 1926: 12)8Den gesellschaftspolitischen Ort der Opitzschen Reformagenda (u. a. seine „mit Nachdruck propagierte Koalition zwischen höfischer (Beamten-)Elite und literarischer Kultur“ hat im Anschluss an Alewyn Herbert Jaumann 2002 herausgearbeitet (Neuauflage 2017: 203); an Alewyns (u. a. stilgeschichtliche) Überlegungen zur „Erfindung der deutschen Kunstdichtung“ knüpft in einer umfangreichen Studie Volkhard Wels (2018) an, bei ihm auch die gesamte ältere und neuere Forschungsliteratur zu diesem Thema.

Seine „Erfindung einer deutschen Kunstdichtung“ erreichte Opitz durch die Einordnung der künftig zu schreibenden „muttersprachliche[n] Dichtung in die jahrhundertealte rhetorische Tradition“ (Grimm 1988: 147)9Wie sehr sich Opitz und die ihm folgenden Dichter „in den auch der neulateinischen Lyrik vertrauten Bahnen“ bewegt haben, wie eng also der Zusammenhang zwischen neulateinischer Poesie des 16. und deutschsprachiger des 17. Jahrhunderts war, zeigt detailreich Conrady (1962: 195-221, 267). Mit seinem aus diesen Abhängigkeiten resultierenden Vorschlag, auf die Charakterisierung der deutschen Lyrik des 17. Jahrhunderts als „barock“ gänzlich zu verzichten und sie als „Renaissance-Lyrik“ zu bezeichnen (ebd.: 221), hat er sich nicht durchgesetzt. – Auch Trunz hat mehrfach hervorgehoben, dass es sich bei Opitz „um die Fortführung einer lateinischen Tradition handelt, nur in deutscher Sprache“ (Trunz 1975: 5*). sowie durch seine Vorschläge für eine Reform der Verssprache. Er ersetzte den bisher im Deutschen üblichen, für kunstlos gehaltenen Knittelvers durch einen – der holländischen Dichtung (Heinsius) abgeschauten bzw. abgehörten – Vers mit regelmäßiger Abfolge betonter und unbetonter Silben (Jamben und Trochäen):

Nachmals ist auch ein jeder verß entweder ein iambicus oder trochaicus; nicht zwar das wir auff art der griechen vnnd lateiner eine gewisse grösse der sylben können inn acht nemen; sondern das wir aus den accenten vnnd dem thone erkennen, welche sylbe hoch vnnd welche niedrig gesetzt soll werden. Ein Iambus ist dieser: // „Erhalt vns Herr bey deinem wort.“ Der folgende ein Trochéus: // „Mitten wir im leben sind.“ // Dann in dem ersten verse die erste sylbe niedrig, die andere hoch, die dritte niedrig, die vierde hoch, vnd so fortan, in dem anderen verse die erste sylbe hoch, die andere niedrig, die dritte hoch, &c. außgesprochen werden. Wiewol nun meines wissens noch niemand, ich auch vor der zeit selber nicht, dieses genawe in acht genommen, scheinet es doch so hoch von nöthen zue sein, als hoch von nöthen ist, das die Lateiner nach den quantitatibus oder grössen der sylben jhre verse richten vnd reguliren. (Opitz 1624: 52)

Die in der Forschung regelmäßig vorkommende Rede von der Harmonisierung von Wortakzent und Versakzent findet sich bei Opitz in dieser Prägnanz nicht, schon gar nicht hat er das als Regel „verkündet“ (Kayser 1946/1960: 68). Dass es um eine solche Übereinstimmung ging, zeigen indirekt die von ihm angeführten Beispiele sowie seine Überarbeitung eigener vor 1625 entstandener Verse.

Als Entsprechung für den Hexameter der griechischen und römischen Dichtung führte er den aus dem Französischen entlehnten Alexandriner ein. Mit seinen metrischen Neuerungen war „der entscheidende Schritt, der der deutschen Dichtung bis Klopstock den Weg wies, getan“ (Szyrocki 1974: 35). Opitz ging ferner davon aus, dass Dichtung – angeborene Begabung („ingenium“) vorausgesetzt – erlernt werden könne, sogar erlernt werden müsse. Seine normative Poetik entsprach der den angehenden Poeten vertrauten rhetorischen Schulpraxis von Lektüre und Nachahmung des an klassischen (sprich: lateinischen) Beispielen Erlernten. Wobei zwischen Lektüre und Nachahmung („imitatio“) das Übersetzen („translatio“) ins Spiel kam. Im Schlusskapitel seines Poeterey-Buches heißt es daher:

Eine guete art der vbung aber ist / das wir vns zueweilen auß den Griechischen vnd Lateinischen Poeten etwas zue vbersetzen vornemen: dadurch denn die eigenschafft vnd glantz der wörter / die menge der figuren / vnd das vermögen auch dergleichen zue erfinden zue wege gebracht wird. Auff diese weise sind die Römer mit den Griechen / vnd die newen scribenten mit den alten verfahren: so das sich Virgilius selber nicht geschämet / gantze plätze auß andern zue entlehnen […]. (Opitz 1624: 71)

Die Aufforderung an die deutschen Dichter, in ihrer Muttersprache zu schreiben, bedeutete somit nicht, dass sie vom Studium der antiken Literaturen absehen sollten. Im Gegenteil betonte Opitz, dass er es

für eine verlorene arbeit halte / im fall sich jemand an vnsere deutsche Poeterey machen wollte / der / nebenst dem das er ein Poete von natur sein muß / in den griechischen vnd Lateinischen büchern nicht wol durchtrieben ist / vnd von jhnen den rechten grieff erlernet hat; das auch alle die lehren / welche sonsten zue der Poesie erfordert werden / […] bey jhm nichts verfangen können. (Ebd.: 25)

Das Übersetzen aus den alten und modernen Sprachen galt Opitz als Sprachübung, die den

Erweis der grundsätzlichen Eignung der deutschen Sprache zu höherer Dichtung [erbringen sollte] […] Alle dichterischen Versuche Opitzens haben diesen Charakter des Experiments. […] Und in der Tat hat wohl niemals vorher das Uebersetzen für die deutsche Dichtung eine solche Bedeutung gehabt wie damals, wo es buchstäblich galt, eine Sprache allererst zu schaffen. (Alewyn 1926: 13)10Vgl. hierzu die stärker differenzierenden, allerdings mit einem engen Übersetzungsbegriff operierenden Überlegungen Conradys in seiner Habilitationsschrift (1962: 190f.).

Was Opitz für diese selbstgestellte Aufgabe mitbrachte, war – neben seiner klug durchdachten Reformstrategie und Netzwerkbildung11Zur Reformstrategie vgl. Jaumann (2017: 197–204), zur Netzwerkbildung, einschließlich „Textnetzwerken“, diverse Beiträge in Arend/Steiger (2020). – vor allem seine Sprachbegeisterung. Das Übersetzen wurde bei ihm zur Einübung in eine Kunst eigener Art, bei der es sowohl um die Entdeckung und Eindeutschung zahlreicher literarischer Gattungen ging wie um die Arbeit am einzelnen Satz und einzelnen Wort. Neue Wörter z. B. sollten die deutschen Dichter nach dem Vorbild Ronsards, Scaligers oder Catulls „erdencken“, indem z. B. die Nacht oder die Musik als „Arbeitströsterin“ oder „Kummerwenderin“ bezeichnet wird, die Kriegsgöttin „mit einem dreyfachen worte kriegs-blut-dürstig“ oder der Nordwind als „Wolkentreiber“, „Felsenstürmer“ und „Meeraufreißer“ (Opitz 1624: 37).12In geballter Form bildete Opitz solche Komposita in seiner „Verdolmetschung“ von Heinsius’ „Lobgetichte des Weingottes / welches er auch zum theil von dem Ronssardt entlehnet“: „Nacht-leuffer / Hüffte-sohn / Hoch-schreyer / Lüfftenspringer // Guet-Geber / Liebes-freundt / Haupt-brecher / Löwenzwinger // Hertz-fänger / Hertzen-dieb / Mund-binder / Sinnen-toll // Geist-rhürer / wackel-fuß / Stadt-kreischer / Allzeit-voll“ (Opitz 1624: 38). – Opitz zitiert auch den niederländischen Text: „Nacht-looper / Heupe-soon / Hooch-schreeuwer / Grootespringer // Goet-geuer / Minne-vrient / Hooft-breker / Leeuwendwinger // Hert-vanger / Herßen-dief / Tong-binder / Schuddebol // Geest-roerder / Waggel-voet / Staet-kruijßer / Altijet-vol“ (ebd.: 38). – „Hertzen-dieb“ für „Herßen-dief“ zu setzen, ist eine Interferenz, „herssen“ (heute „hersen“) bedeutet „Gehirn“, „Verstand“, nicht „Herz“ (vgl. ebd.: 152f.). – Das Lobgetichte des Weingottes dienen auch Gundolf bereits als Beleg für das Opitzsche Streben nach „neugeschaffenen, gewählten Ausdrücke[n]“ (Gundolf 1923: 33).

Das Buch von der Deutschen Poeterey enthält viele weitere Übersetzungen, insbesondere aus dem Französischen des Ronsard (Opitz 1624: 22, 47, 57f., 60f.), daneben die zwölfte Idylle von Theokrit (ebd.: 44f.), für die Opitz die niederländische Version von Heinsius nutzte, sodann wieder aus dem Französischen ein Epigramm bzw. Quatrain von Pribac (ebd.: 46) und aus dem Italienischen die lange Trauerode Trawerliedt vber das absterben Herren Adams von Bibran (ebd.: 67–69). Den bisher aufs Lateinische ausgerichteten Dichtern wurden mit diesen Übersetzungen Muster gegeben, wie bestimmte Gedichtarten, Strophen- und Versformen sowie Reimtechniken auch im Deutschen nachgeahmt werden können. Mit dieser Beispielsammlung – von einer „strenge[n] Auswahl der Mustertexte“ spricht Jaumann (2017: 212) – sei erst ein bescheidener Anfang gemacht, betonte Opitz im Beschluß dieses buches.

Dass das nicht nur so dahingesagt war, wird deutlich, wenn man sich – neben den 1625 in seinen Acht Bücher[n] Deutscher Poematum enthaltenen Übersetzungen und Nachahmungen13Vgl. Volker Meids Charakterisierung dieser Texte in seiner Einleitung zur Neuausgabe der 1625er Sammlung (Meid 2021: XX–XXII). – die Liste der von Opitz anschließend bis 1639 ins Deutsche gebrachten Werke vor Augen führt:

  • 1626: Aus dem Neulateinischen: John Barclays Staatsroman Argenis Deutsch gemacht durch Martin Opitzen. Mit schönen Kupffer Figuren nach dem Frantzösischen Exemplar14Vgl. zu dieser Übersetzung die Studie von Schulz-Behrend (1955) und die Einschätzung von Trunz, dass Opitz „in Anbetracht der besonderen Schwierigkeit des Übersetzens aus dem Neulatein in die (erst entsprechend zu gestaltende) deutsche Sprache seiner Zeit seine Übersetzung der Argenis-Prosa als beachtliche Leistung, seine Umsetzung der lateinischen Gedichte in deutsche, nach den neuen metrischen Grundsätzen gebaute Verse aber als künstlerische Arbeit“ betrachtet hat, so dass er sagen konnte „Argenis est mea et non mea“ (Argenis ist mein und nicht mein) (Trunz 1975: 6*).
  • 1626: Aus dem Hebräischen: Die Klage-Lieder Jeremia; Poetisch gesetzt durch Martin Opitzen; sampt noch anderen seiner newen Gedichten
  • 1627: Aus dem Italienischen: Ottavio Rinuccinis Opernlibretto Dafne15Der mit Opitz befreundete Komponist Heinrich Schütz (1585–1672) vertonte das Libretto und schuf damit die erste deutsche Oper (Uraufführung 1627).
  • 1627: Aus dem Hebräischen: Salomons Des Hebreischen Königes Hohes Liedt
  • 1629: Aus dem Lateinischen: die gegenreformatorisch ausgerichtete Schrift des Jesuiten Martin Becanus Manuale controversiarum.16Das Buch erschien 1630 in Mainz ohne Nennung des Übersetzers; vgl. zum biografischen und historischen Kontext Szyrocki (1974: 84f.).
  • 1629: Aus dem Englischen: Philip Sidneys Roman Arcadia17Die 1643 erschienene, 1087 Seiten starke 4. Auflage hat folgende Titulatur, aus der Opitz’ Anteil an der Übersetzungsarbeit deutlich wird: ARCADIA / Der Gräffin von Pembrock: / Vom Herrn Graffen und Rittern / Herrn Philippsen / von Sydney /  In Englischer Sprach geschrieben / auß derselbigen Frantzösisch / vnd auß beyden erstlich / Teutsch gegeben / Durch / VALENTINUM THEODOCRITUM / Von Hirschberg: / Jetzo allenthalben auffs new vbersehen vnd gebessert: / die Gedichte aber vnd Reymen gantz anderst gemacht / vnd vbersetzt / Von dem Edlen vnd Vesten / Martin Opitz von Boberfeldt. / Die vierte Edition: mit schönen Kupfferstücken gezieret / vnd verlegt dvrch / MATHEUM MARIANUM. Getruckt zu Franckfurt bey Anthoni Hummen. M.DC.XLIII. (Reprint Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1971).
  • 1629: Aus dem Französischen: Von der Welt Eytelkeit
  • 1631: Aus dem Holländischen: Hugo Grotius’ 4764 Alexandriner umfassendes Lehrgedicht Von der Warheit der Christlichen Religion.18Vgl. zu dieser Übersetzung und dem Verhältnis von Opitz zu Grotius, dem Poeten, Ireniker und Juristen (Begründer des Völkerrechts!) vgl. Ingen (2002, insbesondere S. 177–181); die Übersetzung jetzt auch in OGW V: 37–190, davor (19–36) ein ausführlicher Kommentar.
  • 1631: Aus dem Neulateinischen: John Barclays Staatsroman Argenis (Anderer Theyl)19„Der Dichter stützte sich […] vor allem auf den französischen Text von N. Guibert. Doch bediente er sich auch des lateinischen Originals, vermutlich in der Schleich-Ausgabe, die 1623 in Frankfurt erschienen war“ (Szyrocki 1974: 72). Eine nach neuesten editionsphilologischen Standards erarbeitete Neuausgabe der Übersetzung erschien 2023 im Rahmen der Gesammelten Werke (OGW VI).
  • 1632: Aus dem Französischen: Die süssen Todesgedanken des von Serre20„So kann man etwa zeigen, daß Opitz’ Erbauungsschrift Les douces pensées de la mort von Jean Puget de La Serre typisch katholische Inhaltselemente der Vorlage bei aller Treue in der Wiedergabe ausläßt oder verändert und insgesamt sich bemüht, aus einem konfessionell gebundenen, französischen Ausgangstext ein konfessionell nicht gebundenes deutschsprachiges Werk zu machen“ (Zymner 2002: 103; vgl. Gülich  1972: 120ff.).
  • 1634: Aus dem Hebräischen: Zehen Psalmen Davids
  • 1634: Aus dem Französischen: Deß Herrn Von Pibrac Tetrasticha
  • 1635: Aus dem Hebräischen: Sechs Psalmen
  • 1636: Aus dem Griechischen: Sophokles’ Antigone
  • 1637: Aus dem Hebräischen: Die [150] Psalmen Davids Nach den Frantzösischen Weisen gesetzt (bis 1685 weitere sechs Auflagen).21„An dem Werk arbeitete der Dichter mit großer Pietät. Er befaßte sich sogar mit philologischen Studien […]. Mit Hilfe eines Gelehrten, der die Werke der jüdischen Lehrer gut kannte, bemühte sich Opitz die hebräischen Quellen zu berücksichtigen. Sein Ziel war, wie er schreibt, die treue Wiedergabe des Originals, nicht aber die Anpassung des Inhalts an diese oder jene Religion.“ (Szyrocki 1974: 115) Der Hinweis auf die „Hülfe eines gründlichen Hebäers“ findet sich auch schon bei Gervinus (1853: 208).
  • 1638: Die Episteln der Sonntage […] Auf die Weisen der Frantzösischen Psalmen in Lieder gefasset
  • 1638: Aus dem Englischen und Französischen: Philip Sidneys Schäferroman Arcadia (Neufassung der 3000 Verse des Romans).22Trunz (1975: 26*) verweist zu dieser Übersetzung auf die Heidelberger Dissertation von Agnes Wurmb (1911).
  • 1639: Aus dem Griechischen und Lateinischen: Epigramme, die dreisprachig veröffentlicht wurden (Reprint auch in Opitz 1644).23Vgl. hierzu u. a. das sehr materialreiche Opitz-Kapitel in der Einleitung zu Rubensohn (1897: CLXXXVII–CCL). Für Band X der Gesammelten Werke von Opitz wurde 2021 eine Neuedition der Sammlung, bei der „Polyglossie Organisationsprinzip einer kollaborativen Poetik“ ist, angekündigt (OGW V: XIII).
  • 1639: Edition und (lateinische) Kommentierung des im 11. Jahrhundert aufgeschriebenen, 49 Strophen umfassenden frühmittelhochdeutschen Annolieds.24Eine dreisprachige Anno-Ausgabe, die im Anschluss an eine englische Einleitung den frühmittelhochdeutschen Text, die auf lateinisch geschriebenen Opitzschen Begleittexte und Stellenkommentare sowie eine Übersetztung der ganzen Publikation von 1639 enthält, veröffentlichte der Translationshistoriker Dunphy 2003 in Glasgow.

In Opitz’ Gesamtœuvre ist eine Zweiteilung zu erkennen: In seinen frühen Jahren, insbesondere der Heidelberger Studienzeit 1619/1620, dominieren eigene Gedichte, ab etwa 1625 finden sich mehr und mehr Übersetzungen.25Die in der Einleitung zu OGW V (2021: XIVf.) vorgestellte Übersicht der geplanten Bände VI bis X zeigt, „dass die meisten größeren Texte aus den Jahren 1631–1639 Übersetzungen sind, weshalb sie bislang von der Forschung wenig beachtet wurden. Dass die Arbeit an diesem ‚unbekannte[n] Opitz‘ zu ‚Überraschungen und Neufunde[n]‘ (S. XIII) führen wird, wie die Herausgeber vermuten, wäre zu wünschen“ (Seidel 2022: 188). Wobei die Abgrenzung mitunter nicht einfach ist, denn die Rhetorik kannte neben der „translatio“ und „imitatio“ auch die „aemulatio“: das kreative Wetteifern mit der Vorlage, das endlich in deren Überbietung münden sollte. Auch in Opitz’ eigenen Texten finden sich so oft deutliche Spuren fremdsprachiger Vorlagen (vgl. Müller 1970: 202). „Übersetzer ist er auch dort, wo er nicht gerade Vorlagen wörtlich wiedergibt“, heißt es bei Gundolf (1923: 41). Einige Zeitgenossen haben sogar Zweifel geäußert, ob Opitz überhaupt als Poet bezeichnet werden könne, etwa der niederländische Dichter Joost van der Vondel (1587–1679) und ihm nachsprechend Harsdörffer (1607–1658). Erst die „Erfindung“ („inventio“) mache den Poeten.26Sollte hier erkennbar sein, dass auch das 17. Jahrhundert mit dem aus xder traditionellen Rhetorik stammenden Begriff „inventio“ schon eine Vorstellung von dem verband, was später als „Originalität“ zum Hauptkriterium literarischer Wertung aufstieg? Opitz jedoch sei keiner,

weil er das meiste aus anderen Sprachen übersetzte und wenig aus seinem Gehirn zu Papier gebracht, also mehr nicht als das Lob eines guten Dolmetschers, aber keines Poeten zu erfordern habe. (Vondel/Harsdörffer zit. nach Gervinus 1853: 220f.)

Und Harsdörffer erneut an anderer Stelle:

Er hat, sagt er, die Episteln in Lieder gesetzt […] doch ist es eine Dolmetschung und nicht ohne große Mühe zu wege gebracht; ich sage eine Dolmetschung, in welcher keine poetische Erfindung vonnöthen gewesen. (Ebd.: 221)27Gundolf (1923: 50) weist darauf hin, „daß sein süddeutscher Rival Harsdörffer und sein Übertreiber Hofmannswaldau ihm [Opitz] die Originalität der Erfindung vorsichtig absprachen – als Sprachmeister und Formenmuster haben auch sie ihn rückhaltlos anerkannt.“

Noch schärfer hat Gryphius sich geäußert, in der Vorrede zu seinem Drama Leo Armenius. Seinen Leo habe er nicht von Sophokles oder Seneca „auffgesetzet“, er sei „unser“:

Ein ander mag von der ausländer erfindungen den nahmen wegreißen und den seinen darvor setzen, wir schliessen mit denen worten, die jener weitberühmte und lobwürdigste welsche poet über seinen vördergiebel geschrieben: Das haus ist zwar nicht groß, doch kennt es mich allein; / Es kostet fremde nichts, es ist nur rein und mein. (Gryphius 1646: 16; vgl. Mannack 2002: 275)

In der germanistischen Literatur zu Opitz ist aus diesen – im 17. Jahrhundert nur ganz vereinzelt zu vernehmenden (vgl. Trunz 1975: 105*f.) – kritischen Tönen mitunter eine regelrechte Zweiteilung geworden. Man urteilte „unter dem Bann der Erlebnisästhetik“ (Garber 1976: 119)28Vgl. Newald über Opitz: „Ein Erlebnis wird auch in den besten, selbständigen Gedichten nie greifbar“ (Newald 1951/1967: 167). vernichtend über seine mangelnde „schöpferische Begabung“, rühmte dafür aber sein „receptives Talent, das sich in seinen Uebersetzungen kund thut“ (Gervinus 1853: 222). Wobei mit Blick auf seine Versionen lateinischer (Seneca) und griechischer (Sophokles) Dramen gleich wieder eingeschränkt wurde:

An sich betrachtet kann man über diese Uebersetzungen lachen […]. Allein wenn man sie neben das hält, wie die Calagius in Schlesien vor ihm lateinische Schauspiele, und die Spreng den Homer und Virgil in Knittelversen umschrieben, so wird man große Achtung vor der Genauigkeit und Worttreue dieser Arbeiten Opitzens erhalten, und man muß ihn als den angeben, der zuerst einen eigentlichen Begriff von einer Uebersetzung hatte, und den ersten Grund zu der den Deutschen eigenthümlichen Uebersetzungsart legte. Vorher verstand man eigentlich nur zu umschreiben […]. (Ebd.)

Opitz als Begründer einer spezifisch deutschen Übersetzungspraxis und Übersetzungstradition – dieses Urteil aus der Mitte des 19. Jahrhunderts übernimmt Alewyn 1926 in seiner bahnbrechenden Analyse der Opitzschen Antigone-Version. Er hält deren „Wörtlichkeit“ gegen das, was man damals in Frankreich oder England aus dem griechischen Text gemacht hatte:

Man schaltete frei mit dem Urtext, milderte, was zu kräftig schien, retuschierte, was Anstoß und Befremden erregte, was Sitte, Anstand oder Religion verletzte. Die Chöre besonders wurden ihrer heidnischen Mythologie wegen überarbeitet oder ganz neu gedichtet. […] Das Ergebnis ist eine Assimilierung der Vorlage an den Stil des Renaissancedramas bis zur völligen Unkennbarmachung seiner griechischen Vergangenheit. Diese Autoren [Luigi Alamanni, Jean-Antoine de Baïf] sahen sich außerstande, eine wortgetreue Uebersetzung einer griechischen Tragödie nicht nur selbst zu liefern, sondern auch ihrem Publikum zuzumuten. Dazu bedurfte es der Treue, Geduld und Pedanterie eines deutschen Poeten und eines deutschen Lesers. Die Bedürfnisse des ausländischen Publikums waren ästhetisch und modern, die des deutschen gelehrt und antiquarisch. Dort mußte eine Uebersetzung lesbar oder sogar aufführbar, hier sollte sie zuverlässig und treu sein. Es ist etwas echt und eigentümlich Deutsches, dieses Halten am Wort, halb Pedanterie und halb Treue. „Das Wort sie sollen lassen stahn!“,29So die zum geflügelten Wort gewordene Zeile aus Luthers Kirchenlied Ein feste Burg ist unser Gott von 1521/1530. – das ist deutsche Philo–logie! Den Begriff der „ad verbum interpretatio“ kennt damals nur der Deutsche. Er ist in der Antigone in einem damals noch nicht erreichten Maße erfüllt. (Alewyn 1926: 20)

„Wortgetreues“ Übersetzen bedeutete freilich noch nicht, dass die Bedeutung der einzelnen Wörter und der Sinn bzw. der Gehalt des Ganzen bereits „treu“ wiedergegeben werden konnten. Viel zu fremd, zu kulturgeschichtlich unerforscht war für Opitz und seine Zeit die Welt der griechischen Tragödie30Verallgemeinernd formulierte Newald (1951/67: 170 u. 171) im Abschnitt zu Opitz’ Übersetzungen griechischer Texte: Er „konnte sich […] noch nicht um ein Verstehen der Orginale aus deren Lebens- und Daseinsbedingungen bemühen, weil diese noch nicht erkannt waren. […] Die Vorherrschaft der römischen Antike […] versperrt den Zugang zum echten Griechentum noch lange Zeit. Die ununterbrochene Bemühung fast dreier Jahrhunderte trennte schließlich doch die beiden geistigen Bereiche der römischen und griechischen Antike, ehe sie die einzelnen Werke und Dichterpersönlichkeiten in ihrer geistigen Besonderheit erkennen konnte und das klassische Altertum in seiner Weite wiedergewann.“ und das in sie noch hineinragende „Primitive, Barbarische, Asiatische“ der frühen Kultformen (ebd.: 21). Erst mit Hölderlins Version der Antigone (1804) wurde diese Bedeutungsschicht in einer Übersetzung hervorgehoben, die „unter Opitzens zweiter Hand geschwunden, gewissermaßen beim Umfüllen in das neue Gefäß verloren gegangen [war]“ (ebd.: 22). Alewyns methodisch mustergültig durchgeführter, auch statistische Erhebungen (etwa zur Vermehrung der Satzzahl, zur Häufigkeit einzelner Wortarten oder auch einzelner Reimwörter usw.) nicht scheuender31„Die Abneigung gegen die Statistik ist nur da berechtigt, wo diese ein geistloses mechanisches Zählverfahren bleibt, das dem Untersuchenden ersparen soll zuzusehen und zu -hören. Statistik kann sinnvoll nur da angewandt werden, wo ein feinfühliges Nachtasten und Nachdenken der Sprachformen vorausgegangen ist. Dann tauchen erst die Fragestellungen auf, dann erst kann angegeben werden, was überhaupt gezählt werden soll.“ (Alewyn 1926: 32) Übersetzungsvergleich kann hier nicht im Detail nachgezeichnet werden, nur auf die seine Dissertation beschließende „Probeanalyse“ (60–63) soll kurz eingegangen werden. Gegenstand dieser Analyse sind jene zehn Verse, die bereits Gervinus als Beispiel dafür angab, dass man „an sich betrachtet“ über Opitzens Übersetzungen nur lachen könne. Gervinus begründete seinen Verdammungsspruch nicht, er zitierte im Vertrauen auf die Urteilsfähigkeit seiner Leser die Verse lediglich in einer Fußnote (Gervinus 1853: 222). Die Verse (v. 781–790) lauten in Opitz’ Version von 1634 sowie in der Anfang der 1960er Jahre entstandenen Übersetzung des Altphilologen Schadewaldt:32Alewyn (1926: 60) zitiert zum Vergleich natürlich das altgriechische Original. Das lautet so: Ἔρως ἀνίκατε μάχαν /  Ἔρως, ὃς ἐν κτήμασι πί- / πτεις ὃς ἐν μαλακαῖς παρει- / αῖς νεάνιδος ἐννυχεύεις. / φοιτᾷς δ᾽ ὑπερπόντιος ἔν τ᾽ / ἀγρονόμοις αὐλαῖς / καί σ᾽ οὔτ᾽ ἀθανάτων / φύξιμος οὐδεὶς / οὔθ᾽ ἁμερίων σέ γ᾽ ἀν- / θρώπων. ὁ δ᾽ ἔχων μέμηνεν.

O Amor, den kein Mensch bezwinget, / Der sich in Haab vnd Güter dringet / In Frawenzimmer Wangen macht / Und ruht daselbst die gantze Nacht: / Der du das weite Meer durchrennest /
Und auch die Bawernhütten kennest: / Für dem kein Gott nicht Rath erkiest / Damit er sich genugsam hütet: / Für dem kein Mensch nicht sicher ist: / Wer aber dich auch hat der wütet.

(Zitiert nach Alewyn 1962: 60)
Eros, unbesiegt im Streit! / Eros, der du über Güter herfällst, / Der du auf den zarten Wangen / Der Jungfrau übernachtest / Und über das Meer schweifst und zu den Gehöften auf den Feldern, / Und keiner der Unsterblichen kann dir entkommen / Noch auch der Tageswesen einer dir, der Menschen / Und wer dich hat, der rast.

(Sophokles / Schadewaldt 1974: 39)

Vers für Vers, Wort für Wort und Reimpaar für Reimpaar wird die Übersetzung von Alewyn besprochen, beginnend mit dem im Original nicht vorhandenen, „aus dem Geiste lateinischer Rhetorik“ übernommenen „pseudopathetischen“ O-Anhub (ebd.: 60) und endend mit der Charakterisierung des gesamten Abschnitts als „klassizistische“ Umformung:

Die ganze Strophe ist im Gegensatz zur griechischen Fassung von ausgesprochener Symmetrik des Baus. Jede Zeile bildet einen abgeschlossenen Satz. Von einer Ausnahme abgesehen, steht regelmäßig das Verbum am Ende. Die Zeilen sind in syntaktischem und logischem [und metrischem; AFK] Parallelismus paarweise geordnet. (Ebd.: 63)

Wie entscheidend der „Charakter“ der griechischen Welt von Opitz verkannt wurde, demonstriert Alewyn an der Latinisierung des Götternamens „Eros“:

Es handelt sich hier nicht um die einfache Ersetzung einer unbekannten Vokabel durch eine bekanntere, sondern um eine völlige Verschiebung des Gehalts. „Amor“ ist etwas völlig anderes als „Eros“. Die dämonische Macht der alten Zeit tritt hier auf im Rokokokostüm späthellenistisch-römischer Dichtung und diese noch einmal im Renaissancegeschmack stilisiert zu dem gezierten Putto, an den die neuen Poeten ihre Apostrophen richten. Der mächtige und verblendende Gott des alten Chorlieds wird in spielerischer Mythologik verkleinert zu dem neckischen blinden Schalk, der die bekannten kleinen Pfeile verschießt. (Ebd.: 60f.)33Als „Antipode[n] in der Uebertragung der Antigone“ bezeichnet Alewyn Hölderlin, der gerade das von Opitz „zu sehr verleugnete Orientalische mehr herausheben zu müssen glaubte“ (Alewyn 1926: 22). Alewyn verzichtet allerdings darauf, Hölderlins Version der zehn Verse zu zitieren. Sie lauten: „Geist der Liebe, dennoch Sieger / Immer, in Streit! Du Friedensgeist, der über / Gewerb einnicket, und über zärtlicher Wange bei / Der Jungfrau übernachtet, / Und schwebet über Wassern, / Und Häusern, in dem Freien. / Fast auch Unsterblicher Herz zerbricht / Dir und entschlafender Menschen, und es ist, / Wer’s an sich hat, nicht bei sich“ (Hölderlin 1804: 890). Nicht von Eros oder Amor spricht Hölderlin, sondern umschreibend vom „Geist der Liebe“ und einem „Friedensgeist“. Dies entspricht seinem in den Anmerkungen zur Antigonä formulierten Programm, die u. a. in den Götternamen gespeicherten griechisch-mythologischen Vorstellungen nicht durch mit traditionellen Konnotationen verbundenen Namen zu verdecken; vgl. die Kommentare in Hölderlin (1804: 1437 und 1329f.).

Deutlich geringer wird der Abstand zwischen Original und Übersetzung, wenn man Opitz’ aus dem zeitgenössischen Niederländischen oder Französischen ins Deutsche gebrachte Gedichte anschaut. Hier wird man sogar Verse finden, in denen die Vorlage an poetischer Kraft überboten wird. Ein Beispiel für solche „aemulatio“: In das 7. Kapitel seines Buches von der Deutschen Poeterey hat Opitz sein Sonett Ihr  / Himmel / lufft vnd wind aufgenommen, „[w]elches zum theil von dem Ronsardt entlehnet ist“ (Opitz 1624: 57). Links also die „Entlehnung“34Zitiert nach dem Wortlaut in den Weltlichen Poemata von 1644, der sich vom Erstdruck im Buch von der Deutschen Poeterey durch eine etwas andere Orthographie (vermehrte Großschreibung der Substantive) und ein anderes erstes Wort in Zeile 11 („Sie“ statt „Sich“) unterscheidet (Opitz 1644: 378)., rechts das Sonett Ciel, air et vents von Ronsard:35Richard Beckherrn brachte in einer Königsberger Dissertation von 1888 den Nachweis für seine These, dass „M. Opitz […] unmittelbarer Nachahmer Ronsards“ und der „Einfluss“ des Niederländers Heinsius auf seine Poetik und seine Poesie deutlich geringer sei, indem er u. a. auf den Seiten 85–101 neben den jeweiligen Ronsard-Gedichten 21 Opitz-Gedichte abdruckte, „die man Paraphrasen oder vielmehr Übersetzungen nennen kann“ (Beckherrn 1888: 85). Für Heinsius (ebd.: 101–103) indes hat er nur fünf, wenn auch sehr umfangreiche Opitz-Versionen gefunden, die zudem alle (im Gegensatz zu vielen Ronsard-„Nachahmungen“) von Opitz selbst stets als „Übersetzungen“ kenntlich gemacht wurden, so dass Beckherrn sie – anders als die Ronsard-Gedichte – auch nicht abgedruckt hat. Das Resultat seiner Quellen-Studien fasst Beckherrn gleich zu Beginn der Dissertation in einem Bild zusammen, das den Übersetzer bzw. Nachahmer als Wanderer zeigt: „Ronsard ist stets der glänzende Leitstern, dem Opitz unverwandten Blicks zum Tempel des Ruhmes zu folgen bemüht ist; nur wenn sich kreuzende Pfade den richtigen Weg zweifelhaft werden lassen, wenn Abgründe den Wanderer hemmen, oder ragende Klippen den Stern zeitweise verschwinden lassen, dann sieht sich der Ratlose ängstlich nach Fußspuren desjenigen um, der diese Reise schon vor ihm gemacht hat und angelangt ist, Heinsius.“ (Ebd.: 9).

Ihr / Himmel / lufft vnnd wind, jhr hügel voll von schatten /
Ihr Hainen / jhr Gepüsch' / vnd du / du edler Wein /
Ihr frischen Brunnen jhr so reich am Wasser sein /
Ihr Wüsten die jhr stets müßt an der Sonnen braten /

Ihr durch den Weissen thaw bereifften schönen Saaten /
Ihr Hölen voller Moß / jhr auffgeritzten Stein' /
Ihr Felder welche ziert der zarten Blumen Schein /
Ihr Felsen wo die Reim' am besten mir gerathen /

Weil ich ja Flavien / daß ich noch nie thun können /
Muß geben gute Nacht / und gleichwohl Muth vnd sinnen
Sie förchten allezeit / vnd weichen hintersich /

So bitt' ich Himmel / Lüfft / Wind / Hügel / Hainen / Wälder /
Wein / Brunnen / Wüsteney / Saat / Hölen / Steine / Felder /
Vnd Felsen sagt es jhr / sagt / sagt es jhr vor mich.36Knapp 400 Jahre später veröffentlichte Georg Holzer seine Übersetzung des Sonetts, die m.E. keineswegs besser als Opitz’ „Nachahmung“ gelungen ist: „Luft, Himmel, Berge, Ebenen und Wind, / Hügel voll Wein, Wälder in zartem Grün, / Quellen und Ufer, die gekrümmt sich ziehn, / Gehölz, das grün ich und geschnitten fand, // Höhlen voll Moos, nach keiner Seite blind, / Wiesen, wo taubedeckte Blumen blühn, / Geduckte Täler, Stränd, die golden glühn, / Felsen, die Zeugen meiner Verse sind, // Hört: Als ich von ihr schied mit Zorn und Zagen, / Konnt ich dem schönen Aug Adieu nicht sagen, / Das nah und fern in seinem Bann mich hat, // Ich bitt euch, Himmel, Wind, Berg, Ebne, Luft, / Gehölz und Wälder, Ufer, Quellen, Kluft, / Blum, Wiese, Höhle, sagtʼ s an meiner statt. (Ronsard/Holzer 2006: 73).
Ciel, air et vents, plains et monts découverts,
Tertres vineux et forêts verdoyantes,
Rivages torts et sources ondoyantes,
Taillis rasés et vous bocages verts,
 
Antres moussus à demi-front ouverts,
Prés, boutons, fleurs et herbes roussoyantes,
Vallons bossus et plages blondoyantes,
Et vous rochers, les hôtes de mes vers,
 
Puis qu'au partir, rongé de soin et d'ire,
A ce bel œil Adieu je n'ai su dire,
Qui près et loin me détient en émoi,
 
Je vous supplie, Ciel, air, vents, monts et plaines,
Taillis, forêts, rivages et fontaines,
Antres, prés, fleurs, dites-le-lui pour moi.37Zitiert nach Ronsard/Holzer 2006: 72.

Ans Ende des postum 1644 in Frankfurt gedruckten „Ersten Buches“ im „Ander Theil“ der Weltlichen Poëmata hat Opitz – im Anschluss an Widmungsgedichte u. a. auf fürstliche Personen und auf Kaiser Ferdinand II., der ihm 1625 den Dichterlorbeer verliehen hatte – mit schwerlich überbietbarem Selbstbewusstsein (Stichwort: „Werkpolitik“) seine Nachdichtung der Horaz-Ode Exegi monumentum gesetzt. Es ist die erste deutsche Übersetzung (vgl. Newald 1933: 69–75) der Selbstrühmung des römischen Dichters, dass seine Werke dauerhafter sind als Erz und Monumente aus Stein. Links die Version von Opitz (ebd.: 69), rechts die – angefangen bei der Zahl der Zeilen – um größtmögliche inhaltliche wie formale Treue (asklepiadeische Verse) bemühte Übersetzung von Johann Heinrich Voß (1806/1820) (ebd.: 73):38Die lateinischen 16 Verse lauten: „Exegi monumentum aere perennius / regalique situ pyramidum altius, / quod non imber edax, non Aquilo impotens / possit diruere aut innumerabilis // annorum series et fuga temporum. / non omnis moriar multaque pars mei / vitabit Libitinam; usque ego postera / crescam laude recens, dum Capitolium // scandet cum tacita virgine pontifex. / dicar, qua violens obstrepit Aufidus / et qua pauper aquae Daunus agrestium / regnavit populorum, ex humili potens, // princeps Aeolium carmen ad Italos / deduxisse modos. sume superbiam / quaesitam meritis et mihi Delphica / lauro cinge volens, Melpomene, comam.“ (Zit. nach Newald 1933: 69).

Horatii Exegi monumentum 

ICH habʼ ein Werck vollbracht dem Ertz nicht zu vergleichen /
Dem die Pyramides an Höhe müssen weichen /
Daß keines Regens Macht / kein starcker Nordwind nicht /
Noch folge vieler Jahrʼ vnd Flucht der Zeit zerbricht.
Ich kann nicht gar vergehn. Man wird mich rühmen hören
So lange man zu Rom den Jupiter wird ehren.
Mein Lob soll Aufides der starck mit rauschen fleußt /
Vnd Daunus wissen auch der selten sich ergeußt.
Dann ich bin der durch den der Griechen schönes wesen /
Was Tichterkunst betrifft / jetzt Römisch wird gelesen.
Setzʼ O Melpomene / mir auff als meinen Ruhm
Den grünen Lorbeerkrantz / mein rechtes Eigenthumb.


An Melpomene

Denkmal steht, was ich schuf, ewiger als Metall,
Über Königesbau und Pyramidʼ erhöht:
Das kein moderner Guß, kein ungezähmter Nord
Wegzumalen vermag, noch ungezähleter
Jahre Reihʼ, und hinab rollender Zeiten Flucht.
Nicht ganz duldʼ ich den Tod; und der Verwesung wird
Mein nicht wenig entgehn. Immer geherlichter
Wachsʼ ich künftig wie neu; weil mit der schweigenden
Jungfrau zum Kapitol steiget der Pontifex.
Mich nennt mancher, wo wild brauset der Aufidus,
Und wo, dürftig der Flut, Daunus den kändlichen
Völkerstämmen geherscht: daß ich, aus niederem
Hoch, der erste gelenkt Aeolerharmonie
Zum italischen Laut. Nim den erhabenen Stolz,
Den Verdienst dir gewann, und, o Melpomene,
Huldreich gürtʼ um das Haar delfischen Lorber mir!

Schon diese beiden Beispiele (Ronsard, Horaz) legen den Wunsch nahe, dass die bisher über verschiedenste Ausgaben verstreuten Gedicht-Übersetzungen des Martin Opitz in einer eigenen Sammlung zusammengetragen würden. Zu berücksichtigen wären hier auch jene Gedichte, über die Opitz Formulierungen wie „Zum theil aus dem Niederländischen“ (Opitz 1625: 312) oder „Fast aus dem Griechischen“ (ebd.: 318) gesetzt oder bei denen er auf die Angabe des Prätextes ganz verzichtet hat. Eine solche Sammlung sollte m.E. nicht primär edtionsphilologischen bzw. germanistisch-komparatistischen Spezialinteressen dienen,39Dies tut die seit 1968 erscheinende historisch-kritische Opitz-Ausgabe, die allerdings 1990 ins Stocken geraten war und erst seit 2021 mit Band V (Die Werke von 1630 bis 1633) fortgeführt wird, nunmehr auch als „Hybridedition“; vgl. hierzu die Rezension von Seidel (2022). sondern sich an ein breiteres Publikum wenden, was eine behutsame orthographische Modernisierung erfordern würde.

* * *

Summa: Zu einzelnen Übersetzungen von Opitz sind seit 150 Jahren immer wieder einzelphilologische Spezialstudien erschienen, zuletzt eine mit neuestem kultur-, gender- und translatologischen Rüstzeug arbeitende italianistisch-germanistische Untersuchung (Robert 2020). 40In ihr geht es um sieben von der Forschung bisher nicht behandelte petrarkistische Sonette der Veronica Gambara (1485–1550), die Opitz übersetzt und 1625 als kleinen Zyklus in seiner Breslauer Werkausgabe (Acht Bücher Deutscher Poematum) veröffentlicht hat (Opitz 1625: 314–318; vgl. Robert 2020; vgl. auch Aurnhammer 2006).

Das übersetzerische Gesamtwerk des Martin Opitz hat jedoch bisher keine ausführliche Gesamtdarstellung gefunden.41Als souveräner Überblick sind m.E. noch immer am gelungensten zwei Passagen im Nachwort des Herausgebers Erich Trunz (1975) mit den Überschriften „Die Poemata in Opitz’ Gesamtschaffen“ (S. 15*–36*) sowie „Opitz’ Sicht der Weltliteratur“ (S. 57*–76*) – Eine auf Typologisierung (interlinguale imitatio, interlinguale Hypertextualität, interlinguale Mimotextualität) zielende Gesamtwürdigung unternimmt in seiner knappen Überblicksdarstellung Zymner (2002). Das Buch Opitz als Übersetzter bzw. Opitz als translatorisch Handelnder gibt es noch nicht. Sein Rang in einer (einst zu schreibenden) deutschen Kultur- und Literaturgeschichte des Übersetzens 42Keine Nachfolge fand bisher Walter Fränzels 1914 veröffentlichte und nach wie vor lesenswerte Geschichte des Übersetzens im 18. Jahrhundert, die auf den Seiten 8–24 auch das 17. Jahrhundert behandelt. dürfte jedoch vergleichsweise hoch anzusetzen sein.43Von einem engen, „allzu dirigistisch-intenionale[n] Übersetzungsbegriff“ (Bies 1986: 15) ausgehend urteilt Apel gänzlich anders: „Bei Opitz […] hat das Problem der Übersetzung keine eigene Bedeutung, sondern ist eine Spezialform der Nachahmung. Immerhin erkannte Opitz die Bedeutung der Übersetzung für die Ausbildung der Sprache, jedoch bleibt sie auch hier Mittel zum Zweck“ (Apel 1983: 41). Apels’ kanonartige Leseliste zur Geschichte des Übersetzens beginnt daher erst mit Gottsched, Bodmer und Wieland (ebd.: 86). „Er war der beste Übersetzer zwischen Luther und Herder“, urteilte vor einem halben Jahrhundert Erich Trunz (1975: 28*). Für die Überprüfung dieser Einschätzung wäre es wichtig, dass die translationshistorische Beschäftigung mit den Opitzschen Übersetzungen wie denen seiner Vorläufer und Zeitgenossen intensiviert und nicht nur darum vernachlässigt wird, weil in späteren Jahrhunderten in Theorie und translatorischer Praxis die von ihm zuerst erhobenen Ansprüche an eine treue Nachbildung fremder (Vers-)Texte deutlich gesteigert wurden. Wie sich die beiden Aspekte (Opitz als Begründer und seit etwa 1750 überbotener Verfechter einer auf möglichst genaue Wiedergabe ausgerichteten Praxis des Übersetzens) deskriptiv-kritisch vereinen lassen, hat Richard Alewyn gezeigt. Sein schmales sprach- und stilkritisches Opitz-Büchlein von 1926 lohnt auch nach bald hundert Jahren noch die Lektüre für jeden, der sich gründlicher mit Fragen nach dem Wer, Was, Wann, Warum und Wie des Übersetzens beschäftigen will.

Anmerkungen

  • 1
    Ein weiteres Beispiel ist Caspar Barths 1631 unter einem Opitz-Porträt angebrachtes lateinisches Distichon „Talis, lector, erat […]“. Altmeister Erich Trunz hat den Zweizeiler formbewahrend (Hexameter und Pentameter) ins Deutsche gebracht: „So war, Leser, das Antlitz des apollinischen Sängers / Opitz, welcher der Fürst ist für das deutsche Gedicht.“ (Trunz 1990: 529). Erstaunlich das Präteritum „erat“ / „war“ im Jahr 1631, acht Jahre vor dem Tod des Gerühmten. Den für UeLEX benutzten Nachstich von Johann-Baptist Paravicini erwähnt Trunz nicht.
  • 2
    Vernichtend urteilte Wilhelm Scherer 1883 in seiner Geschichte der Deutschen Litteratur: „[…] nie hat ein unbedeutender Dichter mit so geringem Recht eine bedeutende Stellung in der Litteraturgeschichte errungen, wie Opitz.“ (Scherer 1902: 320)
  • 3
    Diese Kritik führte – natürlich nicht nur bei Opitz, auch in den damals entstehenden Sprachgesellschaften – zur Suche nach jeweils passenden deutschen Ausdrücken für bisher nur in fremden Sprachen Ausdrückbares. Sogar das Wort „übersetzen“ soll laut Gundolf von Opitz stammen. Bei Gundolf heißt es: „Fast alle zusammengesetzten Hauptworte, die nicht unmittelbar dem Leben entstammen, sondern dem gelehrten Nachdenken, fast alle Übertragungen aus dem Französischen, Holländischen und dem Humanistenlatein gehen auf Opitz und seine Schüler zurück, auf sein Bemühen durch und wider das Fremde deutsche Sprache zu bilden (z. B. übersetzen, Trauerspiel, Oberfläche, umarmen, Staatsmann, Sprachkunst, Schweinerei, Schwerpunkt, lustwandeln, umschreiben).“ (Gundolf 1923: 43).
  • 4
    „Opitz ist […] während seiner ganzen Schaffenszeit zugleich neulateinischer Schriftsteller geblieben. Er lebte immer zweisprachig, lateinisch und deutsch. Als er in Leipzig Olearius sprach […], in Leiden Heinsius und in Paris Grotius, war die Sprache, in der sie sich unterhielten, selbstverständlich Latein, das war ihrer aller gemeinsame Sprache“ (Trunz 1975: 22*) Vgl. ferner das Kapitel Der Übergang der Neulateiner zur deutschen Dichtung aus Trunz’ Dissertation von 1931, erstmals veröffentlicht in Trunz (1995: 207–227).
  • 5
    Eine deutsche Übersetzung samt Stellenkommentar findet sich in Opitz (1624: 77–94 und 169–173).
  • 6
    Nur zwei Jahre zuvor hatte Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen seinen Kurtzen Bericht der [von ihm 1617 gegründeten; AFK] Fruchtbringenden Gesellschaft veröffentlicht. Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Reformschriften behandelt Campe (2007).
  • 7
    Das fast ein halbes Jahrhundert lang gemiedene Thema „Die deutschen Dichter und ihre Nation“ kam nach dem Beitritt der DDR zur BRD erneut auf die germanistische Publikationsliste. Über Die Dichtungsreform des Martin Opitz zwischen nationalem Anspruch und territorialer Ausrichtung schrieb Rudolf Drux (1993).
  • 8
    Den gesellschaftspolitischen Ort der Opitzschen Reformagenda (u. a. seine „mit Nachdruck propagierte Koalition zwischen höfischer (Beamten-)Elite und literarischer Kultur“ hat im Anschluss an Alewyn Herbert Jaumann 2002 herausgearbeitet (Neuauflage 2017: 203); an Alewyns (u. a. stilgeschichtliche) Überlegungen zur „Erfindung der deutschen Kunstdichtung“ knüpft in einer umfangreichen Studie Volkhard Wels (2018) an, bei ihm auch die gesamte ältere und neuere Forschungsliteratur zu diesem Thema.
  • 9
    Wie sehr sich Opitz und die ihm folgenden Dichter „in den auch der neulateinischen Lyrik vertrauten Bahnen“ bewegt haben, wie eng also der Zusammenhang zwischen neulateinischer Poesie des 16. und deutschsprachiger des 17. Jahrhunderts war, zeigt detailreich Conrady (1962: 195-221, 267). Mit seinem aus diesen Abhängigkeiten resultierenden Vorschlag, auf die Charakterisierung der deutschen Lyrik des 17. Jahrhunderts als „barock“ gänzlich zu verzichten und sie als „Renaissance-Lyrik“ zu bezeichnen (ebd.: 221), hat er sich nicht durchgesetzt. – Auch Trunz hat mehrfach hervorgehoben, dass es sich bei Opitz „um die Fortführung einer lateinischen Tradition handelt, nur in deutscher Sprache“ (Trunz 1975: 5*).
  • 10
    Vgl. hierzu die stärker differenzierenden, allerdings mit einem engen Übersetzungsbegriff operierenden Überlegungen Conradys in seiner Habilitationsschrift (1962: 190f.).
  • 11
    Zur Reformstrategie vgl. Jaumann (2017: 197–204), zur Netzwerkbildung, einschließlich „Textnetzwerken“, diverse Beiträge in Arend/Steiger (2020).
  • 12
    In geballter Form bildete Opitz solche Komposita in seiner „Verdolmetschung“ von Heinsius’ „Lobgetichte des Weingottes / welches er auch zum theil von dem Ronssardt entlehnet“: „Nacht-leuffer / Hüffte-sohn / Hoch-schreyer / Lüfftenspringer // Guet-Geber / Liebes-freundt / Haupt-brecher / Löwenzwinger // Hertz-fänger / Hertzen-dieb / Mund-binder / Sinnen-toll // Geist-rhürer / wackel-fuß / Stadt-kreischer / Allzeit-voll“ (Opitz 1624: 38). – Opitz zitiert auch den niederländischen Text: „Nacht-looper / Heupe-soon / Hooch-schreeuwer / Grootespringer // Goet-geuer / Minne-vrient / Hooft-breker / Leeuwendwinger // Hert-vanger / Herßen-dief / Tong-binder / Schuddebol // Geest-roerder / Waggel-voet / Staet-kruijßer / Altijet-vol“ (ebd.: 38). – „Hertzen-dieb“ für „Herßen-dief“ zu setzen, ist eine Interferenz, „herssen“ (heute „hersen“) bedeutet „Gehirn“, „Verstand“, nicht „Herz“ (vgl. ebd.: 152f.). – Das Lobgetichte des Weingottes dienen auch Gundolf bereits als Beleg für das Opitzsche Streben nach „neugeschaffenen, gewählten Ausdrücke[n]“ (Gundolf 1923: 33).
  • 13
    Vgl. Volker Meids Charakterisierung dieser Texte in seiner Einleitung zur Neuausgabe der 1625er Sammlung (Meid 2021: XX–XXII).
  • 14
    Vgl. zu dieser Übersetzung die Studie von Schulz-Behrend (1955) und die Einschätzung von Trunz, dass Opitz „in Anbetracht der besonderen Schwierigkeit des Übersetzens aus dem Neulatein in die (erst entsprechend zu gestaltende) deutsche Sprache seiner Zeit seine Übersetzung der Argenis-Prosa als beachtliche Leistung, seine Umsetzung der lateinischen Gedichte in deutsche, nach den neuen metrischen Grundsätzen gebaute Verse aber als künstlerische Arbeit“ betrachtet hat, so dass er sagen konnte „Argenis est mea et non mea“ (Argenis ist mein und nicht mein) (Trunz 1975: 6*).
  • 15
    Der mit Opitz befreundete Komponist Heinrich Schütz (1585–1672) vertonte das Libretto und schuf damit die erste deutsche Oper (Uraufführung 1627).
  • 16
    Das Buch erschien 1630 in Mainz ohne Nennung des Übersetzers; vgl. zum biografischen und historischen Kontext Szyrocki (1974: 84f.).
  • 17
    Die 1643 erschienene, 1087 Seiten starke 4. Auflage hat folgende Titulatur, aus der Opitz’ Anteil an der Übersetzungsarbeit deutlich wird: ARCADIA / Der Gräffin von Pembrock: / Vom Herrn Graffen und Rittern / Herrn Philippsen / von Sydney /  In Englischer Sprach geschrieben / auß derselbigen Frantzösisch / vnd auß beyden erstlich / Teutsch gegeben / Durch / VALENTINUM THEODOCRITUM / Von Hirschberg: / Jetzo allenthalben auffs new vbersehen vnd gebessert: / die Gedichte aber vnd Reymen gantz anderst gemacht / vnd vbersetzt / Von dem Edlen vnd Vesten / Martin Opitz von Boberfeldt. / Die vierte Edition: mit schönen Kupfferstücken gezieret / vnd verlegt dvrch / MATHEUM MARIANUM. Getruckt zu Franckfurt bey Anthoni Hummen. M.DC.XLIII. (Reprint Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1971).
  • 18
    Vgl. zu dieser Übersetzung und dem Verhältnis von Opitz zu Grotius, dem Poeten, Ireniker und Juristen (Begründer des Völkerrechts!) vgl. Ingen (2002, insbesondere S. 177–181); die Übersetzung jetzt auch in OGW V: 37–190, davor (19–36) ein ausführlicher Kommentar.
  • 19
    „Der Dichter stützte sich […] vor allem auf den französischen Text von N. Guibert. Doch bediente er sich auch des lateinischen Originals, vermutlich in der Schleich-Ausgabe, die 1623 in Frankfurt erschienen war“ (Szyrocki 1974: 72). Eine nach neuesten editionsphilologischen Standards erarbeitete Neuausgabe der Übersetzung erschien 2023 im Rahmen der Gesammelten Werke (OGW VI).
  • 20
    „So kann man etwa zeigen, daß Opitz’ Erbauungsschrift Les douces pensées de la mort von Jean Puget de La Serre typisch katholische Inhaltselemente der Vorlage bei aller Treue in der Wiedergabe ausläßt oder verändert und insgesamt sich bemüht, aus einem konfessionell gebundenen, französischen Ausgangstext ein konfessionell nicht gebundenes deutschsprachiges Werk zu machen“ (Zymner 2002: 103; vgl. Gülich  1972: 120ff.).
  • 21
    „An dem Werk arbeitete der Dichter mit großer Pietät. Er befaßte sich sogar mit philologischen Studien […]. Mit Hilfe eines Gelehrten, der die Werke der jüdischen Lehrer gut kannte, bemühte sich Opitz die hebräischen Quellen zu berücksichtigen. Sein Ziel war, wie er schreibt, die treue Wiedergabe des Originals, nicht aber die Anpassung des Inhalts an diese oder jene Religion.“ (Szyrocki 1974: 115) Der Hinweis auf die „Hülfe eines gründlichen Hebäers“ findet sich auch schon bei Gervinus (1853: 208).
  • 22
    Trunz (1975: 26*) verweist zu dieser Übersetzung auf die Heidelberger Dissertation von Agnes Wurmb (1911).
  • 23
    Vgl. hierzu u. a. das sehr materialreiche Opitz-Kapitel in der Einleitung zu Rubensohn (1897: CLXXXVII–CCL). Für Band X der Gesammelten Werke von Opitz wurde 2021 eine Neuedition der Sammlung, bei der „Polyglossie Organisationsprinzip einer kollaborativen Poetik“ ist, angekündigt (OGW V: XIII).
  • 24
    Eine dreisprachige Anno-Ausgabe, die im Anschluss an eine englische Einleitung den frühmittelhochdeutschen Text, die auf lateinisch geschriebenen Opitzschen Begleittexte und Stellenkommentare sowie eine Übersetztung der ganzen Publikation von 1639 enthält, veröffentlichte der Translationshistoriker Dunphy 2003 in Glasgow.
  • 25
    Die in der Einleitung zu OGW V (2021: XIVf.) vorgestellte Übersicht der geplanten Bände VI bis X zeigt, „dass die meisten größeren Texte aus den Jahren 1631–1639 Übersetzungen sind, weshalb sie bislang von der Forschung wenig beachtet wurden. Dass die Arbeit an diesem ‚unbekannte[n] Opitz‘ zu ‚Überraschungen und Neufunde[n]‘ (S. XIII) führen wird, wie die Herausgeber vermuten, wäre zu wünschen“ (Seidel 2022: 188).
  • 26
    Sollte hier erkennbar sein, dass auch das 17. Jahrhundert mit dem aus xder traditionellen Rhetorik stammenden Begriff „inventio“ schon eine Vorstellung von dem verband, was später als „Originalität“ zum Hauptkriterium literarischer Wertung aufstieg?
  • 27
    Gundolf (1923: 50) weist darauf hin, „daß sein süddeutscher Rival Harsdörffer und sein Übertreiber Hofmannswaldau ihm [Opitz] die Originalität der Erfindung vorsichtig absprachen – als Sprachmeister und Formenmuster haben auch sie ihn rückhaltlos anerkannt.“
  • 28
    Vgl. Newald über Opitz: „Ein Erlebnis wird auch in den besten, selbständigen Gedichten nie greifbar“ (Newald 1951/1967: 167).
  • 29
    So die zum geflügelten Wort gewordene Zeile aus Luthers Kirchenlied Ein feste Burg ist unser Gott von 1521/1530.
  • 30
    Verallgemeinernd formulierte Newald (1951/67: 170 u. 171) im Abschnitt zu Opitz’ Übersetzungen griechischer Texte: Er „konnte sich […] noch nicht um ein Verstehen der Orginale aus deren Lebens- und Daseinsbedingungen bemühen, weil diese noch nicht erkannt waren. […] Die Vorherrschaft der römischen Antike […] versperrt den Zugang zum echten Griechentum noch lange Zeit. Die ununterbrochene Bemühung fast dreier Jahrhunderte trennte schließlich doch die beiden geistigen Bereiche der römischen und griechischen Antike, ehe sie die einzelnen Werke und Dichterpersönlichkeiten in ihrer geistigen Besonderheit erkennen konnte und das klassische Altertum in seiner Weite wiedergewann.“
  • 31
    „Die Abneigung gegen die Statistik ist nur da berechtigt, wo diese ein geistloses mechanisches Zählverfahren bleibt, das dem Untersuchenden ersparen soll zuzusehen und zu -hören. Statistik kann sinnvoll nur da angewandt werden, wo ein feinfühliges Nachtasten und Nachdenken der Sprachformen vorausgegangen ist. Dann tauchen erst die Fragestellungen auf, dann erst kann angegeben werden, was überhaupt gezählt werden soll.“ (Alewyn 1926: 32)
  • 32
    Alewyn (1926: 60) zitiert zum Vergleich natürlich das altgriechische Original. Das lautet so: Ἔρως ἀνίκατε μάχαν /  Ἔρως, ὃς ἐν κτήμασι πί- / πτεις ὃς ἐν μαλακαῖς παρει- / αῖς νεάνιδος ἐννυχεύεις. / φοιτᾷς δ᾽ ὑπερπόντιος ἔν τ᾽ / ἀγρονόμοις αὐλαῖς / καί σ᾽ οὔτ᾽ ἀθανάτων / φύξιμος οὐδεὶς / οὔθ᾽ ἁμερίων σέ γ᾽ ἀν- / θρώπων. ὁ δ᾽ ἔχων μέμηνεν.
  • 33
    Als „Antipode[n] in der Uebertragung der Antigone“ bezeichnet Alewyn Hölderlin, der gerade das von Opitz „zu sehr verleugnete Orientalische mehr herausheben zu müssen glaubte“ (Alewyn 1926: 22). Alewyn verzichtet allerdings darauf, Hölderlins Version der zehn Verse zu zitieren. Sie lauten: „Geist der Liebe, dennoch Sieger / Immer, in Streit! Du Friedensgeist, der über / Gewerb einnicket, und über zärtlicher Wange bei / Der Jungfrau übernachtet, / Und schwebet über Wassern, / Und Häusern, in dem Freien. / Fast auch Unsterblicher Herz zerbricht / Dir und entschlafender Menschen, und es ist, / Wer’s an sich hat, nicht bei sich“ (Hölderlin 1804: 890). Nicht von Eros oder Amor spricht Hölderlin, sondern umschreibend vom „Geist der Liebe“ und einem „Friedensgeist“. Dies entspricht seinem in den Anmerkungen zur Antigonä formulierten Programm, die u. a. in den Götternamen gespeicherten griechisch-mythologischen Vorstellungen nicht durch mit traditionellen Konnotationen verbundenen Namen zu verdecken; vgl. die Kommentare in Hölderlin (1804: 1437 und 1329f.).
  • 34
    Zitiert nach dem Wortlaut in den Weltlichen Poemata von 1644, der sich vom Erstdruck im Buch von der Deutschen Poeterey durch eine etwas andere Orthographie (vermehrte Großschreibung der Substantive) und ein anderes erstes Wort in Zeile 11 („Sie“ statt „Sich“) unterscheidet (Opitz 1644: 378).
  • 35
    Richard Beckherrn brachte in einer Königsberger Dissertation von 1888 den Nachweis für seine These, dass „M. Opitz […] unmittelbarer Nachahmer Ronsards“ und der „Einfluss“ des Niederländers Heinsius auf seine Poetik und seine Poesie deutlich geringer sei, indem er u. a. auf den Seiten 85–101 neben den jeweiligen Ronsard-Gedichten 21 Opitz-Gedichte abdruckte, „die man Paraphrasen oder vielmehr Übersetzungen nennen kann“ (Beckherrn 1888: 85). Für Heinsius (ebd.: 101–103) indes hat er nur fünf, wenn auch sehr umfangreiche Opitz-Versionen gefunden, die zudem alle (im Gegensatz zu vielen Ronsard-„Nachahmungen“) von Opitz selbst stets als „Übersetzungen“ kenntlich gemacht wurden, so dass Beckherrn sie – anders als die Ronsard-Gedichte – auch nicht abgedruckt hat. Das Resultat seiner Quellen-Studien fasst Beckherrn gleich zu Beginn der Dissertation in einem Bild zusammen, das den Übersetzer bzw. Nachahmer als Wanderer zeigt: „Ronsard ist stets der glänzende Leitstern, dem Opitz unverwandten Blicks zum Tempel des Ruhmes zu folgen bemüht ist; nur wenn sich kreuzende Pfade den richtigen Weg zweifelhaft werden lassen, wenn Abgründe den Wanderer hemmen, oder ragende Klippen den Stern zeitweise verschwinden lassen, dann sieht sich der Ratlose ängstlich nach Fußspuren desjenigen um, der diese Reise schon vor ihm gemacht hat und angelangt ist, Heinsius.“ (Ebd.: 9).
  • 36
    Knapp 400 Jahre später veröffentlichte Georg Holzer seine Übersetzung des Sonetts, die m.E. keineswegs besser als Opitz’ „Nachahmung“ gelungen ist: „Luft, Himmel, Berge, Ebenen und Wind, / Hügel voll Wein, Wälder in zartem Grün, / Quellen und Ufer, die gekrümmt sich ziehn, / Gehölz, das grün ich und geschnitten fand, // Höhlen voll Moos, nach keiner Seite blind, / Wiesen, wo taubedeckte Blumen blühn, / Geduckte Täler, Stränd, die golden glühn, / Felsen, die Zeugen meiner Verse sind, // Hört: Als ich von ihr schied mit Zorn und Zagen, / Konnt ich dem schönen Aug Adieu nicht sagen, / Das nah und fern in seinem Bann mich hat, // Ich bitt euch, Himmel, Wind, Berg, Ebne, Luft, / Gehölz und Wälder, Ufer, Quellen, Kluft, / Blum, Wiese, Höhle, sagtʼ s an meiner statt. (Ronsard/Holzer 2006: 73).
  • 37
    Zitiert nach Ronsard/Holzer 2006: 72.
  • 38
    Die lateinischen 16 Verse lauten: „Exegi monumentum aere perennius / regalique situ pyramidum altius, / quod non imber edax, non Aquilo impotens / possit diruere aut innumerabilis // annorum series et fuga temporum. / non omnis moriar multaque pars mei / vitabit Libitinam; usque ego postera / crescam laude recens, dum Capitolium // scandet cum tacita virgine pontifex. / dicar, qua violens obstrepit Aufidus / et qua pauper aquae Daunus agrestium / regnavit populorum, ex humili potens, // princeps Aeolium carmen ad Italos / deduxisse modos. sume superbiam / quaesitam meritis et mihi Delphica / lauro cinge volens, Melpomene, comam.“ (Zit. nach Newald 1933: 69).
  • 39
    Dies tut die seit 1968 erscheinende historisch-kritische Opitz-Ausgabe, die allerdings 1990 ins Stocken geraten war und erst seit 2021 mit Band V (Die Werke von 1630 bis 1633) fortgeführt wird, nunmehr auch als „Hybridedition“; vgl. hierzu die Rezension von Seidel (2022).
  • 40
    In ihr geht es um sieben von der Forschung bisher nicht behandelte petrarkistische Sonette der Veronica Gambara (1485–1550), die Opitz übersetzt und 1625 als kleinen Zyklus in seiner Breslauer Werkausgabe (Acht Bücher Deutscher Poematum) veröffentlicht hat (Opitz 1625: 314–318; vgl. Robert 2020; vgl. auch Aurnhammer 2006).
  • 41
    Als souveräner Überblick sind m.E. noch immer am gelungensten zwei Passagen im Nachwort des Herausgebers Erich Trunz (1975) mit den Überschriften „Die Poemata in Opitz’ Gesamtschaffen“ (S. 15*–36*) sowie „Opitz’ Sicht der Weltliteratur“ (S. 57*–76*) – Eine auf Typologisierung (interlinguale imitatio, interlinguale Hypertextualität, interlinguale Mimotextualität) zielende Gesamtwürdigung unternimmt in seiner knappen Überblicksdarstellung Zymner (2002).
  • 42
    Keine Nachfolge fand bisher Walter Fränzels 1914 veröffentlichte und nach wie vor lesenswerte Geschichte des Übersetzens im 18. Jahrhundert, die auf den Seiten 8–24 auch das 17. Jahrhundert behandelt.
  • 43
    Von einem engen, „allzu dirigistisch-intenionale[n] Übersetzungsbegriff“ (Bies 1986: 15) ausgehend urteilt Apel gänzlich anders: „Bei Opitz […] hat das Problem der Übersetzung keine eigene Bedeutung, sondern ist eine Spezialform der Nachahmung. Immerhin erkannte Opitz die Bedeutung der Übersetzung für die Ausbildung der Sprache, jedoch bleibt sie auch hier Mittel zum Zweck“ (Apel 1983: 41). Apels’ kanonartige Leseliste zur Geschichte des Übersetzens beginnt daher erst mit Gottsched, Bodmer und Wieland (ebd.: 86).

Quellen

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Zitierweise

Kelletat, Andreas F.: Martin Opitz, 1597–1639. In: Germersheimer Übersetzerlexikon UeLEX (online), 4. Juni 2024.
BeschreibungKupfer(nach)stich von Johann-Baptist Paravicini mit rühmendem Distichon von Caspar Barth auf den Dichterfürsten Opitz. Abbildung aus dem digitalen Store norske leksikon 2005-2007, Vorlage im Rijksmuseum, Amsterdam.
Datum16. April 2024
Kupfer(nach)stich von Johann-Baptist Paravicini mit rühmendem Distichon von Caspar Barth auf den Dichterfürsten Opitz. Abbildung aus dem digitalen Store norske leksikon 2005-2007, Vorlage im Rijksmuseum, Amsterdam.